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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue CDU-Chefin Die Zeit des Merkelismus ist noch nicht vorbei
Die CDU ist immer noch bereit für Historisches: Annegret Kramp-Karrenbauer folgt Angela Merkel. Aber sie wird sich beweisen müssen.
Viel ist darüber geredet worden, was Annegret Kramp-Karrenbauer von Angela Merkel unterscheide. An diesem Freitagabend wird ein Unterschied offensichtlich: Jahre an der Spitze und die Selbstbeherrschung, die dadurch entsteht.
Merkel war sichtlich gerührt, als die Delegierten auf dem CDU-Parteitag in Hamburg nach ihrer letzten Rede als Vorsitzende fast zehn Minuten lang applaudierten. Aber sie hatte sich im Griff. Kramp-Karrenbauer wirkte richtiggehend mitgenommen, als das Ergebnis der Stichwahl bekannt gegeben wurde: 517 Stimmen von 999 hat sie bekommen, 482 gingen an Friedrich Merz. Fast getroffen saß sie auf dem Podium, starrte in den Saal.
Es war nicht selbstverständlich, dass sie gewinnen würde, und so oft sie im Wahlkampf auch erzählt hat, sie sei enge Wahlen ebenso gewohnt wie Niederlagen: Diesmal stand noch mehr auf dem Spiel.
Ihre Zukunft. Merkels Vermächtnis. Sie hat es, wieder einmal, geschafft, eine Mehrheit zu sichern. Wie schon zweimal im Saarland. Aber das war erst der Anfang. Wenn alles gut geht für sie, wird Kramp-Karrenbauer viele Jahre haben, um sich daran zu gewöhnen, ganz oben zu sein. Sie ist jetzt erste Anwärterin auf die Kanzlerinnenkandidatur, spätestens 2021, vielleicht schon vorher. Aber darauf verlassen kann sie sich nicht.
Ambitionen waren lange bekannt
Über Kramp-Karrenbauers Ambitionen in Berlin wird seit einigen Jahren geredet, auch dass Merkel viel von ihr hält, war bekannt. Den großen, unumkehrbaren Schritt, machte sie aus eigenem Antrieb: Merkel wollte sie ins neue Kabinett holen, am besten als Innenministerin. Kramp-Karrenbauer schlug vor, sie könne Generalsekretärin werden. Eigentlich ein Rückschritt für eine Ministerpräsidentin. Aber sie wusste, dass sie Zeit braucht, um die Partei kennenzulernen und ein Netzwerk aufzubauen. "Ich kann, ich will und ich werde", rief sie der Partei zu.
Sie bekam 98 Prozent und weniger Zeit als erhofft. Dass Merkel so plötzlich hinwirft, dass sie selbst springen muss, das wusste sie nicht, versichert sie glaubhaft. Ihre "Zuhör"-Tour war der erste Schritt in die Mitte der Partei, aber sie hätte nicht der letzte bleiben sollen.
Jetzt musste es reichen. Kramp-Karrenbauer verkündete ihre Kandidatur und machte dann: wenig Fehler.
Ohne Deals geht es nicht
Sie ließ erst Merz vorpreschen, dann Spahn, dann ein paar Tage vergehen, bevor sie eine Reihe von Interviews gab. Sie sprach extrem diszipliniert, wurde los, was sie loswerden wollte, platzierte gezielt ihre Forderungen. Positionierte sich als gesellschaftspolitisch Konservative und sozialpolitisch eher Linke. Setzte sich von Merkel ab, ohne sie zu verleugnen. Hielt dann eine sehr klare Rede mit einem klaren Leitmotiv: Wir müssen mutig sein, dann können wir etwas erreichen.
Welche Landesverbände und Einzelpersonen sie am Ende genau unterstützten, wird in den kommenden Tagen und Wochen herauskommen. Offensichtlich ist es ihr gelungen, etwa die Hälfte der Wähler Spahns aus der ersten Wahlrunde in der Stichwahl zu sich zu ziehen. Ohne Deals und Versprechen ist so etwas nicht zu machen. Unter ihr werde die Partei nicht ruhen, bis Michael Kretschmer in Sachsen als Ministerpräsident bestätigt ist, sagte sie zum Beispiel in ihrer Rede. Damit versprach sie Unterstützung.
Nur Deals reichen nicht
Doch auch Absprachen und geschickter Wahlkampf hätten nicht gereicht, gäbe es nicht Tiefenströmungen in der CDU, die zwischen Forderungen nach Erneuerung, gellender Kritik an der Kanzlerin und dem Raunen einer Kanzlerinnendämmerung oft nicht so auffallen.
Mit Kramp-Karrenbauer folgt zum ersten Mal in der Bundesrepublik eine Frau als Alleinvorsitzende einer Bundestagspartei auf eine Frau als Alleinvorsitzende. Das ist historisch und noch keineswegs selbstverständlich. Merkel hat Kramp-Karrenbauer nicht inthronisiert, aber noch so viel Restmacht aufgebracht, um die Voraussetzungen für die Möglichkeit dieses Wechsels zu schaffen.
Das ging nur, weil es nach wie vor sehr viele in der Partei gibt, die wollen, dass sich die CDU verändert, wie sie sich zuletzt veränderte, anstatt sich wieder in eine Partei zu verwandeln, die sie nie war.
Merkels Zeit mag also zu Ende gehen, die des Merkelismus noch nicht, dieser politischen Philosophie, die darum kreist, sich nicht irre machen zu lassen, nicht tief zu verletzen und darum, den Wandel zuzulassen. Der Merkelismus war in den vergangenen Monaten, in denen Merkels Macht schwand, immer noch stärker, als er oft gemacht wurde. Er hat immer noch viele Anhänger. Kramp-Karrenbauer ist eine Vertreterin, auch wenn sie nicht Merkel ist und eigene Ideen hat.
Die CDU hat sich weder gegen Merkel entschieden noch gegen Merz
Auch Delegierte aus dem Osten wählten Kramp-Karrenbauer, aus Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, solche aus Nordrhein-Westfalen, selbst aus Baden-Württemberg. Die CDU hat sich eben nicht gegen Merkel entschieden.
Andererseits bekam auch Merz, der so lange weg war, die weniger strukturierte Rede hielt und im Wahlkampf mehr Fehler gemacht hatte, fast 50 Prozent der Stimmen. Die CDU hat sich auch nicht klar gegen Merz entschieden.
Kramp-Karrenbauer hat bewiesen, dass sie eine knappe Mehrheit ihrer Partei überzeugen kann. Sie hat Mut gefordert und versprochen, dass aus diesem Mut etwas folgen werde: gelingende Digitalisierung, ein starkes Europa, eine funktionierende internationale Ordnung.
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An diesen Versprechen wird sie gemessen werden. Und viele werden sie dabei sehr argwöhnisch beobachten. Nur wenn sie ihre Versprechen halten kann, bekommt sie diesmal genug Zeit, um irgendwann so vollkommen beherrscht zu werden wie Merkel. Wenn sie denn danach strebt. Das ist ja gar nicht gesagt.
- Eigene Recherchen vor Ort