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Hans-Christian Ströbele: Schafft den Bundesverfasssungsschutz endlich ab!


Meinung
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Bundesverfassungsschutz
Totalversagen einer Behörde

MeinungGastbeitrag von Hans-Christian Ströbele (Grüne)

Aktualisiert am 27.11.2018Lesedauer: 4 Min.
Zentrale des Bundesverfassungschutzes: Hans-Christian Ströbele plädiert für die Abschaffung der Behörde.Vergrößern des Bildes
Zentrale des Bundesverfassungschutzes: Hans-Christian Ströbele plädiert für die Abschaffung der Behörde. (Quelle: Ina Fassbender/Reuters-bilder)

Skandale zuhauf, dafür kein Ertrag – es ist an der Zeit für harte Entscheidungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz, meint der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele in einem Gastbeitrag.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland schützen. Möglichst effektiv. Die Behörde und ihre Arbeit ist allerdings seit Längerem umstritten.

Die Untätigkeit bei den Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds und der Anschlag von Anis Amri in Berlin sind nur einige der Kritikpunkte. In einem Gastbeitrag fordert der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele Konsequenzen. Und schlägt zugleich eine Lösung vor.

Der Präsident des deutschen Inlandsgeheimdienstes, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, ist nun im Ruhestand, Thomas Haldenwang ist sein Nachfolger. Beim BfV bleibt alles so, wie es ist und das darf nicht sein. Im Gegenteil: Das Bundesamt für Verfassungsschutz gehört abgeschafft!

Das Amt und sein Nutzen waren schon immer umstritten. Der erste Präsident Otto John wechselte 1954 in die DDR, weil er den wachsenden Einfluss von Ex-Nazis wie dem damaligen BND-Präsident Reinhard Gehlen kritisierte. In den Sechzigerjahren überwachte das BfV unbefugt mithilfe der Alliierten den Telefon- und Briefverkehr in der Bundesrepublik.

Sogar parteipolitisch ließ es sich missbrauchen: Auf Geheiß eines CSU-Staatssekretärs half das BfV dem CDU-Abgeordneten Todenhöfer im Wahlkampf 1983 mit einem Dossier über einen Bundestagskandidaten der Grünen, die erstmals kandidierten. Nach anfänglicher Weigerung lieferte das Amt.

Auch in der Gegenwart hat der Verfassungsschutz immer wieder eklatante Missstände offenbart. Im Fall des NSU-Trios, das über zehn Jahre lang unerkannt im Untergrund in Deutschland zehn Menschen ermordete, einen Sprengstoffanschlag und Raubüberfälle beging, wurde in Untersuchungsausschüssen des Bundestages auch das Totalversagen des Verfassungsschutzes beleuchtet. Es gab fast ein Dutzend V-Leute im Umfeld rechtsextremistischer Gruppen – und, wie wir heute wissen, auch in solchen, in denen das NSU-Trio unterkam und Unterstützung fand.

Aber der Verfassungsschutz gab zehn Jahre keine Hinweise zu dem gesuchten NSU-Trio an die Strafverfolgungsbehörden, obgleich er in dem Fall des NSU-Bombenanschlages in Köln 2004 durchaus auch Rechtsextremisten in Verdacht hatte.

Hans-Christian Ströbele, geboren 1939, ist Politiker der Grünen. Als früheres Mitglied des Bundestags gehörte Ströbele viele Jahre dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der deutschen Geheimdienste an. Die in Gastbeiträgen geäußerte Meinung ist die es Autors und entspricht nicht unbedingt derjenigen der t-online.de-Redaktion.

Im Gegenteil, das Thema wurde verschwiegen: Auf einer Sicherheitskonferenz 1999 wurde behauptet, eine rechtsextremistische Organisation, die schwere Straftaten plane, gebe es nicht. Monate vorher hatte es in Sachsen Raubüberfälle gegeben, die nicht aufgeklärt wurden. Und noch verhängnisvoller: Das BfV schrieb jährlich in seine öffentlichen Jahresberichte ab 2003, dass Absichten, einen Kampf aus der Illegalität heraus zu führen, in der rechten Szene nicht erkennbar seien. Es gebe derzeit auch keine Anhaltspunkte, dass eine solche Gruppe ein Umfeld finden würde. Diese Fehleinschätzungen hatten verhängnisvolle Folgen. Das Trio konnte viele Jahre weitermorden.

Doch das Versagen geht weiter. Im Fall des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 hat auch der Verfassungsschutz versagt. Entgegen den Behauptungen Maaßens war nicht nur die Polizei, sondern auch das BfV über die Verdachtsgründe gegen den Attentäter Anis Amri seit Anfang 2016 informiert. Ebenso über Telefonkontakte Amris zu IS-Kämpfern in Libyen, bei denen er in verschlüsselter Sprache Rat für einen Anschlag suchte.

Das BfV hatte sogar selbst Aufgaben bei den Ermittlungen übernommen. Noch Anfang November 2016 – also zwei Monate vor dem Anschlag – sollte der Geheimdienst in Marokko nähere Erkenntnisse abfragen, nachdem von dort Warnungen vor islamistischen Verbindungen und Absichten Amris kurz vorher gekommen waren. Aber das BfV unternahm nichts, um vor der von Amri ausgehenden Gefahr zu schützen, der Geheimdienst weist bis heute jede Verantwortung von sich und schützt die eigene Quelle im Umfeld von Amri.

Eine Reform reicht nicht

Das Totalversagen blieb seitdem jedoch ohne personelle Konsequenzen für die Verantwortlichen. Alle blieben im Amt, einige wurden sogar befördert. Für die spätere Entlassung Maaßens in den Ruhestand in diesem Jahr spielte das Versagen im Fall Amri keine Rolle.

Nach all diesen Ereignissen und Versäumnissen ist es mit einer Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutzes nicht getan. Das BfV in der jetzigen Form muss aufgelöst werden. Für die Neuorganisation des Schutzes der Verfassung und der Bevölkerung müssen neue Wege gegangen werden. Das BfV braucht es dafür nicht, denn das hatte stets die Tendenz, ein problematisches und kaum zu kontrollierendes Eigenleben zu führen.

Exekutive Befugnisse, wie die Geheimdienste anderer Länder, hat das Bundesamt ohnehin nicht. Es darf keine Durchsuchungen oder Verhaftungen durchführen. Seine Aufgabe ist es, Informationen über verfassungsfeindliche Aktivitäten zu sammeln und zu bewerten. Dies geschieht auch heute schon ganz überwiegend aus allgemein zugänglichen Quellen wie Presse, Medien oder dem Internet.

Kleiner, aber effizienter

Diese Aufgabe kann auch eine private wissenschaftliche Stiftung übernehmen, die staatlich finanziert ist. Für einen Rest der heutigen Aufklärungsmittel des BfV, wie die Überwachung von Telekommunikationsverkehren und verdeckte Ermittlungen, genügt eine viel kleinere Behörde, die als Abteilung beim Justizministerium angesiedelt werden könnte.

Die Arbeit dieser viel kleineren Abteilung kann durch Regierung, Parlament und Gerichte besser kontrolliert werden. Verdichten sich Anhaltspunkte zu einem Verdacht, dass Straftaten begangen wurden oder vorbereitet werden, sind ohnehin die Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaft, zuständig und nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz.

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