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Umsturz im Sudan: Militärputsch könnte Folgen für Deutschland haben


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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.10.2021Lesedauer: 6 Min.
Sudanesische Milizen werden nach dem Putsch gegen Demonstranten eingesetzt.Vergrößern des Bildes
Sudanesische Milizen werden nach dem Putsch gegen Demonstranten eingesetzt. (Quelle: Marwan Ali/AP/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

will man eine wirklich knifflige Frage beantworten, braucht man Geduld. Mitunter muss man Jahre warten, bis sich etwas bewegt und neue Erkenntnisse Licht in die Angelegenheit bringen. Heute aber ist es so weit, denn in einem politisch sensiblen "Experiment", das sich im echten Leben und auf dem Rücken von echten Menschen abspielt, gibt es einen neuen Stand zu vermelden.

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Der Versuchsaufbau ist uns allen hinreichend bekannt. Wir leben in einer vernetzten Welt. In Europa und in Deutschland haben wir inzwischen verstanden, dass uns die Krisen in fernen Ländern etwas angehen, weil ihre Folgen uns einholen. Eine kurvenreiche Linie führt vom Wutausbruch der Unterdrückten, die vor einem Jahrzehnt im Arabischen Frühling auf die Straße gegangen sind und einen Diktator nach dem anderen verjagten, bis zu uns.

Die Unruhen im Nahen Osten, die Niederlagen der Demokratiebewegungen, wiedererstarkte Militärjuntas und Bürgerkriege mündeten in Flucht, Zeltstädte und überfüllte Schlauchboote. Wir sahen ertrunkene Kinder im Mittelmeer, stellten Feldbetten in Turnhallen, mussten in Europa heftigen Streit über den Umgang mit den vielen Neuankömmlingen austragen, auch die Verankerung der AfD in der deutschen Politik gehört zu den Folgen dieser Zeit. Aber die Weichen wurden zu Beginn in der Ferne gestellt. Immer wieder ist dort der Versuch gescheitert, Diktaturen abzuschütteln. Länder wie Libyen und Syrien versanken in Anarchie und Terror. Anderswo, zum Beispiel in Ägypten, kamen die Generäle und die Folterknechte schnell zurück. Geht es nicht anders? Kann man das verhindern? Ein Erfolg für die Demokratie statt Flucht und Vertreibung: Wo ist das positive Beispiel?

Im Frühling 2019 waren genau diese Fragen Thema im Tagesanbruch, und obgleich es zu früh für eine Antwort war, gab es endlich einmal Anlass zu Optimismus. Wieder ein Diktator, wieder eine Volksbewegung, die nicht locker ließ: Im Sudan musste der islamistische Langzeitherrscher Omar al-Bashir seinen Präsidentensessel räumen. Die Verfechter der Demokratie hatten einiges gelernt und gingen geschickter vor als ihre Vorgänger anderswo: Der Despot an der Spitze war weg, die Demonstranten blieben aber auf der Straße. Sie erzwangen einen Abgang nach dem anderen, bis auch die Strippenzieher aus der zweiten Reihe weg vom Fenster waren und mit dem Militär ein Kompromiss zur Aufteilung der Macht gefunden zu sein schien.

Leider haben sich die Dinge seither nicht harmonisch entwickelt. Es gab Unruhen. Eine besonders blutrünstige Miliz, die dem regulären Militär Konkurrenz macht, drängte sich ins Zentrum der Macht. Die Lage war schwierig, aber immerhin stand der endgültige Übergang der Regierungsgewalt in zivile Hände – zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren – nun unmittelbar bevor. Der Sudan hätte endlich das Beispiel des gelungenen Machtwechsels sein können, auf das die Welt gewartet hat.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Der Putsch kam am Montag, die Unruhen auch, gestern begann der Generalstreik. Die Läden sind zu, die Krankenhäuser voll mit Verwundeten und den ersten Toten des Konflikts. Der zivile Premier befindet sich "zu seiner Sicherheit" im Haus des Armeechefs, so heißt das eben im Putschistensprech. Minister und Politiker wurden von Soldaten aus ihren Häusern gezerrt und festgesetzt, andere sind untergetaucht.

Nun bieten die Demonstranten dem Militär wieder die Stirn, und man sollte ihren Einsatz nicht leichtfertig als hilflose Geste beiseite wischen. Schließlich haben die Protestierenden erst vor zweieinhalb Jahren den Diktator Baschir zu Fall gebracht. Angesichts der desolaten Wirtschaftslage ist ihr Zorn noch immer groß und das Verlangen nach Veränderung auch. Der Druck auf die Putschisten wächst: Die US-Regierung hat 700 Millionen Dollar Hilfsgelder eingefroren, weitere Streichungen sind in Vorbereitung, Sanktionen werden diskutiert.

Die Generäle lässt das nicht kalt. Sie haben sich nach dem Fall des alten Regimes viele lukrative Wirtschaftszweige unter den Nagel gerissen und prächtig an der Integration des Landes in den globalen Markt verdient. Wer auch immer den Sudan regiert, muss sich mit einer heftigen Wirtschafts- und Finanzkrise herumschlagen, während nun auch noch die wichtigsten Geldgeber aus dem Ausland den Stecker ziehen. Gibt es also Hoffnung? Wackelt das Militärregime, bevor es sich die Sessel zurechtgerückt hat?

Nein, noch wackelt da nichts, und der Grund dafür ist ein Teil der Antwort auf die Frage, warum der Übergang zur Demokratie immer wieder scheitert: Die Generäle haben Freunde. Ihre mächtigen Unterstützer sind ausgerechnet die westlichen "Partner" in der Region: Ägypten und sein mörderischer Despot Abd al-Fattah as-Sisi, Saudi-Arabien und sein mörderischer Despot Muhammad Bin Salman sowie die Vereinigten Arabischen Emirate, die ebenfalls mit Demokratie nichts am Hut und zudem von Libyen bis zum Jemen in allen wichtigen Konflikten der Region ihre Finger im Spiel haben. Diese skrupellose Truppe hat den Militärs aus Armee und Miliz den Rücken gestärkt und bekam im Gegenzug sudanesische Söldner für ihre Kriege. Für die Putschisten dürfte das die Rechnung vereinfacht haben. Die Macht wie geplant an die Zivilisten übergeben, die den Militärs die Pfründe wegnehmen? Nichts da. Mit Rückhalt in der Region kann man was riskieren.

Die Lage im Sudan ist gefährlich und im Fluss. Das Fazit kann deshalb nur ein vorläufiges sein, aber erbaulich ist es nicht: Das demokratische Experiment ist fürs Erste gescheitert, wieder einmal. Es lag nicht an den Sudanesen. Unterstützung aus dem Ausland spielt eine Schlüsselrolle – und es rächt sich, dass die westliche Gemeinschaft den Autokraten in der Nachbarschaft nicht konsequent Knüppel zwischen die Beine geworfen hat.

Wenn wir uns fragen, warum die Erfolgsgeschichten in Afrika und im Nahen Osten ausbleiben und sich die Menschen auf den Weg nach Europa machen, müssen wir erkennen: Die Diktatoren und Militärs kehren nicht bloß aus eigener Kraft und in einem regionalen Vakuum zurück. Wenn wir vor Ort lebenswerte Verhältnisse fördern und Demokratien stärken wollen, müssen wir lernen, unsere zweifelhaften "Partner" im Nahen Osten im Zaum zu halten – statt sie zu umgarnen und auf gute Geschäfte zu schielen. Dafür bezahlen wir dann nämlich an anderer Stelle. Und die Menschen im Sudan gerade auch.

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Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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