Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Lasst sie doch mal machen!
Einen wunderschönen guten Morgen!
Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Er hat es geschafft. Boris Johnson wird neuer britischer Premierminister. Gestern erklärten die Tories ihn zum Sieger des internen Wettkampfs um den Parteivorsitz, heute Nachmittag wird die Queen ihn offiziell ernennen. Damit wird ein Mann Premierminister, von dem nur 14 Prozent seiner Landsleute glauben, dass er ehrlich ist und einen moralisch einwandfreien Charakter hat. In der Tat gilt Johnson als Lügenbaron der britischen Politik – und einer ihrer größten Opportunisten. Als die Kampagne für das Brexit-Referendum anlief, war er völlig unentschlossen, für welche Seite er Partei ergreifen soll. Erst wollte er für den Brexit werben. Dann für den EU-Verbleib. Er bereitete zwei Kolumnen für den „Daily Telegraph“ vor – eine für, eine gegen den Brexit. Am Ende entschied er sich für den EU-Austritt, trieb erst die Kampagne voran und hintertrieb dann Theresa Mays Versuche, das Brexit-Abkommen auch durchs Parlament zu bekommen. Er hetzte so lange gegen ihren Deal, bis sie in Aussicht stellte, im Tausch für eine Zustimmung des Parlaments ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Dann änderte er seine Meinung. Die Briten verzeihen ihm das. Trotz offensichtlicher Charakterschwächen halten viele ihn für eine liebenswerte Persönlichkeit.
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Als Premierminister wird er nun daran gemessen, wie er den Brexit managt. Es ist nicht ausgemacht, dass er ihn wie versprochen bis zum 31. Oktober durchs Parlament bringt, wie mein Kollege Johannes Bebermeier in seiner Analyse erklärt. Und doch: Vielleicht ist es ausgerechnet Johnsons Opportunismus, der ihn zum richtigen Mann für den EU-Austritt macht. Natürlich wird er erst versuchen, den Deal noch einmal aufzumachen. Dann wird er mit einem harten EU-Austritt liebäugeln. Doch wenn ihm das nach Kenntnis der Details zu riskant erscheint, schlägt er vielleicht die nächste Kehrtwende ein. Und wer sagt, dass das nicht der May-Deal mit ein paar kosmetischen Veränderungen ist? Wenn ihn jemand durch das Parlament peitschen kann, dann wahrscheinlich Johnson. Ausgeschlossen ist bei ihm nichts. Nur das Chaos, das wird erst einmal nicht weniger.
WAS STEHT AN?
Unterbrechung der sitzungsfreien Zeit im Bundestag: Heute wird Annegret Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin vereidigt. Ich bin gespannt, wo sie die Schwerpunkte ihrer Amtszeit setzen will. Seitdem Kramp-Karrenbauer – oder AKK, wie sie im politischen Berlin genannt wird – zur Nachfolgerin von Ursula von der Leyen auserkoren wurde, ist Deutschland gefangen in wenig sinnvollen Debatten. Jüngstes Beispiel: Die Diskussion um das Zwei-Prozent-Ziel. Kramp-Karrenbauer hat sich dafür ausgesprochen, die deutschen Rüstungsausgaben Richtung Zwei-Prozent-Ziel zu steigern. Die Empörung: riesig. Die Grünen lehnen den Vorschlag ab, die Linke warnen vor einem "brandgefährlichen Waffenwahn", auch der Koalitionspartner SPD ist not amused.
Dabei gehört es zu AKKs Pflichten, mehr Geld für die Bundeswehr zu fordern. Sie ist die neue Verteidigungsministerin. Das gehört zur Jobbeschreibung. Davon abgesehen ist die Forderung nicht neu. Sie bezieht sich auf eine Vereinbarung der Nato-Staaten aus dem Jahr 2014, die Verteidigungsausgaben binnen eines Jahrzehnts Richtung zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern. Im Koalitionsvertrag dreieinhalb Jahre später einigten sich Union und SPD (!) darauf, dem Zielkorridor der Nato-Vereinbarung "verbindlich" zu folgen. Deutschland liegt derzeit jedoch bei etwa 1,2 Prozent. Es ist nur verständlich, dass die Bündnispartner auf die Vereinbarung pochen – auch wenn es ein solch ungeliebter ist wie Donald Trump. Im Grunde steht fest, dass die deutschen Rüstungsausgaben steigen müssen. Die Frage ist nur: Wie und wo kann das Geld am sinnvollsten eingesetzt werden? Diese Diskussion wäre zielführender als reflexartige Ablehnung.
Ebenso wenig zielführend war die Debatte darüber, ob AKK Wort gebrochen hat, weil sie – entgegen früherer Versicherungen – doch in ein Bundesministerium wechselt. Die Union missbrauche die Truppe für "Personalspielchen“, hieß es in der Opposition. Für die SPD war die Wahl AKKs ein "schlechter Witz". Der CDU-Chefin wurde unterstellt, lediglich ihre Chancen auf das Kanzleramt verbessern zu wollen – wo sie doch mit Verteidigung zuvor nie viel am Hut hatte. Reines Machtkalkül also.
Doch wäre das so schlimm? Ehrgeiz und Wille zur Macht machen einen guten Politiker aus. Daran ist nichts Schlechtes. Schlecht wird es nur, wenn Macht zum Selbstzweck wird. Und das würde ich AKK wirklich nicht unterstellen wollen. Lassen wir sie doch einfach mal machen! Dann wird sich in der Tat zeigen, wie gut sie auf der bundes- und außenpolitischen Bühne ist – und ja: auch ob sie das Zeug zur Kanzlerin hat. Sie können selbst einen Blick darauf werfen: Im Anschluss an die Vereidigung hält Kramp-Karrenbauer ihre erste Regierungserklärung – wegen Baumaßnahmen allerdings nicht im majestätischen Plenarsaal des Reichstagsgebäudes, sondern im Paul-Löbe-Haus. t-online.de wird einen Livestream einrichten, unserer Parlamentskorrespondent Jonas Schaible ist natürlich ebenfalls vor Ort.
Während AKK vereidigt wird, wird Andreas Scheuer vernommen. Und zwar vom Verkehrsausschuss, der aus Empörung über die – Sie ahnen es – gescheiterte Pkw-Maut eine Sondersitzung einberufen hat. Dieses Mal geht es um die Verträge mit den eigentlich vorgesehenen Betreibern und die Frage, ob Schadensansprüche drohen, weil diese nun gekündigt werden müssen. FDP, Linke und Grüne denken bereits über einen Untersuchungsausschuss nach, sollten sie sich nicht ausreichend aufgeklärt fühlen. Der Wahlkampfschlager der CSU ist und bleibt ein Ärgernis – für die EU, für die Bundesregierung und für den Steuerzahler, der für die geplatzten Pläne aufkommen muss. Ich denke, dem Ministerium würde ein Farbwechsel nach der nächsten Wahl sehr gut tun.
Spektakel im US-Kongress: Nach monatelangem Schweigen sagt heute Sonderermittler Robert Mueller aus, erst im Justiz-, dann im Geheimdienstausschuss. Über das im Mai veröffentlichte Ergebnis seiner Untersuchungen streiten Demokraten und Republikaner noch immer. "Kompletter Freispruch", meint Trump. Das Gegenteil, finden die Demokraten. In der Tat hat Mueller keine Beweise für illegale Absprachen von Trumps Wahlkampfteam mit Russland gefunden. Vom zweiten Vorwurf, der Justizbehinderung, wollte er Trump jedoch ausdrücklich nicht freisprechen. Nun also stellt er sich den Fragen der Abgeordneten. Für die Demokraten, die Material für eine Amtsenthebung Trumps sammeln, ist das der wichtigste Termin des Jahres. Doch ob etwas signifikant Neues bei Muellers Aussage herauskommt? Das darf bezweifelt werden. Der Sonderermittler hat bereits angekündigt, nicht über die Schlussfolgerungen seines Reports herausgehen zu wollen. Warum die Anhörung trotzdem spannend wird und welche Fragen am drängendsten sind, erklärt unser US-Korrespondent Fabian Reinbold in seinem Vorbericht. Er wird heute auch im Kongress sein und Muellers Aussage für Sie analysieren.
In Bayreuth geht der Prozess um den Mord an Sophia L. weiter. Nachdem der Verdächtige die Tat gestern gestanden hat, wird heute die Aussage des federführenden Ermittlers erwartet. Elf Verhandlungstage sind noch geplant.
WAS LESEN UND ANSCHAUEN?
Erfahrungsgemäß sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, an Schiffen und Schiffswracks sehr interessiert – und das völlig zu Recht. Weniges ist so spannend und geheimnisvoll wie ein Schiffswrack, das still auf dem Meeresgrund liegt, stummer Zeugen des eigenen Untergangs vor langer, langer Zeit und vollkommen unbeeindruckt vom Wahnsinn der Welt. Erfreulicherweise ist das 500 Jahre alte Schiffswrack, das Forscher jetzt in der Ostsee entdeckt haben, außergewöhnlich gut erhalten. Aber sehen und lesen Sie selbst...
"Flugscham" hätte ja beste Aussichten, zum (Un-)Wort des Jahres gewählt zu werden. Viele Deutsche – und vor allem Großstädter – steigen mittlerweile nicht mehr unbeschwert in den Urlaubsflieger. Wie könnten sie auch, wenn sie gerade erst einen langen Essay zur Klimakrise gelesen oder die andauernden Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung bewundert haben (nicht selten in Verbindung mit der Erinnerung an die eigene Jugend, die man mit der "Bravo" auf dem Schoß verbracht hat). Doch Schämen allein reicht nicht, findet unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld. Hier erklärt sie, warum wir uns das schlechte Gewissen sparen sollten.
WAS AMÜSIERT MICH?
Kommen Sie mit der Hitze nicht klar? Dann können Sie es ja vielleicht wie dieser Elch aus dem Osten Kanadas machen. Der ist solche Temperaturen nun wirklich nicht gewohnt, nimmt sie aber in absoluter Gemütsruhe und mit einiger Finesse hin. Vorsicht: Am Arbeitsplatz ist die Methode ungeeignet.
Ab morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser stellvertretende Chefredakteur Florian Wichert für Sie. Ich wünsche Ihnen eine kühle Restwoche!
Ihre
Tatjana Heid
Politikchefin t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @t_heid
Mit Material von dpa.
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