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EM-Spieler Varga verletzt: "Für Zuschauer sieht das dramatisch aus"


Schwere Verletzung bei EM-Spieler
Mediziner: "Ich kann verstehen, dass diese Szene aufregt"

  • Melanie Rannow
InterviewVon Melanie Rannow

24.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Dramatische Szene: Das EM-Spiel Ungarn gegen Schottland wurde überschattet von einer schweren Verletzung von Barnabás Varga. (Quelle: Marijan Murat/dpa)

Ein ungarischer Fußballspieler hat sich im EM-Spiel gegen Schottland ernsthafte Verletzungen zugezogen. Hat die Behandlung viel zu lange gedauert? Ein Experte ordnet ein.

Während der EM-Partie zwischen Schottland und Ungarn ist es gestern Abend zu einem schlimmen Zusammenstoß zwischen Ungarns Nationalspieler Barnabás Varga und dem schottischen Torhüter Angus Gunn gekommen. Der ungarische Stürmer Varga wurde verletzt, minutenlang behandelt und schließlich vom Platz getragen.

Die Diagnose: Gehirnerschütterung und mehrere Knochenfrakturen im Gesicht. Wie gefährlich diese Verletzungen sind und welchem Risiko Fußballspieler ausgesetzt sind, erklärt Professor Frank Erbguth im Gespräch mit t-online. Er ist Neurologe und Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

t-online: Beim EM-Spiel zwischen Schottland und Ungarn erlitt der ungarische Fußballspieler Varga nach einem schweren Zusammenprall eine Gehirnerschütterung und blieb verletzt liegen. Die besorgten Mitspieler hatten ihn vorsichtig auf die Seite bewegt. Ist das das richtige Vorgehen?

Frank Erbguth: Die stabile Seitenlage ist in diesem Fall richtig. Für die Hirnverletzung ist es zwar nicht so relevant, aber falls der Betroffene erbricht. Erbrechen zählt zu den möglichen Symptomen einer Gehirnerschütterung.

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Quelle: MagentaTV

Es gibt den Vorwurf, dass die Sanitäter zu langsam agiert haben und zu spät auf dem Platz beim Verletzten waren – was halten Sie davon?

Von der Kritik habe ich gehört. Ich kann verstehen, dass diese Szene aufregt. Der Zuschauer sieht das und denkt, die Helfer müssten dorthin eilen. Offensichtlich sind sie aber etwas gemächlicher gelaufen. Aber eines kann man sicher sagen: Dem Spieler ist angesichts der Gehirnerschütterung kein Schaden passiert.

Natürlich kann man aber auch sagen: Man weiß vorher nicht, wie schwerwiegend die Verletzung ausfällt. Es ist extrem selten, dass jemand durch einen Kopfstoß einen Herzstillstand erleidet. Wenn Sie an Christian Eriksen denken …

Beim dänischen Nationalspieler Christian Eriksen kam es 2021 während eines Spiels zum Herzstillstand. Dem Fußballprofi wurde anschließend ein Defibrillator, ein sogenannter ICD, implantiert. Dieser erkennt Herzrhythmusstörungen und reagiert im Ernstfall mit Elektroschocks, um sie zu beenden.

Was genau passiert bei einer Gehirnerschütterung?

Hier gibt es verschiedene Schweregrade des sogenannten Schädel-Hirn-Traumas. Am mildesten ist die Schädelprellung, die viele Menschen kennen. Etwa, wenn sie sich den Kopf am Küchenschrank anstoßen. Das tut weh, schadet aber dem Gehirn nicht, weil wir durch die dicke Schädeldecke gut geschützt sind.

Eine Gehirnerschütterung hingegen ist eine häufige Sportverletzung – zählt aber auch zu den milden Verläufen. Dabei wird das Gehirn durch die Kraft, die auf den Schädel wirkt, "durchgeschüttelt". Das führt zu einer Funktionsbeeinträchtigung der Gehirnzellen, die aber nicht kaputtgehen. Dieser Fall scheint bei Varga eingetreten zu sein.

Weitaus schwerer ist die sogenannte Hirnprellung, die nur in fünf Prozent der Fälle auftritt. Hierbei werden die Strukturen des Gehirns verletzt – mit langfristigen Einschränkungen.

Wie läuft die Erstversorgung bei einer Gehirnerschütterung ab?

Zunächst muss der Betroffene stabilisiert und festgestellt werden, wie stark er beeinträchtigt ist. Sehr viel mehr kann man in diesem Moment gar nicht machen. Wenn er aufwacht, ist erste Entwarnung gegeben und er kann zu weiteren Untersuchungen in die Klinik transportiert werden.

Also zählt bei der Behandlung einer Gehirnerschütterung nicht unbedingt jede Minute?

Genau, denn die Erstversorger können nicht viel machen. Man kann die Folgen des mechanischen Aufpralls nicht durch irgendeine Maßnahme abmildern.

(Quelle: Agentur Adverb)

Zur Person

Prof. Dr. Frank Erbguth ist Neurologe und Präsident der Deutschen Hirnstiftung. Die Stiftung bietet zahlreiche Informationen rund um das Thema Hirngesundheit und berät Betroffene und Angehörige auf der Webseite hirnstiftung.org.

Varga wurde wohl auch bewusstlos. Wie gefährlich ist das?

Das ist abhängig von der Kraft, die auf den Schädel wirkt und kann durch die Funktionsbeeinträchtigung passieren. Für Umstehende und Zuschauer sieht das dramatisch aus, wenn dort jemand liegt und sich nicht aufwecken lässt. Per definitionem darf die Bewusstlosigkeit bei einer Gehirnerschütterung bis zu 15 Minuten dauern. Das wird nur selten erreicht, meist ist der Betroffene deutlich schneller wieder kontaktfähig. Das muss dann auch nicht überdramatisiert werden. Schließlich gibt es eine Sportart, deren Ziel es ist, jemanden bewusstlos zu machen.

Sie meinen Boxen?

Genau. Wenn der Ringrichter runterzählt und der Boxer sich nicht mehr aufrichten kann, dann ist er in der Regel auch bewusstlos. Und alle sprechen von einem gelungenen Boxkampf. Das muss man mal in den Kontext setzen.

Auch Kopfbälle können ein Risiko sein: Wie gefährlich sind sie tatsächlich?

Dazu gibt es viele Untersuchungen, vor allem zu Sportarten wie American Football oder Baseball. Hier kommt es zu sehr vielen kleinen Traumata, die nicht unbedingt zur Bewusstlosigkeit führen, aber wo Gehirnzellen immer wieder beansprucht werden. In der Summe kann das über Jahre oder Jahrzehnte zu Schäden führen und das Risiko einer Demenz erhöhen. Solche Hinweise vermuten Mediziner auch für den Fußball.

Für Varga ist diese EM sportlich vorbei, wie schnell heilen solche Verletzungen?

Wenn bei den Aufnahmen vom Gehirn keine Schäden zu erkennen sind, kann man es abhaken. Eine milde Gehirnerschütterung allein hat sicher keine Folgen. Dennoch kann es in seltenen Fällen zu Schäden auf oder unter der Hirnhaut kommen. Etwa Hämatome, die dann auf Gehirnscans sichtbar werden. Die Frakturen im Gesicht kann man reparieren – in aller Regel heilen sie folgenlos ab.

Und eventuell bleibt eine Amnesie übrig. Es kann passieren, dass der Spieler sich nicht mehr an die Minuten des Spiels und an die Behandlung im Anschluss erinnert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Prof. Dr. Erbguth
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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