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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte Ralf Fücks “Eine klare Kampfansage"
Erneut wird Donald Trump ins Weiße Haus einziehen. Niemand weiß, was er für die Ukraine und Russland plant. Wird Wladimir Putin profitieren? Experte Ralf Fücks schätzt die Lage ein.
Donald Trump wird die USA wieder regieren. Für die Ukraine kann es dramatisch werden, sollte sich der kommende US-Präsident von ihr abwenden. Aber auch für Deutschland und Europa könnte Trumps Rückkehr einschneidende Folgen haben.
Wie gefährlich wäre ein Deal zwischen Trump und Wladimir Putin? Wen betrachtet Trump als wichtigsten Gegner? Und was müssten Deutschland und Europa nun tun? Diese Fragen beantwortet Ralf Fücks, Osteuropa-Experte und Grünen-Vordenker, im Gespräch.
t-online: Herr Fücks, Donald Trump hat die Wahl in den USA nahezu triumphal gewonnen. Waren Sie überrascht?
Ralf Fücks: Niemand hätte überrascht sein müssen. Kamala Harris hat in den letzten Wochen des Wahlkampfs deutlich an Schwung verloren, während Trump noch mal richtig aufdrehte.
Trumps Wahlkampf steigerte sich in Halbwahrheiten und Lügen hinein, sparte auch nicht mit Beleidigungen und Schmähungen der Konkurrenz von den Demokraten.
Seine erschreckenden destruktiven "Qualitäten" hat Trump tatsächlich voll ausgespielt. Ja, aggressive Propaganda und Desinformation spielten eine Rolle. Aber die Ursachen für seinen Wahlsieg reichen tiefer. Eine Mehrheit der Amerikaner will einen Präsidenten im Weißen Haus, der zumindest den Anschein von Stärke und Entschlossenheit vermittelt. Dazu kam die breite Unzufriedenheit mit der Biden-Regierung, von der sich Harris nicht abgrenzen konnte. Am Ende war es mindestens ebenso sehr eine Abwahl der Demokraten wie ein Votum für Trump.
Was bedeutet die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus für Deutschland, Europa und insbesondere die von Russland angegriffene Ukraine?
Trump hat keinerlei normativen Kompass. Er ist bereit, Deals mit den Diktatoren dieser Welt zu machen. Erinnern wir uns noch an den merkwürdigen Flirt mit dem nordkoreanischen Herrscher Kim Jong Un in seiner ersten Amtsperiode. Gleichzeitig verspricht Trump eine Politik der Stärke, die Kandidaten für entscheidende Posten im außen- und sicherheitspolitischen Bereich seiner kommenden Administration sind eher als Falken, also Hardliner, einzuschätzen – mit Ausnahme der nominierten Direktorin für nationale Sicherheit, einer ausgewiesenen Putin- und Assad-Apologetin.
Zur Person
Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist Direktor des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne in Berlin. Zuvor war er unter anderem Senator in Bremen und 21 Jahre lang Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht. Fücks ist Autor mehrerer Bücher und auf der Plattform X unter @fuecks aktiv.
Was folgt daraus?
Trump wird gegenüber China eher eine harte Linie verfolgen. Das wird er auch von den Europäern verlangen. Seine Haltung gegenüber Russland und der Ukraine ist hingegen eine Sollbruchstelle. Wir müssen damit rechnen, dass er bereit ist, einen Deal mit Putin auf Kosten der Ukraine zu schließen.
Ein solcher Deal würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen massiven Gebietsgewinn für Russland hinauslaufen?
Der Aggressor Putin würde noch belohnt, ja. Und das wäre ein gewaltiger Fehler. Die Ukraine müsste schmerzhafte territoriale Verluste erleiden – 20 Prozent ihres Staatsgebiets und Millionen von Bürgern, die unter russische Gewaltherrschaft gerieten. Dazu würde sie von der Nato ferngehalten. Das ist noch bedrohlicher als der Verlust von Territorien: Ohne Rückversicherung durch das transatlantische Bündnis gibt es keine Sicherheit für das Land vor einem erneuten russischen Angriff. Die russische Armee wird sich erholen – und Putins Angriffsziel war und ist die ganze Ukraine.
In diesem Szenario wäre die Ukraine zu einer Art Schattenexistenz verurteilt?
So ist es. Das Land würde dann weder politische noch ökonomische Stabilität erlangen, weil es ohne militärische Sicherheit keine ausländischen Investitionen gibt. Die sind aber dringend nötig für den Wiederaufbau. Und auch psychologisch wäre ein Deal Trumps mit Putin ein verheerendes Signal: Wofür hätte die Ukraine dann all diese schmerzhaften Opfer erbracht? Sie will Mitglied der Gemeinschaft der westlichen Demokratien werden, da ist die Europäische Union nur die halbe Miete. Abgesehen davon, dass es einen langen Zeitraum brauchen wird, bis die Ukraine tatsächlich Mitglied der EU werden kann.
Alles Voraussicht nach wird Putin alle derartigen Bestrebungen hintertreiben?
Inzwischen hätte Putin tatsächlich alle Karten in der Hand, die Ukraine weiter zu destabilisieren. Ohne die Rückversicherung der Nato besteht die Gefahr, dass die gesamte Ukraine zurück in den russischen Orbit gezogen wird. Deshalb ist die Nato-Frage der Schlüssel für die Zukunft der Ukraine.
Gesetzt den Fall, Russland geht aus dem Krieg gegen die Ukraine durch einen Deal mit Trump irgendwie als Sieger hervor: Was sind die denkbaren Folgen für Europa?
Das würde zu massiven Verwerfungen innerhalb Europas und innerhalb der Nato führen. Es wäre ein Signal für die Mittelosteuropäer und die Skandinavier, dass man sich auf den Beistand der Vereinigten Staaten nicht mehr verlassen kann. Wir können bereits jetzt beobachten, wie Polen zusammen mit anderen mittelosteuropäischen Staaten, Skandinavien und Großbritannien versucht, eine Koalition der Willigen aufzubauen. Sowohl um die eigene Sicherheit zu stärken, als auch um die Ukraine weiter unterstützen zu können, falls sich die USA zurückziehen.
Deutschland ist nicht Teil dieser Bemühungen.
Interessanterweise ist Deutschland nicht eingeladen worden. Das ist auch die Quittung dafür, dass Olaf Scholz den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk nicht gemeinsam mit Emmanuel Macron und dem britischen Premier Stamer zum jüngsten Besuch Joe Bidens in Deutschland eingeladen hat.
War es ein Fehler, Polen außen vor zu lassen?
Ein großer Fehler. Das alte Europa, das von Frankreich und Deutschland geprägt wurde, existiert nicht mehr. Europas Osten und Norden spielen heute eine ganz andere Rolle, nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch was die ökonomische Dynamik angeht. Das deutsch-polnische Verhältnis ist an einem Tiefpunkt. Nicht zuletzt, weil in Warschau wachsende Irritation über die deutsche Politik herrscht. Die "Zeitenwende"? Auf halbem Wege stecken geblieben. Die Unterstützung der Ukraine? Halbherzig.
Bundeskanzler Olaf Scholz betont immer wieder, wie sehr Deutschland die Ukraine unterstützt.
Warum weigert sich der Kanzler dann, Taurus für die Ukraine freizugeben? Das wäre eine Sprache, die Putin versteht. Der grundlegende Unterschied zwischen Deutschland und Polen besteht darin, dass in Polen – über alle Parteigrenzen hinweg – Einigkeit darüber besteht, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss. Das hat der Kanzler nie über die Lippen gebracht, was in unseren östlichen Nachbarstaaten aufmerksam bemerkt wurde. Stattdessen pflegt Scholz eine strategische Zweideutigkeit im Hinblick auf den Ausgang des Krieges. Das rächt sich jetzt bitter.
Durch die Wiederwahl Trumps?
Wir haben fast drei Jahre verloren, die Ukraine so stark zu machen, dass sie Russland zum Rückzug zwingen kann. Wir haben uns hinter den USA versteckt, nun besteht das akute Risiko, dass mit einem Rückzug der USA die Ukraine unter die Räder kommt. Wir hätten es nach dem 24. Februar 2022 wie die Polen machen sollen. Warschau hat sofort 200 Kampfpanzer geliefert und massiv in die eigene Verteidigung investiert. Polen hat den Ukrainern Kampfflugzeuge gegeben, was Scholz kategorisch abgelehnt hat. Wenn Deutschland wie Polen gehandelt hätte, dann wäre dieser Krieg heute womöglich schon zugunsten der Ukraine entschieden.
In der Noch-Kanzlerpartei SPD werben starke Kräfte für Verhandlungen mit Russland, selbst wenn Putin gar nicht verhandeln will. Wie passt das zusammen?
Es gibt starke Kräfte in der SPD, die mit der "Zeitenwende" hadern und sie zurückdrehen wollen. Die von Scholz ständig wiederholte Behauptung, Deutschland sei zweitstärkster Unterstützer der Ukraine, ist Augenwischerei. Gemessen an unserer Wirtschaftskraft sind wir auf Platz 14. Andere sind da viel entschlossener.
Friedrich Merz von der CDU wird voraussichtlich neuer Kanzler werden. Wird er mehr Entschlossenheit gegenüber Russland aufbringen als Olaf Scholz?
Wir sind jetzt in einem Wettlauf mit der Zeit. Die Wahl von Trump, die kritische Situation in der Ukraine, aber auch die politischen Risse in der EU erzwingen nun die Entscheidung, ob sich die Europäer jetzt endlich aufraffen, die Verantwortung für die europäische Sicherheit zu übernehmen. Das schließt die Verteidigung der Ukraine ein, die einen zentralen Ankerpunkt für die europäische Sicherheitsordnung darstellt. Friedrich Merz hat gesagt, dass wir Putin rote Linien aufzeigen müssen, statt ihm die Initiative zu überlassen. Wenn Russland weiterhin ukrainische Städte angreift, dann liefert Deutschland Taurus. Das ist die Sprache, die Putin versteht. Wir werden sehen, ob ein Regierungswechsel auch zu einem Politikwechsel führen wird.
Taurus allein wird Russland nicht eindämmen. Was muss weiter geschehen?
Es fehlt bislang an politischer Entschlossenheit. Wir müssen unser ökonomisches Potenzial jetzt endlich in die Waagschale werfen, um die Rüstungsproduktion anzukurbeln und die Lieferung von Waffen an die Ukraine zu verstärken. Und zwar ohne Restriktionen. Die Ukraine muss militärische Ziele im russischen Hinterland angreifen können: Stützpunkte, Flughäfen und Raketenbasen, von denen sie selbst ständig angegriffen wird.
Donald Trump hat bereits angedroht, Nato-Staaten, die keinen entsprechenden Beitrag leisten würden, nicht zu verteidigen. Der Druck Washingtons auf Deutschland und andere dürfte doch ohnehin steigen, mehr in die Verteidigung zu investieren?
Deals sind der Maßstab von Trumps Handeln, er verfolgt eine transaktionale Außenpolitik nach dem Prinzip Leistung und Gegenleistung. In Sachen Verteidigung und Sicherheit hat Deutschland tatsächlich auf fremde Kosten gelebt. Da hatte Trump bereits in seiner ersten Amtszeit durchaus einen Punkt. Mittlerweile ist die Situation durch Russlands Krieg noch dramatischer geworden. Inzwischen sehen wir uns einer Achse zwischen Russland, Iran und Nordkorea mit China im Hintergrund gegenüber. Das ist eine massive Bedrohung der internationalen Sicherheit und eine klare Kampfansage an den Westen. Jetzt muss es darum gehen, Stärke zu demonstrieren, gerade um künftige Kriege zu verhindern. Alles andere ist eine Vogel-Strauß-Taktik.
Trauen Sie Trump einen Nato-Austritt zu?
Ich gehe nicht davon aus, dass Trump aus der Nato austreten wird. Aber er könnte sie im Kern infrage stellen. Vor allem, indem er das Herzstück der Nato, den Artikel 5 mit der Beistandsgarantie, von Bedingungen abhängig macht. Darauf könnte es hinauslaufen: Wer nicht seinen Beitrag zahlt, fällt aus dem militärischen Schutzschirm der USA.
Wird Trump einen Kurs des Isolationismus fahren?
Das wäre fatal. Die globale Politik kennt kein Vakuum. Wenn sich die USA international zurückziehen sollten, werden Russland, China und andere autoritäre Regime diese Räume besetzen. Das wäre auch ein Signal an Staaten wie Indien, Südafrika oder Brasilien. Sie werden sich letztlich am Stärkeren orientieren. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die Europäer weiter zur Ukraine stehen. Wir müssen davon ausgehen, dass die USA sich künftig stärker auf den Systemkonflikt mit China konzentrieren.
Der Ausgang des Krieges gegen die Ukraine könnte auch Auswirkungen auf die Zukunft des von China bedrohten Taiwans haben.
Ich hoffe, dass Trump versteht, dass der Ausgang des Krieges in der Ukraine ein weltweites Signal aussendet – bis zu der Frage, ob China den Zeitpunkt für den Krieg gegen Taiwan für gekommen hält. Die Ukraine ist der Lackmustest für die Zukunft der internationalen Ordnung. Hier entscheidet sich, ob der Westen vom Rest der Welt als eine Kraft im Niedergang wahrgenommen wird.
Also wäre es eigentlich dringend notwendig, dass die Vereinigten Staaten und die Europäer zusammenrücken, statt auseinanderzudriften?
Die Allianz zwischen Europa und Amerika bleibt unverzichtbar – politisch, militärisch und auch ökonomisch. Militärische Stärke hängt von wirtschaftlicher Stärke ab. Es geht nicht nur darum, dass Europa seine Verteidigungsanstrengungen erhöht. Das wird nur Bestand haben, wenn wir gleichzeitig wirtschaftlich wieder dynamischer und kraftvoller werden. Wir befinden uns in einem doppelten Wettbewerb: um militärische Fähigkeiten, aber auch um wirtschaftliches Wachstum und Innovationskraft. Wer definiert die Zukunft? Das ist die Schlüsselfrage. Wird es China oder der Westen sein? Mir wäre der liberale Westen lieber.
Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Ralf Fücks via Telefon