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USA, Russland, Ukraine: Ökonom Schularick warnt vor "harten Zeiten"


Top-Ökonom über Russland
"Das hat Hitler auch gemacht"


Aktualisiert am 29.07.2024Lesedauer: 7 Min.
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Moritz Schularick: Der Top-Ökonom leitet das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. (Quelle: Sebastian Rau/t-online)

Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind 2027 aufgebraucht. Und dann? Der Ökonom Moritz Schularick plädiert für ein erheblich größeres Sondervermögen – und erklärt, warum wir uns das nicht nur leisten müssen, sondern auch können.

Die Wahl des US-Präsidenten könnte erhebliche Auswirkungen auf den Fortgang des Kriegs in der Ukraine haben – und damit auch für Deutschland. Worauf müssen wir uns einstellen? Wie viel Geld muss uns die eigene Sicherheit wert sein? Und warum scheinen die westlichen Sanktionen gegen Russland kaum zu wirken?

Einer, der sich mit all diesen Fragen beschäftigt, ist Moritz Schularick. Der Ökonom, der das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) leitet, warnt im t-online-Interview davor, sich künftig allein auf die USA zu verlassen. "Europa muss erwachsen werden", sagt er. Und: Deutschland müsse weit mehr für die eigene Verteidigungsfähigkeit ausgeben, übergangsweise auch auf Kredit.

t-online: Herr Schularick, in den USA zeichnet sich ein spannender Wahlkampf ab. Mit welchem Ausgang rechnen Sie?

Moritz Schularick: Da stehen sich bei mir Hoffnung und Realismus gegenüber. Aber wir müssen uns in jedem Fall auf einen Präsidenten Donald Trump mit einem Vizepräsidenten J. D. Vance einstellen.

Welche Auswirkungen hätte das für uns?

Das hätte schwerwiegende Folgen für Deutschland. Das Entscheidende ist die sicherheitspolitische Dimension. Und da ist Trumps Nominierung von Vance ein klares Signal an Europa: Es werden harte Zeiten auf uns zukommen, und wir haben unsere Vorbereitungszeit verschlafen.

Inwiefern?

Europa muss erwachsen werden und sich selbst und allein um seine Sicherheit kümmern. Sollte Trump gewinnen, wird er kurz darauf die Hilfen für die Ukraine einstellen und einen Friedensvorschlag machen, der für Europa wahrscheinlich nicht akzeptabel sein wird. Dann werden wir uns überlegen müssen, ob wir aus eigener Kraft die Ukraine weiter unterstützen wollen. Aus meiner Sicht sollten wir das. Und dann geht es für uns umso mehr um die Stärkung der Bundeswehr und der europäischen Verteidigung.

Durch das Sondervermögen ist die Finanzierung der Truppe aktuell noch gesichert. Ab 2028 aber klafft eine Lücke von 30 Milliarden Euro im Finanzplan. Ist das seriöse Haushaltspolitik?

Nein, die Bundesregierung macht derzeit keine vernünftige Haushaltspolitik für das, was das Land braucht. Viel mehr noch: Die Haushaltspolitik ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko für Europa. Denn es handelt sich um einen Minimalkonsens, der den Frieden innerhalb der Ampel auf Kosten der europäischen Sicherheit aufrechterhält.

Das IfW Kiel dokumentiert seit Langem die Hilfen für die Ukraine. Wie viel mehr müsste Deutschland für die Ukraine ausgeben, sollte ein potenzieller US-Präsident Trump die amerikanischen Zahlungen einstellen?

Das zuletzt zugesicherte Hilfspaket der USA hatte einen Umfang von rund 60 Milliarden US-Dollar, ein erheblicher Teil davon bleibt aber in den USA. Wenn die USA im Falle einer Trump-Präsidentschaft ausfallen, müsste Europa mindestens rund 30 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich aufbringen.

Können wir uns das leisten?

Ja, das können wir. Die Wirtschaftsleistung der EU beträgt rund 17.000 bis 18.000 Milliarden Euro. Die Summe, die nötig ist für eine kampffähige Ukraine, liegt also bei weniger als 0,2 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ökonomisch ist das machbar. Es geht für Europa als Ganzes nicht um wahnsinnig viel Geld, vor allem gemessen am Ziel, einer militärischen Bedrohung durch Russland entgegenzuwirken. Ob wir das stemmen können, ist daher keine Frage des wirtschaftlichen Könnens, sondern des politischen Wollens. Leider fürchte ich nach den vergangenen Monaten, dass bei vielen in der Politik das nötige Umdenken noch nicht stattgefunden hat und dass einigen Politikern Rentengeschenke für die Wähler wichtiger sind. Das ist keine nachhaltige Politik.


Quotation Mark

Die Politik nutzt eine ganze Reihe an Rechentricks, um das Nato-Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.


MORITZ SCHULARICK


Reform der Schuldenbremse oder weiteres Sondervermögen – wie stellen Sie sich die Finanzierung der höheren Verteidigungsausgaben vor?

Erst einmal will ich kurz mit dem Märchen aufräumen, dass wir durch das erste Sondervermögen bis 2027 fürs Erste genug für die Verteidigung ausgeben, weil wir damit das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten. Das ist leider Unsinn. Allein diese Nato-Quote ist ein politischer Kompromiss, der nichts mit dem realen Bedarf in einer Bedrohungslage zu tun hat. Außerdem nutzt die deutsche Politik schon eine ganze Reihe an Rechentricks, um dieses Ziel überhaupt zu erfüllen. So wird etwa das Kindergeld für Soldaten in die Militärausgaben mit eingerechnet. Auf die Fähigkeit zur Landesverteidigung zahlt das nicht ein.

Das heißt, die Verteidigungsausgaben müssten eigentlich noch jenseits von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen?

Ja, Experten zufolge bräuchten wir schon jetzt Ausgaben in Höhe von 3 bis 3,5 Prozent des BIPs. Deshalb wird mittelfristig auch kein Weg daran vorbeiführen, den Bürgern deutlich zu machen: Seit dem Fall der Berliner Mauer haben wir eine große Friedensdividende eingestrichen – die ist jetzt futsch, das Geld haben wir anderweitig verbraucht. Gleichzeitig ist unsere Verteidigungsfähigkeit deutlich gesunken. Jetzt ist die Zeit gekommen, an anderen Stellen zu sparen. Wir können uns nicht mehr alles leisten.

Woran denken Sie da?

Ich denke da an die aktuelle Rentenpolitik, aber auch an andere Angebote des Sozialstaats. Durch Umschichtungen muss der reguläre Verteidigungsetat mittelfristig um jährlich rund 50 Milliarden Euro steigen. Doch das geht nicht von heute auf morgen. Bis dahin brauchen wir eine Übergangslösung.

Und wie könnte die aussehen?

Kurzfristig muss der Staat mehr Kredite aufnehmen. Wie wir das konkret gestalten, ob über eine Öffnung der Schuldenbremse oder mithilfe eines weiteren Sondervermögens – da bin ich für beides offen.

Wie hoch müsste ein solches Sondervermögen für die Verteidigung denn ausfallen?

Es müsste deutlich größer sein als das aktuelle mit seinem Umfang von 100 Milliarden Euro. Allein um in den nächsten zehn Jahren die Lücke im Haushalt zu schließen, reden wir wahrscheinlich über ein Volumen von 250 bis 300 Milliarden Euro. Und auch dann ist eines klar: Selbst mit all diesen Mehrausgaben würde Deutschland prozentual noch immer weniger fürs Militär ausgeben als Länder wie Polen, Norwegen oder die USA, die ihre Investitionen in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht im gleichen Umfang haben schleifen lassen.

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Reicht das dann aus, um Putin auf Augenhöhe zu begegnen?

Es würde ausreichen, um Putin durch unsere Stärke und Entschlossenheit abzuschrecken. Wir bereiten uns ja nicht selbst auf einen Krieg mit Russland vor, sondern wir investieren in glaubhafte Verteidigungsfähigkeit.

Vielen Deutschen ist das Militär aber unheimlich.

Das ist wahr und hat natürlich in der Geschichte unseres Landes auch seinen Grund. Gerade für pazifistische Bundesbürger ist die Abschreckungslogik durch militärische Stärke eine Kröte, die nicht einfach zu schlucken ist. Eine ähnliche Debatte gab es bereits in den 1980er-Jahren über den Nato-Doppelbeschluss. Aber ich halte es für unabdingbar.

Damit Putin nicht gewinnt?

Genau. Sollte die Ukraine den Krieg verlieren, stehen wir vor einer viel größeren und teureren Herausforderung: Einem aggressiven, nationalistischen Russland gegenüberzutreten, das Grenzen verschieben will. Von einem Sieg ist Putin derzeit weit entfernt. Die Strategie gegenüber dem Westen wird sein, durch Nadelstiche nach und nach das klare Beistandsgebot der Nato auszuhöhlen und dadurch die westliche Verteidigungsallianz zu schwächen. Trump und Vance würden ihm dabei in die Hände spielen. Die beiden sagen ja bereits jetzt, dass Länder, die nicht genug in Verteidigung investieren, im Zweifelsfall nicht mit Nato-Schutz rechnen dürfen.

 
 
 
 
 
 
 

Der Krieg in der Ukraine dauert schon deutlich länger an, als Putin erwartet hatte. Doch die Wirtschaftszahlen aus Russland überraschen auf den ersten Blick. Aktuelle Prognosen gehen von einem Wachstum von 1,5 Prozent aus. Sind die westlichen Sanktionen gescheitert?

Nein, die Sanktionen wirken, aber sie wirken langsam. Dass Russland unter Einsatz fast aller Ressourcen für die Kriegsindustrie auf magere 1,5 Prozent Wachstum hoffen kann, ist kein Ausdruck von Stärke. Natürlich kann man eine Volkswirtschaft mit dem Bau von Panzern ein paar Jahre lang anheizen. Das hat Hitler in den 1930er-Jahren auch gemacht. Aber über den Wohlstand der Bevölkerung sagen diese Zahlen gar nichts aus.

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(Quelle: Sebastian Rau/t-online)

Zur Person

Moritz Schularick, Jahrgang 1975, ist einer der führenden Ökonomen Deutschlands. Seit 2023 leitet er als Präsident das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Er gilt als Experte für internationale Wirtschaftsbeziehungen und fordert angesichts der russischen Aggression regelmäßig, dass der Staat mehr für die Verteidigung ausgeben sollte.

Wachstum in der Kriegsindustrie ist nicht nachhaltig, da die gefertigten Produkte direkt an der Front verschossen und verfeuert werden. Wie lange kann Putin diesen Modus noch aufrechterhalten?

Dafür sind zwei Punkte entscheidend. Für die Produktion braucht Putin die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Das heißt auch: Unser Zögern, diese Einnahmen noch klarer zu begrenzen, finanziert die russische Kriegsmaschinerie. Der andere wichtige Faktor ist China. Wir sehen keine direkte militärische Unterstützung, aber bei allem, was Dual-use-Güter sind, also Güter, die sowohl zivil aber auch militärisch genutzt werden können, etwa Lkw, floriert der Handel.

Trotz Sanktionen kamen auch weiterhin russische Energieträger nach Europa. Warum gelingt es uns nicht, uns von Russland loszusagen?

Beim Gas ist uns das schon weitgehend gelungen, beim Öl ist es schwieriger. Russland ist einer der größten Ölexporteure weltweit, und die Auswirkungen eines totalen Kaufstopps auf den Ölpreis lassen sich nur schwer abschätzen. Womöglich gingen die Preise für Rohöl dann so stark in die Höhe, dass Russland selbst mit weniger Ölverkäufen mehr Geld verdienen würde als jetzt. Kritischer aber sehe ich etwas anderes: Viele deutsche Produkte landen auf Umwegen, etwa über die Türkei, immer noch in Russland. Es ist mir ein Rätsel, warum der Zoll seine sehr detaillierten Daten nicht besser auswertet, um das zu unterbinden. Da muss der Finanzminister ran.

Blicken wir zum Abschluss noch nach China, für dessen E-Autos seit Kurzem in der EU Zölle gelten – die die deutschen Autohersteller ablehnen. Wie viel Konfliktpotenzial steckt in diesen Zöllen?

Die deutsche Autoindustrie ist nicht gerade für ihre Weitsicht bekannt. Auch hier hängt sie einem Bild von China und einem damit verbundenen Geschäftsmodell nach, das in der Form nicht mehr lange funktionieren wird.


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Die deutschen E-Autos müssen besser und günstiger werden. Sonst geht es ans Eingemachte.


Moritz Schularick


Aber haben VW, Porsche und Co. nicht einen Punkt, wenn sie vor möglichen chinesischen Vergeltungszöllen für ihre Autos warnen, die sie in Fernost verkaufen wollen?

Doch, das schon. Aber bei allem Verständnis dafür ist doch ganz eindeutig: Wir werden mittelfristig massive Veränderungen in der Struktur der Autoindustrie sehen. Da sollte sich keiner an kurzfristige Verkaufsmöglichkeiten klammern. Wer weiß, ob China deutsche Autobauer in fünf Jahren ohnehin nicht mehr reinlässt. Die deutschen E-Autos müssen besser und günstiger werden. Sonst geht es ans Eingemachte.

Erwarten Sie, dass einzelne Autobauer in Deutschland pleitegehen können?

Ich bin kein Autoexperte, eine solch spitze Frage kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Was aber klar ist: Es werden künftig weniger Menschen in der Autoindustrie arbeiten, die Autobauer werden sicherlich einzelne Fabriken schließen. Volkswirtschaftlich ist das aber nicht unbedingt schlimm: Wir haben gerade Fachkräftemangel und Vollbeschäftigung. Für den Strukturwandel gibt es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt. Wir müssen nach vorne gucken, nicht nach hinten.

Herr Schularick, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch am 24. Juli 2024 in Berlin
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