Rennen um CDU-Vorsitz Armin Laschets bemerkenswerte Aufholjagd
Mal geht es rauf, dann wieder steil runter: Armin Laschet durchlebt bislang ein sehr wechselhaftes Rennen um den CDU-Vorsitz. Inzwischen ist er für viele wieder der Favorit. Warum?
An einem Samstag im September macht sich Armin Laschet auf den Weg in die niedersächsische Provinz. Eine kleine Halle, die Junge Union Niedersachsen als Publikum – der Auftritt in Hildesheim gehört normalerweise nicht zu den Top-Terminen, die der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen absolviert. Aber als Laschet am Eingang der Halle auf seinen Auftritt wartet, weiß er, dass der Termin vor den rund 200 Delegierten der Jugendorganisation der CDU eine wichtige Etappe auf dem Weg zum angestrebten Parteivorsitz sein kann.
Denn im ungewöhnlichen Corona-Jahr sind Hunderte Parteiveranstaltungen abgesagt worden. Viele Politiker klagen, dass ihnen die Rückbindung zur Basis fehlt, das Gespür für Stimmungen in der Partei. Für die drei Kandidaten, die auf dem CDU-Bundesparteitag in Stuttgart am 4. Dezember Vorsitzender werden wollen – neben Laschet Friedrich Merz und Norbert Röttgen – ist dies besonders misslich.
Also hat sich der 59-jährige CDU-Politiker kurzerhand aus dem Regierungsalltag in Düsseldorf und dem NRW-Kommunalwahlkampf für ein paar Stunden ausgeklinkt, um nach Hildesheim zu fahren. Entschlossen schreitet er zur Bühne. Rote Krawatte und schwarzer Anzug signalisieren allen: Hier kommt ein Ministerpräsident, kein Anbiederer.
Was hier gelingt, kann auch woanders funktionieren
Am Rednerpult braucht Laschet dann eine halbe Stunde, um zum Kern seiner Botschaft zu kommen: Die CDU habe nur mit einem Mitte-Mann wie ihm eine Chance, der Union nach 16 Jahren Angela Merkel erneut das Kanzleramt zu sichern. "Wir müssen ausstrahlen: Wir wählen jetzt nicht den Bruch mit Merkel – wir wählen eine Kontinuität", sagt er und schaut aufmerksam ins Publikum. Es ist ein bewusster Test bei der eher konservativen Partei-Jugend. Die JU verfügt zwar über wenige Stimmen unter den 1.001 Delegierten auf dem Bundesparteitag. Aber was hier ankommt, kann auch woanders funktionieren.
Die Reaktion soll Laschet zeigen, ob und wie sich die Stimmung in Partei in den vergangenen Monaten gedreht hat. Und tatsächlich: Noch vor einem Jahr hätte der Hinweis auf Merkel Stöhnen des Parteinachwuchses ausgelöst. Seit der Corona-Krise gilt sie aber als Partei-Heilige – und das Bekenntnis zu ihr nicht mehr als Risiko. Am Ende, so registriert Laschet zufrieden, erntet er sogar trotz seines Plädoyers für eine verpflichtende Frauenquote so viel Applaus wie sein Konkurrent Merz, der vier Stunden zuvor in Halle 39 geredet hatte.
"Er gilt derzeit als der wahrscheinlichste Sieger"
Hildesheim ist eine Momentaufnahme in einem langen Rennen. Zwar galt der Sohn eines Bergarbeiters und späteren Grundschullehrers am 25. Februar noch als Favorit auf den CDU-Chefposten. Da hatte er den Coup gelandet zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn ein "Team Laschet" zu präsentieren und Merz die Show zu stehlen.
Aber dann geriet ausgerechnet der mächtige Ministerpräsident in eine Underdog-Position. In Umfragen wurde er bei der Kanzlerpräferenz wie im ARD-Deutschlandtrend sogar von dem Außenpolitiker Röttgen überholt. In Talk-Shows galt er eher als fahrig. In der Corona-Krise ließ er sich zum Antipoden des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder stilisieren, obwohl Bayern pro Kopf bis heute mehr Corona-Infektionen als Nordrhein-Westfalen ausweist. Und während jeder noch so angeschlagene Ministerpräsident in Krisen-Zeiten ein Umfrage-Hoch erlebte, fiel Laschet in der Wählergunst zurück.
Doch nach Gesprächen mit gut zwei Dutzend CDU-Politikern – von denen sich fast niemand zitieren lassen will – zeigt sich wieder ein anderes Bild: Laschet hat nach der Einschätzung vieler zu einer Aufholjagd angesetzt. "Er gilt derzeit als der wahrscheinlichste Sieger im internen Rennen", sagt ein CDU-Bundestagsabgeordneter. Es klingt paradox: Er sagt es ohne große Begeisterung, aber als Beschreibung eines fast zwangsläufig wirkenden Weges zu einer Kanzlerkandidatur Laschets. Dass der Nordrhein-Westfale nun CDU-intern als Favorit gehandelt wird, hat mehrere Gründe – nicht nur, dass die CDU die NRW-Kommunalwahlen ohne große Blessuren überstanden hat.
- Der erste ist der Zeitgeist: In der Partei gebe es angesichts der Krise kein Interesse an einem Wettbewerb, betonte CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus schon vor Wochen. Viele CDU-Politiker fordern deshalb eine "Team"-Lösung der drei Kandidaten – und das spielt Laschet in die Hände. Denn der Ministerpräsident betont ein ums andere Mal, dass er doch in seinem nordrhein-westfälischen Kabinett bereits jene Breite von Sozial- bis Wirtschaftsflügel der Union abbilde, die auch für die Bundesebene wichtig sei. Also wäre da Platz für einen Superminister Merz – den Laschet bereits zum Brexit-Beauftragten der nordrhein-westfälischen Landesregierung gemacht hat.
- Der zweite Grund ist die Nähe zum Merkel-Kurs, die lange als Schwäche der Laschet-Bewerbung galt, nun aber ein Vorteil werden könnte. Am 9. September flog Laschet sogar ins Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos und bot von dort die Aufnahme von 1.000 Flüchtlingen in NRW an. Zwar musste der Besuch abgebrochen werden, zwar murren Unions-Abgeordnete bis heute, dass es eigentlich gar keine Botschaft der Visite gegeben habe. Aber die gewünschten Fotos als Kümmerer hat Laschet produziert – auch Söder sprach sich später für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus.
- Der dritte Grund ist nach Angaben des Laschets-Lagers seine parteipolitische Flexibilität: Laschet galt als Grünen-Versteher, regiert derzeit lautlos mit der FDP und gilt nebenbei als Verfechter der großen Koalition mit der SPD. Während Merz mit seinem eher konservativen Image mit grüner Krawatte und grünem Sakko unterstreichen will, dass auch er mit der Ökopartei regieren könnte, kann sich Laschet in Hildesheim mit Blick auf die FDP sogar den Spruch "Wir brauchen eine starke Liberale Partei" leisten, ohne in ein zu wirtschaftsfreundliches Lager abgeschoben zu werden. Immer wieder schürt das Laschet-Lager die Angst, dass Merz zwar für die Union mehr Stimmen von AfD und FDP holen könnte – aber die 1.001 Delegierten am Tag nach der Bundestagswahl mit einer rot-rot-grünen Bundesregierung aufwachen könnten, weil er anders als Laschet stark polarisiere und Gegner mobilisiere.
- Viertens strahlt Laschet seit der politischen Sommerpause plötzlich mit seinem Amtsbonus mehr Ruhe aus. In seinem Team wird der Eindruck vermittelt, dass er nur auf Fehler seiner Gegner warten müsse. "Noch so eine Bemerkung über Homosexualität und das war es dann für Friedrich", sagt sogar ein Abgeordneter, der Merz-Fan ist, in Anspielung auf eine Bemerkung des Kandidaten in einem "Bild"-Interview.
Röttgen gilt ohnehin weder im Laschet- noch im Merz-Lager als ernstzunehmender Gegner. Am originellsten gilt noch die Überlegung saarländischer CDU-ler, im Dezember Röttgen zu wählen, um dann CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten der Union zu bekommen.
Aber das nimmt man weder bei Laschet noch Merz ernst, die beide mehr oder weniger deutlich gemacht haben, dass der CDU der Posten des Kanzlerkandidaten zusteht – und die nicht ernsthaft glauben, dass der Bayer überhaupt nach Berlin will. Zudem kratzen die anhaltend hohen Infektionszahlen in Bayern mittlerweile auch am Ruf Söders als souveräner Corona-Krisenmanager. "Laschets Stärke ist derzeit die Schwäche seiner Gegner", sagt der Politologe Gero Neugebauer. "Auch Söder hat an Glanz verloren."
Söder und Laschet verstehen sich
Amüsiert verfolgt man im Laschet-Lager eher, dass ausgerechnet Söder zum Steigbügelhalter für den Aufstieg seines Ministerpräsidenten-Kollegen werden könnte: Kommenden Mittwoch will der bayerische Ministerpräsident in Berlin eine neue Biographie über Laschet vorstellen. Der CSU-Chef hatte schon im Juli betont: "Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen" – was als Absage an Kanzlerkandidaturen von Merz und Röttgen verstanden wurde. Ohnehin verstehen sich Söder und Laschet trotz aller öffentlicher Scharmützel. Laschet, der in München studiert hat, ist bekennender Fan des Freistaats – und insgeheim wohl auch von Bayern München. Der gelernte Journalist arbeitete für den Bayerischen Rundfunk.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mehrfach betont, sie wolle sich aus dem Wettlauf um ihre Nachfolge heraushalten. Dennoch bescheinigte sie Laschet bei einem Besuch im NRW-Kabinett am 18. August das "Rüstzeug" für eine Kanzlerkandidatur. Aber seine Wahl auf dem CDU-Parteitag wird alles andere als ein Selbstläufer – zumal die Corona-Pandemie immer noch wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung am 4. Dezember in Stuttgart schwebt. Kommende Woche will sich das Trio Laschet-Merz-Röttgen bei CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer erst einmal über die Modalitäten eines sehr abgespeckten Wahlkampfes unterhalten.
Landesverbände sind noch gespalten
Am 3. Oktober treten die Drei dann bei der JU Nordrhein-Westfalen in Köln auf. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" machte sich die Mühe, die Stimmung in den 15 CDU-Landesverbänden abzufragen, die die 1.001 Delegierten in Stuttgart stellen. Und das Bild ist sehr gemischt: An der Basis gibt es Sympathien für die klaren Ansagen von Merz, der sich im Wahlkampf als Anti-Establishment-Kandidat verkauft. Tatsächlich schwindet die Sehnsucht nach dem regierungsunerfahrenen Merz aber, je höher die Befragten auf der Hierarchieebene in Partei und Regierungen stehen.
Doch auch Laschet hat ein Problem: Die Delegierten aus dem Osten und Baden-Württemberg gelten jedenfalls überwiegend als Merz-Anhänger, ebenfalls viele in Hessen, Rheinland-Pfalz, Hamburg oder auch Niedersachsen. Die Nordrhein-Westfalen, die rund ein Drittel der Delegierten stellen, werden dagegen zumindest mehrheitlich dem Lager Laschets zugerechnet, der als Landesvorsitzender auch Posten verteilen kann. Aber sicher sein kann sich bei der geheimen Wahl niemand.
Deshalb versucht Laschet erkennbar seit dem Ende der Sommerpause, seine Schwachstellen auszubügeln. In kleiner Runde versucht er mit einem Diskurs über Europa- und Außenpolitik den Eindruck zu verwischen, er habe keinen Plan. In Hildesheim skizziert er die Abgrenzung zu den Grünen bei der angestrebten Symbiose von Wirtschaft und Ökologie. "Er ist selbstkritischer geworden, wirkt weniger arrogant und herrisch", lobt ein CDU-Bundesvorstandsmitglied, das ihn seit vielen Jahren kennt.
Der Journalist Hajo Schumacher billigt Laschet in der ARD-Sendung "Maischberger" zu, er sei ruhiger und damit souveräner geworden. Und Laschet selbst geht offensiv auf seine innerparteilichen Gegner zu.
Laschet fährt mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ins Bergwerk Zinnkammern in Schwarzenberg, um die Verbundenheit der ost- und westdeutschen Kumpel zu unterstreichen. Das kommt an. In einem Stadion in Aue erzählt er in frischer werdenden Abendstunden von seiner Bergarbeiter-Familie und zollt den Ostdeutschen beim Festakt zum 30-jährigen Jubiläum des Freistaats Sachsen Tribut für deren Lebensleistung. Prompt erntet er Applaus von den eher konservativen CDU-Leuten in Sachsen, die wissen, dass er allein mit dem Besuch zum ersten Freiluftkonzert in Corona-Zeiten ein politisches Risiko für sie eingegangen ist.
"Er wächst mit seinen Aufgaben", erklärt sein Biograph Moritz Küpper diese Lernkurve. In Hildesheim legt sich Laschet schon mal in einem Punkt fest, der gerade konservativen CDU-Wählern wichtig ist: 2024 müssten Bund und Länder wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, fordert er.
"Laschet ist eben kein Machtmensch, der wie Schröder schon in der Jugend am Zaun des Kanzleramts gerüttelt und gerufen hat 'Ich will hier rein'", sagt Küpper, Journalist beim Deutschlandfunk. "'Einer muss ja' statt 'Ich will' heißt deshalb der Prolog des Buches, das er mit Tobias Blasius geschrieben hat. Dennoch warnt er vor einer Fehleinschätzung: "Mit der Kandidatur für den CDU-Vorsitz hat Laschet entschieden: Er will auch Kanzlerkandidat und Kanzler werden." Die von einigen CDU-Politikern geschürte Variante, Laschet könnte nach seiner Wahl zum CDU-Chef Jens Spahn oder Söder die Kanzlerkandidatur antragen, hält er für völlig absurd.
Am Ende könnte eine paradoxe Entwicklung stehen: Merz erfüllt zwar die Sehnsüchte vieler Parteimitglieder nach Klarheit und Kante. Aber die Delegierten wählen dennoch Laschet, weil er mit seinem Mitte-Kurs und weniger Angriffsflächen als das kleinere Übel gilt – "das erfahrendste Übel", wie ein CDU-Abgeordneter ketzerisch die innerparteiliche Debatte beschreibt. Das zeige durchaus Parallelen zum Aufstieg Merkels nach dem Jahr 2000, die eher als Notlösung nach oben gespült worden sei und sich dann bewährt habe, heißt es in der Union.
Sollte Laschet in Stuttgart tatsächlich gewählt werden, hätte vor allem Altkanzler Gerhard Schröder Recht behalten und eine Wette gewonnen: Er hatte schon im Herbst 2019 bei einem gemeinsamen Termin mit Laschet auf dem Düsseldorfer Rhein-Turm in 170 Metern Höhe vorausgesagt, dass Laschet 2021 Unions-Kanzlerkandidat wird, schreibt Küpper in der Biographie. Wohlgemerkt: Zu einer Zeit, als Kramp-Karrenbauer noch unumstrittene CDU-Chefin war.
- Nachrichtenagentur Reuters