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SPD-Basis grummelt: Jusos lehnen Koalitionsvertrag ab


Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag
"Ein Drittel der SPD lehnt den Koalitionsvertrag ab"


Aktualisiert am 29.04.2025 - 10:52 UhrLesedauer: 6 Min.
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Mitgliedervotum der SPD Berlin (Symbolbild): Die SPD-Mitglieder stimmen inzwischen digital über den Koalitionsvertrag ab. (Quelle: Britta Pedersen/dpa/dpa)
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Lars Klingbeil und Saskia Esken haben mehr denn je an der SPD-Basis für Schwarz-Rot geworben, doch die Basis der Partei hadert mit ihrer Spitze. Wie steht es um das Mitgliedervotum?

Ein harscher Tonfall im Wahlkampf, das bewusste Inkaufnehmen der Stimmen der AfD und zuletzt die kleine Anfrage zu staatlich geförderten Organisationen – das Verhalten der Union ist nicht spurlos am zukünftigen Koalitionspartner vorbeigegangen. Doch wird es sich auch auf die Zustimmung der SPD zum Koalitionsvertrag auswirken? Beim Mitgliederentscheid können alle Genossen und Genossinnen ihre Stimme abgeben, die bis zum 23. März in die Partei eingetreten sind. Bis 29. April, 23.59 Uhr, läuft der Mitgliederentscheid noch.

Bereits mehrere Landesverbände und der Bundesvorstand der Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab. Sie kritisieren, dass zu wenige gesellschaftspolitische Themen im Vertrag vorkommen und stören sich am Umgang mit dem Thema Migration. Vonseiten der Jusos werden Nachverhandlungen gefordert, die SPD-Spitze hatte diese bereits abgelehnt.

Die Jusos haben zwar keine unbedeutende Stimmkraft, sind jedoch nicht in der Lage, in der Abstimmung eine Mehrheit zu schaffen. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen hatte Juso-Bundesvorsitzender Philipp Türmer bereits die Werbetrommel für Parteieintritte getrommelt, um für das Mitgliedervotum zu mobilisieren. Doch die Sorgen um sozialdemokratische Grundwerte sind nicht unberechtigt. t-online hat sich an der Basis der Sozialdemokraten umgehört.

"Vertrauensverlust in Institutionen"

Matthias Buschfeld ist Fraktionsvorsitzender der Ratsfraktion der SPD Bottrop. Daraus, dass Friedrich Merz nicht sein Wunschkandidat ist, macht er kein Geheimnis. "Wer mit faschistischen Parteien zusammenarbeitet, macht sie salonfähig", sagt er und spielt auf die umstrittene Bundestagsabstimmung der Union gemeinsam mit der AfD an. Das macht ihm Sorge, sagt er weiter.

"Die Union wäre gut daran bedient, in der demokratischen Mitte zu bleiben", so Buschfeld. Trotzdem wird er dem Koalitionsvertrag zustimmen, andernfalls fürchtet er einen "Vertrauensverlust in unsere demokratischen Institutionen".

"Es gibt immer Sachen in einem Koalitionsvertrag, die gut sind und welche, die schlecht sind", sagt er. Und weiter: "Sie können in einem Koalitionsvertrag nur die absehbaren Entwicklungen bewerten, das sind aktuell nun mal die Migration und die Wirtschaft." Deshalb hält er nichts von Nachverhandlungen: "Bei den aktuellen Verhältnissen bleiben uns wenig Alternativen."

"Das ist ein SPD-Koalitionsvertrag"

Dass jetzt schon im Vorfeld über den Mindestlohn gestritten wird, stört Buschfeld nicht: "Politische Debatte ist kein schlechtes Zeichen." Zuletzt drohte der Generalsekretär der SPD, Matthias Miersch, beim Mindestlohn mit einer Erhöhung per Gesetz. Die Union hatte zuvor angezweifelt, dass es zu einer Erhöhung des Mindestlohns kommen wird. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann lehnte einen "politischen Mindestlohn" ab.

Die Auseinandersetzungen rund um den Koalitionsvertrag spürt Buschfeld auch in seinem Parteiumfeld: "Es gibt rege Diskussionen in unseren Verbänden und es gibt auch Strömungen, denen das nicht reicht, aber das gehört dazu. Mein Gefühl ist: Ein Drittel der SPD-Mitglieder wird den Koalitionsvertrag ablehnen. So ist Demokratie, auch innerparteiliche."

Sein Fazit: "Wir haben uns in vielen Bereichen durchgesetzt, das ist ein SPD-Koalitionsvertrag." Die Kritik kann er trotzdem verstehen.

Die "staatspolitische Verantwortung"

Die Möglichkeit, dass es nicht zu einer schwarz-roten Koalition kommt, macht vielen Demokraten Angst – die einzige Partei, die davon wohl profitieren würde, ist die AfD. Unter anderem deshalb dürften auch scharfe Kritiker aus "staatspolitischer Verantwortung" für den Koalitionsvertrag stimmen.

Denn eine Ablehnung des Koalitionsvertrags würde aller Voraussicht nach Neuwahlen bedeuten. Den aktuellen Umfragen zufolge wäre eine Mehrheit aus Union und SPD nicht möglich. Die vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextrem eingestufte AfD würde nach derzeitigem Kenntnisstand mit der Union gleichziehen. In einer Umfrage des Forschungsinstituts Forsa vom 20. April hatte die AfD die Union sogar überholt.

Und trotzdem: Bei den jungen Sozialisten ist man nicht zufrieden. Die Landesverbände der Jusos folgen dem Bundesvorstand und wollen nicht zustimmen. Was fehlt ihnen im Koalitionsvertrag?

Die Jusos in Bayern und Schleswig-Holstein waren die ersten Landesverbände, die den Beschluss fassten, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen. Für Imke Grützmann von den Jungen Sozialisten aus dem Norden war sofort klar: "Zentrale Forderungen des Koalitionsvertrags sind nicht mit der Sozialdemokratie vereinbar."

Die Abstimmung mit der AfD habe das Vertrauen in Merz massiv geschädigt, sagt sie. Trotzdem war sie laut Grützmann nicht der Grund für die Ablehnung des Vertrags: "Das haben wir zwar nicht vergessen, unsere Zustimmung wollten wir trotzdem nicht an Personen festmachen."

Vor allem mit Blick auf die Interessen junger Menschen üben die Jusos Kritik. So auch Imke Grützmann: "Klimaschutzmaßnahmen sind quasi nicht vorhanden, das ist kein gutes Signal – gerade an die jüngere Generation."

Auch Lars Klingbeil bleibt von Imke Grützmanns Kritik nicht ausgenommen: "Kurz nach der Wahl hat er einfach nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen, das war auch eins unserer größten Themen in der Landeskonferenz. Da braucht es einen Wechsel an der Spitze."

Die Landesvorsitzende der SPD-Frauen, Marie Scharfenberg, ergänzt: "Dass jetzt allein gefordert wird, dass Saskia Konsequenzen ziehen muss, finde ich falsch. Wahlen gewinnt man gemeinsam und verliert man gemeinsam."

Auch Selin Arpaz sieht das so. Sie sitzt für die Jusos in der Bürgerschaft von Bremen, sie ist auch die Landesvorsitzende der SPD Jugend und beschäftigt sich mit den Themenbereichen Jugend, Gleichstellung und queere Community. Für sie zeigt die Debatte: "Auch unsere Partei ist nicht frei von Sexismus – im Gegenteil. Man sieht das Übel nur in der Frau. Den Mann kürt man zum Fraktionsvorsitzenden." Lars Klingbeil hat nach der Wahl seine Macht in der SPD ausgebaut und aktuell eine Doppelfunktion inne, als Vorsitzender der Partei und der Bundestagsfraktion.

"Die roten Linien wurden überschritten"

Dass die Jusos traditionell eher kritisch eingestellt sind, ist nicht neu. So stellt auch Arpaz fest: "Die von uns vorgegebenen roten Linien wurden an mehreren Stellen überschritten."

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Verständnis zeigt sie dafür, dass es aktuell auch um die Landesverteidigung gehen müsse. Dennoch: "Mit der Wehrpflicht junge Menschen zu zwingen, etwas zu tun und den Eindruck zu erwecken, sie seien nur dafür gut, ist falsch."

Auch die gesellschaftspolitischen Themen kämen zu kurz: "Es scheint, als herrsche ein stiller Konsens im Krisenmodus, man müsse sich aufs vermeintlich Wesentliche fokussieren, auf die 'wichtigen' Themen, wie beispielsweise die Wirtschaft. Und Themen wie Gleichstellung oder Jugend werden zu weniger wichtigen gemacht. Dabei ist jedes Thema wichtig und trägt zum guten Leben bei."

"Politik darf niemals alternativlos sein"

Arpaz weiß, was es bedeutet, wenn die Regierung scheitert, noch bevor sie gestartet ist: "Auch wir Jusos sind mit der Angst rund um das Ablehnen des Koalitionsvertrags konfrontiert. Die Rahmenbedingungen sind schwierig, Politik darf aber niemals alternativlos sein. Man kann einen Vertrag als Sozialdemokratin ablehnen, wenn er auf Kosten von Minderheiten, den Armen und Schwachen geht."

Dass die SPD-Spitze im Vorfeld Nachverhandlungen ausschloss, beeindruckt sie wenig: "Wir hatten dieses Szenario noch nie, deshalb heißt es jetzt erst mal abwarten."

Ihr Urteil zum Koalitionsvertrag fällt deutlich aus: "Der Koalitionsvertrag liest sich sehr wenig fortschrittlich. Da ist zu wenig in Sachen Gleichberechtigung für mich. Beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Paragrafen 218 umgehen, wird nicht geklärt." Der Paragraf im Strafgesetzbuch ist umstritten, da er Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt und damit die Selbstbestimmung der Frau einschränkt.

Auch die Landesvorsitzende Marie Scharfenberg der SPD-Frauen in Berlin sieht das so. Im Vorfeld hatte der Bundesvorstand der SPD-Frauen die Zustimmung für den Koalitionsvertrag noch an die Reform des Abtreibungsparagrafen 218 geknüpft, "das fand ich richtig, auch wenn absehbar war, dass das mit der Union schwierig werden wird".

"Die SPD muss dafür sorgen"

Die Verantwortung, die ihre Partei in dieser Regierung haben wird, ist Scharfenberg wichtig: "Die SPD muss dafür sorgen, dass Parität in der Regierung herrscht und selbst mehr Frauen als Männer ins Kabinett senden."

Für sie und die Frauen in der SPD Berlin war von Anfang an klar: "Es soll keine gesellschaftspolitischen Rückschritte geben, das war eine der roten Linien des SPD-Landesvorstands Berlin."

Im Gespräch mit t-online ordnet Marie Scharfenberg die innerparteilichen Beratungen der SPD-Frauen ein: "In den Austauschrunden bei den SPD-Frauen macht sich niemand die Entscheidung leicht. Gerade bei den Themen Migration und Gleichstellung gibt es viel Diskussionsbedarf." Sie begrüßt zwar "die Reform des Elterngeldes, mehr Gewaltschutz für Frauen und den Mutterschutz für Selbstständige – ein richtiger Fortschritt und Aufbruch ist das aber insgesamt nicht."

An einem Punkt stört sich Marie Scharfenberg besonders: "Die Zustimmung rein an die vermeintliche staatspolitische Verantwortung zu knüpfen, finde ich schwierig."

"Da gehe ich nicht mit"

Farina Semler (SPD) ist Kommunalpolitikerin und möchte für ihren Kreis Herrenberg-Leonberg 2026 in den Landtag von Baden-Württemberg einziehen. Kurz vor Ende der Abstimmung ist sie noch unentschlossen. Noch am Freitag hatte ihr Ortsverein in Herrenberg über den Koalitionsvertrag diskutiert.

Im Koalitionsvertrag steht unter anderem, dass die täglichen Arbeitszeiten ausgeweitet werden können. Statt einer täglichen Höchstarbeitszeit soll es die Möglichkeit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit geben. Das gefällt vielen in der SPD nicht. Auch Semler kritisiert das Vorhaben: "Ich bin Gewerkschafterin und gerade bei Themen, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betreffen, habe ich viele Fragen."

Am Ende überwiegt in ihrem Ortsverein dennoch ein Konsens: "Wir stimmen dem Koalitionsvertrag zu, weil das Wahlergebnis keine andere Möglichkeit bietet. Wir schauen sehr genau darauf, ob die Chancen, die der Koalitionsvertrag bietet, auch in gute Politik mündet, und begleiten das konstruktiv-kritisch."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Selin Arpaz (Jusos Bremen)

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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