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Donald Trump schickt seinen Diener: US-Außenminister Pompeo in Deutschland


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Trump schickt uns seinen Diener

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.11.2019Lesedauer: 7 Min.
Mike Pompeo macht, was Donald Trump will.Vergrößern des Bildes
Mike Pompeo macht, was Donald Trump will. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Halbzeit. Da kommt die Mannschaft in die Kabine, atmet durch, erfrischt sich, legt die müden Beine hoch. Der Trainer tritt vors Team, herhören, Leute, da geht noch mehr, jetzt aber mal richtig loslegen, hinten dicht halten, Attacken nach vorne, die Flügelstürmer nicht zu weit nach links oder rechts laufen, alles auf die Mitte, wir wollen hier siegen, also reißt euch zusammen und dann los! Ein guter Trainer kann ein Team in der Halbzeitpause so motivieren, dass es selbst nach einer verkorksten ersten Hälfte noch den Sieg erkämpft. Legendär sind Jürgen Klinsmanns Kabinenpredigten während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Wer so mitgerissen wird, der kann gar nicht anders, als Högschdleistung abzuliefern.

Ach, würde sich doch die Teamchefin der großen Koalition ein Vorbild am Jürgen nehmen, und sei es nur für einen Moment. Selten war ein politischer Weckruf so nötig wie heute. Deutschland verschläft die Digitalisierung, vertrödelt den Klimaschutz, irrlichtert durch die Weltpolitik, hat keine Idee für die Zukunft der EU, kuscht vor Erdogan, Trump und Xi, schaut staunend zu, wie die Gesellschaft auseinanderdriftet, tut sich schwer mit der Integration von Migranten, lässt sich von Digitalkonzernen auf der Nase herumtanzen, überfrachtet die Unternehmen mit Bürokratie, gibt sich bei Energiewende und E-Mobilität mit wohlklingenden Ankündigungen und mickrigen Ergebnissen zufrieden, schafft es im Jahr 2019 immer noch nicht, ein einfaches, gerechtes und transparentes Steuersystem durchzusetzen, die Aufzählung der Versäumnisse ließe sich fortsetzen.

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Wo ist der große Wurf, wo ist die politische Vision für dieses wunderbare Land, von der sich Lösungsvorschläge für die vielen Probleme ableiten lassen? Wo ist der Plan, wie Deutschland in 10, 15, 20 Jahren aussehen soll? Wo ist die politische Autorität, die auf der Basis demokratischer, rechtsstaatlicher und kultureller Werte klare Ansagen macht, Grenzen nach links und nach rechts zieht und die Mitte stärkt, wo ist eine Person, die wirklich führt? In der Bundesregierung suchen wir diese Autorität ebenso vergebens wie in den sie tragenden Parteien. Aus dem Kanzleramt hören wir zu oft dröhnendes Schweigen, während uns aus CDU und SPD aufgeregtes Geschnatter entgegenschallt. Klarheit? Fehlt. Die Teamchefin treibt ihre Mannschaft nicht an, allzu viele Spieler rennen kopflos über den Platz, sprinten mal weit nach links und mal weit nach rechts, aber das Tor finden sie nur noch selten.

Genug der Metaphern, zurück in die Realität. Dort hat die große Koalition gerade ihre Halbzeitbilanz vorgelegt: 83 Seiten, viele schöne Worte, viel Selbstlob. Der zentrale Satz: Wir haben "viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun". Übersetzung: Wir sind eine prima Regierung; so prima, dass wir unbedingt weitermachen müssen! "Die Bestandsaufnahme ist eine Wohlfühl-Bilanz für die große Koalition", urteilt dagegen unser Politikreporter Johannes Bebermeier, der sich durch die 83 Seiten gekämpft hat. "Das Dokument wurde in zweifacher Hinsicht an der Wirklichkeit vorbeiformuliert: an der Wirklichkeit in der großen Koalition – und an der Lebenswirklichkeit." Formal mag sich die Groko an vielen Punkten des Koalitionsvertrags abgearbeitet haben – aber dass daraus wirklich effektive, langfristig tragfähige Lösungen entstanden wären, ist in vielen Fällen nicht zu erkennen. Vom Wohnen und Bauen über den Klimaschutz und Europa bis zu den Steuern und der Grundrente: überall mehr Frage- als Ausrufezeichen.

Selbst wenn wir anerkennen, dass Regierungshandeln immer kompliziert und zäh ist, selbst wenn wir Angela Merkels dritter großer Koalition zugestehen, dass sie nur ein Zweckbündnis ist, selbst wenn wir uns allergrößte Mühe geben, nicht immer nur Schatten, sondern auch das Licht zu sehen, bleibt unterm Strich doch festzustellen: Für das stärkste Land Europas, das über mehr Möglichkeiten, Steuergeld und Einfluss verfügt als je zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik, ist diese Bilanz viel zu mager.

Was würde Jürgen Klinsmann sagen? "Hier macht jetzt jeder sofort seinen Job!", würde er sagen. "Und wenn einer meint, er könne es locker angehen lassen, dann ist der nach 20 Minuten vom Platz! Da draußen sind mehr als 80 Millionen Menschen, die erwarten, dass ihr für sie kämpft! Also gebbet jetzt alles, los!" Das würde er rufen, der Jürgen, und sämtliche Spieler – egal, ob Innenverteidiger, Stürmer oder Ersatztorwart – würden sich unterhaken und verdammt noch mal alles geben, um das Land, Pardon: das Team voranzubringen. Sonst kommt nämlich die Auswechslung schneller, als ihnen lieb ist.


WAS STEHT AN?

Die große Koalition kriegt zu wenig hin? Immerhin in der Gesundheitspolitik kommt sie voran. Heute beschließt der Bundestag die Erstattung von Gesundheits-Apps auf Rezept, die Reform des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und gibt mehr Geld für die Pflege. Dem Jürgen würd’s wohl gefallen.


Der amerikanische Außenminister Mike Pompeo ist ein religiöser Mensch. Ein evangelikaler Christ, der gerne eine geöffnete Bibel auf dem Tisch liegen hat. Als solcher hat er mit dem Pontifex Maximus, dem päpstlichen "großen Brückenbauer" von der katholischen Konkurrenz, allerdings nicht viel am Hut. Der Herr, dem Pompeo im irdischen Jammertal mit völliger Ergebenheit dient, heißt Donald Trump, und der baut keine Brücken, sondern Mauern.

Heute kommt Herr Pompeo nach Deutschland. Ausgerechnet, um an den Feierlichkeiten zum Mauerfall teilzunehmen. Ironie des Schicksals? Lästige Pflicht? Keine Sorge. Einer wie Pompeo braucht im Niederreißen einer tödlichen Grenze kein Fest der Liebe zu erblicken. Schließlich kann man genauso gut einen glorreichen Sieg über den Feind bejubeln, die elenden Kommunisten. Ein historischer Beweis amerikanischer Größe. America first. Nein, Mike Pompeos Weltbild ist bei diesen Feierlichkeiten nicht in Gefahr.

Im Gepäck hat der oberste Diplomat, der meist alles andere als diplomatisch auftritt, ein paar handfeste Interessen. Kommen wir also zum Geschäft. Die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland gefällt seinem Chef zum Beispiel überhaupt nicht. Gerne wird da die gefährliche Abhängigkeit der Deutschen von russischen Energielieferungen angeprangert – als ob sich Herr Trump und seine Leute um irgendwelche Gefahren für uns Deutsche sorgen würden. Jedenfalls ist diese Pipeline ganz doll schlimm, sagen Herr Trump und Herr Pompeo. Muss weg. Aber das benötigte Gas, wo soll das bloß herkommen? Da hätten unsere amerikanischen Partner übrigens eine interessante Idee: Flüssiggas, made in USA. Unter Donald Trump, mehr als unter jedem anderen US-Präsidenten bisher, ist Außenpolitik vor allem eines: ein lukratives Business.

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Es gibt also einiges zu verhandeln am Rande der Feier. Auch über Huawei wird man reden, also über den gefährlichen Einfluss der Chinesen beim Aufbau des Mobilfunknetzes der nächsten Generation, wofür man doch genauso gut amerikanische Produkte verwenden könnte! Von deutscher Seite steht das Open-Skies-Abkommen ganz oben auf der Tagesordnung: ein Vertrag, der den Himmel für militärische Kontrollflüge über dem Territorium des potenziellen Gegners öffnet – Nato-Jets über Russland und russische Jets über Nato-Gebiet. Eine vertrauensbildende Maßnahme sollte das sein, ein Brückenbau in der Luft, Spannungsabbau, Kooperation ... ja, Sie sehen es vielleicht schon kommen: Präsident Trump erwägt, das Abkommen zu versenken. Darüber sollte man dringend noch mal reden.

Aber wie verhandelt man mit Leuten, die nur ein Sprachrohr sind? Herr Pompeo versteht sich als treuer Diener seines Herrn. Er sagt, was Trump gefällt, er schimpft auf jene, über die der Präsident auf Twitter herfällt. Er scharwenzelt. "Rückgratloser Schleimbeutel" wäre noch eine höfliche Betitelung im Vergleich zu dem, was aus Pompeos Ministerium über die unterwürfige Haltung des Außenministers gegenüber seinem Präsidenten zu hören ist. Das US-Magazin "New Yorker" zitiert einen hochrangigen Diplomaten mit einem Ausdruck, den ich hier am frühen Morgen leider nicht wiedergeben kann. Herrn Pompeos deutsche Gesprächspartner werden sich heute mit einem Emissär herumschlagen müssen, der nur der verlängerte Arm des wild herumfuchtelnden US-Präsidenten ist. Jemand, mit dem man reden und argumentieren kann – und der trotzdem der nächsten Spontanidee seines Chefs bedingungslos folgen wird. Was kann man da erreichen? Was ist das Ziel? Nun, feiern wir erst einmal zusammen, dass eine Mauer überwunden ist. Aber dann müssen wir dringend eine neue, extralange Brücke bauen. Den ganzen Weg über den Atlantik.


Apropos Distanzen: Falls Sie heute mit der Lufthansa reisen wollen, bleiben Sie lieber gleich zu Hause. Die Flugbegleiter streiken bundesweit. Falls Sie mit einer LH-Tochter wie zum Beispiel Eurowings abzuheben gedachten, schauen Sie am besten hier hinein.


In Thüringen gibt der Landeswahlleiter heute das endgültige Ergebnis der Landtagswahl bekannt. Dann klärt sich, ob die FDP im Parlament vertreten ist und mit ein bisschen gutem Willen doch noch eine dunkelrot-rot-grüne Minderheitsregierung möglich wäre. Oder eine schwarz-rot-grün-gelbe Minderheitsregierung. Oder eine dunkelrot-rot-gelb-grün … ach, es ist kompliziert.


DIE GUTE NACHRICHT

Die Bundesregierung hat endlich das Plastiktütenverbot beschlossen. Kleine Maßnahme, große Lehre: Wenn kollektives Verantwortungsbewusstsein in öffentlichen Druck auf die Regierenden mündet, geht es in diesem Land voran. Auch das würde dem Jürgen wohl gefallen.


WAS LESEN?

Quantencomputer sollen binnen Minuten Problemlösungen berechnen, für die gewöhnliche Rechner Jahrtausende bräuchten. Google hat so eine Maschine präsentiert. Nun schlagen Experten Alarm: Solche Supercomputer könnten sämtliche Verschlüsselungsmethoden knacken und Geheimdiensten, aber auch Hackern Zugriff auf unsere privatesten Daten geben. Sind sie also Fluch oder Segen? Mein Kollege Ali Vahid Roodsari hat einen gefragt, der es wissen muss.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ha, des fänd dr Jürgen jedzd abr gar ned guad!

I wünsch Ihne oin dodaal dynamische Dag! Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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