Machtkampf in Russland "Ich habe Putin gesagt, man kann ihn abmurksen"
Sein Aufstand gegen Russlands Führung schlug fehl. Nun soll Jewgeni Prigoschin in Belarus angekommen sein. Die Frage ist, was den Söldner-Chef dort erwartet.
Nach seinem gescheiterten Aufstand vom Wochenende soll Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in Belarus angekommen sein. Das berichteten belarussische Medien am Dienstag. "Ich kann sehen, dass Prigoschin schon im Flugzeug ist", sagte auch der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko laut Staatsmedien bei einem Treffen mit Offizieren. "Ja, tatsächlich, heute ist er in Belarus", fügte er hinzu.
Blogger hatten den Flug Prigoschins ebenfalls über eine Tracking-App verfolgt und seine Ankunft in dem Land in sozialen Medien mitgeteilt. Demnach landete der 62-Jährige auf einem Flughafen in der Nähe von Minsk, nachdem sein Privatjet das Staatsgebiet der Ukraine großräumig umflogen hatte. Im Netz wurde daraufhin darüber gewitzelt, dass Prigoschin wohl große Angst vor der ukrainischen Luftabwehr habe.
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Vielleicht ist die ukrainische Luftverteidigung aber nicht das einzige, vor dem der Wagner-Boss sich fürchten muss. Die offene Machtprobe, die Prigoschin sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit mit dem Kreml lieferte, könnte für ihn lebensgefährlich werden. "Prigoschin dachte sicher, dass Putin sich auf seine Seite schlagen und mit der Armeeführung brechen würde – eine Fehleinschätzung", sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler dem "Spiegel".
Experte: Lukaschenko würde Beseitigung Prigoschins nicht im Weg stehen
Russlands Machthaber Wladimir Putin habe aber lieber am institutionellen Staatsapparat festgehalten, als sich mit einem "Hasardeur" wie Prigoschin einzulassen. Das könnte ihm noch zum Verhängnis werden, glaubt Münkler. "Ich gehe davon aus, dass die Russen Prigoschin über kurz oder lang liquidieren werden." Falls es so kommen sollte, würde Lukaschenko dem russischen Geheimdienst wohl nicht im Weg stehen, so Münkler weiter.
Ähnlich sieht es der Militärexperte Ian Bremmer im US-amerikanischen TV-Sender CNBC. "Ab diesem Moment ist er ein wandelnder Toter", sagte der Geopolitik-Experte mit Blick auf Prigoschins Gang ins belarussische Exil.
Dass diese Einschätzungen zutreffend sein könnte, deutete der belarussische Diktator selbst am Dienstag bereits an. "Ich habe Putin gesagt, man kann ihn [Prigoschin] abmurksen, das ist kein Problem", sagte der 69-jährige Machthaber in einem Video, das der präsidentschaftsnahe Telegram-Kanal "Pool Perwogo" veröffentlichte. "Aber ich habe gesagt: Tu es nicht." Lukaschenko hatte sich nach dem Abbruch der Revolte Prigoschins bereit erklärt, den Söldner-Chef und dessen Männer in Belarus Exil zu gewähren.
Der Mann in Minsk profitiert vom innerrussischen Konflikt
Lukaschenko gilt als lachender Dritter in der Auseinandersetzung zwischen Putin und seinem ehemaligen Vertrauten Prigoschin. Der belarussische Alleinherrscher schaffte das, was der Mann im Kreml nicht schaffte: die Beendigung der Revolte ohne größeres Blutvergießen. Damit hat sich Lukaschenko nach Meinung von Experten nicht nur gegenüber Putin in Position gebracht, sondern auch seine internationale Reputation verbessern können.
Sollten die Wagner-Söldner nun tatsächlich nach Belarus gehen und sich dort den regulären Streitkräften anschließen, wäre das ein weiterer Vorteil, den Lukaschenko aus dem innerrussischen Konflikt zieht. Sein Land könne von der Kampferfahrung der Wagner-Söldner profitieren, sagte er gegenüber Staatsmedien. Die Erfahrungen der Kommandeure seien "unbezahlbar".
Putin haben die Wagner-Kämpfer, die Mitte Mai nach monatelangen, verlustreichen Gefechten die ukrainische Stadt Bachmut einnehmen konnten, laut Kreml-Sprecher Peskow eine ganze Menge gekostet. So habe Moskau im vergangenen Jahr etwas mehr als eine Milliarde Dollar (910 Millionen Euro) an die Gruppe Wagner gezahlt. Das Geld sei zwischen Mai 2022 und Mai 2023 für Solde und Prämien der Wagner-Kämpfer ausgegeben worden, hieß es in der Erklärung weiter. Die "schwere" Militärausrüstung der Söldnertruppe Wagner wird nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums nun der russischen Armee übergeben.
Lukaschenko verpasst Putin eine verbale Ohrfeige
Am Rande einer Schweigeminute für die bei dem Wagner-Aufstand getöteten russischen Soldaten, dankte Putin den Sicherheitskräften dafür, dass sie einen Bürgerkrieg verhindert hätten. Allein die Tatsache, dass Putin es so weit kommen ließ und Russland an den Rand einer innerstaatlichen Auseinandersetzung brachte, gilt Experten zufolge als Zeichen für seine Schwächung innerhalb des russischen Machtapparats.
Sogar Lukaschenko konnte sich eine Spitze auf Putin nicht verkneifen. Er kritisierte das politische Management im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen der Söldnertruppe und der russischen Armee. "Die Situation ist uns entglitten und wir dachten dann, sie würde sich von alleine lösen, aber das hat sie nicht", sagte Lukaschenko nach Angaben der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur Belta. Er räumte auch ein, dass während des Aufstands der Wagner-Söldner am Wochenende in Russland die belarussische Armee "in Gefechtsbereitschaft" versetzt worden sei.
Für Putin müssen diese Aussagen wie eine Demütigung wirken. Ausgerechnet Lukaschenko, der sich seit den mutmaßlich manipulierten Wahlen 2020 nur mithilfe Russlands an der Macht halten konnte, straft den Kreml-Despoten für seine schlechte Führung ab und hilft ihm nun aus der Patsche. Das wäre vor dem vergangenen Wochenende noch unvorstellbar gewesen.
- politico.eu: "Putin condemns Wagner rebellion but says Prigozhin’s men are free to go" (englisch)
- euronews.com: "Wagner leader Prigozhin breaks his silence, issuing first audio statement since mutiny" (englisch)
- spiegel.de: "Ich gehe davon aus, dass die Russen Prigoschin liquidieren werden" (kostenpflichtig)
- cnbc.com: "Russian mercenary chief Prigozhin is a ‘dead man walking,’ Eurasia Group’s Ian Bremmer says" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP