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Bald-SPD-Chef Lars Klingbeil: "Es darf da keinen falschen Stolz geben"


Lars Klingbeil
"Das hätte längst untersagt werden können"


Aktualisiert am 03.12.2021Lesedauer: 9 Min.
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Bald-SPD-Chef Lars Klingbeil: "Etwas zu verändern, darf niemals eine Schwäche sein."Vergrößern des Bildes
Bald-SPD-Chef Lars Klingbeil: "Etwas zu verändern, darf niemals eine Schwäche sein." (Quelle: imago-images-bilder)

Lars Klingbeil hat für die SPD federführend die Ampelkoalition geschmiedet. Mit t-online spricht er über den kommenden Parteitag, die Corona-Krise – und seine Pläne als SPD-Chef.

Es sind wichtige Tage für die SPD: Am morgigen Samstag stimmt die Partei über den Koalitionsvertrag ab, in einer Woche wählt sie eine neue Parteispitze. Und zwischendurch wird am Mittwoch noch ein Sozialdemokrat zum Kanzler gewählt. Für die Parteispitze will die bisherige Vorsitzende Saskia Esken erneut kandidieren, ihrem Co-Chef Norbert Walter-Borjans soll Lars Klingbeil nachfolgen.

Der 43-Jährige war bislang Generalsekretär der Partei, hat die erfolgreiche Wahlkampagne organisiert und die Ampelkoalition mitverhandelt. Ein Gespräch darüber, was er in der Corona-Krise gelernt hat, über Gespräche mit den Grünen und der FDP – und die Frage, ob Kevin Kühnert sein Generalsekretär werden könnte.

t-online: Herr Klingbeil, die Ampelkoalition schärft schon zum zweiten Mal ihr neues Infektionsschutzgesetz nach. Ab wie viel Korrekturen ist das eigentlich ein Fehlstart?

Lars Klingbeil: Es geht nicht darum, ob wir viel oder wenig nachschärfen, sondern darum, die Pandemie wieder in den Griff zu bekommen. Etwas zu verändern, darf niemals eine Schwäche sein. Es darf da keinen falschen Stolz oder parteipolitische Ideologien geben. Das Wohl der Bürgerinnen und Bürger steht im Mittelpunkt.

War es ein falsches Signal, die epidemische Lage auslaufen zu lassen?

Aus juristischer Sicht ist es richtig, dass Politik nicht mehr über Verordnungen gemacht wird, wenn die Impfquote bei 70 Prozent liegt. Die Entscheidungen müssen wieder im Parlament und in den Ländern getroffen werden. Kommunikativ ist das allerdings nicht glücklich gelaufen. Es ist der Eindruck entstanden, dass damit auch die Pandemie endet. Darum ging es aber nie.

Hätte es mehr Warnungen gebraucht?

Es wurden teilweise die falschen Diskussionen geführt. Und es gab zu viel Parteipolitik in den letzten Wochen. Ich bin froh, dass es damit jetzt vorbei ist und hoffe, wir finden einen überparteilichen Weg, das Land durch die kommenden, schweren Wochen zu bringen.

Wie scharf muss die Corona-Vollbremsung jetzt sein?

Was nötig ist, um die Menschen gut durch die vierte Welle zu bringen, muss jetzt getan werden. Wer sich bewusst nicht impfen lässt, wird weitere Einschränkungen akzeptieren müssen. Die Maßnahmen im neuen Infektionsschutzgesetz sind übrigens an vielen Stellen weitgehender als vorher. Beispielsweise die 3G-Regelung am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Nahverkehr.

Das stimmt, allerdings haben Sie andere Maßnahmen zunächst bewusst aus dem Instrumentenkasten genommen. Jetzt sollen sie mit der zweiten Reform wieder möglich werden. Auch nach Kritik aus den Ländern.

Einige Landesregierungen haben längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die sie haben. Ein volles Fußballstadion in Köln hat viel mit dem Nicht-Entscheidungswillen der dortigen Landesregierung zu tun. Und sehr wenig mit einem angeblich fehlenden rechtlichen Rahmen. Das hätte längst untersagt werden können.

Kontaktbeschränkungen sollen künftig für Ungeimpfte gelten. Kann man das überhaupt kontrollieren? Die Polizei wird ja kaum auf der Straße jedes Grüppchen nach dem Impfstatus fragen.

Das stimmt, einerseits. Andererseits geht es darum, dass man klare Regeln setzt. Wir können auch nicht kontrollieren, ob jeder Autofahrer einen Führerschein hat. Aber wer sich ohne Erlaubnis ans Steuer setzt und erwischt wird, dem drohen drastische Strafen. So ähnlich sollte es bei den Corona-Regeln auch laufen.

Können Sie Kontaktbeschränkungen für Geimpfte ausschließen?

Ich sehe erst mal Einschränkungen für Ungeimpfte. Etwas grundsätzlich ausschließen sollten wir derzeit aber nicht.

Warum?

Was mich in letzter Zeit sehr nachdenklich macht, sind die Impfdurchbrüche. Ich habe das erst in den vergangenen Wochen sehr drastisch mitbekommen, teilweise im privaten Umfeld: Das waren Leute, doppelt geimpft, die dann trotzdem schwere Corona-Verläufe hatten.

Auch deshalb wird ja zur Booster-Impfung aufgerufen.

Exakt. Aber die Dringlichkeit, sich zu boostern, ist vielen erst in den letzten Wochen deutlich geworden. Viele dachten: Das ist etwas für ältere Menschen und Vorerkrankte. Aber die Impfdurchbrüche jetzt treffen auch Leute in meinem Alter. Olaf Scholz hat klargemacht, dass das Thema Boostern für ihn absolute Priorität hat.

Es kann also erneut einen bundesweiten, flächendeckenden Lockdown geben?

Ich bin aktuell nicht dafür, das öffentliche Leben auch für Geimpfte ganz herunterzufahren. Aber wenn Experten das in den kommenden Wochen empfehlen, weil sich die Lage weiter verschärft, dann müssen wir darüber reden, ja.

Olaf Scholz hat angekündigt, er werde im Bundestag für eine allgemeine Impfpflicht stimmen. Sie auch?

Ja.

Aber Sie haben sich…
…noch vor Wochen ganz anders geäußert, ich weiß.

Damit sind Sie nicht allein.

Nein, absolut nicht. Wenn man es so ausdrücken will, bin ich "umgefallen". Ich würde aber eher sagen: Ich bin schlauer geworden. Zu lernen sollte auch in der Politik nichts Verwerfliches sein. Ich sehe einfach, dass wir mit der bisherigen Impfquote nicht gut durch die Pandemie kommen. Wenn Chemotherapien und andere notwendige Operationen verschoben werden müssen, weil die Krankenhäuser voll sind, dann müssen wir einfach mehr Leute dazu bekommen, sich impfen zu lassen.

Am Wochenende entscheidet die SPD auf einem Parteitag über den Koalitionsvertrag. Warum sollten die Delegierten zustimmen?

Weil es eine Chance ist, dass wir die nächsten vier Jahre Deutschland grundlegend verändern. Klima, Arbeit, sozialer Zusammenhalt – all das prägt den Ampelvertrag. Da ist viel sozialdemokratische Politik drin. Außerdem gibt es dann endlich wieder einen sozialdemokratischen Bundeskanzler: Olaf Scholz. Nach 16 Jahren ist das doch was Schönes.

Was war der schwierigste Punkt in den Verhandlungen?

Da lässt sich nicht ein konkreter Punkt herausgreifen. Aufwendig war es, die großen Ziele, bei denen wir uns sehr schnell einig waren, mit Details zu unterfüttern: Wie kriegt man das ganz praktisch hin, dass es nicht sechs Jahre, sondern sechs Monate dauert, bis ein Windrad fertig ist? Das war das Schwierige.

Trotzdem hat der Koalitionsvertrag bereits für Enttäuschungen gesorgt. Hartz 4 heißt zwar bald Bürgergeld, aber die Regelsätze steigen nicht.

Da wird nicht nur etwas umbenannt, wie Sie das andeuten. Es kehrt ein ganz neuer Geist in den Sozialstaat ein.

Ein neuer Geist, mit genau so wenig Geld für die Arbeitslosen.

Die Höhe der Bezüge werden ja nicht im Koalitionsvertrag festgelegt, sondern orientieren sich an festgelegten Kriterien. Aber etwa beim Schonvermögen, bei der Anrechnung der Wohnung, bei den Sanktionen gerade für junge Menschen – überall dort gibt es diesen neuen Geist. Der Fördergedanke wird wieder größer geschrieben. Wer sich weiterbildet, bekommt mehr Geld. Das ist ein Systemwechsel.

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Also jetzt mehr fördern als fordern?

Das jetzige System ist in einer Zeit geschaffen worden, als wir über fünf Millionen Arbeitslose hatten. Jetzt muss es viel mehr um das Befähigen der Menschen gehen. Um Weiterbildung, die wir mit Anreizen und Unterstützung fördern. Der Staat ist Partner im Wandel. Genau diesen Geist atmet der Koalitionsvertrag.

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Auch beim Wohnen gibt es nun kein Mietenmoratorium, was die SPD wollte und die Grünen in etwas anderer Form auch. Enttäuschend, oder?

Wenn drei Parteien zusammenkommen, dann kann nicht jeder alles durchsetzen. Für uns war aber immer das Wichtigste, dass gebaut wird. Jedes Jahr sollen 400.000 neue Wohnungen entstehen. Das hilft. Wir werden dafür sogar ein eigenes Bauministerium haben, das sich täglich um mehr bezahlbaren Wohnraum kümmert.

Hilft aber nicht ganz akut gegen die Mietsteigerungen.

Da haben wir aber etwa die Kappungsgrenze verbessert. Also die Frage, wie stark Mieten in drei Jahren maximal steigen dürfen. Das sind künftig nur noch 11 Prozent…

... von jetzt 20 Prozent beziehungsweise 15 Prozent in Ballungsräumen …

... genau. Das haben uns ganz viele Bürgermeister und auch der überparteiliche Städte- und Gemeindebund als ein sehr entscheidendes Thema mit auf den Weg gegeben.

Die Jusos und andere Parteilinke haben sich jetzt noch mal klar gegen bewaffnete Drohnen ausgesprochen. In der Regierung wollen sie jetzt aber welche beschaffen, so steht es im Koalitionsvertrag. Ist die SPD noch eine Friedenspartei?

Ja.

Und das widerspricht sich nicht?

Nein.

Sie selbst sind für die Beschaffung?

Ja, schon länger. Es ist ja klar, dass es eine parlamentarische Kontrolle geben wird. In den Mandaten wird festgelegt, wie solche Drohnen eingesetzt werden. Die Wildwest-Mentalität, die wir leider auch bei amerikanischen Präsidenten gesehen haben, hat zu völkerrechtswidrigen Tötungen geführt. Das wird es mit der Bundesrepublik Deutschland nicht geben.

Sondern?

Es gibt Situationen, wo solche Drohnen geholfen hätten. Ich erinnere an das Karfreitagsgefecht in Afghanistan 2010. Es geht um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten.

Mit wie viel Unterstützung für den Koalitionsvertrag rechnen Sie auf dem Parteitag am Samstag?

Ich nehme gerade sehr viel Unterstützung in der SPD wahr. Übrigens auch bei den Jusos am vergangenen Wochenende auf dem Bundeskongress. Ich rechne mit einem sehr deutlichen Votum für den Vertrag.

Apropos Bundeskongress: Olaf Scholz hat den Jusos dort den “kleinen Tipp” gegeben, sich nicht so sehr an den künftigen Koalitionspartnern abzuarbeiten. Hat er Ihnen das als wohl baldiger SPD-Chef auch schon mal gesagt?

Nein, das muss er aber auch nicht. Da haben wir ein gemeinsames Verständnis. Ich habe ja selbst mit meinen Generalsekretärskollegen in den vergangenen Wochen viel dafür getan, dass Vertrauen wachsen kann. Das belastbare Verhältnis von Volker Wissing, Michael Kellner und mir war einer der Garanten dafür, dass die Koalitionsverhandlungen schnell, geräuschlos, vertrauensvoll und wahnsinnig zielstrebig verlaufen sind.

Wir fragen aus einem bestimmten Grund: Als Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Parteispitze übernahmen, war immer wichtig, dass die Partei neben der Regierungsarbeit in der großen Koalition noch eigenständig und sichtbar bleibt. Hat sich das durch die Ampel jetzt geändert?

Nein. Aber es sind für mich zwei grundverschiedene Fragen, wen man kritisiert einerseits – und wie man als Partei sichtbar bleibt andererseits.

Das heißt?

Ich kann die Position der SPD sichtbar machen, ohne dabei ständig den Koalitionspartner öffentlich zu kritisieren. Das geht. Die Sichtbarkeit herzustellen, aber auch eine programmatische, organisationspolitische und personelle Aufstellung über das Tagesgeschäft hinaus hinzukriegen – das alles kann gemeinsam mit einer sozialdemokratisch geführten Regierung funktionieren und nicht gegen sie. Das wird die Aufgabe von Saskia Esken und mir sein.

Wofür muss die SPD künftig stehen?

Wir müssen die politische Kraft sein, die den Menschen Sicherheit und Orientierung in den gewaltigen Umbrüchen der nächsten Jahrzehnte gibt. Der rasante Wandel wird allen viel abverlangen: der Klimawandel, die Digitalisierung, die Veränderung der Arbeitswelt. Was heißt das für den Sozialstaat? Was heißt das für das Bildungssystem? Was heißt das für Verteilungsfragen? All das müssen wir beantworten.

Bei jüngeren Wählern war die SPD bei der Wahl nicht sonderlich erfolgreich. Wie wollen Sie das ändern?

Das ist eine der wenigen Sachen, die mich am Ergebnis der Bundestagswahl echt betrübt. Ich habe den Ehrgeiz, dass die Zahl der Erstwähler und Jungwähler für die SPD das nächste Mal deutlich höher ausfällt als jetzt. Da geht es um die richtigen Themen, aber auch darum, ob wir dort sind, wo die jungen Menschen kommunizieren. Und dann braucht es junge Gesichter. Für die SPD sitzen jetzt 49 junge Abgeordnete im Bundestag. Das ist ein riesiges Geschenk, und das werden wir nutzen.

Einer dieser jungen Abgeordneten heißt Kevin Kühnert. Könnte er das Amt des Generalsekretärs ausfüllen?

Wenn man jemanden wie ihn in den eigenen Reihen hat, kann man sehr froh sein. Er kann Menschen zusammenbringen, er ist kommunikativ stark und denkt programmatisch voraus. Kevin hat Fähigkeiten, die für die SPD wahnsinnig wichtig sind.

Und für das Amt des Generalsekretärs.

Netter Versuch. Saskia Esken und ich werden den Gremien der SPD sehr zeitnah einen Vorschlag für die künftige Parteispitze machen.

Wo wir schon beim Personal sind: Olaf Scholz will ein paritätisches Bundeskabinett. Sie haben gesagt, die SPD gleicht im Zweifel den Männerüberhang der anderen Parteien aus. Zählt der Kanzler in dieser Paritätsrechnung eigentlich mit oder läuft der außer Konkurrenz?

Das müssen Sie erklären.

Wenn der Kanzler mitgerechnet wird, wären es insgesamt 17 Posten. Also würde Parität bedeuten: 9 Frauen und 8 Männer. Neben Olaf Scholz und den beiden als gesetzt geltenden Männern Wolfgang Schmidt (Kanzleramtsminister) und Hubertus Heil (Arbeitsminister) müsste die SPD dann die restlichen fünf Ministerien mit Frauen besetzen.

Die einzige Personalie, die bei der SPD bisher feststeht, ist der Kanzler: Olaf Scholz. Aber es stimmt schon: Viele Männerplätze sind nicht mehr frei im Kabinett. Zum Glück haben wir viele sehr gute Frauen in der SPD.

Auch gute Männer, finden zumindest viele Bürger: Kann man einen Experten wie Karl Lauterbach in einer solchen Lage wirklich nicht zum Gesundheitsminister machen?

Für mich ist entscheidend, dass Olaf Scholz, schon weit bevor er Bundeskanzler ist, handelt und gemeinsam mit Angela Merkel und den Spitzen von Grünen und FDP gegen die Ausbreitung der Pandemie ankämpft.

Corona ist Chefsache?

Ja. Das hat Olaf Scholz mit seinen Entscheidungen in dieser Woche und der Einrichtung des Krisenstabs sehr deutlich gemacht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Lars Klingbeil in Berlin
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