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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Amalgam-Verbot kommt "Niemand hat sich vorher darüber Gedanken gemacht"
In der EU sollen quecksilberhaltige Zahnfüllungen ab 2025 verboten werden. Was das für die Patienten bedeutet, berichtet ein Zahnarzt im Interview.
Die Verwendung von Amalgam als Zahnfüllstoff soll ab 2025 EU-weit verboten werden. Darauf einigten sich Anfang Februar Vertreter des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des EU-Rates. Der Grund: Amalgam besteht zu 50 Prozent aus Quecksilber, das ein Risiko für Umwelt und Gesundheit darstellt.
Doch die Entscheidung gilt als umstritten. Im Interview mit t-online erklärt Dr. Christian Öttl, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), welche Gefahr wirklich von Amalgam-Füllungen ausgeht und was das geplante Verbot für die Patientenversorgung bedeutet.
t-online: Ab 2025 sollen Amalgam-Füllungen beim Zahnarzt verboten werden, so will es die EU. Was halten Sie von diesem Schritt?
Dr. Christian Öttl: Ich betrachte diese Entscheidung sehr kritisch. Denn für einige Patienten stellt das ein Problem dar, das wir aktuell nicht lösen können.
Welche Personen sind davon betroffen?
Wir haben Patienten, die generell schwierig zu behandeln sind und daher ausschließlich mit Amalgam versorgt werden können. Das sind Patienten, die ihre Körperfunktionen nicht zu 100 Prozent kontrollieren können, auch Ältere und Pflegebedürftige. Und wenn das Verbot kommt, dann können wir sie nicht mehr richtig versorgen.
Gibt es denn kein geeignetes Ersatzmaterial?
Nein, keines, das auch so langlebig und kostengünstig wie Amalgam ist. Goldgussfüllungen halten zwar auch sehr lange, sind aber natürlich um ein Vielfaches teurer. Und Keramik ist in der Regel noch teurer als Gold. Da sind jetzt die Wissenschaft und die Industrie stark gefordert. Sie müssen ein Material finden, das genauso gut und einfach zu verarbeiten ist wie Amalgam.
Zur Person
Dr. Christian Öttl ist Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ) und seit über 30 Jahren niedergelassener Zahnarzt in München.
Was ist mit Kunststoff? Schließlich bestehen die meisten Füllungen heutzutage aus einer Kunststoffmischung …
Kunststoff ist per se nicht ideal, da er nur begrenzt dicht ist und das auch nur bei penibel technisch sauberer Verarbeitung. Er muss im Gegensatz zu den anderen Materialien in den Zahn geklebt werden und diese Verbindung ist nicht so dauerhaft und so dicht wie beispielsweise bei Amalgam. Hinzu kommt, dass das in Amalgam enthaltene Silber zusätzlich bakteriostatisch wirkt. Das heißt, es hemmt die Vermehrung von Bakterien. Kunststoff hingegen unterdrückt keine Bakterien. Die Forschung ist dran, das zu verbessern, aber das wird dauern.
Sind Amalgam-Füllungen denn ein Gesundheitsrisiko?
Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Amalgam und den potenziellen Schäden für den menschlichen Körper. Aber eindeutige Belege für die Schädlichkeit gibt es nicht. Solange das Amalgam in den Zähnen liegt, ist zumindest keine Gefahr nachweisbar. Wenn überhaupt, könnten Quecksilberdämpfe beim Einbringen und Entfernen der Zahnfüllung frei werden. Doch das ist keine Gefahr für den Patienten, sondern eher für die Zahnärzte und das zahnärztliche Personal.
Auch der Umweltschutz spielt laut EU bei diesem Verbot eine große Rolle. Ist das schon eher berechtigt?
Für mich ist es unverständlich, warum nicht Kohlekraftwerke verboten werden, die ein Tausendfaches an Quecksilber in die Luft blasen – im Vergleich dazu, was eventuell bei Amalgam-Füllungen freigesetzt werden könnte. Das ist nicht verhältnismäßig.
Info
Amalgam-Füllungen bestehen etwa zur Hälfte aus Quecksilber, und einem Mix aus Silber, Zinn, Kupfer und anderen Metallen. Quecksilber ist in seiner Reinform giftig. Seit 2018 dürfen daher Kinder unter 15 Jahren und Schwangere keine Amalgam-Füllungen mehr erhalten.
Zurück zum Thema Kosten: Aktuell ist Amalgam der einzige Füllstoff, bei dem keine Zuzahlung vom Patienten fällig wird. Was die Krankenkassen künftig tragen, ist noch unklar. Teurer für die Patienten wird es aber in jedem Fall?
In den vergangenen zwei, drei Jahren sind die Kosten für die Materialien alleine schon um 20 bis 50 Prozent gestiegen. Das liegt an der Inflation und an der Verteuerung der Arbeitsleistung. Auch die Verarbeitungskosten gehen in die Höhe. Nun kommt das Amalgam-Verbot hinzu. Kurzum: Natürlich werden die Kosten weiter steigen und sich auf die Patienten niederschlagen. Für eine gute Versorgung werden sie tiefer in die Tasche greifen müssen.
Welches Material ist denn am teuersten?
Keramik ist in der Verarbeitung sehr teuer, der Preis für Gold schwankt. Wir sind jetzt bei einem Preis für Dentalgold zwischen 60 und 90 Euro pro Gramm. Für eine Gussfüllung benötigt man circa fünf Gramm. Das heißt, allein der Materialwert kann bei 400 bis 500 Euro liegen. Da kommt noch die Verarbeitung im Labor hinzu. Das können dann auch mal 1.000 Euro pro Goldeinlagefüllung sein. Die guten Kunststoffe kosten zwischen 30 und 40 Euro pro Gramm. Hinzu kommt aber noch der Kleber, der je nach Hersteller bis zu 38.000 Euro pro Liter kostet.
Also spricht sehr viel dafür, Amalgam als Füllungsmaterial beizubehalten.
Ja, denn es ist ein gutes, bewährtes, einfach zu verarbeitendes Basisfüllungsmaterial – vor allem für Patienten, bei denen kein anderes Material einsetzbar ist. Amalgam lässt sich dicht verarbeiten und ist langlebig, sodass die Zähne nicht in kürzester Zeit weitere Schäden nehmen. Doch schon jetzt ist es schwierig, an den Füllstoff zu kommen.
Wie meinen Sie das?
Im Moment ist die Beschaffung von Dentalmaterial in Europa generell ein Problem. Alle Produkte auf dem medizinischen Markt werden neu zertifiziert. Doch es gibt zu wenige Zertifizierungsstellen. Da gibt es einen irren Stau. Das angekündigte Amalgam-Verbot verschärft diese Situation zusätzlich. Verschiedene Firmen haben sich aus diesem Grund aus dem Markt verabschiedet und man kommt schon heute schwer an Amalgam.
Das heißt, es gibt schon jetzt ein Versorgungsproblem für die vulnerablen Gruppen?
Viele Praxen haben Amalgam noch vorrätig, aber manche Kollegen berichten, dass sie keines mehr beschaffen können. Sie versuchen es jetzt im Ausland. Die Frage ist, inwiefern das Material aus Nicht-EU-Ländern zum Import zugelassen und geeignet ist. Niemand hat sich vorher darüber Gedanken gemacht.
Glauben Sie denn, dass das letzte Wort schon gesprochen ist?
Ich hoffe, dass sich die EU noch mal auf Gespräche einlässt und das Verbot nicht schon 2025 in Kraft tritt. Viele Zahnärzte fordern ein Fade-out bis 2030, um Zeit zu gewinnen. Denn die benötigen Wissenschaft und Industrie, um passende Ersatzmaterialien auf den Markt zu bringen. Das befürworte ich!
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Öttl!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Telefonisches Interview mit Dr. Christian Öttl
- pharmazeutische-zeitung.de: "Was sind die Alternativen für Zahnfüllungen?"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa