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Macht der Geiseln: Israel wird den Krieg nicht mit Waffen gewinnen


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Tagesanbruch
Diese Bilder machen Hoffnung

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 28.11.2023Lesedauer: 6 Min.
Israel Palestinians HostagesVergrößern des Bildes
Befreite Geiseln: Die dreijährigen Zwillinge Emma und Yuli Aloni Cunio (undatiertes Bild) kamen am Montag mit ihrer Mutter Sahron frei, ihr Vater ist weiter in Geiselhaft. (Quelle: Hostages and Missing Families Forum headquarters via AP/ap)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

endlich gute Nachrichten. Endlich Menschen, die sich vor Freude und Glück in den Armen liegen. Seit Wochen kannten wir sie nur von Plakaten, nun sehen wir jeden Tag die Bilder und Videos der befreiten israelischen Geiseln: Da ist der neunjährige Ohad Munder, wie er in die geöffneten Arme seines Vaters rennt. Da sind die Deutsch-Israelin Doron Asher und ihre beiden Töchter Raz, 4, und Aviv, 2, wie sie auf dem Bett eines Krankenhauses sitzen, fest umschlungen von ihrem Vater Yoni Asher. Unermüdlich hatte dieser auch in Deutschland um ihre Freilassung gekämpft. Auf dem Foto sieht es so aus, als wolle er sie nie mehr loslassen.

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Es sind Bilder, die eine leise Hoffnung nähren: Vielleicht kann der Horror der vergangenen 50 Tage doch noch ein gutes Ende nehmen – zumindest für einige. Doch selbst diese Freude ist getrübt, hinter dem Glück der Freiheit lauert das Trauma der Gefangenschaft und des Terrors vom 7. Oktober. Bei manchen ist dieses Trauma so übergroß, dass es den Rest ihres Lebens zu überschatten droht: Für die vierjährige Avigail etwa, die von keinem Vater, von keiner Mutter in den Arm genommen wird. Beide waren am 7. Oktober erschossen worden, ihr Vater, als er sich schützend über Avigail warf. Oder für Alma,13, und Noam, 17, die nach ihrer Freilassung erfuhren, dass ihre Mutter tot und ihr Vater noch in den Händen der Hamas ist.

Diese Bilder und die Geschichten dahinter sind auch deshalb so wichtig, weil sie uns noch einmal vor Augen führen, was am Anfang dieses Krieges stand: Der barbarische Terror der Hamas. Gezielt hatten die Dschihadisten Menschen massakriert, die in Kibbuzen lebten, die sich dort für Frieden und Aussöhnung einsetzten, die auf einem Festival mit Menschen aus aller Welt tanzten. All das, wofür diese Menschen standen, sollte ausgelöscht werden.

Zu viele Palästinenser und ihre Unterstützer weltweit haben das in den zurückliegenden Wochen ausgeblendet, totgeschwiegen, wenn nicht gar rundweg geleugnet – in den sozialen Medien, auf Kundgebungen, in Debatten, die auch hierzulande geführt wurden und werden. Längst, so schien es, hatten sich die Bilder von der Zerstörung in Gaza, den Toten und Geflüchteten dort über die von den Gräueltaten der Hamas geschoben.

Und es stimmt ja auch: Das Leid in Gaza ist riesig. Zu viele unschuldige Menschen, zu viele Kinder wurden hier in den vergangenen Wochen getötet, sind von Hunger bedroht, leben in Angst und unter unmenschlichen Bedingungen. Nur, vergessen werden darf dabei nicht und wird es doch viel zu oft: Es war die Hamas, die diesen Krieg bewusst mit ihrem Massaker auslöste.

Teil ihrer Kriegsführung sind die Bilder von Tod und Zerstörung in Gaza. Genauso wie es Teil ihrer Kriegsführung ist, ihre Waffen und Kommandostrukturen unter Krankenhäusern, Moscheen und Schulen zu verstecken. Kriegsverbrechen sind Teil der Kriegsführung der Hamas. Sie haben nicht nur fast 250 unschuldige Menschen aus Israel als Geiseln genommen, sondern auch fast zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens. Zur Wahrheit gehört auch, dass zu viele Palästinenser trotzdem hinter der Hamas und sogar hinter ihrem Terrorangriff vom 7. Oktober stehen, wie jüngst erst zwei Umfragen unter Palästinensern in Gaza und dem Westjordanland zeigen.

Der Wunsch der Israelis, die Hamas ein für alle Mal so zu schwächen, dass sie nie wieder zu einem solchen Angriff fähig sein wird, ist daher nachvollziehbar. Zu Recht hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade bei seiner zweitägigen Reise in Israel gesagt, dass unsere Solidarität nicht nur "dem Israel als Opfer des Terrors" gilt, sondern auch "dem Israel, das sich wehrt" und "gegen eine existenzielle Bedrohung" kämpft.

Doch dieser Kampf kollidiert gerade mit dem ebenso starken Wunsch der Israelis, möglichst alle Geiseln zurückzuholen. Die Macht der Bilder von Ohad, Avigail, Alma und Noam, sie übt einen immensen Druck auf die israelische Regierung aus. Dass der Waffenstillstand nun bis Donnerstag verlängert wurde, ist auch diesen Bildern geschuldet.

Aber das hilft leider nicht nur den Geiseln und ermöglicht weitere, dringend benötigte Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Es hilft auch der Hamas, sich von den Attacken der israelischen Armee zu erholen. Das ist nicht im Interesse der israelischen Regierung, die bereits unmissverständlich klargemacht hat: Danach werde der Krieg unvermindert weitergehen.

Doch muss die Frage gestellt werden: Was passiert, wenn die Kommandostrukturen und die Tunnel im Norden Gazas zerstört sein werden? Wird der Krieg dann auf den Süden ausgeweitet? Ist dieser Krieg gegen die Hamas überhaupt militärisch zu gewinnen? Experten wie der frühere israelische Verhandlungsführer Daniel Levy bezweifeln das. Und sie betonen, je länger der Krieg dauere, desto größer werde das Leid und Sterben in Gaza und dadurch auch die Unterstützung für die Hamas in der palästinensischen Bevölkerung. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

Politische Lösungen müssen daher endlich wieder ernsthaft verfolgt werden. Es ist ein großes Versagen Israels, aber auch der USA und Europas, dass sie viel zu lange keine ernstzunehmenden Friedensinitiativen mehr für den Nahostkonflikt angestrengt haben. Im Gegenteil. Sie haben zugesehen, wie Netanjahus Regierung ihrerseits alles dafür tat, um solche Initiativen zu verhindern, etwa indem sie den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im Westjordanland vorantrieb.

Die Befreiung der Geiseln in diesen Tagen hat gezeigt: Verhandlungen sind schwierig, aber möglich. Die USA, aber auch Katar haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt: Die USA als die Großmacht, die Einfluss auf die israelische Regierung hat, Katar als das Land, in dem etliche politische Führer der Hamas leben. Beide müssen nun – unterstützt von weiteren arabischen Staaten und Europa – diesen Einfluss nutzen, um Israel zu Zugeständnissen zu bewegen. Das Ziel muss eine Perspektive für die Palästinenser auf einen echten, eigenen Staat sein.

Doch darauf können sich die Israelis nur einlassen, wenn es andererseits glaubwürdige Sicherheitsgarantien für sie gibt. Beides wird unendlich schwer und nur in einem langwierigen Prozess möglich sein. Doch der muss endlich beginnen. Sonst werden auf die guten Nachrichten wieder viele schlechte folgen – mit unerträglichen Bildern.

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Mit Material von dpa.

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