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Papst Franziskus: Warum er im Vatikan als Populist gilt


Kirchenhistoriker erklärt
"Ein lächerliches Schauspiel"

  • Philipp Heinemann
InterviewVon Philipp Heinemann

Aktualisiert am 24.04.2025 - 16:49 UhrLesedauer: 5 Min.
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Giorgia Meloni und Papst Franziskus: Waren sich die beiden viel näher als gedacht? (Quelle: IMAGO/R4924_italyphotopress/imago)
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Die Nachwelt diskutiert das Erbe des Pontifex. Warum der Papst weit weniger revolutionär war, als er von einigen dargestellt wird, erklärt Giovanni Vian im Interview mit t-online.

Nach dem Tod von Papst Franziskus beginnt in Politik und Gesellschaft das große Deuten seines Vermächtnisses: War er ein Revolutionär oder ein Konservativer? t-online traf in Rom den Kirchenhistoriker und Journalisten Giovanni Maria Vian. Er ordnet das Werk von Franziskus kritisch ein, beschreibt sein Verhältnis zu Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und erklärt, wieso im Vatikan ein Klima der Angst herrscht.

t-online: Professor Vian, in Rom beginnt nach dem Tod des Papstes die Zeit der Nachrufe und Spekulationen. Worum geht es?

Giovanni Maria Vian: Die italienische Politik führt gerade ein lächerliches Schauspiel auf und fragt öffentlich: War er liberal? War er konservativ? Dieser Papst war kein Revolutionär. Er war in vielem eher konservativ als progressiv. Eigentlich war er ein typischer Anführer unserer Zeit, wie sie eben gerade in Mode sind: Wir sind im Zeitalter des Populismus, und Franziskus war im Grunde auch ein Populist.

So wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Richtig. Es ist auch kein Zufall, dass die beiden sich sehr gut verstanden, sie hatten große Sympathien füreinander. Man muss sich nur daran erinnern, dass Franziskus der einzige Papst war, der an einem G7-Treffen teilgenommen hat. Das war einzig Melonis Verdienst. So was gab es vorher nicht.

(Quelle: Promo)

Zur Person

Giovanni Maria Vian ist Kirchenhistoriker, Philologe und Journalist. Er wurde 1952 in Rom geboren und lehrte unter anderem an der Universität La Sapienza in Rom. Von 2007 bis 2018 war er Chefredakteur der Vatikanzeitung "L’Osservatore Romano". Er ist unter anderem Mitglied des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften.

Dabei galt Papst Franziskus in der Öffentlichkeit als links und migrationsfreundlich.

Ich würde sagen, er war ein kontroverser und widersprüchlicher Papst. Nehmen wir das Thema Migration: Er hat viel darüber gesprochen. Aber in der Öffentlichkeit wurde immer nur eine Seite von ihm gezeigt, weil sie so schön ins Bild passte. Das Bild des Progressiven. Als er von einer Reise aus Schweden zurückkehrte, sagte er sinngemäß: Jedes Land der Welt hat das Recht, die Migrationspolitik zu betreiben, die für das Land am besten ist. Im Fall von Schweden meinte er damit eine restriktive Migrationspolitik. Das wurde aber überhaupt nicht groß berichtet, weil es nicht ins öffentliche Bild des migrationsfreundlichen Papstes passte. Er war viel näher an Meloni, als viele wahrhaben wollen.

Das Vermächtnis Franziskus' wird also zu eindimensional dargestellt?

Dieser Papst hat sehr deutlich, und zwar kritisch, über Abtreibungen gesprochen, übers Gendern. Er erwähnte sogar den Teufel. Über diese Sätze ist aber nie groß berichtet worden, weil sie nicht zum gängigen Narrativ passten. So wie die Öffentlichkeit beschlossen hatte, dass Ratzinger ein Panzer-Papst war. Eine wirkliche Ungerechtigkeit. Genauso wurde beschlossen, dass Franziskus der einzige noch verbliebene Linke auf der Welt sei. Das war er aber wirklich nicht. Franziskus hatte eine große Stärke: Und das war die Kommunikation. Nach außen war er die einzige Stimme der gesamten katholischen Kirche. Ihm ist es gelungen, die Sympathien der Welt für sich zu gewinnen – und zwar viel mehr außerhalb der Kirche als innerhalb.

Giorgia Meloni könnte es also unter seinem Nachfolger schwerer haben?

Das glaube ich nicht. Bei einem konservativen Papst ohnehin nicht. Aber auch ein progressiver Papst wird alles dafür tun, die Kirche auch in Italien zusammenzuführen. Und das wird er nicht gegen Meloni machen können. Sie hat von dieser Papstwahl nichts zu befürchten.

Apropos Papstwahl, wie ist gerade die Stimmung im Vatikan? Was passiert dort? Was geht den Kardinälen durch den Kopf?

Es gibt einen Satz eines mittelalterlichen Kardinals aus Ravenna, der später auch heiliggesprochen wurde. Dieser Satz beschreibt sehr gut, was zwischen dem Tod eines Papstes und der Wahl des neuen passiert: Es ist ein Moment der Angst. Denn alles bleibt in der Schwebe, ein Zustand der völligen Unsicherheit. Nun sind wir nicht im Mittelalter. Aber der Satz trifft weiter zu. Denn mit dem Tod eines Papstes fallen – bis auf wenige Ausnahmen – sämtliche Ämter weg. Die Karten werden neu gemischt. Und das sorgte vor 1.000 Jahren genauso für Unsicherheit wie heute. Das ist auch die Faszination, die von der römischen Kirche ausgeht. Mit dem Tod eines Papstes wird im Vatikan und der katholischen Kirche alles auf null gestellt.

Das heißt, es geht beim Konklave nicht nur um die Papstwahl, sondern auch um wichtige Posten, die dann neu besetzt werden?

Normalerweise bestätigt ein neuer Papst diese Posten vorläufig mit den alten Amtsträgern. Dann hat er aber freie Hand, nach seinem Willen den Vatikan umzubauen, also auch die Posten. Es gab auch schon Päpste, die vom ersten Tag an alles geändert haben. Und es gibt einen ganz wichtigen Punkt bei dieser Wahl, und das sind die furchtbar vielen Missbrauchsfälle, mit denen die katholische Kirche zu tun hat. Wie viele Kardinäle gibt es denn, die da wirklich komplett ohne Sünde sind? Niemanden gedeckt haben? Vermutlich sind es wenige. Das Konklave muss darauf achten, jemanden zu wählen, der nicht angreifbar ist.

Haben Sie eine Vermutung, wer zum Papst gewählt werden könnte?

Der einzige Italiener, der eine Chance hat, ist Pierbattista Pizzaballa, der Patriarch von Jerusalem. Die Frage ist hier: Ist das Konklave so mutig, ihn zu wählen? Denn er ist 60 Jahre alt, also ein sehr junger Kandidat. Die Kardinäle müssten dann voraussichtlich sehr lange mit ihm als Papst leben. Aber es wäre mal eine Abwechslung. Seit 25 Jahren haben wir uns an alte oder gebrechliche Päpste gewöhnt. Ein junger, gesunder, fitter Papst könnte das Konklave auch reizen. Dass sein Name tatsächlich unter den Kardinalen kursiert, ist sicher. Denn es dringen Stimmen nach außen, die sagen: ein sehr guter Kandidat, aber mit einem möglicherweise zu harten Charakter. Und wenn so gesprochen wird, heißt es, sie setzen sich mit ihm auseinander.

Und haben Sie auch einen persönlichen Favoriten?

Was wir brauchen, ist ein Ruhe- und Friedensstifter. Jemanden, der Franzikus' Weg weitergeht, aber wohltemperiert. Und auch etwas mehr umsetzt und weniger ankündigt. Mein Favorit wäre der Bischof von Stockholm, Anders Arborelius, der aus einer protestantischen Familie stammt und zum Katholizismus konvertiert ist: Er setzt sich für die Ökumene ein, ist weltgewandt. Er hält sich selbst für nicht "papabile", aber das ist ja fast eine Voraussetzung, um Papst zu werden.

Professor Vian, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Professor Vian in Rom
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