Scharfer Kurswechsel "Prigoschin ist übergeschnappt"
Prigoschin ist abgetaucht, doch Putins Propagandisten verschärfen ihre Attacken gegen den Wagner-Chef. Im russischen Staatsfernsehen erheben sie schwere Vorwürfe gegen den Rebellenführer.
Er selbst hat seit Tagen nicht mehr von sich hören lassen, dafür wird umso mehr über ihn gesprochen: Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist nach seinem bewaffneten Aufstand gegen den Kreml vor einer guten Woche untergetaucht. Doch seine Rebellion, die direkt Putins Macht bedrohte, hat man in Moskau noch nicht vergessen. Im Gegenteil: Die russische Propaganda verschärft gerade ihre Attacken gegen Prigoschin.
Neuster Fokus dabei sind die Gelder, die Prigoschin vom russischen Staat erhalten haben soll. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vor wenigen Tagen erstmals eingeräumt, dass die Wagner-Truppe vollständig vom russischen Saat ausgestattet worden sei. Laut Putin seien dafür zwischen Mai 2022 und Mai 2023 86 Milliarden Rubel (890 Millionen Euro) an Prigoschins Unternehmen Concord Management and Consulting geflossen.
Beobachtern zufolge wollte Putin damit die russische Öffentlichkeit daran erinnern, dass Prigoschin vollständig abhängig vom Staat gewesen ist. Doch der kremlnahe Journalist Dmitri Kissiljow und Moderator behauptet nun, dass Prigoschin noch viel mehr Geld erhalten haben soll, nämlich gut das Zehnfache. Am Sonntag behauptete er in seiner wöchentlichen Sendung, dass die Wagner-Gruppe staatliche Mittel in Höhe von 858 Milliarden Rubel (rund 8,8 Milliarden Euro) erhalten habe. Belege für diese Summe präsentierte er nicht.
Der Versuch, Prigoschins Image zu beschädigen
Stattdessen warf Kissiljow dem Wagner-Chef vor, dass ihm diese enormen Summen zu Kopf gestiegen seien. "Prigoschin ist wegen hoher Geldsummen übergeschnappt", sagte er. "Er hat geglaubt, er könne sich sowohl gegen das russische Verteidigungsministerium als auch gegen den Staat und den Präsidenten selbst auflehnen", so Kissiljow.
Das Gefühl, "sich alles erlauben zu können", sei bei Prigoschin bereits seit den Einsätzen seiner Söldnertruppe in Syrien und Afrika aufgekommen. Es habe sich "verstärkt", nachdem Wagner-Söldner in diesem Jahr die ukrainischen Städte Soledar und Bachmut eingenommen hätten, fügte er hinzu.
Doch nicht nur die Finanzströme zur Wagner-Gruppe nimmt sich die russische Propaganda vor. Kissiljow wies auch die Aussage zurück, dass die Wagner-Söldner die effektivsten russischen Streitkräfte seien. Dazu argumentierte er, dass die Söldner "225 Tage" gebraucht hätten, um Bachmut einzunehmen, während die reguläre Armee "70 Tage" für Mariupol gebraucht habe.
Vor allem in russischen Militärkreisen haben sich Prigoschin und Wagner das Image einer schlagkräftigen Kampftruppe erarbeitet. Dieses Bild soll nun offenbar beschädigt werden.
"Das ist eine schreckliche Tragödie"
Auch andere Kreml-Propagandisten verstärken ihre Attacken gegen den in Ungnade gefallenen Prigoschin. So auch Wladimir Solowjow, Radio- und Fernsehmoderator mit Millionenpublikum – und wichtigster Putin-Propagandist. In seiner Radiosendung "Polniy Kontakt" (zu deutsche "Vollkontakt") erhob er einen schweren Vorwurf gegen Prigoschin: Dieser habe mit seinem Verhalten "dem Feind" geholfen.
Der Aufstand der Wagner-Söldner sei Verrat gewesen, und er habe Prigoschin vor solchen Methoden gewarnt, so Solowjow weiter. "Das ist eine schreckliche Tragödie, das ist ein Bürgerkrieg!"
Vor allem an Solowjow lässt sich der scharfe Kurswechsel der russischen Propaganda beobachten. Der Putin-Freund lobte die Wagner-Söldner zuvor als mutige Kämpfer im Ukraine-Krieg. Doch seit der Prigoschin-Revolte hat sich der Wind gedreht, die russische Propaganda scheint nun alles daraufzusetzen, die Stabilität des Staates wiederherzustellen. Politische Beobachter werteten den Aufstand als Zeichen für Putins Schwäche, und auch der Kremlchef scheint derzeit bemüht zu sein, durch viele öffentliche Auftritte seine Autorität unter Beweis zu stellen.
Für den Wagner-Chef sind das keine guten Nachrichten: Einige Beobachter gehen davon aus, dass Putin Prigoschin verfolgen und unter Umständen sogar töten lassen könnte. Im t-online-Interview erklärt Russland-Expertin Sarah Pagung: "Prigoschin hat Putins Macht bedroht, der Kremlchef steht geschwächt da. Putin muss den Kontrollverlust irgendwie kompensieren, um weitere Rivalen abzuschrecken." Der Kremlherr könnte daher an Prigoschin ein Exempel statuieren, so Pagung.
In Russland selbst gibt es bereits öffentliche Stimmen, die die Hinrichtung Prigoschins fordern. Der Duma-Abgeordnete Andrey Gurulyov forderte zuletzt: "Ich bin fest davon überzeugt, dass in Kriegszeiten Verräter vernichtet werden müssen! Egal wer was sagt, egal welche Märchen sie erzählen, ein Kopfschuss ist die einzige Rettung für Prigoschin und (Dmitri) Utkin." Utkin gilt als Gründer der Wagner-Gruppe und einer ihrer wichtigsten Kommandeure.
Wo ist Prigoschin?
Der Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Regierung hatte sich in den letzten Monaten zugespitzt. Der Wagner-Chef kritisierte in den vergangenen Monaten immer wieder die russische Militärführung, vor allem Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. In der vergangenen Woche kam es dann zur Eskalation: Wagner-Kämpfer besetzten Ende Juni das Hauptquartier der russischen Armee in Rostow am Don. Später rückten sie in Richtung Moskau vor.
Der Aufstand wurde noch am selben Abend beendet. Die Bedingung: Prigoschin sollte ins Exil nach Belarus gehen. Laut dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko soll er dort auch vergangene Woche eingetroffen sein (mehr zur Rolle Lukaschenkos lesen Sie hier). Unklar ist, ob sich Prigoschin weiter dort aufhält.
Die Aufständischen kamen straffrei davon, doch die Zukunft der Söldnertruppe scheint ungewiss zu sein. In dieser Woche wurden dem Unternehmen nahestehende Nachrichtenseiten in Russland gesperrt. Prigoschin hat sich seit Montag nicht mehr öffentlich geäußert.
- Eigene Recherche
- newsweek.com: "Prigozhin Mutiny Revealed 'Insane Amount of Information' to Enemy—Solovyov" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP