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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock beim G7-Treffen in Italien Auch das noch
Ukraine, Nahost, die Wahl von Donald Trump: Die führenden westlichen Industriestaaten sehen sich mit zahlreichen Krisen konfrontiert. Das G7-Außenministertreffen in Italien wird aber vor allem ein Kampf gegen die eigene Schwäche.
Aus Fiuggi berichtet Patrick Diekmann.
Es gibt Tage, an denen passt selbst in Italien das Wetter zur düsteren politischen Gemengelage. Als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Montag im italienischen Fiuggi eintrifft, ist der für seine heißen Quellen und Wanderwege bekannte Kurort in Grau gehüllt. Es regnet, es ist kalt und stürmisch. Das lässt sich gut auf die politische Stimmung innerhalb der G7-Staaten übertragen, deren Außenminister hier eine Autostunde östlich von Rom entfernt zusammenkommen.
Der Berg der Probleme wird seit Jahren nicht kleiner: Die G7 bemühen sich bislang erfolglos um eine Deeskalation der Kriege im Nahen Osten und der Ukraine. Außerdem justiert der Westen sein Verhältnis zu China und sorgt sich um Stabilität im Indopazifik. Es ist also wenig überraschend, dass Baerbock am Montag in Fiuggi von "stürmischen Zeiten" spricht. Besonders jetzt würde sich entscheiden, wie stark das "Krisenteam" der G7 ist, ergänzt die Außenministerin.
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Dabei sind die G7 und das westliche Bündnis aktuell vor allem eines: Sie sind abgelenkt. In Deutschland ist die Ampelkoalition kollabiert und in Kanada, Japan und Frankreich sind die Regierungen angezählt. Darüber hinaus steht alles, was im Rahmen der G7 verhandelt wird, unter dem Vorbehalt, dass es dem kommenden US-Präsidenten Donald Trump gefällt, wenn er im Januar 2025 wieder ins Weiße Haus einzieht. Trumps Schatten legt sich über das westliche Bündnis – und das sorgte schon beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro vergangene Woche zu politischen Lähmungserscheinungen.
In Italien erwartet die G7 ein schwieriger Spagat. Die Welt brennt und die Krisen werden nicht stoppen, bis der Westen sich sortiert hat. Im Gegenteil. Autokraten wie Kreml-Chef Wladimir Putin scheinen die gegenwärtige Schwäche nutzen zu wollen, um sich im aktuellen geopolitischen Konflikt einen Vorteil zu verschaffen. Die innenpolitischen Zerwürfnisse in vielen westlichen Staaten kommen also zur Unzeit, besonders für die internationale Krisendiplomatie.
DHL-Absturz in Verbindung mit Putins Krieg?
Auch im italienischen Fiuggi gehen westliche Diplomaten schon auf dem Zahnfleisch. Der Tag beginnt für Außenministerin Baerbock mit einem Schrecken. In Litauen war ein DHL-Flugzeug abgestürzt, eine Person starb dabei, drei weitere Personen wurden verletzt. Dramatische Bilder von der Absturzstelle, eine komplett zerstörte Boeing 737. Die Absturzursache ist noch ungeklärt. War es technisches oder menschliches Versagen? Oder hatte Russland seine Finger im Spiel?
Wie angespannt die aktuelle Lage ist, zeigt sich genau in diesem Moment. Immerhin fällt der Vorfall in eine Zeit, in der Unterseekabel in der Ostsee durchgeschnitten werden – eine Zeit, in der es Anschlagsdrohungen auch gegen Deutschland gibt und in der die Bundesrepublik für den Kreml ein Ziel in seinem hybriden Krieg gegen den Westen darstellt. Und besonders in Deutschland scheint in Reaktion auf den Absturz an diesem Montag vor allem eine Reaktion verbreitet zu sein:
Nicht auch das noch.
"Dass wir in alle Richtungen ermitteln, unterstreicht, in was für Zeiten wir leben", meint Baerbock. Man könne nicht einfach davon ausgehen, dass es ein technischer Unfall gewesen sei. "Wir hatten zuletzt in Europa mehrfach hybride Angriffe gesehen." Sie erwähnt Angriffe auf Personen, kritische Infrastruktur und die Unterseekabel. "Der russische Präsident wird uns nicht den Gefallen tun und Rücksicht nehmen, weil Weihnachten und die Bundestagswahl vor der Tür stehen."
Und in der Tat. Putin hatte zuletzt seine Angriffe gegen die zivile Infrastruktur massiv verschärft. Zuletzt zeigte er auch erneut seine Verachtung gegenüber Gesprächsangeboten aus dem Westen, als er wenige Stunden nach dem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) massive Drohnenangriffe auf die Ukraine fliegen ließ. Das zeigt zunächst einmal seinen kurzfristigen Plan: Die russische Führung möchte bis Ende Januar möglichst große Fortschritte auf den Schlachtfeldern erzielen. Danach muss auch der Kreml erst einmal schauen, was Trump mit Blick auf diesen Krieg plant.
Westliche Schwäche schreckt mögliche Partner ab
Es gibt besonders in der Ukraine die Befürchtung, dass die Unterstützungen aus dem Westen einschlafen könnten. Trump sorgt für Unsicherheit, aber auch Scholz möchte sich im beginnenden Wahlkampf in Deutschland als "Friedenskanzler" inszenieren, als leitende Stimme der Vernunft. Das macht es natürlich unwahrscheinlich, dass Deutschland in dieser Zeit seine Unterstützung der Ukraine ausbaut und zum Beispiel den Marschflugkörper Taurus liefert.
Aber die Ukraine ist eben nur ein Puzzlestück in einem großen globalen Krisenspiel. Der Westen – und auch das wird beim G7-Treffen in Italien deutlich – scheint trotz seiner kollektiven Wirtschaftskraft überfordert. Schon beim G20-Gipfel forderten aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder Brasilien mehr Einfluss und ein stärkeres Mitspracherecht in internationalen Institutionen. Das Momentum dafür scheint passend zu sein, denn auch die G7 nehmen im Angesicht multipler Krisen andere Länder in die Pflicht.
Das zeigt nicht zuletzt die Einladungsliste des G7-Treffens der Außenminister in Fiuggi. Es kommen am Montag und Dienstag Außenminister und Staatssekretäre aus Ägypten, Jordanien, Katar, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Einen Tag später kommen führende Vertreter aus Korea, den Philippinen, Indien und der Ukraine nach Italien.
Der Hintergedanke scheint klar. Der Westen möchte möglichst viele Staaten in die Krisendiplomatie einspannen. Auch Baerbock macht in ihrem Statement am Montag klar: Der Krieg in der Ukraine gehe die ganze Welt etwas an, denn Russland greife mit seinem Angriffskrieg auch die UN-Charta an. Es ist der Versuch, Russland international wieder mehr zu isolieren und den Druck auf Putin zu erhöhen. Ob das klappt, ist allerdings unklar.
Denn die gegenwärtige innenpolitische Schwäche des Westens wirkt eher abschreckend auf mögliche Bündnispartner. Der G20-Gipfel in Brasilien brachte mit Blick auf den Ukraine-Krieg nur ein schwammiges Bekenntnis zu einem gerechten Frieden hervor. Das zeigt, dass Putin für seinen Krieg in weiten Teilen der Welt nicht mehr geächtet wird. Stattdessen scheint er in der Ukraine auf der Siegerstraße zu sein. Und wenn das so bleibt, werden immer mehr Staaten ihre Beziehungen zu Russland wieder normalisieren.
Momentum für Waffenstillstand im Libanon gekommen?
Die Aussichten im Ukraine-Krieg sind für die ukrainischen Verteidiger und den Westen aktuell eher düster, dabei braucht das westliche Bündnis momentan eigentlich dringend ein Erfolgserlebnis. Sehr viel politisches Kapital und diplomatische Anstrengungen flossen in den vergangenen Jahren in Versuche, Russland zurückzudrängen und den Krieg im Nahen Osten zu deeskalieren.
Bislang mit bescheidenem Erfolg, aber das könnte sich im Zuge des G7-Treffens in Italien ändern. Baerbock stellt am Montag in Aussicht, dass möglicherweise ein "Momentum" für einen Waffenstillstand im Libanon gekommen sei. Das wäre in der Tat ein Hoffnungsschimmer. Und die Einladungsliste am Montag in Fiuggi zeigt, dass vor allem viele arabische Staaten gekommen sind.
Aber können sie ausreichend Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ausüben, damit dieser die Kampfhandlungen im Libanon stoppt? Immerhin fühlt sich Netanjahu momentan innenpolitisch gestärkt, weil er die Angriffe der libanesischen Hisbollah und des Mullah-Regimes nicht ungesühnt ließ. Außerdem hofft Netanjahu sicherlich auf mehr Rückendeckung aus dem Weißen Haus, wenn sein Freund Donald Trump wieder US-Präsident ist.
Auch in diesem Konflikt ist die Lage kompliziert. Baerbock gibt zu: Es sei für die G7 ein "dickes Brett", das gebohrt werden muss. Und Trump könnte mit einer einseitigen Unterstützung für Israel mögliche Strategien wieder über den Haufen werfen.
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Die Regierungen der G7-Staaten werden sich im kommenden Jahr deutlich verändern, und das schmälert den Einfluss der jetzigen Protagonisten merklich. Aber auch ohne Trump gibt es zwischen den westlichen Industriestaaten zahlreiche interne Konfliktlinien. Deutlich wird das in Italien an der Frage, ob die G7-Mitgliedsstaaten den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) festnehmen würden, wenn er auf ihrem Staatsgebiet wäre.
Einigkeit ist hier nicht wirklich zu erwarten. Die USA erkennen den IStGH gar nicht an. Die meisten restlichen G7-Vertreter möchten sich der Frage einer möglichen Netanjahu-Verhaftung erst stellen, wenn Netanjahu tatsächlich in ihre Länder reisen möchte. Auch Kanzler Scholz folgt derselben Verzögerungstaktik, um sich vor dieser Frage wegducken zu können. Baerbock hat in ihrer Amtszeit bislang stets versucht, den IStGH zu stärken und steht nun vor einem Dilemma. Sie wolle sich zwar nicht in ein "laufendes Verfahren" einmischen, erklärt die Außenministerin. Aber: "Die Bundesregierung hält sich an Recht und Gesetz, weil niemand über dem Gesetz steht."
Damit lässt Baerbock durchblicken, dass sie für eine mögliche Verhaftung von Netanjahu steht, wenn der Internationale Strafgerichtshof dies unabhängig beschließt. Die Bundesregierung bleibt aber zögerlich, denn an diesem Punkt ist das Verfahren gegen Netanjahu noch nicht. Zwar gibt es einen Haftbefehl für eine Untersuchungshaft, aber dagegen könnte Israels Regierungschef Rechtsmittel einlegen – er wurde eben nicht schuldig gesprochen. Auch deshalb tritt Deutschland hier bislang auf die Bremse.
- Berichterstattung vom G7-Treffen in Fiuggi