Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Die Gegenwehr läuft an
Liebe Leserin, lieber Leser,
als ich vor rund drei Jahren im Sommer zum ersten Mal in Washington landete, fuhr ich vom internationalen Flughafen in Dulles direkt zum Capitol Hill. Dort wollte ich mich für ein paar Tage im Hyatt einquartieren, bevor ich mein neues Zuhause in der US-Hauptstadt beziehen konnte. Das Hotel liegt direkt neben den wichtigsten Regierungsgebäuden, am Kongress, dem obersten Gerichtshof und nicht weit vom Weißen Haus.
Damals im August 2021 hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Donald Trump im November 2024 in genau diesem Hotel seinen Sieg mit den republikanischen Abgeordneten feiern würde.
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Aber schon damals zeichnete sich ab: Donald Trump und seine loyalen Verbündeten würden das Land noch lange und nachhaltig prägen. Einen Tag nach meiner Ankunft misslang der Abzug aus Afghanistan gründlich. Überstürzt und schlecht vorbereitet, war diese Blamage Joe Biden anzukreiden. Den Abzug beschlossen hatte zuvor noch Trump. Und er profitierte von Bidens Fehlern.
Ein entscheidender Faktor für seine Wiederwahl: Donald Trump war nie weg. Obwohl er Washington in Wut verlassen musste, lenkte und beeinflusste er weiterhin das politische und mediale Geschehen in den USA von seinem Domizil in Florida aus. Der Gegenpapst von Avignon, der im späten Mittelalter einst für die dramatische Spaltung der Kirche stand – in Donald Trump fand er seinen modernen Wiedergänger über vier Jahre lang als renitenter Gegenpräsident von Mar-a-Lago. Die Demokratie in den USA – für viele wurde sie so zu einer Glaubensfrage.
Hier nur die wichtigsten Beispiele, wie es Trump gelang, sich ständig zum Thema zu machen: Die fortwährende Lüge von der gestohlenen Wahl, der Aufbau seines eigenen sozialen Netzwerks "Truth Social", die Gründung zahlreicher "America First"-Organisationen und -Denkfabriken, das Abtreibungsurteil des von ihm maßgeblich besetzten Supreme Courts, die endlosen Gerichtsprozesse gegen ihn mit den erfolgreichen Einsprüchen und Verzögerungen, die von ihm betriebene Absetzung von Kevin McCarthy, dem republikanischen Sprecher im Repräsentantenhaus, seine erneute Kandidatur und schließlich sein Sieg bei den Vorwahlen.
Trumps Schatten wurde in diesen Jahren immer größer. Nun wird er also ins Weiße Haus zurückkehren. Mich beschleicht in diesen Tagen ein immer stärkeres Gefühl: Amerika, das wird jetzt ein ganz anderes Land. Obwohl diese ganzen Gebäude aus weißem Marmor, die alle aus unzähligen Hollywood-Filmen und -Serien kennen, auch heute noch so dastehen wie am ersten Tag meiner Ankunft. Die Menschen auf den Straßen wirken erschöpft von den vergangenen Monaten. Niemand weiß genau, was nun geschehen wird. Vielen, so scheint es, fehlt die Kraft, überhaupt darüber nachzudenken, was jetzt folgen könnte.
Die Ereignisse in Washington überschlagen sich. Dass Donald Trump nun auch noch ausgerechnet den Verschwörungsideologen und Impfgegner Robert F. Kennedy zu seinem Gesundheitsminister machen will, ist nur der neueste groteske Höhepunkt. Die zweite Trump-Regierung wird in noch viel größerem Ausmaß als die erste von Experten-, Wissenschafts- und Diplomatie-Feindlichkeit geprägt sein. Lügen werden wie nie zuvor am Werk sein.
Noch sind die Demokraten zwar dabei, überhaupt nachzuvollziehen, was ihnen bei dieser historischen Wiederwahl von Donald Trump geschehen ist. Doch in vielen Teilen des Landes läuft die Gegenwehr bereits an: in den Behörden, in der Justiz, in den Medien, in zahlreichen Nicht-Regierungsorganisationen und auch im Privaten loten die Menschen aus, was nun zu tun ist.
Eine Demokratie ist keine Alleinherrschaft. Zu ihr gehört stets eine starke Opposition. In der amerikanischen Verfassung wird das ausgedrückt durch die sogenannten "checks and balances", einer von Kontrollen und Ausgleich geprägten Gewaltenteilung. Für die Demokraten, aber auch für das Justizwesen und ganz besonders für die Zivilgesellschaft beginnt nun diese mühevolle Arbeit:
Trumps politische Gestaltungsmacht eindämmen. Zunächst müssen sich die Demokraten darauf konzentrieren, bei den Zwischenwahlen in zwei Jahren die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zurückzugewinnen. Das "House" könnte dann eine entscheidende Rolle dabei spielen, Trumps besonders extreme politischen Vorhaben zu blockieren. Möglich wäre dann etwa eine gezielte Gegen-Gesetzgebung, die insbesondere darauf abzielt, gefährdete Rechte zu schützen und autoritäre Tendenzen einzudämmen.
Vorerst müssen jedoch plakative, eigene Gesetzesvorschläge ausreichen. Denn in den ersten zwei Trump-Jahren werden die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern haben. Mit Gesetzesvorhaben wie dem "No Kings Act" könnten die Demokraten die öffentliche Debatte in Gang bringen. Dieses Gesetz sollte klarstellen, dass Präsidenten und Vizepräsidenten keine Immunität für Handlungen haben, die gegen das US-Strafrecht verstoßen. Alles muss sich nun darauf konzentrieren, die Immunität des Präsidenten einzuschränken und Kontrollmechanismen gegen Machtmissbrauch wirken zu lassen. Es sind im Zweifel nur symbolische Widerstandsakte, weil es für sie keine Mehrheit gibt, aber sie sind unerlässlich.
Die politische Zusammenarbeit mit den Gegnern muss intensiviert werden. Gerade mit jenen republikanischen Abgeordneten und Senatoren, die nicht zu den loyalen Trumpisten gehören. Hier bieten sich wegen der knappen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses Chancen für wichtige Kompromisse.
Hinzu kommt die in den USA immens wichtige Rolle der Bundesstaaten. Schon jetzt trommeln demokratische Gouverneure für eine "Resistance 2.0". Mit dieser Art von politischem Widerstand möchten sie sich ganz gezielt gesetzgeberischer Einflussnahme aus Washington entgegenstellen. Politiker wie Kaliforniens Gavin Newsom und J.B. Pritzker aus Illinois bereiten gesetzliche und politische Maßnahmen vor, um Abtreibungsrechte, Umweltstandards und andere progressive Werte zu verteidigen.
Die Gouverneure der Bundesstaaten sind auch die möglichen neuen demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Wer sich für das Weiße Haus in vier Jahren warmlaufen will, sollte jetzt damit beginnen und sich als Marke im ganzen Land bekannt machen. Die Prominenz und Dauerpräsenz von Donald Trump in den vergangenen Jahren waren einer der Hauptgründe für seinen Wahlerfolg.
Zivilgesellschaft und Basisbewegungen müssen eine aktive Rolle spielen. Schon die ersten vier Trump-Jahre haben gezeigt, welche Kraft kollektives Handeln entfalten kann: Ob es die Klimastreiks waren oder die Proteste für Rassengerechtigkeit und gegen Rechtsextremismus. Sollten die Rechte einzelner Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden, müssen wieder Aktionen gestartet werden.
Die Zivilgesellschaft darf aber nicht nur reagieren. Sie muss auch präventiv wirken. Denn sie erinnert Trump und seine Unterstützer daran, dass es eine lautstarke, wachsame Öffentlichkeit gibt, die sich möglichen autoritären Tendenzen entgegenstellen wird. Ob Massendemonstrationen, kleine Proteste, Bürgerversammlungen oder digitale Kampagnen – all das kann den Druck schon auf lokaler Ebene erhöhen, und insbesondere die Medien anregen, die wichtigen Themen im Fokus zu behalten. Nichts anderes haben die Republikaner in den vergangenen Jahren getan. Es war ihr gutes Recht. Es ist aber auch das gute Recht der Demokraten.
Die Lautstärke dabei muss ohrenbetäubend sein. Denn schon jetzt ist klar: Donald Trump und seine vielen Mitstreiter sind laut und sie werden noch viel lauter sein. Denn sie verfügen jetzt zusätzlich zu ihren großen medialen und sozialen Netzwerken über alle Mittel der Regierungsmacht. Nicht nur mit Tweets wird Trump nun wieder Politik machen, sondern auch mit Pressestatements im Weißen Haus, machtvoll und wirksam inszeniert. Etwas, das Joe Biden viel zu selten gelungen ist.
Die Gerichte sind schließlich die letzte Verteidigungslinie. Die Justiz spielt darum eine unverzichtbare Rolle bei der Begrenzung von Trumps Macht, gerade weil er die Unabhängigkeit der Justiz schwächen könnte. Den rechtsradikalen Matt Gaetz als Generalbundesanwalt und Justizminister zu nominieren, zeugt bereits davon. Die Demokraten müssen weiter proaktiv daran arbeiten, die Unabhängigkeit der Gerichte im ganzen Land zu unterstützen. Reformen, die dafür nötig sind, müssen, wo es nur geht, angestrengt werden.
Angesichts eines von Konservativen dominierten Obersten Gerichtshofs wird das schwierig, aber nicht unmöglich. Denn die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam. Ähnlich, wie Trump seine vielen Prozesse verzögern konnte, müssen die Demokraten nun das Gleiche tun und sich immer weiter durch die vielen Instanzen klagen.
Diese zweite Trump-Präsidentschaft wird die Widerstandskraft der amerikanischen Demokratie auf beispiellose Weise auf die Probe stellen. Es wird ein langer Kampf, ein Bollwerk zu errichten. Aber die Geschichte dieses Landes hat gezeigt, dass seine Demokratie widerstandsfähig ist, wenn die Menschen sie aktiv verteidigen. Gelingt das, wird Amerika womöglich in vier Jahren erneut ein anderes Land.
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Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns
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Mit Material von dpa.
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