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Boris Pistorius: Was den SPD-Verteidigungsminister auszeichnet


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Pistorius verzichtet auf Kanzlerkadidatur
Er lässt Scholz alt aussehen


Aktualisiert am 23.11.2024Lesedauer: 5 Min.
Interview mit Bundesminister für VerteidigungVergrößern des Bildes
Boris Pistorius: Er verzichtet auf die Kanzlerkandidatur. (Quelle: Carsten Koall/dpa/dpa-bilder)
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Viele SPD-Politiker wollten ihn als Kanzlerkandidaten, er ist im Volk beliebt: Doch Boris Pistorius verzichtet. Was zeichnet ihn aus?

Es ist noch nicht lange her, da konnten selbst Fachleute nicht viel mit dem Gesicht von Boris Pistorius anfangen. Als der damalige Innenminister Niedersachsens über die Flure des Bundesrates ging, wollte ein Reporter ein Statement von ihm – weil er ihn für den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet hielt. Pistorius spielte für einige Minuten mit und ließ den Irrtum erst kurz vor einer Live-Schalte auffliegen.

Mittlerweile ist das anders: Pistorius ist längst der beliebteste Politiker des Landes. Dabei ist er Teil einer historisch unbeliebten Bundesregierung und leitet mit dem Verteidigungsministerium ein Ressort, das für seine beiden Vorgängerinnen Christine Lambrecht und Annegret Kramp-Karrenbauer das Ende ihrer politischen Karrieren bedeutete.

Pistorius hingegen scheint indes besonders von dieser Position zu profitieren. Seine Beliebtheit hat ihn zwischenzeitlich zu einer ernsthaften Bedrohung für Bundeskanzler Olaf Scholz werden lassen. Zahlreiche SPD-Politiker forderten ihn als nächsten Kanzlerkandidaten. Nun hat er zwar in einer Videobotschaft erklärt, keine Kanzlerkandidatur anzustreben, die Stimmung in der Partei und der Bevölkerung hat sein Potenzial als zukünftiger Kanzler aber deutlich aufgezeigt.

Video | So erklärt Pistorius seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur
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Denn Pistorius verkörpert viel von dem, was die Menschen bei Scholz vermissen. Seine geradlinige Art und seine ungeschönten Analysen in einer Welt voller Bedrohungen kommen bei den Leuten gut an.

Pistorius hat das, was Scholz fehlt

Pistorius ist nahbar, kommuniziert gut und kann Politik verständlich erklären. Es macht ihn glaubwürdig. Auch deshalb könnten ihm die Bürger die Botschaft seiner Videoerklärung abnehmen. Lesen Sie hier mehr dazu.

Vor allem aber redet Pistorius Klartext: Er will Deutschland "kriegstüchtig" machen und fordert dafür mehr Geld für die Bundeswehr. Er warnt, in "fünf bis acht Jahren" könnte Russland die Nato angreifen. Viele Politiker scheuen sich vor solchen Aussagen. Pistorius würden die Menschen trotzdem vertrauen und einen großen Respekt vor der Ernsthaftigkeit seiner Arbeit haben, sagte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil laut "Cicero". Denn: Die Leute sehnen sich nach Ehrlichkeit. Auch die mitschwingende Unzufriedenheit von Pistorius kommt an. Schließlich herrscht in der gesamten Gesellschaft im Moment so viel Unzufriedenheit wie lange nicht.

Allerdings ist er in der SPD für diesen Kurs auch nicht unumstritten. Denn gerade der linke Parteiflügel hadert mit Pistorius Rhetorik und weitreichenden Forderungen in der Ukraine- und Sicherheitspolitik. Die Sorge: Er tickt hier noch konservativer als Scholz. Doch die Stimmung ist zuletzt offenbar gekippt, denn auch in der Parteilinken wuchs teilweise die Erkenntnis, dass ein Wahlkampf mit Pistorius Erfolg versprechender sein könnte. Pistorius' Verzicht dürfte bei vielen Genossen an der Basis Enttäuschung auslösen. "Ich bedauere diese Entwicklung", sagte etwa der Abgeordnete Joe Weingarten dem "Spiegel".

Trotz Kritik: Pistorius kann etwas vorweisen

Generell ist man in der SPD der Ansicht, Pistorius mache einen guten Job. Auch wenn die Opposition ihn als "Ankündigungsminister" tituliert und meint, er rede zwar viel von Vorhaben, setze diese aber selten um, erkennt seine Partei seine Erfolgsbilanz an.

Die Einführung der Brigade in Litauen brachte ihm auch international große Anerkennung. Und unter seiner Führung erfüllte Deutschland erstmals seit Jahrzehnten wieder die Nato-Vorgabe, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts in die Verteidigung zu investieren – wenn auch nur mithilfe des Bundeswehrsondervermögens, das Olaf Scholz möglich machte. Pistorius machte sich für einen neuen Wehrdienst stark, auch wenn der aufgrund des vorzeitigen Endes der Ampelkoalition wohl nun nicht mehr verabschiedet wird.

Während es in vielen Ministerien Streit gab, machte Pistorius einfach sein Ding, ohne große Skandale. Auch, weil die Verteidigung durch den Ukraine-Krieg eine ganz neue Relevanz gewonnen hat. Forderungen nach mehr Rüstungsausgaben und die Beschaffung neuer Waffensysteme für die Bundeswehr fanden plötzlich Zuspruch in der Bevölkerung – waren aber auch in der Ampelkoalition weitgehend unumstritten. Endlich konnte sich ein Verteidigungsminister auch mal mit Erfolgen schmücken, so wirkte das auf viele in der SPD.

Beliebt in der Bevölkerung und in der Truppe

Und auch in der Truppe ist der Verteidigungsminister im Gegensatz zu zahlreichen Vorgängern beliebt. Denn er setzte sich ernsthaft mit den Strukturen auseinander und stieß Reformen an. Seine zupackende Art und ungeschminkte Rhetorik wird auch in der Bundeswehr geschätzt.

Schon in seiner Zeit in der Verwaltung als Büroleiter des niedersächsischen Innenministers Gerhard Glogowski soll er wegen dieser Eigenschaften aufgefallen sein und die Wichtigkeit klarer Ansagen gelernt haben, heißt es im "Cicero".

Danach machte Pistorius zwar in der niedersächsischen Politik Karriere, ohne allerdings groß aufzufallen. Er begann im Stadtrat seiner Heimatstadt Osnabrück, wurde schließlich Oberbürgermeister, bevor ihn der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil 2013 als Innenminister in sein Kabinett holte.

Schon als Innenminister sprach er Klartext

Zehn Jahre hatte er diesen Posten inne. Die Aufklärungsquote der Kriminalität stieg in dieser Zeit. Pistorius' Ministerium hatte den Ruf, gut geführt zu sein, er soll an entscheidenden Stellen die richtigen Leute gesetzt haben. Auch sein Draht zu den Polizisten sei schon damals gut gewesen. Er hörte sich deren Sorgen an, ging auf ihre Wünsche ein.

Bereits damals fiel Pistorius in Interviews mit klaren, mitunter provozierenden Positionen auf und wurde zunehmend bekannter, als einer, der sagt, was ist. Seine Popularität beschränkte sich damals noch auf das Bundesland Niedersachsen, in dem er tief verwurzelt ist. Bereits seine Mutter war dort langjährige SPD-Landtagsabgeordnete.

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Doch Pistorius musste auch politische Niederlagen einstecken: Als er 2019 für den Vorsitz der Bundespartei kandidierte, landete er nur auf dem fünften Rang – deutlich hinter Olaf Scholz, der damals ebenfalls nicht gewählt wurde. Schon damals zeigte sich, dass nicht alle in der SPD hinter dem Klartext-Politiker stehen.

Pistorius will nach oben

Dass Pistorius schon länger Ambitionen auf die ganze große politische Bühne hegt, zeigte bereits seine Vorsitzkandidatur 2019. Anfang des Jahres erregte er Aufsehen, als er in einem Interview die SPD mit einer kriselnden Fußballmannschaft verglich: "Die schmeißt den Trainer vielleicht raus, aber sie wirft nicht die Systeme durcheinander." Der Kanzler als Trainer: Das konnte als Signal an Scholz gewertet werden. Damals löste seine Aussage in der SPD jedoch auch Kopfschütteln aus.

In der Folge hatte er viele in der Partei offenbar überzeugt und ließ weiter Raum für Spekulationen, etwa wie jüngst bei einer Veranstaltung der Mediengruppe Bayern, als er gefragt wurde, ob er ausschließen könne, Kanzlerkandidat zu werden: "In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschließen", sagte er da. "Das Einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, dass ich noch Papst werde."

Er weiß allerdings: Den amtierenden Kanzler herausfordern kann er nicht. Auch wenn sich zahlreiche SPD-Mitglieder hinter den Verteidigungsminister gestellt haben, hielt die SPD-Führung zu Scholz. Pistorius stellt sich deshalb hinter den Kanzler, er ist trotz seiner Klartext-Rede nicht der Typ für große Revolten – sondern treuer Parteisoldat.

Erst mal zweite Amtszeit als Veteidigungsminister – und dann?

Im Verteidigungsministerium hat er trotz eines angekündigten Umbaus der Strukturen bisher vermieden, große Reformen durchzusetzen und sich so mit dem Personal anzulegen und Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen. Bei gemeinsamen öffentlichen Auftritten lässt er meist Scholz im Vordergrund stehen und hält sich zurück. Er weiß, wer noch das Kommando hat.

Wenn Scholz die kommende Wahl allerdings verliert, müsste Pistorius sich kaum mehr zurückhalten. Zunächst strebt er eine "zweite Amtszeit" als Verteidigungsminister an, verkündete er in seiner Stellungnahme. Er habe sich "das Vertrauen der Truppe erarbeitet. Und das ist mir sehr wichtig". Die Arbeit sei "noch nicht erledigt, ich will sie fortsetzen, es gibt noch viel zu tun".

Allerdings würde er auch in der parteiinternen Hierarchie aufsteigen und könnte sich die beste Ausgangsposition für die Kanzlerkandidatur in vier Jahren sichern. Bekannt genug ist Pistorius jedenfalls inzwischen. Mit Armin Laschet wurde er schon lange nicht mehr verwechselt.

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