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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krieg in der Ukraine Putin zeigt ungewollt seine Schwäche
Wladimir Putin gibt sich in Russland aktuell erstaunlich kommunikativ – selbst gegenüber Journalisten. Der russische Präsident möchte damit vor allem eigene Schwächen kaschieren. Doch das nützt mit Blick auf den Ukraine-Krieg nicht.
Eigentlich läuft es für ihn im Ukraine-Krieg – zumindest militärisch – derzeit gut. Auch deswegen hat Kreml-Chef Wladimir Putin am Freitag im russischen Staatsfernsehen erneut klargemacht, dass Russland keine Zugeständnisse machen werde. Aktuell sei es zu früh, um über irgendwelche Vereinbarungen mit der Regierung in Kiew zu verhandeln, machte er klar.
Zu früh? Nach zweieinhalb Jahren Abnutzungskrieg glaubt der Kreml womöglich eher, seine Karten für mögliche Verhandlungen noch weiter verbessern zu können. Die russische Armee rückt in der Ostukraine auf Pokrowsk vor – eine Stadt, die für die ukrainische Kriegslogistik im Oblast Donezk äußerst wichtig ist. Der russische Präsident spielt auf Zeit, möchte seinen militärischen Rückenwind politisch nutzen und gleichzeitig abwarten, wer die US-Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt.
Dabei hofft Russland vor allem auf innenpolitisches Chaos in den Vereinigten Staaten und eine daraus resultierende Schwächung des Westens. Eines liegt auf der Hand: Das wäre für Putin ein Geschenk, er wartet daher ab. Doch so einfach ist es nicht.
Der Druck auf den russischen Despoten wächst: innen- wie außenpolitisch. Putins Verluste sind fatal und er muss weitere Schritte der Nato fürchten. Auch deshalb gibt sich Putin dieser Tage auffällig gesprächig. Er will eigentlich Stärke demonstrieren, aber er zeigt damit vielmehr, wo gegenwärtig Russlands Schwächen liegen.
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Große Verluste, teurer Krieg
Es geht in diesem Krieg noch immer darum, wer den längeren Atem hat: Russland und seine Verbündeten oder die Ukraine samt ihren westlichen Unterstützern. Mit der russischen Invasion in das Nachbarland hat der Kreml-Chef vieles auf eine Karte gesetzt und sich komplett verrechnet.
Immerhin hat die russische Führung nicht damit gerechnet, dass die Ukraine lange durchhalten wird. Im Gegenteil. Die russische Generalität rechnete nur mit wenigen Tagen des ukrainischen Widerstands, wie westliche Nachrichtendienste relativ gut durch die Zusammenstellung und die Ausrüstung der russischen Invasionstruppen im Februar 2022 belegen konnten.
Doch Ende Oktober 2024 kämpft die russische Armee noch immer in der Ukraine, und noch immer ist kein Ende in Sicht. Russland hat aktuell knapp 20 Prozent der Ukraine besetzt – Städte, die oft komplett zerstört sind, und deren ehemalige Bevölkerung eine russische Herrschaft mehrheitlich ablehnt.
Dafür hat Putin nicht nur Zehntausende Menschenleben geopfert, sondern auch seine Wirtschaft vom Westen entkoppelt, mehr als die Hälfte des russischen Wohlstandsfonds für den Krieg ausgegeben und sich ganz nebenbei in eine immense Abhängigkeit zu China begeben. Nato-Generalsekretär Mark Rutte erklärte am Montag in Brüssel: "Mehr als 600.000 russische Soldaten wurden in Putins Krieg getötet oder verwundet, und er ist nicht in der Lage, seinen Angriff auf die Ukraine ohne ausländische Unterstützung aufrechtzuerhalten."
Der Preis für Russland ist immens. Zudem muss Putin innenpolitisch die Endabrechnung dieser Krise fürchten. Der Kreml-Chef ist vergleichbar mit einem Spieler, der im Casino schon sehr viel Geld verloren hat, und der weiterspielt, in dem Glauben, seine Verluste doch noch wettmachen zu können. In der Psychologie gibt es einen Fachbegriff für ein derartiges Verhalten: das eskalierende Commitment oder auch das "Too-much-invested-to-quit-Syndrom".
Putins Angst vor der Isolation
Ungeachtet der eigenen Verluste scheint Russland unter Putins Herrschaft also auch weiterhin gewillt, seine Kriegsziele zu erreichen. Doch das geht auch für einen Alleinherrscher mit absoluter Kontrolle über die Medien in Russland nicht ohne Weiteres.
Auch Putin muss seine Bevölkerung und seine internationalen Verbündeten beruhigen. Er verfolgt deshalb vor allem drei Ziele:
- Demonstration von Stärke: Putin verkauft Russland als militärisch stark und international wenig isoliert, um die Unterstützung seiner Verkündeten nicht zu verlieren.
- Angst und Abschreckung: Moskau droht der Nato, damit sie ihre Unterstützung der Ukraine nicht weiter ausbauen.
- Nachschub an Soldaten und Waffen: Russland rüstet auch mit Hilfe aus dem Ausland auf, um in dem Abnutzungskrieg mittelfristig bestehen zu können.
Eben die Verfolgung dieser Ziele war in den vergangenen Tagen deutlich erkennbar und sie offenbart gleich mehrere Schwächen, mit denen Russland aktuell zu kämpfen hat.
Mit der Demonstration von Stärke möchte Putin seinen engsten Verbündeten versichern, dass er in der Ukraine auf der Siegerstraße ist und dass der Krieg nicht mehr allzu lange gehen wird. Schließlich möchte in der internationalen Politik niemand auf der Seite des Verlierers stehen, niemand auf der Seite des verbrecherischen Paria. Deswegen schüttelte Putin auf dem Brics-Gipfel vergangene Woche fleißig Hände, inszenierte die Brics-Staaten als Russlands neue Freunde und begrüßte nur allzu gerne UN-Generalsekretär António Guterres in Russland.
Damit will Putin vor allem seiner eigenen Bevölkerung demonstrieren, dass Russland abseits der USA und ihren Verbündeten noch ausreichend Partner hat – immerhin war selbst Guterres als Vertreter der Vereinten Nationen nach Kasan gereist.
Aber der Schein trügt. Die Brics-Staaten verbindet vor allem ein gemeinsames Streben nach mehr Wohlstand und wirtschaftlichem Wachstum. (Mehr dazu lesen Sie hier). Die Brics-Mitglieder haben kein gemeinsames Wertefundament, sie sehen nicht kollektiv den Westen als Feind. So erhöhten der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Premier Narendra Modi beim Brics-Treffen in Kasan langsam den Druck auf Putin, ohne ihm aber die Daumenschrauben zu fest anzuziehen. China und Indien streben auf jeden Fall nach einem Ende des Ukraine-Kriegs, denn immerhin ist dieser eine Bremse für die Weltwirtschaft.
Putin gibt vor, die Friedensinitiativen ernst zu nehmen. Praktisch ist davon bisher nicht wirklich etwas erkennbar. Aber Moskau kann sich nicht leisten, diese Länder dauerhaft vor den Kopf zu stoßen. Denn Putin kann wirtschaftlich seinen Krieg nicht ohne Rückendeckung aus China und Indien fortführen, diese Abhängigkeit ist aktuell die erste Schwäche Russlands.
Den Westen durch Angst schwächen
Die Demonstration von militärischer Stärke dient jedoch nicht nur der Beruhigung der eigenen Verbündeten, sie ist auch ein zentrales Element der russischen Abschreckung. Immer wieder droht der Kreml etwa mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, um weitere westliche Unterstützungsmaßnahmen zu verhindern oder sie zumindest zu verlangsamen. Das erweist sich als effektive Strategie, auch wenn Putin mit diesen Drohungen Verbündete wie China verärgert.
Nun wird im Westen darüber diskutiert, ob die Verbündeten der Ukraine den Einsatz von weitreichenden Waffen gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet freigeben sollen. In diesem Fall will der russische Präsident sein Land in einem direkten Krieg mit der Nato sehen.
"Sie haben nichts dazu gesagt, aber ich hoffe, sie haben es gehört", sagte er auf die Frage eines Journalisten im russischen Staatsfernsehen nach der Reaktion des Westens auf seine Warnungen. "Ukrainische Soldaten können diese Waffen nicht alleine einsetzen. Nur Spezialisten aus Nato-Ländern können das, da es Weltraumaufklärung erfordert, über die die Ukraine natürlich nicht verfügt."
Für diesen Fall kündigte der Kreml-Chef Gegenmaßnahmen an. Auch das vor allem ein Bluff, der im Westen Angst auslösen soll. Immerhin klärt der Westen schon lange Ziele in Russland und in der Ukraine auf, auch mithilfe von Satelliten. Zur Bedienung der Waffen bräuchte die ukrainische Armee auch keine westlichen Soldaten.
Es geht Moskau demnach wieder darum, mit den Drohungen westliche Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine zu unterbinden. Denn die zweite Schwäche Russlands liegt auf der Hand: Das westliche Bündnis verfügt über eine viel größere Finanzkraft als Russland. Putin muss also in diesem hybriden Krieg die Entschlossenheit des Westens angreifen – und die Kriegsmüdigkeit der westlichen Demokratien befeuern.
Russland braucht Soldaten aus Nordkorea
Die russische Führung geht zwar fest davon aus, über mehr Ressourcen als die Ukraine zu verfügen, aber eben diese sind auch für den Kreml endlich. Und das ist eben die dritte Schwäche, die Moskau gern kaschieren möchte: Russland hat Nachschubprobleme.
Deshalb greift der Kreml nicht mehr nur auf Waffen und Munition aus Nordkorea und dem Iran zurück, sondern nun wohl auch auf nordkoreanische Soldaten. Der russische Präsident gab am Wochenende zwar an, dass noch nicht feststünde, wo die Truppen des Diktators Kim Jong Un eingesetzt würden. Das Entscheidende ist aber durchaus, dass der Kreml-Chef deren Existenz nicht mehr leugnet.
Für Putin, der in den vergangenen Jahren immer wieder die Stärke seines Militärs propagierte, ist das ein peinliches Eingeständnis. Doch Russland kann auf Kims Truppen offenbar nicht verzichten, denn sonst würde er nicht den Flächenbrand riskieren, den nordkoreanische Truppen in dem Krieg auslösen könnten. Mehr dazu lesen Sie hier.
Daher spielt Putin weiter mit dem Feuer. Doch auch für den Kreml wird es darum gehen, einen passenden Verhandlungspunkt in diesem Krieg zu finden, bevor seine Schwächen noch mehr hervortreten.
- Beobachtungen beim Brics-Gipfel in Kasan
- mdr.de: "Putin betont militärische Überlegenheit und signalisiert Gesprächsbereitschaft"
- n-tv.de: "Putin droht Westen: Keine Langstrecken-Angriffe erlauben"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP
- Eigene Recherche