Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zollkonflikt mit Donald Trump "USA halten die Androhung einer Invasion aufrecht"

Donald Trump führt einen Handelskrieg mit weiten Teilen der Welt. Trotz schwerer Vorwürfe gegen das Land wird Mexiko verhältnismäßig wenig belastet. Viel davon hat mit der Präsidentin zu tun.
Wenn es um mexikanische Tomaten geht, versteht Claudia Sheinbaum keinen Spaß mehr. Am vorvergangenen Montag hatte das US-Handelsministerium Zölle in Höhe von 20,9 Prozent auf Tomaten aus Mexiko angekündigt, die Mitte Juli in Kraft treten sollen. Doch laut Angaben der mexikanischen Präsidentin hatte Washington das ihrer Regierung selbst nicht mitgeteilt, sondern lediglich den Tomatenproduzenten in den USA. Diese hatten sich zuvor über die angeblichen Dumpingpreise der mexikanischen Tomaten beklagt.
Sheinbaum hat eine klare Meinung zu dem Vorgang: "Das ist schlecht", sagte sie auf einer Pressekonferenz. Die linksgerichtete Staatschefin ist sich sicher, dass am Ende die USA den Kürzeren ziehen werden. "Selbst wenn diese Sanktion verhängt würde, würden weiterhin mexikanische Tomaten in die Vereinigten Staaten exportiert werden, da es keinen Ersatz gibt." Dann sei das Hauptproblem der USA, dass die Tomaten dort um knapp 21 Prozent teurer würden. "Dieses Verfahren ist schon oft durchgeführt worden, und Mexiko hat immer gewonnen", so Sheinbaum.
Bisher scheint der Zollstreit, den US-Präsident Donald Trump mit beinahe der ganzen Welt vom Zaun gebrochen hat, tatsächlich teils zugunsten Mexikos auszugehen. Zumindest ist es Sheinbaum gelungen, einen Teil der Strafzölle abzuwenden. Sie sprach von einer "Sonderbehandlung"– und das, obwohl Mexiko mitunter die schwersten Vorwürfe aus den USA aushalten muss. Bisher zeichnet sich Sheinbaums Umgang mit Trump durch Ruhe aus. Manche Beobachter bezeichnen sie gar als "Einflüsterin" Trumps. Doch das Blatt könnte sich bald wenden.
"Eher eine Getriebene als eine Einflüsterin"
Der Lateinamerika-Experte Günther Maihold teilt das medial verbreitete Bild von Sheinbaum nicht. "Im Verhältnis zu Donald Trump ist sie eher eine Getriebene als eine Einflüsterin", sagt er im Gespräch mit t-online über die mexikanische Präsidentin. Der US-Präsident lasse ihr gegenüber mit den Nadelstichen nicht nach. "Angesichts der Vorwürfe aus Washington und des jüngsten Streits über die Zölle auf Tomaten kann man daher kaum von gut funktionierender Kommunikation zwischen den beiden Nachbarn sprechen."

Zur Person
Günther Maihold ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Aktuell ist Maihold Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Zuvor arbeitete er für die Friedrich-Ebert-Stiftung unter anderem in Mexiko, Nicaragua, Panama und Costa Rica. Bis Juni 2023 war Maihold stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Donald Trump macht Mexiko für vieles verantwortlich. Einerseits sind es illegale Migranten, die vor allem über die Südgrenze in die USA kommen. Andererseits leiden die USA seit mehreren Jahren an einer Fentanyl-Krise. Das synthetische Opioid war allein 2023 für rund 74.000 Tote durch Überdosen verantwortlich. Schuld daran ist laut Trump Mexiko – wegen angeblich ungenügender Kontrollen an den Grenzen. Schon im Wahlkampf drohte er deshalb auch mit Militärschlägen gegen die mexikanischen Drogenkartelle.
Trumps aktuelles Mittel der Wahl, um Druck auf Mexiko auszuüben, sind Strafzölle: 25 Prozent auf alle Waren, die nicht dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen USMCA unterliegen. Für Mexiko sei das ein Grundproblem mit dem US-Präsidenten, sagt Maihold. "Er vermischt in seiner Politik drei zentrale Themen: Handel, organisierte Kriminalität und Migration." Damit setze er Mexiko massiv unter Druck, "denn bisher hat das Land in den Beziehungen zu den USA auf Freihandelsabkommen gesetzt".
"Die USA halten die Androhung einer Invasion aufrecht"
Mit ihrem Anfang des Jahres ausgerufenen "Plan México" suche Sheinbaum zudem den Schulterschluss mit der Privatwirtschaft, um Investitionen anzukurbeln. "Das Handeln der USA erschwert allerdings auch das", erklärt Maihold. "Man kann Trumps Drohungen mit Zöllen etwa auf mexikanische Tomaten als Spiegelfechtereien betrachten – sie haben aber unweigerlich negative Auswirkungen auf die Unternehmen und Beschäftigten in Mexiko."
Doch Trump übt auch auf anderer Ebene Druck aus: "Die USA halten die Androhung einer möglichen Invasion nach Mexiko zur Bekämpfung der Drogenkartelle aufrecht", sagt Maihold. Wohl um das zu untermalen, ordnete Trump Mitte April an, dass das US-Militär die Kontrolle und Gerichtsbarkeit auf bundeseigenem Land entlang der Südgrenze übernehmen soll. Die betroffenen Landstriche würden damit zu Militärgebiet erklärt. Sollte sich ein Migrant dorthin verirren, sähe er sich dem Vorwurf des unbefugten Betretens von Militäreigentum ausgesetzt.
Trump erklärt Grenzland zu Militärgebiet
Teil der Anordnung ist außerdem, dass das Gebiet Teil eines Armeestützpunktes werden soll. Damit umgeht die Trump-Administration ein Gesetz, das den Einsatz von US-Truppen zur Strafverfolgung auf heimischem Boden verbietet. Als Reaktion darauf forderte Sheinbaum in einer diplomatischen Note die US-Regierung zur Wahrung der Menschenrechte auf – erkannte jedoch auch das Recht der USA an, auf eigenem Territorium eigene Entscheidungen zu treffen. Sie hoffe zudem auf eine Fortsetzung der Sicherheitszusammenarbeit.
In diesem Bereich sei Sheinbaum bereits auf Trump zugegangen, erklärt Günther Maihold. "Sie bricht deutlich mit dem Kurs ihres Vorgängers und will wohl Berater des US-Militärs ins Land lassen." Andrés Manuel López Obrador (genannt AMLO), der im vergangenen Herbst als Mexikos Präsident ausschied, hatte solche Berater noch aus dem Land geworfen – seine politische Ziehtochter Sheinbaum dreht diese Entscheidung zurück. "Das passiert zwar wegen des Drucks von Trump, ist aber sicherlich sinnvoll, um die Drogenkartelle einzuhegen", so Maihold.
Druck auf die Kartelle könnte blutige Folgen haben
Außerdem hat die mexikanische Präsidentin rund 10.000 Nationalgardisten an die Grenze geschickt und lässt sie hart gegen Drogenschmuggel vorgehen. So wurden zuletzt große Mengen an Fentanyl beschlagnahmt. Außerdem hat Sheinbaum 29 Drogenbosse an die USA ausgeliefert – im Wissen, dass diesen dort die Todesstrafe blühen könnte. Auch das ist ein Bruch mit der AMLO-Politik. Sheinbaums Vorgänger hatte noch versucht, die Drogenkartelle durch Annäherung einzuhegen – und so den traurigen Rekord von 200.000 Gewalttoten während seiner Amtszeit aufgestellt.
Günther Maihold befürchtet, dass der Druck auf die Kartelle nun erneut blutige Folgen haben könnte. Gegenreaktionen der organisierten Kriminalität auf die Maßnahmen der Politik, Nachfolgekämpfe innerhalb der Kartelle sowie gewaltsame Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Territorien zwischen bewaffneten Gruppen könnten das Gewaltniveau in Mexiko erneut ansteigen lassen, so der Experte.
"Washington versteht Mexiko als 'Hintereingang' Chinas"
Auch im Zollstreit mit den USA könnten sich die Fronten für Sheinbaum schon bald deutlich verhärten. "Mexiko droht nun, im Handelskrieg zwischen China und die USA zu geraten", sagt Günther Maihold. "Washington versteht Mexiko als 'Hintereingang' Chinas, um Waren auf den amerikanischen Kontinent zu bringen." Viele chinesische Unternehmen haben in der Tat ihre Produktion nach Mexiko verlagert, um hohe Zölle zu umgehen.
"Setzt Trump künftig aber die Ursprungsregel um, wären solche Produkte ebenfalls von den Zöllen betroffen", so Maihold. Bisher gelten für in Mexiko produzierte Waren, die dem USMCA-Freihandelsabkommen unterliegen, keine US-Zölle. Das sind immerhin gut die Hälfte aller Waren, die Mexiko in die USA exportiert. Das Land hängt mit 80 Prozent enorm von den Ausfuhren an den Nachbarn ab. Ändere Trump seine bisherige Zollpolitik, "dann könnte Sheinbaum das nicht mehr austarieren", sagt Maihold. "Damit droht Mexikos Geschäftsmodell als 'verlängerte Werkbank' der USA zu scheitern."
Trump lobt Claudia Sheinbaum
Bisher aber läuft es gut für Claudia Sheinbaum. Rund um den Globus schauen Beobachter interessiert auf ihren Umgang mit Donald Trump. Kürzlich landete sie gar auf der Liste der "100 einflussreichsten Menschen" des US-amerikanischen "Time Magazine". Doch wie ist es der Präsidentin gelungen, bei Trump Anklang zu finden? Immerhin nannte der US-Präsident seine Amtskollegin bereits eine "wundervolle Frau". Sein Handelsminister Howard Lutnick bezeichnete Mexiko als "gemäßigt und pragmatisch".
- Architekt der Zollpolitik: Lutnick entfacht für Trump den Welthandelskrieg
Laut Günther Maihold fährt Sheinbaum einen "doppelten Kurs" in ihrer Politik. "Innenpolitisch zeigt sie sich nationalistisch bis populistisch." Dabei appelliere sie stets an die Einheit des Landes, spare aber auch nicht mit "markigen Worten" angesichts des Konflikts mit den USA. "Außenpolitisch aber präsentiert sich Sheinbaum als Technokratin, die das Gespräch sucht und kühl mit Fakten argumentiert", so Maihold. "Noch funktioniert das. Aber bald könnte sie vor großen Problemen stehen."
"Dann könnte sie Mexikos größtes Pfund verlieren"
Diese Probleme liegen Maihold zufolge vor allem im eigenen Land: "In Mexiko droht eine Haushaltsknappheit, die durch den Handelsstreit mit den USA verstärkt werden könnte." Bisher finanziert der Staat große Sozialprogramme, die viel Geld kosten. Noch seien die Zustimmungswerte von Sheinbaum sehr hoch und die Wachstumsprognosen gut, so der Experte. "Doch sollte der Staat einsparen müssen, würde sich das Blatt wohl wenden. Zudem gibt es laufende Konflikte innerhalb ihrer Partei, die ebenfalls politischen Sprengstoff bergen."
Sheinbaum muss deshalb im Umgang mit dem mächtigen Nachbarn im Norden Fingerspitzengefühl beweisen. "In den Beziehungen mit Trump bewegt sich Sheinbaum auf Messers Schneide", sagt Maihold. "Reagiert sie zu hart auf Trumps Drohungen, könnte sie Mexikos größtes Pfund verlieren: das USMCA-Freihandelsabkommen." Die Vereinbarung, der auch Kanada angehört, ist seit 2020 in Kraft. Im kommenden Jahr soll die Verlängerung um 16 Jahre geprüft werden.
"Hinzu kommen weitere mögliche Konfliktlinien bei der Migration sowie den unkontrollierten Waffenimporten aus den USA", sagt Maihold. Ähnlich wie die USA bemängelt auch Mexiko die Kontrollen an der Grenze. Der Vorwurf lautet: Alles, was in die Vereinigten Staaten will, kontrollieren die US-Behörden hart. Bei Ausfuhren aber drücken sie ein Auge zu. So könnten leicht Waffen aus den USA nach Mexiko und in die Hände von Drogenkartellen gelangen. Sollte Sheinbaum sich im Falle eines Konflikts mit den USA in den Nationalismus zurückziehen, so Maihold, "wird es schwer, das wieder zurückzudrehen".
- Telefongespräch mit Günther Maihold
- washingtonpost.com: "How Mexico’s president became the world’s leading Trump whisperer" (englisch)
- welt.de: "Warum Mexikos linke Präsidentin plötzlich gemeinsame Sache mit der Trump-Regierung macht"
- n-tv.de: "Mexikos Präsidentin Sheinbaum ist extrem beliebt - auch wegen Trump"
- jornada.com.mx: "Sheinbaum responde a base militar de EU en frontera: 'Pedimos respeto y coordinación'" (spanisch)
- lavanguardia.com: "Sheinbaum asegura que el tomate mexicano 'seguirá exportándose a EEUU porque no tiene sustituto'" (spanisch)