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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte im Gespräch Warum Quantencomputer uns keine Angst machen sollten
Quantencomputer sollen Probleme lösen können, an denen klassische Rechner scheitern. Doch welche sind das überhaupt? Und bedeuten Quantencomputer wirklich das Ende für Verschlüsselungstechnologien? Ein Experte klärt auf.
Google will etwas geschafft haben, an dem viele Forscher seit Jahrzehnten arbeiten – und verzweifeln: Der Internetriese behauptet, die Quantenüberlegenheit erreicht zu haben. Das schreibt Google in einem Wissenschaftspapier von 23. Oktober.
Der Zustand der Quantenüberlegenheit soll erreicht sein, wenn einem Quantencomputer etwas gelingt, woran klassische Rechner scheitern. Im Falle Googles soll ihr Quantenrechner eine Testaufgabe innerhalb von 200 Sekunden gelöst haben – ein Supercomputer hätte dafür laut Google etwa 10.000 Jahre gebraucht. Mehr zur Funktionsweise von Quantencomputern lesen Sie hier.
Nicht nur Unternehmen sind an Quantencomputern interessiert. Auch Geheimdienste wie die NSA sollen an den Rechnern arbeiten. Der Grund: Mit Quantencomputern sollen sich gängige Verschlüsselungen innerhalb kürzester Zeit knacken lassen. Ob das wirklich der Fall ist, wofür Quantencomputer noch geeignet sind und welchen Platz Europa im Wettlauf um die Rechner der Zukunft belegt, erklärt Frank Wilhelm-Mauch, theoretischer Physiker und Experte für Quantencomputer an der Universität des Saarlandes.
t-online.de: Herr Wilhelm-Mauch, Quantencomputer sollen gängige Verschlüsselungsmethoden innerhalb kürzester Zeit knacken können. 2014 haben Sie und Kollegen in einer Pressemeldung noch behauptet, dass wir nichts zu befürchten haben, die Technologie sei noch zu unausgereift dafür. Bedeutet Googles Durchbruch das Ende unserer Geheimnisse?
Im Prinzip lassen sich Verschlüsselungen auch heute knacken. Aber die nötigen Berechnungen dauern sehr lange. Und: Wenn ein Computer mal in die Nähe kommt, eine Verschlüsselung innerhalb kürzester Zeit zu knacken, können Verschlüsseler einfach einen etwas längeren Schlüssel verwenden. Dann dauert das Ganze tausende, ja sogar vielleicht Millionen Monate länger. Das heißt: Den Wettlauf zwischen Verschlüsseler und Entschlüsseler gewinnen immer die Verschlüsseler.
Aber mit Quantencomputer ändert sich das?
Hierzu muss man auch wissen, wie sich die gängige Verschlüsselungsmethode – das RSA-Verfahren – knacken lässt. Dazu nimmt man eine ganze Zahl und zerlegt sie in Primfaktoren. Wenn die Zahl jetzt 2.000 Stellen hat, ist das auch mit den besten Algorithmen sehr aufwendig zu knacken. Solche Algorithmen gibt es auch für Quantencomputer und es ist bewiesen, dass sie funktionieren. Quantencomputer können das RSA-Verfahren also im Prinzip entschlüsseln – und das schneller als ein klassischer Rechner. Jedoch brauchen Sie dazu einen Quantencomputer mit einer enorm geringen Fehlerrate. Bei Googles Experiment lag die Fehlerrate beispielsweise bei einem halben Prozent.
Das klingt aber nach ganz schön wenig.
Nach aktuellem Stand der Technik ist das sensationell gut. Aber für die Kryptoanalyse ist das immer noch zu schlecht. Da bräuchten wir zehn hoch Minus 12, also die zwölfte Nachkommastelle ist da keine null mehr.
Kann sich das nicht in Zukunft ändern?
Wir haben für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik abgeschätzt, ab wann das Ganze interessant werden könnte: Wenn die Fehlerrate jetzt nochmal eine Runde besser werden würde, bräuchten wir eine Milliarde Qubits mit aktiver Fehlerkorrektur, um tatsächlich das RSA-Verfahren entschlüsseln zu können. Googles Chip hatte 53. Die Nutzer müssen also erstmal keine Panik haben. Aber so langsam sollten wir uns darauf einstellen, quantensichere Kryptografie zu etablieren.
Ist das kompliziert?
Der Stand der Technik ist folgender: Wir wissen, wie das geht, haben die Verfahren aber nicht wirklich praktikabel gemacht. Jedoch arbeiten in dem Bereich verschiedene Länder zusammen, damit wir auf einer Zeitskala – ich sage mal in so 30 Jahren oder so – ein praktikables Verfahren haben. Mittelfristig sollten wir auch die Kommunikationsinfrastruktur auf quantensichere Protokolle umschalten. Bei 5G ist das wahrscheinlich nicht mehr machbar, aber irgendwann wird 6G kommen und da kann man Quantensicherheit miteinbauen.
Können Quantencomputer auch abseits der Kryptografie nützlich sein?
Quantencomputer können besonders gut mehrere Daten parallel bearbeiten. Das liegt an den Gesetzen der Quantenmechanik. Die besagen, dass ein Objekt an mehreren Orten gleichzeitig sein kann. Moderne Rechner können im Grunde auch mehrere Daten parallel bearbeiten. Aber für jeden Datenstrang brauchen wir hier einen neuen Prozessorkern. Viele kennen das sicher von Handy- oder Laptopangeboten: Hier steht oft, wie viele Kerne der Prozessor hat – meistens sind das vier oder acht. Bei einem Supercomputer – wie er in Jülich steht – haben wir dagegen tausende Module mit Acht-Kern-Prozessoren.
Quantencomputer rechnen nicht mit gewöhnlichen Bits, sondern mit sogenannten Quanten-Bits (QUBits). Während gewöhnliche Bits entweder nur eine "0" oder eine "1" sein können, können Qubits auch einen Zwischenzustand einnehmen – eine sogenannte Superposition.
Es wäre jetzt aber zu einfach zu sagen, dass man mit einem Quantencomputer zum Beispiel sämtliche Steuerbescheide beim Finanzamt parallel verarbeiten könnte. Denn wegen des Wahrscheinlichkeitscharakteres der Quantenphysik müssen wir Algorithmen programmieren, die am Ende auch ein Ergebnis ausspucken. Das ist besonders knifflig. Für ein paar Aufgabenstellungen ist das aber bereits gelöst: Datenbanksuche, Optimierung, Kryptoanalyse oder theoretische Chemie.
Was bedeutet das genau? Wo können Quantencomputer uns im Alltag helfen?
Ein Bereich wären Optimierungsaufgaben, im Prinzip bei Dingen wie künstliche Intelligenz oder Maschinenlernen. Beispielsweise in Staus, wenn es darum geht, optimale Routen zu finden. Oder bei der Optimierung von Passagierströmen an Flughäfen. Das ist ein interessantes Optimierungsproblem, denn hier muss man wirklich schnell sein. Wenn ein Flugzeug verspätet reinkommt oder sich nur ein paar Passagiere am Flughafen verlaufen, kann das den ganzen Plan durcheinanderbringen.
Und klassische Rechner stoßen hierbei an ihre Grenzen?
Für einen neuen Plan beim Flughafen braucht der Quantencomputer beispielsweise nicht eine Nacht, sondern schafft das potenziell in ein paar Minuten. Bei der Optimierung ist das nämlich so: Wenn ein klassischer Computer bei einer Route nur einen kleinen Umweg planen muss, kann er das ganz gut. Wenn die Route aber radikal anders sein soll, kann die Berechnung mit einem klassischen Computer sehr lange dauern. Bei so etwas muss das System nämlich viele Möglichkeiten durchprobieren.
Aber Google Maps kann doch heute schon Staus erkennen und neue Strecken innerhalb von Sekunden vorschlagen.
Das kommt am Ende darauf an, wie groß die Stadt ist und wie dramatisch die Umwege sind. Manchmal fragt man sich ja, warum mir Google Maps im wilden Stadtverkehr mit spontan entstehendem Stau solche Umfahrungen vorschlägt, statt mich einfach außenrum zu schicken. Das liegt daran, dass Google Maps auf manche Dinge nicht schnell genug eingehen kann. Bei klassischen Computern ist die Wand, an der sie an ihre Grenzen bei Geschwindigkeiten stoßen, wirklich steil. Und: Je mehr Daten so ein Rechner verarbeiten muss, desto größer muss er im Endeffekt sein. Bei Quantencomputern reicht es aber, wenn sie für eine vergleichbare Aufgabe nur ein wenig größer gebaut werden als ein Modell, das dort vielleicht Probleme hatte.
Das spart am Ende vermutlich auch Energie, oder?
In der Community hat man sich über den Energieverbrauch noch wenig Gedanken gemacht. Im Endeffekt können Quantencomputer aber energieschonender arbeiten als Supercomputer – auch trotz der Kühlleistung, die die Geräte brauchen. Das liegt unter anderem daran, dass ein Quantencomputer viele Informationen in wenigen Quantenbits speichern kann.
Haben Quantencomputer auch andere Vorteile?
Wichtig ist auch, dass solche Rechner Prozesse in der Chemie optimieren können. Das wird vermutlich die erste Anwendung von Quantencomputern sein, da man hier ein Quantensystem mit einem anderen simulieren kann. Selbst mit eingeschränkter Hardware kann man hier schon viel machen. Ein Beispiel wäre hier der Herstellungsprozess von Düngern. Das klingt erstmal unspektakulär, aber das ist tatsächlich ein wichtiges Beispiel. Sie müssen sich dabei auch klarmachen, dass die Herstellung von Stichkstoffdünger etwa drei Prozent des menschengemachten CO2-Ausstosses ausmacht.
Sie erwähnten, dass Quantencomputer maschinelles Lernen optimieren können. Kann durch Quantencomputer auch eine Art Quanten-KI entstehen, die Bewusstsein erlangt – und sogar die Menschheit bedroht, wie wir es aus der Popkultur kennen?
Die Gefahr, halte ich für sehr, sehr gering. Es gibt gelegentlich Leute, die in Publikationen behaupten, dass das menschliche Bewusstsein sich nur mit Quantenphysik erklären lasse. Die werden in der wissenschaftlichen Community aus gutem Grund nicht erst genommen: Denn Quantencomputer funktionieren entweder bei Tiefstemperaturen oder im Ultrahochvakuum. Ihr Gehirn befindet sich aber weder in einer Kältekammer noch in einem Ultrahochvakuum. Quantenphysik und Bewusstsein haben also nichts miteinander zu tun. Mit Quantencomputern lassen sich aber kleine und mittelgroße KI-Aufgaben effizienter gestalten – wie das Beispiel mit dem Flughafen oder den Staus. Aber auch im Bereich des autonomen Fahrens können solche Rechner eingesetzt werden, wenn es darum geht, dass schnell Entscheidungen getroffen werden müssen. Das sind jetzt KI-Aufgaben, die ethisch wenig kritisch sind. Aber dennoch sollten wir uns bewusst machen, dass da auch da ein bisschen Regulierungsbedarf besteht.
Die ersten Rechner waren ja so groß wie Schränke. Heute passen leistungsstärkere Geräte in unsere Hosentasche. Wird das mit Quantencomputern mal genauso sein?
Ich vermute, dass Quantencomputer auf absehbare Zeit Rechenzentrumstechnologie bleiben – allein schon wegen der nötigen Kühlleistung. Aber natürlich kann man dann über das Netz mit solchen Quantencomputing-Dienstleistungen kommunizieren. Beispielsweise kann das Smartphone als Schnittstelle zu so einem Computer dienen. Schon jetzt ist der leistungsfähigste Rechner, den wir im Alltag nutzen, vermutlich der, der uns durch den Stadtverkehr navigiert.
Noch mal zurück zum Anfang: Google-Konkurrent IBM bezweifelt, dass Google wirklich ein Durchbruch bei der Entwicklung von Quantencomputern gelungen ist. Das Unternehmen behauptet, dass ihr Superrechner Googles Aufgabe in zweieinhalb Tagen schafft – und nicht in 10.000 Jahren wie Google schreibt.
Das ganze Thema ist sehr komplex. Klar kann es auch andere Lösungen für die Aufgabe von Google geben. Aber um es kurz zu fassen: Google hat gezeigt, dass in diesem Fall keine Lösung auf einem klassischen Computer wirklich effizient ist. Und letztendlich muss man sich die Frage stellen: Wenn jetzt Google statt 53 Qubits auf 60 Qubits hochgeht, lässt sich diese Aufgabe immer noch in zweieinhalb Tagen lösen wie von IBM behauptet? Oder sind es dann schon Jahre?
IBM bietet Nutzern mit der Plattform IBM Q Experience per Cloud Zugriff auf den Cloudcomputer des Unternehmens.
Kann man also sagen, dass Google die Quantenüberlegenheit erreicht hat?
Diese Aussagen sollten wir auch nicht zu hochhängen: Es ist jetzt nicht die Singularität erreicht, die alles über den Haufen schmeißt. Das Experiment wird ja gerne mit dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright verglichen. Der galt damals als Meilenstein, auch wenn er nur 13 Sekunden lang war. Natürlich kann jetzt jemand sagen: Wenn ich mich richtig anstrenge baue ich einen Papierflieger, der ebenfalls 13 Sekunden fliegt. Doch das alles wird obsolet, sobald das nächste Flugzeug gebaut wird. Für Leute, die Quantencomputer bauen war Googles Sprung von bisher 20 Qubits auf 53 Qubits eine riesige technische Leistung. Ich denke, das sollte man auch anerkennen.
IBM und Google sind ja beides US-amerikanische Firmen. Wie steht es denn um den europäischen Stand der Quantentechnologie?
Bei der Quantencomputern gibt es zwei führende Hardwareplattformen: Die supraleitenden Chips und die sogenannten Ionenfallen. Hier erzeugt man einzelne Ionen im Ultrahochvakuum und steuert die mit Lasern. Bei dieser Technologie ist Europa eindeutig vorne. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Europa in der Grundlagenforschung wichtige Beiträge gemacht hat. Zwar haben die Amerikaner schon 2010 auf angewandte Forschung umgeschaltet und wir erst 2018 mit dem Projekt "OpenSuperQ". Aber das heißt nicht, dass wir nicht mit dem Quantentechnologie-Flaggschiff aufholen können. Zumindest in den Grundlagen sind wir mit den Amerikanern auf Augenhöhe. Und in der Systemintegration holen wir jetzt auf. Schauen Sie sich das Beispiel mit den Gebrüdern Wright an: Die haben das Flugzeug zwar in den USA gebaut, Airbus wurde aber in Europa gegründet.
Das Projekt "OpenSuperQ" startete, wie Sie sagten, ja erst 2018 und soll praktisch einen Quantencomputer für Europa entwickeln. Sie selbst koordinieren das Projekt. Wie ist hier allgemein der Stand?
Unser Netzwerk hatte in einem Jahr einen sehr guten Start und wir haben alle unsere Meilensteine erreicht – ja, wir sind sogar etwas schneller als der Zeitplan. Was Fehlerraten angeht, sind wir mit Google auf Augenhöhe. Was Qubits angeht sind wir aber nicht bei 53, sondern 7. Wir haben uns vor allem auf die Systemintegration fokussiert. Das heißt: Wir haben gezeigt, dass wir einen schwedischen Chip mit Schweizer Qubits und Elektronik in einem finnischen Kryostaten bauen und mit deutscher Firmware steuern können. Jetzt wollen wir die Zahl der Qubits aggressiv erhöhen: Wir hoffen, in einem Jahr auf über 20 zu kommen. Zum Projektende im Jahr 2021 hoffen wir, zwischen 50 und 100 Qubits zu sein.
- Supercomputer: Was hinter dem digitalen Wettrüsten steckt
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Ist ein europäisches Quantencomputerprojekt überhaupt notwendig, wenn die USA schon eins haben? Das kostet doch sicher auch viel an Steuergeldern. Kann man hier nicht mit den Amerikanern kooperieren?
Sie sollten bei der Sache auch bedenken: Das "stabile Genie" im Weißen Haus wird wohl beginnen, wegen der Anwendung in der Kryptografie Quantencomputing als sicherheitsrelevant einzustufen. Daher ist es, glaube ich, für Europa besonders wichtig, eine unabhängige Plattform zu haben. Ein wichtiges Bauteil kam bisher aus den USA und seit kurzem gibt es darauf eine Exportbeschränkung. Doch dank der weisen Voraussicht unsere EU-Konsortiums OpenSuperQ können wir das Bauteil auch selbst herstellen. Und unsere europäischen Komponenten funktionieren jetzt fast so gut wie die amerikanischen.
Herr Wilhelm-Mauch, vielen Dank für das Gespräch.
- Eigene Recherche
- Studie von Google in Nature