Vermisster Arian Welche Symptome die Autismus-Spektrum-Störung zeigen kann
Seit Montag wird in Bremervörde der sechsjährige Arian vermisst. Das Junge hat Autismus. Was steckt hinter der Entwicklungsstörung?
Die Suche nach dem sechs Jahre alten Arian aus dem niedersächsischen Bremervörde läuft unvermindert weiter. Der Junge wird seit Montagabend vermisst. Hunderte Einsatzkräfte und Helfer durchsuchen seitdem die Gegend rund um das Wohngebiet. Aufgrund der niedrigen Temperaturen und der vergleichsweise leichten Bekleidung Arians beschrieb die Polizei die Lage als sehr ernst.
Was die Suche zusätzlich erschwert: Der Junge ist Autist und reagiert nicht auf Ansprache.
Was ist eine Autismus-Spektrum-Störung?
Wissenschaftler haben die verschiedenen Ausprägungen von Autismus unter einem Oberbegriff zusammengefasst: der Autismus-Spektrum-Störung, kurz ASS. Charakteristisch für sie sind, dass die Personen
- kein oder kaum Interesse an sozialen Kontakten haben und soziale Situationen oft nicht richtig einschätzen, sowie in ihrer sprachlichen Entwicklung und in der Kommunikation beeinträchtigt sein können,
- sehr spezielle Interessen haben und immer gleiche Verhaltensmuster zeigen können (Fachleute sprechen von Stereotypien).
- Zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen gibt es nur Schätzungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen an, dass von 100 Personen etwa 1 Person auf dem Autismus-Spektrum ist – darunter deutlich mehr Jungen als Mädchen. Am häufigsten kommt der sogenannte atypische Autismus vor. Die zweithäufigste Ausprägung ist der frühkindliche Autismus, gefolgt vom Asperger-Syndrom.
Diese Symptome weisen auf Autismus hin
Soziale Einschränkungen: Kontakt zu anderen manchmal kaum möglich
Typisch für eine Autismus-Spektrum-Störung ist, dass die jeweiligen Personen anscheinend keinen oder nur wenig Kontakt zu anderen Menschen suchen. Das wird in der Regel bereits in der Kindheit deutlich. So spielen autistische Kinder oft nicht mit ihren Altersgenossinnen und -genossen, sondern bleiben für sich.
Je nach Ausprägung der Störung sind einige Menschen gar nicht oder nur begrenzt in der Lage, eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. Sie suchen keinen Blickkontakt beziehungsweise weichen den Blicken anderer aus. Auch körperlichen Kontakt meiden sie weitgehend.
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung können oftmals die Gefühle anderer nur schwer einschätzen und ihre eigenen Gefühle anderen gegenüber kaum äußern.
Probleme mit Sprache und Kommunikation
Je nachdem, welche Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung vorliegt, ist die sprachliche Entwicklung der Kinder stark beeinträchtigt. Insbesondere beim frühkindlichen Autismus kann das der Fall sein. Ein Teil lernt nicht oder nicht flüssig zu sprechen. Andere können zwar sprechen, sind aber vielleicht nicht in der Lage, einen richtigen Dialog zu führen oder Emotionen sprachlich zum Ausdruck zu bringen.
Starre Verhaltensmuster und sehr spezielle Interessen
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung brauchen häufig feste Strukturen und Rituale, von denen sie möglichst nicht abweichen. Meist führen autistische Menschen dann eine Tätigkeit immer auf die gleiche Art aus. Fachleute sprechen von Stereotypien. Zum Beispiel wollen Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung immer vom selben Teller essen. Oder sie nehmen ihre Mahlzeiten immer exakt zu einer bestimmten Zeit ein. Wird ihr gewohnter Tagesablauf verändert, können sie damit oft nur schwer umgehen und sich schnell überfordert fühlen.
Beim frühkindlichen Autismus ist häufig zu beobachten, dass die Kinder immer wieder ihren Körper oder einzelne Körperteile auf die gleiche Weise hin- und herbewegen.
- Mehr über frühkindlichen Autismus lesen Sie hier: Diagnose Kanner-Syndrom
Weitere mögliche Symptome von Autismus
Neben den charakteristischen Symptomen weisen viele Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weitere Beschwerden auf. Dazu zählen unter anderem
- Angsterkrankungen
- gestörter Schlaf
- Essstörungen
- Aufmerksamkeitsprobleme
- Bewegungsunruhe
- Tics
Therapie: So lässt sich Autismus behandeln
Eine Autismus-Spektrum-Störung ist nicht heilbar – aber behandelbar. Die Therapie ist immer individuell. Sie richtet sich unter anderem danach,
- wie alt die Person ist,
- wie gut ihre kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten sind,
- um welche Form von Autismus es sich handelt und wie stark sie ausgeprägt ist,
- in welchen Bereichen die Person besonders eingeschränkt ist,
- inwieweit die Person von Familienmitgliedern und nahestehenden Person Unterstützung findet und/oder
- ob die Person zusätzlich psychische Erkrankungen oder Einschränkungen hat, die behandelt werden müssen.
Zur Therapie von Autismus können ganz unterschiedliche Ansätze sinnvoll sein, zum Beispiel
- heilpädagogische Elemente
- Ergotherapie: Unterstützung bei Tätigkeiten, die im Alltag wichtig sind
- Sprechtraining (Logopädie)
- Verhaltenstherapie
- Training sozialer Kompetenzen
Lesen Sie hier mehr zu den Ursachen und therapeutischen Möglichkeiten.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Autismus-Spektrum-Störungen. Online-Informationen der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (Abrufdatum: 15.10.2021)
- Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 2: Therapie. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 028/047 (Stand: 24.3.2021)
- Gortner, L., Meyer, S.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2018
- Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2017
- Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 028/018 (Stand: 5.4.2016)
- Möller, H., et al.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
- Kerbl, R., et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2015
- Roy, M., et al.: Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter. Deutsches Ärzteblatt, Nr. 105, Ausg. 6 (2009)
- Pädiatrie, Rett-Syndrom: Springer Medizin.de, Bernd Wilken und Folker Hanefeld (Abrufdatum: 07.05.2019)