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Streit um Haushaltsplanung: Der große Ampel-Zoff beginnt erst


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Regierung in der Finanzkrise
Können sie das wirklich tun?


27.11.2023Lesedauer: 6 Min.
Berlin: Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner (von links).Vergrößern des Bildes
In der Krise: Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner (von links). (Quelle: IMAGO)
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Soll für das nächste Jahr eine Haushaltsnotlage gelten? Der Streit darüber spaltet die Bundesregierung in Grundsatzfragen – und eine Einigung ist nicht in Sicht. Das Land steht vor ungewissen Zeiten.

Es ist kurz nach 10 Uhr an diesem Montagmorgen, als Robert Habeck einen Blick ins Innere der Bundesregierung zulässt. Mit zwei Landesministern stellt sich Habeck in seinem Wirtschaftsministerium vor die Hauptstadtpresse. Die Deckenlampen leuchten ihm ins Gesicht, Mikrofone werden eingeschaltet, Fernsehkameras laufen. Habecks Augen gleiten durch den Raum, er sieht müde aus.

Eigentlich soll es jetzt um die wirtschaftliche Lage in Deutschland gehen, um Unternehmen und Arbeitsplätze. Doch Habeck will etwas Grundsätzliches loswerden. Er richtet sich also auf, schaut in die Kameras und sagt dann über die Finanzplanung des nächsten Jahres: "Jetzt sind wir bei 2024 und brauchen schnell Klarheit". Und damit seine Botschaft sicher ankommt, schiebt Habeck noch nach: "Der Handlungsdruck ist immanent."

Der Handlungsdruck ist immanent. So lautet die Umschreibung des Vizekanzlers für den aktuellen Zustand des Ampelbündnisses: Die Regierung ist beim Kampf um das viele Geld im Krisenmodus angekommen. Die bisherige Finanzplanung wurde durch das Verfassungsgericht in Karlsruhe gekippt: 60 Milliarden Euro, die bisher für Klimaschutzprojekte eingeplant waren, können so nicht mehr genutzt werden. Es klafft eine riesige Lücke in den Finanzen des Bundes – und alle in Berlin fragen sich:

Wie sieht die Haushaltsplanung des nächsten Jahres konkret aus? Wofür der Bund Geld ausgeben wird, wo die Prioritäten liegen, all das ist unsicherer denn je. Und damit auch, wie Deutschland künftig regiert wird.

Die Notlage – auch 2024?

Deshalb wabert seit Tagen ein Wort durch die Reihen der Koalition. Kurz nach der Karlsruher Entscheidung war es nur von Hinterbänklern im Bundestag zu hören, mittlerweile aber nutzen es auch Fraktionschefs und Parteivorsitzende, die erste Reihe. Das Wort lautet: Notlage. Dieses Wort und das, was es rein juristisch meint – könnte eine Lösung sein. Die aber nicht alle in der Regierung wollen.

Bereits für das laufende Jahr 2023 hat sich die Koalition gerade auf eine sogenannte wirtschaftliche Notlage verständigt, die ein Umgehen der Schuldenbremse ermöglicht. Würde man sich auch für das kommende Jahr darauf einigen, wären abermals deutlich mehr Schulden möglich als vom Grundgesetz erlaubt.

Doch dass es so kommt, ist längst nicht ausgemachte Sache. In der Frage wirken die Fronten innerhalb der Koalition verhärtet – was nicht zuletzt an der Begründung der Notlage liegt.

So könnte die Koalition gemäß Artikel 115 des Grundgesetzes zwar wie gewünscht mehr Geld ausgeben. Das aber gilt nur "im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen".

Offen ist nun, ob die aktuelle Lage der Welt und Deutschlands sich der Kontrolle des Staates entzieht. Einige bei den Grünen und der SPD halten das für sicher, andere in den Reihen der FDP für Humbug. Der Kampf um das viele Geld – er ist nun ein Kampf um Worte und ihre Deutung.

Habeck will an allen Projekten festhalten

Robert Habeck, der müde Vizekanzler, hält sich mit seinen Formulierungen am Montagmorgen zurück. Er weiß: Schon eine Notlage für das Jahr 2023 war schwierig. Geht das auch noch für das kommende Jahr? Die Argumente dafür fallen bisher schwächer aus – und die Union könnte erneut dagegen klagen. Würde die Ampel wieder scheitern, wäre es die nächste, noch heftigere Niederlage vor Gericht.

Den Grünen ist das klar. "Bei allen weiteren Schritten der Bundesregierung muss sichergestellt werden, dass sie verfassungsmäßig sauber sind – das gilt selbstverständlich auch für eine potenzielle Notlage in 2024", mahnt Bruno Hönel, Haushälter der Grünen, im Gespräch mit t-online.

Doch gerade in der Ökopartei haben die Investitionen in die Zukunft, die nun vorerst gestrichen sind, höchste Priorität. Für viele Grüne ist mehr Geld der Schlüssel zum Umbau der Wirtschaft hin zu nachhaltigen Technologien – und zugleich für mehr Unabhängigkeit von fremden Regimen. An dieser Stelle sparen und kürzen ist für sie deshalb keine Option. "Der entscheidende Satz ist: Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden", sagt Habeck am Montagmorgen.

Nur: Wie man diese Projekte in den kommenden Jahren finanzieren will, wie man den Hammerschlag in die Realität umsetzen soll, dazu bleiben die Grünen eher vage. Keinesfalls wolle man sich am Verhandlungstisch mögliche Optionen zerstören, indem man zu früh öffentlich darüber redet, betont Habeck.

Szenenwechsel, wieder Berlin, inzwischen ist es Mittag geworden: Die beiden Grünen-Parteichefs treten vor die Fernsehkameras. Ricarda Lang sagt auf die Frage, was ab 2024 komme, dazu verhandle man nun. Und ihr Co-Chef Omid Nouripour betont: Kaputtsparen sei keine Option.

Was die beiden hier nicht sagen: Sehr viel lieber als das immer neue Ausrufen von Notlagen wäre vielen Grünen ohnehin eine größere Lösung, eine Reform der Schuldenbremse. Diese entpuppe sich "als Investitionsbremse und Standortrisiko für Deutschland", sagt Grünen-Finanzexpertin Katharina Beck zu t-online. So könne der nochmalige Notfall für das Jahr 2024 durch den Krieg in der Ukraine begründet sein – langfristige Planbarkeit aber sei wichtig, das Hangeln von Jahr zu Jahr keine gute Lösung. Beck plädiert deshalb für eine grundlegende Reform der Schuldenbremse – "mit Ergänzung einer Regel, die Investitionen für Modernisierung ermöglicht".

FDP sieht "keine rechtlich tragfähige Begründung"

Eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ist aber aktuell weder mit der FDP noch mit dem Kanzler zu machen, weshalb sie vorerst ein Wunsch in der Ökopartei bleiben dürfte. Die Diskussion mit den Koalitionspartnern konzentriert sich darum auf die mögliche Notlage im kommenden Jahr. Bei den Grünen sagt mancher: Darüber könne man sich noch am ehesten verständigen.

Einfach wird aber auch das nicht, das liegt vor allem an der FDP. Die Liberalen wollten eigentlich keine Notlage, sie sind für solide Finanzen, auch um der kommenden Generation weniger Schulden aufzubürden. FDP-Haushaltspolitiker Thorsten Lieb sagt dazu t-online: "Ich sehe keine rechtlich tragfähige Begründung für einen Notlagenbeschluss und die Aussetzung der Schuldenbremse im Haushaltsjahr 2024." Doch Lieb setzt nach: "Ein rechtliches Risiko darf es aber für den Haushalt 2024 nicht geben." Es ist ein kleines Zugeständnis, eine Verabschiedung von absoluten Ansprüchen. Wo Habeck gelegentlich den rhetorischen Hammer rausholt, nimmt mancher in der FDP eher den Schraubenzieher.

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Eine erneute Notlage will bei der FDP niemand – doch eine neuerliche Klatsche aus Karlsruhe wollen noch weniger Liberale. Immerhin stellen sie den Finanzminister Lindner, der dann wieder im Zentrum der Auseinandersetzung stände. Der Tenor in den Reihen der FDP lautet: lieber erst mal sparen.

SPD-Chefin Esken: "multiple und schwere Krisen"

In der Kanzlerpartei sieht man das völlig anders. Und weil die Sozialdemokraten den Grünen nicht alle Pressekonferenzen am Montag überlassen wollen, tritt auch die SPD-Chefin Saskia Esken am Montag vor die Fotografen und Journalisten.

Deutschland stecke in "multiplen und schweren Krisen", sagte Esken mit ernster Miene. Kürzungen am Sozialstaat – wie von der Union, aber auch von Teilen der FDP gefordert – seien für die SPD "nicht vorstellbar". Eine Krisenbewältigung aus dem normalen Haushalt sei dabei nicht zu leisten. Esken erwähnte zudem die deutschen Verpflichtungen bei der Ukraine-Hilfe, die ansonsten nicht zu stemmen seien.

In Kürze heißt das also: Die SPD-Chefin ist ähnlich wie die Grünen für eine weitere Notlage, ein Umgehen der Schuldenbremse im Jahr 2024. Und ihre Fraktionskollegin, SPD-Haushaltspolitikerin Bettina Hagedorn, ergänzt im Gespräch mit t-online, warum: "Wenn wir die Notlage nicht auch im nächsten Jahr erklären, müssen wir die Beschlüsse der Bereinigungssitzung zum Kernhaushalt wieder aufmachen."

In der Sitzung des Haushaltsausschusses am 16. November – ein Tag nach dem Karlsruher Urteil – hatten sich die Ampelfraktionen auf einen Großteil des Haushalts 2024 geeinigt. Es waren zähe Verhandlungen, die bis in die frühen Morgenstunden dauerten, aber am Ende in den meisten strittigen Punkten eine Einigung hervorbrachten.

Jetzt einzelne Kürzungen vorzunehmen, würde das mühsam in der Koalition geeinte Gesamtpaket "aushebeln", so Hagedorn. Sie forderte daher von Finanzminister Lindner, der die Energiepreisbremsen trotz anderslautender Einigung schon 2023 auslaufen lassen will, "die Beschlüsse des Parlaments zu respektieren".

Ob das mit der FDP geht? Fraglich. Ob das der Opposition reicht? Unwahrscheinlich.

Denn die Opposition erhöht den Druck auf die Ampelkoalition. CDU-Chefhaushälter Christian Haase sagte t-online am Montag: "Die Lehre aus dem Urteil heißt nicht, weiter so wie bisher und irgendwie müssen die Schulden finanziert werden. Das wäre eine grobe Missachtung des Gerichts."

Umso mehr richten viele nun den Blick auf den Mann, der es richten soll. Der den Kampf um die Deutungshoheit beenden soll: Kanzler Olaf Scholz.

Bislang hielt der sich in der ganzen Angelegenheit weitgehend zurück. Seine sporadischen Äußerungen zur Haushaltskrise tragen im Kern alle dieselbe Botschaft, sie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: "Ich habe die Lage im Griff."

In einer kurzen Videobotschaft vom vergangenen Freitag versprach Scholz, dass der Staat zu seinen Hilfszusagen stehe. Sonderzahlungen wie bei den Energiepreisen oder den Hilfen für die Flutopfer im Ahrtal seien von der Schuldenbremse unberührt. "All solche Hilfen sind weiterhin möglich", so Scholz. Der Kanzler kündigte einen Haushalt für das Jahr 2024 an, der "zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt überarbeitet" werde.

Zur möglichen Verlängerung einer Notlage für das Jahr 2024 äußerte sich Scholz nicht. Noch nicht. Am Dienstagmorgen, um 10 Uhr, könnte sich das ändern. Da stellt sich Scholz vor die Abgeordneten des Bundestags, Plenardebatte. Auf der Homepage des Parlaments heißt es in der Terminankündigung: "Bundeskanzler Olaf Scholz äußert sich zur Haushaltslage". Es dürfte spannend werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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