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Corona-Pandemie: Die Gefahr der zweiten Welle – Albtraum nach dem Schrecken


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Die Gefahr der zweiten Welle

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 09.04.2020Lesedauer: 7 Min.
Ein schwer an Covid-19 erkrankter Patient aus Frankreich wird auf dem Flughafen Dresden aus einem Nato-Helikopter getragen.Vergrößern des Bildes
Ein schwer an Covid-19 erkrankter Patient aus Frankreich wird auf dem Flughafen Dresden aus einem Nato-Helikopter getragen. (Quelle: Robert Michael/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Der Schrecken unserer Tage hat die Form eines Kamelrückens: ein Höcker – ein Tal – ein zweiter Höcker. Geschwungen wie die Silhouette des Wüstentiers: So steigen die Krankenzahlen in der epidemischen Welle von Covid-19 an. Gebannt schauen Politiker, Wirtschaftslenker und alle der Ausgangssperre Überdrüssigen auf die herbeigesehnte, nun endlich einsetzende Abflachung der Kurve. "Die tiefgreifenden Einschränkungen im alltäglichen Leben zeigen offenbar die erhoffte Wirkung", schreiben Forscher der Max-Planck-Gesellschaft in einer neuen Studie. In Deutschland geben die täglichen Fallzahlen Grund zum Optimismus." Die seit dem 22. März geltenden Ausgangsbeschränkungen zeigen die erhoffte Wirkung. "Den Modellrechnungen zufolge sollten die Fallzahlen in etwa zehn Tagen so gering sein, dass die Kontaktsperre gelockert werden könnte", frohlocken die Wissenschaftler.

Anderswo ist man schon weiter, zum Beispiel in Österreich, wo die Neuinfektionen so erfreulich zurückgehen, dass man auf der abfallenden Seite des Kamelhöckers elegant zur Normalität zurückgleitet. Sogleich hat Kanzler Kurz bessere Zeiten für die Bürger angekündigt: Zurückfahren werde man die drastischen Schließungen der Geschäfte, lockern werde man die Regeln, auffi wird‘s wieder gehen im Wirtschaftsleben.

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Die Diskussion in Deutschland, wann es denn nun endlich was wird mit der Exit-Strategie, nimmt durch die Simulationen der Wissenschaftler und die Pläne der Österreicher weiter Fahrt auf, die Debatte breitet sich schneller aus als das Virus selbst. Die Ungeduld, wieder ungehemmt nach draußen und unter die Leute zu kommen, ist schon vor dem Osterspaziergang allerorten spürbar. Geschäfte leiden, Firmen ächzen, Wünsche wachsen. Wenn die Zuwachsrate der Infektionen nun endlich sinkt, ist es dann nicht höchste Zeit, den Laden wieder aufzumachen? Ja, gut, ein paar Vorsichtsmaßnahmen hier, ein bisschen Abstand halten da, man ist ja einsichtig – aber dann: Ran an die Buletten! Oder?

Bevor wir die Frage mit einem allzu beherzten Ja beantworten und vom ersten Kamelhöcker mit gar zu viel Schwung hinuntergleiten, sollten wir den zweiten Höcker etwas genauer zu betrachten. Denn der ist ein alter Bekannter aus vergangenen Epidemien: Die verfrühte Lockerung, die übereilte Rückkehr zum normalen Leben zieht die zweite Welle der Erkrankungen nach sich. Eine, die oft schlimmer und tödlicher verläuft als die erste. Es ist der Albtraum nach dem Schrecken. Auch in China weiß man das, weshalb die Kontaktsperre in Wuhan nun stellenweise wieder verschärft wird. Aber auch hierzulande sind die Bedingungen für einen solchen zweiten Anstieg leider ideal: Die Maßnahmen gegen Covid-19 beginnen zu greifen, während es draußen sonnig und warm wird – was das Virus zwar nicht stoppt, aber womöglich behindert. Das Ergebnis unserer Bemühungen im Kampf gegen den Erreger fällt dadurch umso eindrucksvoller aus – scheinbar: Das Leben ist schön. Es kehrt in seine normalen Bahnen zurück. Wir wiegen uns in Sicherheit. Dann kommt der Herbst. Und das Virus wütet aufs Neue. Das wäre der Preis für zu viel Normalität. Aber ist nicht wenigstens ein wenig Normalität möglich? Was genau ist eigentlich zu viel?

Inzwischen haben wir mit Covid-19 unsere Erfahrungen gemacht. Wir haben gelernt, wie schwer es ist, der Ausbreitung des Erregers mit maßvoll dosierten Maßnahmen Herr zu werden. Zwei Strategien haben sich bisher in der Praxis (also nicht allein in Rechenmodellen, die mit Annahmen nur so gespickt sind) als tragfähig erwiesen: erstens das sofortige Hineingrätschen in beginnende Infektionsketten, auf der Basis umfassender Überwachung, großflächiger Tests und sofortiger Isolierung aller Kontaktpersonen eines Infizierten. Zweitens die drakonische Ausgangssperre. Das blitzschnell geführte Skalpell gleich zu Beginn – oder die große Keule danach. Strategien zwischen diesen Extremen, die sich im Einsatz bewiesen hätten: Fehlanzeige.

Die erste Lehre daraus lautet: Erst, wenn Covid-19 in Deutschland nicht nur zurückgedrängt, sondern wirklich besiegt ist, können wir darüber nachdenken, die Zügel richtig locker zu lassen. Erst, wenn wir uns die Chance auf einen Neuanfang erarbeitet haben und der Epidemie gegenüberstehen wie fast am ersten Tag. Nur dass wir für die zweite Runde besser vorbereitet sein müssen. Denn das ist die zweite Lehre: Ohne schnelle Kontaktverfolgung lässt sich eine erneute Ausbreitung des Coronavirus nicht aufhalten. Das zeigen die Erfahrungen in Taiwan, Südkorea und Singapur, die nun auch theoretisch unterfüttert sind. Ob wir aus dem beschränkten ins pralle Leben zurückkehren dürfen, entscheidet sich also nicht nur an Fallzahlen, Verdopplungszeiten und anderen Eckdaten der epidemischen Ausbreitung. Sondern auch am Zustand unseres Instrumentariums zur Früherkennung. Eines komplexen, technologiebasierten Systems, von dessen Notwendigkeit wir vor kurzem noch nicht einmal etwas ahnten.

Brandneue Technologien sind also nötig, in großer Breite eingeführt. Auch darüber wissen wir schon allerlei. Zum Beispiel, dass es nicht genügt, sie zu entwickeln und los geht's. Kein komplexes System läuft von Beginn an rund. Nicht die Lkw-Maut, nicht die elektronische Gesundheitskarte, nicht der digitale Polizeifunk. Und auch nicht die umfassende soziale Kontrolle per Smartphone-App, die rigorose und flächendeckende Kontaktverfolgung, die Isolation von Infizierten im Expresstempo – Maßnahmen übrigens, die uns unter normalen Umständen Schauer über den Rücken laufen lassen. Wenigstens einen rudimentären Schutz unserer Daten braucht es also auch noch. Schon allein, damit die breite Mehrheit der Bevölkerung bereitwillig mitmacht, statt sich mit Grausen abzuwenden.

Erst wenn das notwendige Instrumentarium nicht nur eingeführt ist, sondern sich auch in der Praxis bewiesen und die Kinderkrankheiten hinter sich gebracht hat, ist die Rückkehr zu einem sozialen Leben denkbar, das dem früheren (Sie wissen schon: die gute alte Zeit vor zwei Monaten) immerhin ähnelt. Das räumen auch die Forscher des Max-Planck-Instituts ein: "Wenn jetzt die Beschränkungen aufgehoben werden, sind wir wieder ganz am Anfang." Denkbar ist also nur ein langsames, vorsichtiges Zurückschrauben der Regeln.

Was jetzt hingegen nicht hilft: sofortige Exit-Strategien zu beschwören, Normalität herbeizureden, mit dem Verweis auf wirtschaftliches Dies und gesellschaftliches Das den Druck immer weiter zu erhöhen. Ja, wir alle wollen raus aus dieser Situation. Aber das Kamel hat zwei Höcker. Mit Glück haben wir es bald auf den ersten geschafft. Knallen wir bitte nicht auch noch vor den zweiten.

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WAS STEHT AN?

Man darf das aber natürlich auch sportlicher sehen und sich Gedanken über die Frage machen, wann wir in unseren gewohnten Alltag zurückkehren können. Christian Lindner tut das – und er hat klare Vorstellungen, die er meinem Kollegen Tim Kummert und mir im Interview verraten hat: "In den Wochen nach Ostern sollten die Schulen und Kitas wieder aufgemacht werden. Allein schon wegen der Eltern, die ja in das gesellschaftliche Leben und in die Wirtschaft zurückkehren sollen", fordert der FDP-Chef." Im Handel sollten beispielsweise Möglichkeiten zur Desinfektion bestehen, die Beschäftigten sollten Schutzmasken tragen, vielleicht wird es eine maximale Zahl von Menschen pro Fläche geben." Lindner weiter: "Doch darüber darf die Bundesregierung nicht erst am 21. April nachdenken, das muss sie deutlich früher tun! Man kann sehr schnell ein Land von Tempo 100 auf Tempo 15 runterfahren, aber von Tempo 15 auf Tempo 85 wieder rauf, das ist deutlich schwieriger. Und das muss daher gut geplant sein."

Der Chef-Liberale kritisiert Bundeskanzlerin Merkel, weil sie bislang keinen Weg aus dem "Lockdown" skizziert habe: "Das halte ich für falsch. Wir müssen jetzt Wege suchen, wie schnellstmöglich wieder das öffentliche Leben in Deutschland stattfinden kann." Und er hat auch eine Idee, wer darüber mitentscheiden soll: Die Bundesregierung solle nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens einen Expertenrat einberufen, der konkrete Empfehlungen für eine Lockerung der Maßnahmen geben könne. Das sei besser, als sich auf das Robert-Koch-Institut zu verlassen, denn: "Die Auffassungen der Virologen unterscheiden sich teilweise gründlich, und viele mussten bereits frühere Aussagen revidieren. Das lehrt doch, dass es unklug ist, sich allein auf eine Meinung zu verlassen." Obwohl wir nur per Videoschalte sprechen konnten, ist es ein interessantes Gespräch geworden finde ich. Hier können Sie es lesen.


Weltweit suchen Wissenschaftler fieberhaft nach Medikamenten gegen Covid-19. Vor allem vier sind momentan im Gespräch. Doch die Biologen Stefan Pöhlmann und Markus Hoffmann warnen in unserem Podcast "Tonspur Wissen": Vieles über das Coronavirus ist noch unbekannt. "Bis Erfolgsmeldungen im Patienten möglich sind, wird es sicherlich noch eine ganze Zeit lang dauern", glaubt Professor Pöhlmann. "Sie sollten nicht bei jeder Nachricht sofort in Freudentänze verfallen. Wissenschaft braucht Zeit, bis Bestätigung und Sicherheit besteht", sekundiert Dr. Hoffmann. Das Medikament Remdesivir hält Pöhlmann im Kampf gegen das neue Coronavirus für am vielversprechendsten. "Bei Chloroquin wäre ich etwas zurückhaltender, denn da ist bekannt, dass bei Überdosierung relativ rasch toxische Effekte auftreten können." Wenn Sie genauer wissen wollen, wie man die teuflische Krankheit behandeln kann, hören Sie bitte hier hinein.


WAS LESEN?

Apropos Medikamente gegen Covid-19: Warum schwärmt Donald Trump eigentlich in fast jeder Pressekonferenz von einer bestimmten Arznei, deren Wirkung und Risiken völlig unklar sind? Unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold ist der Sache nachgegangen.


Hierzulande ist das Vertrauen der Bürger in die Bundesregierung derzeit so groß wie selten zuvor. Unser politisches System erweist sich auch in der tiefen Krise als handlungsfähig, und das macht Mut – auch für die Zeit nach dem Virus, findet mein Kollege Patrick Diekmann.


Masken sollen vor Infektionen durch das Coronavirus schützen – doch sie sind Mangelware. Technikenthusiasten wollen aushelfen: Mit 3D-Druckern produzieren sie Gesichtsschilder, die sie an Kliniken und Ärzte verteilen. Wie das abläuft, hat sich mein Kollege Ali Roodsari erklären lassen.


Apropos Masken: Wie kann man eigentlich feststellen, welche etwas taugen und welche nicht? Manche Leute haben ihre eigene Methode.


Ein großes Ramadan-Fest mitten in der Corona-Krise? Mit diesem Gerücht machen Fieslinge im Internet Stimmung gegen Muslime. Unser Rechercheur Lars Wienand kann die Sache aufklären.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ja, wir alle sehnen uns nach Normalität…

Ich wünsche Ihnen einen halbwegs normalen Tag. Na ja, soweit das eben geht. Und morgen einen besinnlichen Karfreitag. Am Samstag hören Sie uns wieder: Mein lieber Kollege Marc Krüger und ich werden wieder aus unseren "Heimstudios" senden.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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