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China: Das passiert in den geheimen Umerziehungslagern für Muslime


Erschütternder Bericht
Das passiert in Chinas geheimen Umerziehungslagern für Muslime


Aktualisiert am 01.11.2018Lesedauer: 5 Min.
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Luftaufnahme eines Lagerkomplexes: Über die ganze Provinz Xinjiang verteilt gibt es Dutzende solcher Anlagen.Vergrößern des Bildes
Luftaufnahme eines Lagerkomplexes: Über die ganze Provinz Xinjiang verteilt gibt es Dutzende solcher Anlagen. (Quelle: Google Earth)

Peking geht mit harter Hand gegen das Turkvolk der Uiguren vor. In Lagern soll die muslimische Minderheit zu braven Staatsbürgern erzogen werden. Was nach außen dringt, ist schockierend.

Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit treibt China im Westen des Landes ein gewaltiges Programm zur Umerziehung der muslimischen Minderheit voran. In abgeriegelten Lagerkomplexen in der Provinz Xinjiang, von der Staatsmacht als Schulen bezeichnet, werden Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen wie in Gefängnissen festgehalten. Seltene Berichte von vor Ort legen nahe, dass die Insassen, ausschließlich Uiguren und Mitglieder anderer muslimischer Minderheiten, misshandelt und erniedrigt werden und mittels Indoktrination auf Parteilinie gezwungen werden sollen.

In einem umfangreichen Report näherten sich Journalisten der BBC nun dem System der chinesischen Lager an. Gemeinsam mit Experten werteten sie Satellitenaufnahmen aus, die eine rege Bautätigkeit der Pekinger Sicherheitsbehörden dokumentieren sollen. Sie sprachen mit Uiguren, die von Repressalien in den Komplexen berichteten. Sie reisten nach Xinjiang, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen, wurden nach eigener Darstellung aber von der Staatsmacht konsequent in ihrer Arbeit behindert.

Unter anderem beleuchtet der Bericht die Entwicklung eines gefängnisähnlichen Lagerkomplexes am Rande der Stadt Dabancheng, eine Fahrstunde von der Provinzhauptstadt Urumqi entfernt. Das Gelände, auf dem die Einrichtung heute steht, war im Sommer 2015 noch unbebautes, karges Land, wie Bilder auf Google Earth aus jener Zeit zeigen.

Auf neueren Aufnahmen aus dem April 2018 ist auf dem gleichen Gelände ein Komplex aus großen Wohngebäuden, kleineren Häusern und Barracken zu erkennen. Die Wohnhäuser sind von einer hohen Mauer umgeben. Das deuten die Schattenwürfe auf den Bildern an. In regelmäßigen Abständen sind Wachtürme entlang der Mauer errichtet worden, 16 insgesamt.

Die Reporter zogen auch Satellitenbilder aus der Sentinel-Datenbank der europäischen Raumfahrtagentur Esa heran. Sie sind weniger detailliert, dafür aber aktueller. Sie lassen vermuten, dass der Komplex seit April mindestens auf die doppelte Größe angewachsen ist. Die BBC ließ ein australisches Architekturbüro, das auf den Bau von Gefängnissen spezialisiert ist, die Größe des Komplexes schätzen. Das Urteil der Experten: Dabancheng ist für mindestens 11.000 Insassen ausgelegt. Das würde die Anlage zu einem der größten Gefängniskomplexe der Welt machen.

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Peking nennt die Lager Trainingszentren

China bestreitet die Existenz von Einrichtungen wie der in Dabancheng nicht. Allerdings spricht die Regierung nicht von Gefängnissen, sondern von Trainingszentren. Dort würden Menschen untergebracht, die vom Terrorismus und Extremismus beeinflusst worden seien, sich aber nur kleinerer Vergehen schuldig gemacht hätten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hingegen spricht von Inhaftierungen ohne angemessene Gerichtsverfahren. Von Insassen ohne Zugang zu Anwälten oder Angehörigen, die dazu gezwungen würden, Loblieder auf die Kommunistische Partei zu singen und Mandarin zu lernen. Für einen großen Teil der hiesigen Bevölkerung ist das Uigurische die Muttersprache.

Die Behörden präsentieren, kaum verwunderlich, eine andere Sichtweise. Die "Studenten" würden in Geschichte, Kultur, den Gesetzen der Volksrepublik aber auch in berufspraktischen Fähigkeiten unterrichtet. Die Insassen unterzeichneten einen Vertrag, bevor sie Unterricht, "Unterkunft" und praktisches Training bekämen. Am Ende stehe eine Abschlussprüfung.

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Eine gigantisches Lagersystem in wenigen Jahren

Gefängnisähnliche Lager wie das in Dabancheng sollen laut BBC in den vergangenen Jahren zu Dutzenden in Xinjiang entstanden sein. Sie seien zum Teil neu errichtet worden, zum Teil seien bestehende Anlagen umgewidmet und hochgerüstet worden. Hinweise auf die Aktivitäten Pekings in der Provinz lieferten demnach offizielle Regierungsdokumente.

Der deutsche Sozialwissenschaftler und China-Experte Adrian Zenz, so der Sender, habe anhand von ihnen Bestellungen für Sicherheitsausrüstung wie Stacheldraht und Überwachungstechnik, aber auch für Baumaterial für Wachtürme und Einrichtungen für Wachpersonal dokumentieren können.

Der BBC zufolge schätzt Zenz die Kapazitäten der chinesischen Umerziehungseinrichtungen auf mehrere Hunderttausend bis zu über einer Million Menschen. Zugleich schreite deren Wachstum rasant voran: Während 2017 zahlreiche neue Projekte gestartet worden seien, hätten die Behörden 2018 massiv in die Expansion der Anlagen investiert, schreibt Zenz auf Twitter.

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Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wissenschaftler des Australian Strategic Policy Institute, einer unabhängigen Denkfabrik, die sich nach eigener Aussage auf Forschung in den Bereichen Verteidigungs- und Strategische Politik konzentriert. Seit Anfang 2016 seien die 28 von den Experten untersuchten Anlagen um fast das Fünffache angewachsen.

Untermauert werden die Recherchen laut BBC von Analysen der spanische Firma GMV, die unter anderem mit der Esa und der EU-Kommission zusammenarbeitet. Sie habe über 100 lagerartige Einrichtungen in Xinjiang anhand von Satellitenaufnahmen untersucht. Mehr als 44 von ihnen hätten demnach Merkmale von Hochsicherheitseinrichtungen aufgewiesen. Die Hälfte von ihnen sei erst in den vergangenen zwei Jahren errichtet worden.

Seit 2009 greift Peking hart durch

Die Errichtung der Lager stellt den vorläufigen Höhepunkt einer immer restriktiveren Politik Pekings gegen die Uiguren dar. Die autonome Provinz Xinjiang gilt als Konfliktherd, seit die Kommunisten nach ihrer Machtübernahme 1949 sich das ehemalige Ostturkestan einverleibt hatten. Nach blutigen Unruhen 2009 und einer Reihe von Terroranschlägen uigurischer Extremisten griffen die Sicherheitskräfte hart durch.

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Die Behörden erließen scharfe Regeln gegen muslimisches Leben. Das Tragen von langen Bärten oder Kopftüchern wurde untersagt, ebenso die religiöse Erziehung von Kindern, ja sogar muslimisch klingende Namen. In ganz Xinjiang wurden an Straßen und auf Gehwegen Kontrollpunkte eingerichtet. Die Behörden zogen im großen Stil Reisepässe ein. Zugleich wurden Hunderttausende Han-Chinesen in Xinjiang angesiedelt, um den Einfluss der chinesischen Kultur auszuweiten und den der Turkvölker zurückzudrängen.

Peking hat aber nicht nur sicherheits- und gesellschaftspolitische Interessen in der Region. In Xinjiang gibt es reiche Vorkommen an wertvollen Rohstoffen, darunter Gold, Erdöl und Erdgas.

Propaganda zeigt zufriedene "Studenten"

Die vor einigen Jahren begonnenen Umerziehungsmaßnahmen läuteten eine neue Phase der Repressionen ein. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen wurden seither in die "Trainingszentren" gesperrt. Manche für einige Wochen, andere für Jahre. In den staatlich kontrollierten Medien kommt das Schicksal der Insassen allenfalls in Propagandaberichten vor. Fernsehbeiträge zeigen saubere Klassenräume und zufriedene "Studenten", die vor der Kamera ihre "Irreführung" gestehen und geloben, künftig gute Bürger zu sein.

Die Zeitrafferaufnahme zeigt den Bau eines "Berufsausbildungszentrums" in der Stadt Kashgar. Die Anlage ist von einem hohen Zaun mit Stacheldraht umgeben. Die Arbeiten begannen Anfang 2017. (Quelle: Australian Strategic Policy Institute)

Frühere Insassen zeichnen dagegen ein erschreckendes Bild. Sie berichteten der BBC von Erniedrigungen und Misshandlungen, von Bestrafungen bei kleinsten Anlässen. Der 29-jährige Ablet Tursun Tohti erzählt, er und die anderen Insassen hätten jeden Morgen exakt eine Minute nach dem Weckruf auf dem Appellplatz zum Laufen antreten müssen. "Es gab einen speziellen Raum, wo jene bestraft wurden, die zu langsam rannten", berichtet Tohti. "Zwei Männer waren dort, der eine Schlug mit einem Gürtel, der andere trat zu."

Auch der 41-jährige Abdusalam Muhemet hat eines dieser Lager erlebt. Er soll laut BBC für das Vorlesen eines islamischen Verses auf einer Beerdigung festgenommen worden sein. Den Alltag in der "Schule" beschreibt er als Mischung aus Unterricht, Gehirnwäsche und fortwährender Erniedrigung.


Die "Schüler" hätten auch Gesetze auswendig lernen müssen, sagt Tohti. "Wenn du sie nicht korrekt aufsagen konntest, wurdest du geschlagen." Die Türen der Schlafräume seien nachts verschlossen worden. In den Zimmern habe es keine Toiletten gegeben. "Sie gaben uns einfach eine Schüssel."

"Menschenrechtsverletzungen wie seit Jahrzehnten nicht"

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte im September die Weltgemeinschaft auf, China wegen des Vorgehens gegen die Uiguren mit Sanktionen zu belegen. "Die chinesische Regierung verübt in Xinjiang Menschenrechtsverletzungen in einem Ausmaß, das wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben", sagte Sophie Richardson, Direktorin für China bei Human Rights Watch.

Laut HRW würden die Behörden immer häufiger Masseninhaftierungen veranlassen, sowohl in regulären Haftanstalten als auch politischen Umerziehungslagern. Berichte, wonach eine Million Menschen in den Lagern festsitzen, seien glaubwürdig. Ähnliche Vorwürfe erhob im August die UN-Organisation Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) in Genf. Komitee-Mitglied Gay McDougall warnte, dass die Region in "eine Art massives Internierungslager" umgewandelt werde.

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