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Pistorius verzichtet auf SPD-Kanzlerkandidatur – und lobt Scholz' Ukraine-Kurs


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Pistorius trifft Entscheidung
Ein Wort lässt aufhorchen


Aktualisiert am 21.11.2024 - 23:57 UhrLesedauer: 4 Min.
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Im Video: So erklärt Boris Pistorius seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur.

Tagelang herrschte in der SPD eine Hängepartie, nun ist die Entscheidung gefallen: Boris Pistorius verzichtet auf die Kanzlerkandidatur. In einem Video an die Mitglieder fällt ein bemerkenswertes Wort.

Sind die Chaostage der SPD damit vorüber? Seit über einer Woche tobt ein offener Machtkampf um die Frage, wer Kanzlerkandidat der Partei werden soll – der bei den Deutschen unbeliebte Kanzler Olaf Scholz oder Umfragekönig und Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Nun ist die Entscheidung gefallen: Pistorius kündigte am Donnerstagabend in einer Videobotschaft an die SPD-Mitglieder seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur an (Video siehe oben). "Soeben habe ich unserer Partei- und Fraktionsspitze mitgeteilt, dass ich nicht zur Verfügung stehe für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers."

Olaf Scholz sei ein "starker Kanzler" und der "richtige Kanzlerkandidat", so Pistorius. Er versichert, das sei seine "souveräne und persönliche Entscheidung". Damit ist der Weg frei für Kanzler Scholz, sich bei den Neuwahlen am 23. Februar erneut um das Amt des Bundeskanzlers zu bewerben. Am nächsten Montag könnte der SPD-Vorstand Scholz als Kanzlerkandidaten per Beschluss formal krönen.

Plötzlich Lob für Scholz' "besonnenen" Ukraine-Kurs

Der Bundesverteidigungsminister lobt in dem dreiminütigen Video auch die Regierungsarbeit von Scholz auf internationaler Ebene, etwa dass Scholz Deutschland zu einem "verlässlicheren Nato-Bündnispartner" gemacht habe.

Auffällig ist, dass Pistorius in dem Zusammenhang auch Scholz' "Besonnenheit" positiv erwähnt – eigentlich ein Wahlkampfbegriff aus dem Kanzleramt und dem Friedensflügel der SPD, die damit Einschränkungen bei den deutschen Ukraine-Hilfen begründen. Pistorius vertritt in der Frage eigentlich die Gegenposition.

Hinweise verdichteten sich zuletzt

Die Hinweise, dass Scholz im parteiinternen Kandidatenrennen die Nase vorn haben könnte, verdichteten sich in den vergangenen 24 Stunden. Am Mittwoch gab SPD-Chef Lars Klingbeil in einem "Bild"-Podcast zudem eine klare Andeutung, als er über den anstehenden Wahlkampf sagte: "Es wird die Auseinandersetzung zwischen Scholz und Merz an dieser Stelle sein." Scholz kam da wenige Stunden vorher vom G20-Gipfel aus Brasilien zurück.

Für einen Moment sah es gut aus für Pistorius

Noch Anfang der Woche hatten selbst einflussreiche Sozialdemokraten vermutet, das Pendel könnte in Richtung Pistorius ausschlagen. Zahllose Vertreter der Parteibasis, mächtige Abgeordnete und wichtige Landesverbände wie NRW sprachen sich mal mehr, mal weniger offen für den Verteidigungsminister als Kanzlerkandidaten aus. Die Pistorius-Welle in der SPD war in vollem Gange.

Auch Pistorius selbst nährte Spekulationen über einen Kandidatenwechsel, indem er am Montag erklärte, in der Politik sollte man "nie etwas ausschließen".

Die entscheidenden Akteure allerdings hielten Scholz weiter die Treue. Die Partei- und Fraktionsführung der SPD erklärte mehrheitlich ihre Solidarität mit dem Kanzler, während der vom G20-Treffen in Rio de Janeiro aus der heimischen Revolte zuschaute. Auch bekannte sich kein SPD-Ministerpräsident offen zu Pistorius. Nur vereinzelt gab es vielsagende Äußerungen, etwa von Alexander Schweitzer aus Rheinland-Pfalz, die eine Hintertür offenhielten.

Unmut über die SPD-Führung

Dass die Parteispitze die Debatte überhaupt zuließ, stieß vielen Genossen auf. So sagte SPD-Urgestein Matthias Machnig am Dienstag t-online: "Die SPD kreist um sich selbst. Damit beschädigt sie sich selbst und auch den künftigen Kanzlerkandidaten." Die Parteiführung hätte die Debatte gar nicht erst aufkommen lassen dürfen.

Tatsächlich haben die Parteioberen recht spät reagiert: Monatelang wussten die Vorsitzenden Klingbeil und Saskia Esken, dass es in der SPD große Sympathien für Pistorius gibt. Bei jeder Wahlniederlage der letzten Monate wurde das Grummeln in der Partei über den ungeliebten Scholz lauter – es war eine Revolte mit Ansage. Ein Grund für das Warten mag auch darin gelegen haben, dass es in der SPD-Spitze durchaus Zweifel am Kandidaten Scholz gibt.

Wie viel Schaden die Partei sich in den vergangenen Tagen selbst zugefügt hat, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen. Klar ist: Die parteiinternen Zweifel könnten Scholz bis zum Wahltag verfolgen. Denn aus Sicht der politischen Konkurrenz sind sie kostenlose Wahlkampfgeschenke, die man kaum liegen lassen wird.

CDU-Herausforderer Friedrich Merz kann sich gezielt aus dem Fundus bedienen und Scholz bis zum Wahltag die Zitate aus der SPD vorlesen, die dessen Autorität innerhalb der Partei infrage stellen. Nach dem Motto: Warum sollen die Bürger einen (erneut) zum Kanzler machen, der nicht mal den Rückhalt seiner eigenen Partei hat?

 
 
 
 
 
 
 

Das Dilemma der Genossen

Eine andere Frage ist, ob sich nach Pistorius' spätem Verzicht die Reihen hinter Scholz tatsächlich schließen werden. Nur wenige Stunden, bevor die SPD das Pistorius-Video veröffentlichte, erreichte die Partei eine weitere schlechte Nachricht: Laut dem "Deutschlandtrend" rutscht die Partei in der Wählergunst um weitere zwei Prozentpunkte auf nur noch 14 Prozent ab.

Auch bei den persönlichen Werten verliert Scholz und liegt mit 20 Prozent Zustimmung weit hinter Pistorius, der um weitere sechs Prozentpunkte auf 61 Prozent zulegt.

Von außen betrachtet wäre es fast logisch gewesen, Pistorius zu nominieren. Doch gute Umfragen alleine machen noch keinen Kanzler, die SPD-Spitze musste eine Vielzahl an Faktoren berücksichtigen. Ein plötzliches Umschwenken auf einen anderen Kandidaten wäre riskant gewesen, viele Fragen wären offen gewesen. Etwa: Wie sattelfest ist Pistorius bei Wirtschafts- und Sozialthemen? Würde die SPD bei einem Wechsel nicht drei Jahre Regierungsarbeit komplett infrage stellen? Und wie könnte sich Pistorius vom amtierenden Kanzler absetzen?

Die SPD-Strategen dürften dieser Tage zudem an den fulminant entgleisten "Schulz-Zug" gedacht haben: Der frühere Parteichef Martin Schulz startete Anfang 2017 mit blendenden Werten, stürzte aber nach einer Reihe vergeigter Landtagswahlen in ein Umfrageloch und endete Monate später mit dem schlechtesten Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl.

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Festhalten an Scholz ist riskant

Auch baut Klingbeil bereits strategisch für die nächsten Jahre vor. Ein politisches Schwergewicht wie Pistorius zum Kanzlerkandidaten aufzubauen, der auch bei einem akzeptablen Wahlergebnis der neue starke Mann der SPD werden würde, hätte womöglich Klingbeils eigene Pläne durchkreuzt. Sollte die SPD mit Scholz verlieren, liefe dagegen alles auf den SPD-Chef hinaus. Scholz wird bei einer Wahlniederlage vermutlich kein Machtfaktor mehr in der SPD sein.

Andererseits ist auch ein Festhalten an Scholz riskant: Sollte die SPD Scholz ins nächste Wahldesaster stürzen, könnte das vor allem Klingbeil angelastet werden. Er ist das aktuelle Machtzentrum der Partei. Zugleich ist noch völlig unklar, wie die SPD den Bürgern einen gescheiterten und historisch unbeliebten Kanzler als bessere Alternative verkaufen will. Nur auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Schwächen von Friedrich Merz hinzuweisen, wird vermutlich nicht reichen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • ARD-DeutschlandTrend
  • bild.de: SPD-Chef Klingbeil: "Jetzt schnell den Schalter umlegen!"
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