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Corona-Ausbruch in Schlachtfabrik von Clemens Tönnies: "Tod auf dem Teller"


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Der Tod auf dem Teller

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 18.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Geschlachtete Schweine in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies.Vergrößern des Bildes
Geschlachtete Schweine in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies. (Quelle: Bernd Thissen/dpa/Archivbild/dpa)

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WAS WAR?

Es gibt Worte, die einen unangenehmen Beigeschmack haben. "Fleischfabrik" ist so ein Wort. Man will gar nicht so genau wissen, was sich dahinter verbirgt. Man beißt morgens ins Schinkenbrötchen, mittags ins Schnitzel und abends in die Frikadelle, die manche Leute auch Bulette, Bratklops, Fleischpflanzerl, Fleischlaberl oder Faschiertes Laibchen nennen, die in Wahrheit aber natürlich Fleischküchle heißt, man lässt es sich munden und verschwendet keine Minute an den Gedanken, wo der Leckerbisschen seinen Ursprung hat. Falls sich doch mal eine leise Frage aufdrängt, hinten in unserem Hirn, dann schieben wir sie schnell in die Abteilung für Selbstbetrug, Unterabteilung Schönfärberei. Da weidet vor unserem inneren Auge ein glückliches Rind auf einer grünen Aue, määäht das Lamm fröhlich vor sich hin und grunzt das Schwein ein zufriedenes Grunzen.

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Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Die Wahrheit heißt zum Beispiel Tönnies. Hinter dem Namen verbirgt sich nicht nur Schalkes Fußball-Boss, sondern auch Deutschlands größter Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück, Westfalen. Es ist ein Ort der Stromstöße, des Ausblutens und des Zerlegens. Ein Ort des massenhaften Todes: Bis zu 25.000 Schweine werden dort geschlachtet – täglich. Ein lukratives Geschäft. Im Schnitt isst jeder Deutsche mehr als 88 Kilo Fleisch pro Jahr, mehr als 34 Kilo davon kommen von Schweinen. Rechnet man Babys und Vegetarier heraus, sind es pro Kopf noch mehr. Im vergangenen Jahr haben die Bundesbürger fast 60 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde verspeist. Die wenigsten davon waren glückliche Tiere auf grünen Auen. Es sind Lebewesen, die in engen Ställen gehalten und so gemästet werden, dass sie am richtigen Tag das optimale Gewicht auf die Rippen bringen. Der richtige Tag ist der, an dem die Stromzange oder das Gas kommt. Auch in Rheda-Wiedenbrück, jeden Tag bis zu 25.000 Mal: betäuben, ersticken, tot. Dann aufhängen, abbrühen, zerteilen. Wer diese Arbeit verrichtet, macht einen Knochenjob. Erst Hitze. Dann Kälte. Das Kreischen der Sägen. Der Geruch toter Tiere.

Aber nun bleibt die Schlachtbank leer. Mindestens 657 Mitarbeiter haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Das Gesundheitsamt hat den Betrieb eilig abgeriegelt, der Landkreis Gütersloh hat alle Schulen und Kitas geschlossen, mehr als 7.000 Menschen stehen unter Quarantäne. Von einem Tag auf den anderen klafft ein riesiges Loch in Deutschlands Lebensmittelversorgung: Plötzlich fehlen viele Fleischprodukte.

Ist das ein Problem? Nein, das ist eine Chance. Erstens für die Firma Tönnies und zweitens für uns alle. Das Unternehmen sollte seine Produktionsabläufe einer kritischen Prüfung unterziehen. Erst im März hat ein Video für Aufregung gesorgt, das den mangelnden Corona-Schutz in der Fabrik entlarvte. Tönnies besserte eilig nach, aber dass eine Massenschlachterei nicht von heute auf morgen zum Musterbetrieb wird, liegt auf der Hand. Die Fleischindustrie wehrt sich vehement gegen die strengeren Auflagen der Bundesregierung.

Vor allem aber ist der jüngste Corona-Ausbruch eine Chance für uns alle: Er führt uns vor Augen, wie zynisch die Massenproduktion von Fleisch ist. Wer kein Vegetarier ist oder ausschließlich auf Bioprodukte setzt, der kann den Fall in Westfalen doch einfach mal zum Anlass nehmen, seinen eigenen Konsum kritisch zu hinterfragen: Muss wirklich täglich totes Tier auf den Teller? Klar, Salami, Schinken und Filet sind lecker, für ein saftiges Entrecôte fahre ich durch die halbe Stadt. Aber gesund sind sie nicht. Vor allem rotes Fleisch befördert Krankheiten: von Krebs bis Schlaganfall, von Diabetes bis Alzheimer. Wissenschaftler haben belegt: Wer ganz oder teilweise auf Fleisch verzichtet, der lebt gesünder, ist schlanker, riecht besser und entwickelt angeblich sogar mehr Empathie. Auch dem Klima hilft er.

Nein, niemand muss von heute auf morgen gänzlich dem Genuss entsagen. Aber Maßhalten, das kann jeder. So verlöre Fleisch vielleicht seinen unangenehmen Beigeschmack.


Straßen können nicht nur verbinden. Sie können auch überraschen. Gut 60 Jahre ist es her, dass eine indische Patrouille die fernen Hochebenen im Norden des Himalaya durchstreifte – und auf eine Fahrbahn stieß, die dort nicht sein sollte. Unbemerkt hatte der Nachbar China einen staubigen, aber strategisch wichtigen Highway durch das leere Land gebaut. Vier Jahre köchelte der Konflikt um die Region vor sich hin, bis die beiden aufstrebenden Mächte sich in einem kurzen, heftigen Krieg ineinander verkeilten. Indiens Streitkräfte gerieten an den Rand des Zusammenbruchs. Die Chinesen behielten ihre Straße und das weite Land um sie herum. Lange ist es her.

Ebendort, im fernen Nirgendwo, meldet das indische Militär nun 20 getötete Soldaten. Steine werfend, mit Fäusten und Schlagstöcken prügelnd sind chinesische und indische Truppen aufeinander losgegangen. Die ersten indischen Opfer wurden schnell bestätigt, 17 weitere blieben verletzt auf dem Schlachtfeld zurück und überlebten die nächtliche Eiseskälte nicht. Die chinesische Seite schweigt sich über eigene Tote und Verletzte aus. Die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Erde, jeder eine Nuklearmacht, sind unversehens in einen gefährlichen Grenzkonflikt geschlittert.

In Delhi muss Premierminister Modi nun rasch eine Antwort auf den Angriff finden, die seine aufgebrachten Anhänger beruhigt. Bis dahin fangen Indiens Streitkräfte mit dem Beruhigen schon mal an: In ihren Verlautbarungen verweisen sie eilfertig auf die schlimmen Minusgrade, und Schüsse seien auch keine gefallen. Sowieso hätten die Chinesen noch mehr Opfer zu beklagen als man selbst. Das Kleinreden hat einen Grund: Eine Eskalation des Konflikts kann Indien nicht gebrauchen. Im Kräftemessen mit dem globalen Muskelprotz von nebenan kann Indien ebenso wenig mithalten wie vor 60 Jahren.

Wie konnte die Situation dermaßen aus dem Ruder laufen? Obendrein in einer Region, in der zwar kaum Menschen zu finden sind, aber die heftig umstrittenen Grenzen der Atommächte China, Indien und Pakistan aufeinandertreffen? Mehrfach sind in den vergangenen Wochen Soldaten der Volksbefreiungsarmee und der indischen Streitkräfte aufeinander losgegangen, mal in der Wildnis des Dreiländerecks, mal auf einem Grenzpass. Bei den Prügeleien mag militärisches Macho-Gehabe durchaus eine Rolle gespielt haben. Wir kennen das auch aus unseren Breiten: Über der Ostsee duellieren sich russische Jets mit denen der Nato in riskanten Flugmanövern, über der Ägäis verstricken sich griechische und türkische Piloten in gefährliche Hahnenkämpfe. Nicht immer gehen solche Muskelspiele glimpflich aus, wie man nun im Himalaya sieht.

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Die größere Gefahr jedoch geht von der strategischen Konkurrenz aus, die hinter den Gewaltausbrüchen steckt. Indiens Chefpopulist Modi bedient seine Fans mit einem aggressiven Hindu-Nationalismus. In der Grenzregion hat er den indischen Einfluss ausgebaut, seine Parteifreunde beanspruchen lautstark auch noch ein Territorium jenseits der Demarkationslinie mit Pakistan – den chinesischen Handelskorridor, der durch Pakistan zum Meer führt, inklusive. Noch mehr erzürnt hat Peking ein Straßenbauprojekt, mit dem ein bisher isolierter Außenposten der indischen Luftwaffe angebunden wird, direkt vor der Nase der Chinesen. Seitdem ist Schluss mit lustig. Als Militärmanöver getarnt, fluteten Tausende chinesische Soldaten in das leere Land und rückten an die neue Straße heran. Treffen sie auf indische Patrouillen, fliegen die Fäuste: Bis hierher und nicht weiter, lautet die Botschaft aus Peking. Niemand baut hier eine Straße. Nur wir.

Bisher konnte man die Schlägereien im Himalaya als Absurdität am anderen Ende der Welt abtun. Doch nun offenbaren die Toten die wahre Härte der Auseinandersetzung. Ohne mit der Wimper zu zucken, geht Chinas Präsident Xi militärisch auf Konfrontation mit der Atommacht von nebenan. Der Schuss aus einer Waffe hätte nur unnötig Wellen geschlagen, stattdessen wird das Territorium prügelnd abgesteckt. Es gehört zu Xis Handschrift, das Maß seiner Brutalität passgenau auf den Zweck zuzuschneiden. Man kann das taktisch geschickt finden oder ruchlos. Vor allem aber ist es erhellend, auch für uns: China kann ein Partner sein. Aber nur im Ring.


WAS STEHT AN?

Bundeskanzlerin Angela Merkel erläutert heute in einer Regierungserklärung im Bundestag ihre Agenda für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli.

Der Europäische Gerichtshof spricht sein Urteil zum ungarischen NGO-Gesetz. Es geht um den freien Kapitalverkehr und die Prinzipien der EU-Grundrechte-Charta.

Ein Jahr nach dem Totalschaden der Pkw-Maut vernimmt der Untersuchungsausschuss drei Beamte aus Andreas Scheuers Bundesschaden-, Pardon, -verkehrsministerium.

Die Kultusminister der Länder beraten über die aktuelle Corona-Lage. Was schon feststeht: Nach den Sommerferien geht der Schulbetrieb bundesweit wieder normal los.


WAS LESEN?

Die Corona-App ist erfolgreich, schon mehr als sechs Millionen Menschen haben sie heruntergeladen. Andere würden gern, können aber nicht, weil die App die neueste Version des Smartphone-Betriebssystems verlangt. Ältere Geräte werden nicht unterstützt. Auch uns erreichen deshalb viele Zuschriften verunsicherter Leser, von denen meine Kollegin Laura Stresing berichtet. Müssen alle diese Leute nun also neue Smartphones kaufen – was hat sich die Regierung dabei gedacht? Mein Kollege Jan Mölleken klärt Sie auf.


Aggressive Stimmung, Polizisten in Zivil, genervte Nachbarn: Nach dem Corona-Ausbruch in Berlin-Neukölln stehen mehrere Wohnblocks unter Quarantäne. Doch halten sich die Bewohner wirklich an die Regeln? Meine Kollegin Melanie Muschong hat sich vor Ort einen Eindruck verschafft – und wurde beschimpft.


Er fragte, ob Finnland zu Russland gehöre, er wusste nicht, dass Großbritannien eine Atommacht ist, und er flehte Chinas Präsidenten an, ihm bei der Wiederwahl zu helfen: Das Bild, das John Bolton von Donald Trump zeichnet, gleicht einer Karikatur. Mit dem Unterschied, dass sie ein Abbild der Realität sein soll. Der ehemalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten hat ein Enthüllungsbuch geschrieben. Welche haarsträubenden Details darinstehen, erklärt Ihnen unser Korrespondent Fabian Reinbold.


Von Bündnissen und Partnern hält Herr Trump eher wenig. Alte Freundschaften gelten ihm nicht viel, Vertrauen noch weniger. So stößt er ein ums andere Mal Amerikas Freunde vor den Kopf, nun hat er es wieder getan: Der angekündigte (oder angedrohte, so genau weiß man das bei ihm nie) Truppen-Teilabzug aus Deutschland ist allerdings mehr als nur ein Kostenpunkt im Haushaltsplan. Mit Anlauf verspielen die Vereinigten Staaten das über Jahrzehnte gewachsene Vertrauen. Die Nato steht vor der Frage, was denn wäre, wenn auf die USA wirklich kein Verlass mehr ist. Schon der Zweifel schwächt das Bündnis, China und Russland freut's, analysieren meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Fabian Reinbold.


Erinnern Sie sich noch an die Fernsehauftritte des kranken Guido Westerwelle? Hinter ihm lag eine Stammzelltransplantation, vor ihm lagen Hoffen und Bangen, als er im Jahr 2015 bei Günther Jauch und Markus Lanz über den Kampf mit seinem größten Gegner sprach: der Leukämie. Damals hatte der FDP-Politiker nicht mehr lange zu leben, aber seine Auftritte wirken bis heute nach: Die größte Organisation zur Suche nach Stammzellenspendern hat meinem Kollegen Lars Wienand vorgerechnet: "Guido Westerwelle hat 80 Menschen eine zweite Lebenschance geschenkt".


WAS AMÜSIERT MICH?

Es geht doch nichts über einen guten Freund!

Ich wünsche Ihnen viele gute Freunde an diesem schönen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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