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Hirschhausen über Flut und Corona: "Es ist absurd, von der Rückkehr in die Normalität zu träumen"


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Hirschhausen über Flut und Corona
"Es ist absurd, von der Rückkehr in die Normalität zu träumen"


Aktualisiert am 22.07.2021Lesedauer: 7 Min.
Unwetterkatastrophe in Teilen Deutschlands: Von Hirschhausen fordert ein Umsteuern.Vergrößern des Bildes
Unwetterkatastrophe in Teilen Deutschlands: Von Hirschhausen fordert ein Umsteuern. (Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress/ Günther Pichlkostner / First Look/dpa)
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Das Hochwasser in Teilen Deutschlands zeigt: Die Auswirkungen des Klimawandels sind verheerend. Und uns drohen noch andere Gesundheitsgefahren, meint Moderator und Klimaaktivist Eckart von Hirschhausen. Ein Gespräch über die Effekte der globalen Erwärmung.

Teile Deutschlands stehen unter Wasser, in den USA brennen die Wälder. In Kanada wurden Anfang des Monats Rekordtemperaturen von fast 50 Grad gemessen. Das Extremwetter auf unserem Planeten ist Folge der globalen Erderwärmung – dem vom Menschen gemachten Klimawandel.

Der Arzt und Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen engagiert sich auch im Klimaschutz. In der vergangenen Woche lieferte er sich in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" einen heftigen Schlagabtausch mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Angesichts der Bilder der verheerenden Flutkatastrophe platzte von Hirschhausen der Kragen: "Ich bin richtig wütend, weil ich sehe, wie die Menschen leiden. Es ist eine Katastrophe mit Ankündigung. Die Wissenschaft hat das vorhergesagt." Ihn störe vor allem "die Arroganz der Politiker". "Die tun immer noch so, als machen sie so viel. Das ist einfach Bullshit". Einem CO2-Molekül sei es "völlig egal, aus welchem Land es kam. Genauso wie es einem Virus egal ist, ob wir Mensch oder Tier sind."

t-online sprach mit von Hirschhausen über die Konsequenzen, die aus der Flutkatastrophe zu ziehen sind und darüber, wie der Klimawandel unsere Gesundheit bedroht.

t-online: Nach den Hochwassern drohen nun ja auch Verseuchungen in einigen Regionen, etwa weil Chemie- oder Kläranlagen geflutet wurden. Wie groß sehen Sie die Gefahr?

Eckart von Hirschhausen: Diese Gefahr ist real und ein Beispiel dafür, dass wir die Schutzmaßnahmen gegen die Extremwetter vernetzter angehen und immer wieder den Gesundheitsaspekt und die Prävention von Krankheiten in den Mittelpunkt stellen müssen. Wir haben ja zunehmend auch Probleme mit antibiotikaresistenten Keimen. Sie entstehen zum Teil in der Massentierhaltung, zum Teil in den Krankenhäusern, aber wenn sich durch die überlastete Kanalisation die Abwässer und der Klärschlamm mit dem Oberflächenwasser mischen und sich überallhin verteilen, ist im wahrsten Sinne die Kacke am Dampfen.

Durch den Klimawandel haben wir es mit Extremwetterlagen zu tun: Hochwasser, Stürme, Hitze. Immer wieder führt das zu Toten. Was oft aus den Augen verloren wird, sind zum Beispiel die Hitzetoten. Was wissen wir über sie und woran sterben diese Menschen eigentlich?

Warum endet jedes Fieberthermometer bei 41 Grad? Weil wir mehr schlichtweg nicht aushalten an Körpertemperatur. Die Eiweißstoffe im Hirn gehen kaputt. Das weiß jeder, der schon mal ein Ei gekocht hat, dass Proteine, die einmal ihre Form durch Überhitzung verändert haben, nicht mehr in die ursprüngliche Form zu bringen sind.

Wir können uns beispielsweise an Hitze nicht "gewöhnen"?

Wir übersehen wirklich, wie sehr wir auch als Menschen biologische Wesen sind, mit einem sehr anfälligen und verletzlichen Körper. Es ist eine große Illusion, dass wir uns "gewöhnen" können an Hitze. Klar, im Urlaub, in der Sauna, im begrenzten Rahmen reguliert unser Schweiß, unser Kreislaufsystem das. Aber wir kommen sehr schnell an unsere Grenze.

Erst recht, wenn Menschen Vorerkrankungen haben, wie Diabetes, schwaches Herz, schwache Lunge. Deutschland ist unter den extrem von Hitzetoten betroffenen Ländern weltweit, weil wir eine Bevölkerung mit vielen älteren Menschen haben. Wie so oft trifft es die Armen und Geschwächten zuerst. Deshalb empfinde ich es auch als zynisch, wenn man "soziale Fragen" aus dem Hut zaubert, um Klimaschutz, ehrliche Preise für Lebensmittel oder den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verhindern. Die Klimakrise ist ungerecht, weil sie Menschen unterschiedlich hart betrifft. In Deutschland. Und vor allem auch im globalen Süden.

Dr. Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Moderator und Klimaaktivist. Im Frühjahr erschien sein Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben". Er ist außerdem der Gründer der Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen".

Derzeit ist Corona in aller Munde, doch der Klimawandel könnte uns bald ganz neue Virenarten bescheren, die hier heimisch werden. Wie kommt das und um welche Viren handelt es sich da?

Ich möchte keine Panik verbreiten, aber Gesundheitsschutz und Klimaschutz müssen unser aller oberste Priorität werden. Mit den drastischen Bildern der letzten Tage ist hoffentlich jedem klar:

Wir müssen nicht aus Mitleid mit Eisbären das Klima retten – wir müssen uns Menschen retten. Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert mit Hitzetoten, Extremwetterereignissen und, wie Sie richtig sagen, auch neuen Infektionskrankheiten.

Die Übertragungen aus dem Tierreich werden immer heftiger und häufiger, weil wir den Lebensraum der Wildtiere brutal zerstören, die Tiere krank werden und, weil wir den Wildtierhandel nicht stoppen, auch immer häufiger diese Erreger auf den Menschen übertragen.

SARS-CoV-2 ist nicht das einzige Virus, das vom Tier auf den Menschen übersprang ...

Nein, wir leben in historischen Zeiten. Dass eine Generation zwei Pandemien erlebt, ist ein Zeichen dafür, wie schwerwiegend Dinge aus dem Lot sind. Diese Woche ist der weltweite Aids-Kongress in Berlin gestartet, wo ich mit Anthony Fauci sprechen durfte, der mit 80 Jahren immer noch der oberste Infektionsexperte der USA ist und der schon sieben Präsidenten überlebt hat. Fauci erinnerte daran, dass ziemlich genau vor 40 Jahren das HI-Virus entdeckt wurde, das ebenfalls vom Tierreich auf den Menschen übertragen wurde – genau wie Ebola, MERS, SARS und aktuell Corona.

In Deutschland gibt es bereits das West-Nil-Virus, wo schon der Name besagt, dass es eigentlich hier nicht hingehört. Wir schaffen gerade die Voraussetzungen, dass auch andere Erkrankungen, die wir als "Tropenkrankheiten" bezeichnet hatten, auch hierzulande sich ausbreiten können, wie Malaria oder Dengue-Fieber. Heute diagnostizieren wir die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) bereits im Januar, weil die übertragenden Zecken durch die warmen Winter sich enorm vermehren. Klimakrise hat also viele Gesichter. Gegen Viren kann man impfen. Gegen Hitze nicht.

Bei Corona ist ja eine These, dass der Mensch durch Abholzung der Wälder in Regionen vordringt, in denen er bislang nicht war und in die er vielleicht auch einfach nicht gehört. Damit kommt der Mensch in Kontakt mit Viren, die wir bisher nicht kannten. Droht uns da noch ein neues Supervirus?

Die Experten sind sich einig: Das wird nicht unsere letzte Pandemie gewesen sein. Deshalb ist es auch so absurd, wenn immer noch viele von der "Rückkehr in die Normalität" träumen. Sowohl Extremwetter als auch der Umgang mit Seuchen wird Teil unserer Normalität bleiben. Je schneller uns das bewusst wird, desto mehr investieren wir sowohl in die Anpassung, in öffentliches Gesundheitswesen und Katastrophenschutz als auch global.

Was wäre zuerst zu tun?

Wildtiermärkte gehören weltweit verboten. Sofort. Vor 10.000 Jahren hatten Menschen global einen Gewichtsanteil von 1 Prozent und Wildtiere 99 Prozent. Heute besteht die Biomasse der Wirbeltiere zu 32 Prozent aus Menschen, zu 67 Prozent aus Nutztieren und nur noch zu 1 Prozent aus Wildtieren. Das ist und macht krank.

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Der Wildtiermarkt ist aber nur ein Teil des Problems ...

Ja, wir haben Gesundheit viel zu lange als etwas Individuelles betrachtet, jeder ist für sich selber verantwortlich, und für jede Krankheit gibt es eine Behandlung. Corona erinnert uns an den Stellenwert von "public health", an Gesundheitsgefahren, für die es übergeordnete Lösungen braucht. Die größte Gesundheitsgefahr ist und bleibt die Klimakrise, die Zerstörung unserer Mitwelt, die sich an vielen Stellen rächt, auch durch mehr Allergien, Waldbrände und den weltweiten Killer Nummer eins: Luftverschmutzung.

Diese Krisen hängen eng zusammen. Deshalb steht auf meinem aktuellen Buch "Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben" auch ein Button "Drei Krisen zum Preis von zwei". Sieht aus wie ein Marketing-Gag, ist aber die bittere Wahrheit. Positiv formuliert: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten.

Durch die veränderten Temperaturen breiten sich hierzulande auch Arten aus, die man in unseren Breiten nicht kannte. Welche Tier- und Pflanzenarten sind das und wie bedrohen sie unsere Gesundheit?

Es gibt neue Formen von Zecken in Deutschland, wie die Hyalomma-Riesenzecke, die theoretisch auch Fleckfieber und andere unangenehme Dinge übertragen kann. Sehr viel konkreter ist aber bereits die Belastung durch invasive Pflanzen wie Ambrosia, die hochallergen ist. Viele werden auch die gesperrten Waldwege schon erlebt haben, weil der Eichenprozessionsspinner sich breitmacht.

Durch die drei extrem heißen und trockenen Jahre 2018, 2019 und 2020 ist der Wald in Deutschland so geschädigt wie noch nie. Und das betrifft eben nicht nur Bäume, sondern das ganze "Netz des Lebens". Wir Menschen haben ja nur sehr bruchstückweise verstanden, wie komplex die Natur zusammenhängt. Aber wenn wir weiter mit Pestiziden und Überdüngung die biologischen Gleichgewichte und Artenvielfalt mit Füßen treten, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Natur uns nicht mehr als "Naherholung" dient.

Es heißt ja, dass wir den Klimawandel nicht mehr aufhalten können, sondern nur abschwächen. Was halten Sie von der These?

Ich sage: Jedes Zehntel Grad zählt! Jede Tonne Treibhausgas, die wir einsparen. Und jede Stimme, um endlich wirksame politische Maßnahmen einzufordern. Wir sind die erste Generation, die hautnah miterlebt, wie instabil das Erdsystem wird. Und die letzte, die verhindern kann, dass weitere Kipppunkte überschritten werden.

Das Eis der Arktis schmilzt – wie vorhergesagt. Der Regenwald stirbt – wie vorhergesagt. Was lange als "Panikmache" verunglimpft wurde, ist in vollem Gange. Und so wie wir die Bilder aus Bergamo brauchten, um die Pandemie ernst zu nehmen, haben uns Bilder von Überschwemmungen in Bangladesch ja nie so bewegt wie die aus nächster Nähe. Aber jetzt kann keiner mehr sagen, er oder sie wisse von nichts. Ich hätte so viel mehr Respekt vor Politikern, wenn sie jetzt einmal ehrlich sagen würden: Wir haben seit 30 Jahren die Stimmen aus der Wissenschaft ignoriert und entscheidende Schritte nicht eingeleitet, zum Teil sogar aktiv verhindert. Wer jetzt noch ein "Weiter so" für einen gangbaren Weg hält, hat wirklich den Schuss nicht gehört.

Was müsste jetzt konkret getan werden, um den Temperaturanstieg zu bremsen?

Sehr viel! Die Konzepte sind ja alle da, wir haben die Technik für die Energiewende, wir sind nicht allein auf der Welt, aber könnten mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Ländern helfen, so schnell wie möglich aus der Kohle und anderen fossilen Energien auszusteigen.

Corona hat uns ja gezeigt, wie verletzlich wir sind, dass "global" eben "auch hier" bedeutet und dass ein Virus keine Grenzen kennt, so wenig wie ein C02-Molekül fragt, aus welchem Land es kommt. Die Treibhausgase nehmen uns alle einfach in den Schwitzkasten. Deshalb müssen wir in allen Bereichen sehr schnell umsteuern, denn unsere Mutter Erde ist auf der Intensivstation.

Emissionen können wir sparen, wenn wir uns im Winter zu Hause einen Pulli anziehen, statt die Heizung aufzudrehen, möglichst viel mit dem Fahrrad fahren und wenig Fleisch essen. Aber individuelle Maßnahmen alleine reichen nicht. Deshalb ganz wichtig: Werden Sie politisch!

Es ist falsch, alle Kraft auf die Vermeidung von Plastiktüten zu legen, wenn Flüge weiterhin in Deutschland billiger sind als Bahnfahrten. Und wenn Milliardensubventionen in der Landwirtschaft und in der Energieerzeugung genau die falsche Richtung befeuern. Deswegen müssen wir überregional, europäisch und global denken, denn wir haben noch zehn Jahre, die darüber entscheiden, wie die nächsten 10.000 Jahre für die Zivilisation werden. Klima ist kein "Modethema", sondern eine Frage des Überlebens.

Herr von Hirschhausen, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview vom 21. Juli 2021
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