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Thüringen: Ministerpräsident Ramelow: "Herr Höcke ist auf seine Art feige"


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Ministerpräsident Bodo Ramelow
"Wer soll Ihnen den Hintern abwischen?"


Aktualisiert am 29.03.2024Lesedauer: 9 Min.
Bodo Ramelow: Thüringens Ministerpräsident will keine Minderheitsregierung mehr.Vergrößern des Bildes
Bodo Ramelow: Thüringens Ministerpräsident will keine Minderheitsregierung mehr. (Quelle: Michael Hübner)
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Bodo Ramelow ist nicht nur Ministerpräsident von Thüringen und Linken-Politiker, er ist auch gläubiger Protestant. Ein Gespräch über Verletzung und Vergebung, Sahra Wagenknecht und die AfD.

Er ist schlank geworden. Bodo Ramelow hat zehn Kilo abgenommen. Seit Mitte Januar fastet der Ministerpräsident. Keinen Alkohol, keine feste Nahrung nach Einbruch der Dunkelheit. Ramelow, der als gläubiger Protestant auch schon mal in Kirchen predigt, empfängt in seinem Büro in der Thüringer Landesvertretung in Berlin.

Ramelow ist in der Hauptstadt, auch weil er als Schlichter im Tarifstreit zwischen der Lufthansa und Verdi im Einsatz war. Am Mittwoch gab es nun eine Einigung – Streiks über Ostern sind damit abgewendet. Das freut Ramelow auch aus persönlichen Gründen: Er will mit seiner Frau und Freunden über Ostern in Südtirol wandern.

Kraft tanken – für die anstrengenden Monate danach. Denn im Herbst wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Und die AfD ist derzeit stärkste Kraft. Das macht nicht nur eine Regierungsbildung äußerst schwierig, sondern auch den Wahlkampf härter, warnt Ramelow.

t-online: Herr Ramelow, wohin geht es für Sie als Erstes am Wahlsonntag im September: in die Kirche oder ins Wahllokal?

Bodo Ramelow: Um 10 Uhr geht es in den Gottesdienst, dann ins Wahllokal.

Warum diese Reihenfolge?

Weil der Gottesdienst mir Kraft gibt, auch für die Politik. Ich besuche zum Beispiel im Parlament immer die Andacht und bin dann für die Debatten gut gewappnet.

Vergebung verleiht auch Kraft, heißt es im christlichen Glauben. Können Sie gut verzeihen?

Ja, kann ich. Durch meine Scheidungen habe ich gelernt, dass man sich eingestehen sollte, wo man andere verletzt hat und selbst verletzt wurde. Ob willentlich, wissentlich oder unwissentlich. Nur mit Verzeihen kommt man aus der Streitspirale heraus.

Katja Wolf, die Oberbürgermeisterin von Eisenach, hat die Linke verlassen und tritt nun für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Wie schwer fiel es Ihnen, ihr zu verzeihen?

Ich gebe zu: Das hat mich eine Woche lang hart beschäftigt. Nicht das Gehen, aber die Art und Weise war für mich ein Problem.

Warum?

Wir hatten am Tag, bevor sie ihren Austritt bekannt gab, noch zusammen einen Termin in Eisenach zu Zukunftsprojekten, für die ich die Schirmherrschaft übernommen habe, und sie hat mir nichts gesagt. Um da aus der Spirale von Ärger und Verletztsein zu kommen, habe ich ihr eine SMS geschrieben, wir haben uns getroffen und intensiv geredet.

Hat Katja Wolf Sie um Verzeihung gebeten?

Über den Inhalt des Gesprächs werde ich natürlich nichts sagen. Aber wir sind seitdem in Kontakt und die Verletztheit ist abgeschlossen.

Wie viele Ihrer Parteikollegen haben Sie neben Katja Wolf in Thüringen schon an Sahra Wagenknecht verloren?

Nicht sonderlich viele, die genaue Zahl kenne ich aber nicht.


  • Hier im Podcast geht es auch um das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Frage, ob solche neuen Parteien zu noch mehr Zersplitterung führen (ab Min. 11:30):
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In den jüngsten Umfragen ist das BSW allerdings ein großer Wurf: Die Linke hat vier Prozentpunkte verloren, das BSW liegt bei 16 Prozent. Wie sehr schadet Ihnen Wagenknechts Partei?

Ich kämpfe nicht gegen das BSW. Ich kämpfe für die Demokratie, eine starke Linke und gegen die Verharmlosung des Faschismus. Die Bedrohung in Thüringen heißt für mich ganz klar Björn Höcke. Und die AfD ist in Umfragen aktuell wieder unter 30 Prozent. Das stimmt mich froh.

Ist das für Ihre Partei mit Blick auf den Landtagswahlkampf strukturell verkraftbar?

Wir haben in Thüringen einen stabilen Linken-Landesverband. Trotzdem wünschte ich, diesen Bruch hätte es nicht gegeben. Sahra Wagenknecht hat mit Verweis auf persönliche Verletzungen eine eigene Partei gegründet, aber, was ich jetzt wahrnehme, dreht die sich nur um sie selbst. Das erscheint mir weder inhaltlich noch personell ein großer Wurf.

Video | Wagenknecht gibt Ampel die Schuld am AfD-Erfolg
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Quelle: reuters

Aber auch Sie müssen sich Gedanken darüber machen, mit wem nach der Wahl eine Koalition möglich wäre.

Ich stehe natürlich für Rot-Rot-Grün, auch weil wir zusammen viel Gutes für Thüringen erreicht haben. Aber so wie jetzt als Minderheitsregierung weitermachen, will ich nicht. Und da zeigen die aktuellen Umfragen, was alles möglich sein könnte: Rechnerisch hätten wir Mehrheiten von 51 oder 52 Prozent für eine Regierungsbildung zwischen CDU, Linker und BSW.

So eine Koalition gab es aber noch nie. Und die CDU schließt ein Bündnis mit der Linken rigoros aus.

Mein Ziel sind stabile Mehrheiten und dass die Demokratie keinen Schaden nimmt. Das ist sehr viel wichtiger als Parteienhickhack. Deshalb sollten wir weniger über die 30 Prozent AfD und mehr über die 70 Prozent reden, die den Rechtsstaat verteidigen wollen. Die werden nach dem Wahltag in der Lage sein müssen, sich zu einigen.

Ihre jetzigen Regierungspartner haben Sie mit der Idee einer solchen Koalition vor den Kopf gestoßen. SPD-Minister Georg Maier spricht von einer "Harakiri-Koalition" und einem "Kessel Buntem". Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen CDU, Linken und BSW?

Lassen Sie uns doch gern den Wahlabend abwarten. Bis dahin machen wir als Regierung weiter ordentlich unsere Arbeit, auch in Wahlkampfzeiten. Nach dem 1. September sehen wir, welche Koalitionen möglich sind.

(Quelle: Michael Hübner)

Zur Person

Bodo Ramelow, geboren 1956, wuchs als Sohn eines Lebensmittelkaufmanns in Kircheldorf bei Salzwedel mit drei Geschwistern auf. Der Vater starb, als er acht Jahre alt war. Nach einer Ausbildung als Einzelhandelskaufmann bei Karstadt in Gießen machte er zunächst Karriere als Gewerkschafter und zog nach Thüringen. 1999 wurde er Mitglied der PDS und im selben Jahr in den Thüringer Landtag gewählt. Seit 2014 ist er Ministerpräsident, als erster und bislang einziger Politiker der Linken. Seit 2019 regiert er zusammen den Thüringer Grünen und der SPD in einer Minderheitenregierung.

Stünden Sie einer Koalition auch dann zur Verfügung, wenn Sie nicht Ministerpräsident würden?

Ich habe gezeigt, dass ich in Krisensituationen bereit bin, weit über meinen Schatten oder über den meiner Partei zu springen, eben weil es nicht um mich geht, sondern um demokratische Mehrheiten in unserem Land.

Landeschef Mario Voigt will die 30 Prozent AfD-Wähler mit Argumenten überzeugen. Er wird sich mit AfD-Landeschef Björn Höcke im TV duellieren. Hat er eine Chance?

Wenn Herr Voigt in dieses Duell geht, wird er damit rechnen, Schläge abzubekommen. Und oft enden Duelle mit einem Schmiss.

Also sehen Sie eher Chancen für Höcke?

Ich halte das Duell an sich für einen Fehler. Herrn Höckes Ansichten sind nicht ehrenhaft. Es gibt keinen Grund, ihn so zu behandeln, als ob sie das wären. Aber jeder muss selbst wissen, was er tut.

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Mit AfD-Politikern reden ist für Sie also keine Lösung mehr?

Es gab Zeiten im Thüringer Landtag, da konnte man mit einzelnen AfD-Abgeordneten reden. Wenn mir zum Beispiel ein AfDler ein Anliegen aus seinem Wahlkreis in die Hand gedrückt hat. Wenn es darum ging, Probleme im Interesse von Bürgerinnen und Bürgern zu lösen, habe ich das gemacht. Aber einen solchen Umgang gibt es im Landtag nicht mehr. Inzwischen verfolgt die AfD in Thüringen nur noch ein Ziel: das Parlament, alle anderen dort vertretenen Parteien und unsere Demokratie verächtlich machen.

Wie wollen Sie AfD-Wähler dann zurückgewinnen?

Indem ich, wo immer ich dazu Gelegenheit habe, mit Wählerinnen und Wählern rede. Da unterscheide ich nicht, ob jemand sein Kreuz bei der AfD machen würde oder nicht.

Wie laufen Gespräche mit AfD-Wählern ab?

Ich frage meist: Was bewegt dich?

Und was bewegt sie?

Die Friedensfrage. Die Corona-Politik. Und Migration, Migration, Migration. Da kochen die Emotionen bei vielen hoch. Da steckt am Ende oft gar nichts Rationales mehr drin.

Aber auch in Thüringen klagen die Kommunen, dass sie überlastet sind.

Das stimmt ja auch.

Dann sind Diskussionen doch angebracht.

Die Frage ist aber, wie man sie führt. Viele Menschen wissen nicht, warum der Landrat oder der Oberbürgermeister wegen Überlastung klagt. Vieles ist kompliziert, weil es da nicht nur um Flüchtlinge aus der Ukraine geht, sondern um Rechtskreiswechsel, um Verwaltungsspezialitäten. Ich erlebe Debatten, wo Argumente und Informationen ankommen. Aber eben auch solche, wo das Gift der AfD dafür gesorgt hat, dass es überhaupt nicht mehr um Fakten geht.

Im Prozess gegen den Verfassungsschutz hat der Vertreter der AfD, Roman Reusch, gerade gesagt: Wissen Sie, unsere Wähler sind einfache Bürger. Die verstehen doch gar nicht, was Menschen wie Höcke sagen. Stimmen Sie zu?

Ich habe das Zitat gesehen und in den sozialen Medien geteilt.

Aber stimmen Sie zu?

Dass die AfD selbst so über ihre Wähler denkt, das spricht doch Bände. Ich empfehle immer Herrn Höckes Buch zu lesen: "Nie zweimal in denselben Fluss".

Sie machen Werbung für Höckes Buch?

O ja. Es gibt nichts Aufschlussreicheres darüber, was er will. Dass Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die nicht rein deutscher Abstammung sind, das Land verlassen sollen, zum Beispiel. Höcke will hier nur die sogenannte autochthone Bevölkerung, Blutsdeutsche. Meine Frau müsste Deutschland verlassen, wenn er das Sagen hätte.

Warum das?

Sie ist in Italien geboren, spricht sechs Sprachen, ist hochtalentiert. Aber für Höcke wäre sie nicht deutsch genug. Auch 40 Prozent aller Ärzte in Thüringer Krankenhäusern müssten gehen, bei den Pflegern und Pflegerinnen wäre die Zahl wohl noch höher. Deshalb frage ich Wählerinnen und Wähler auch: Wer soll Sie operieren? Wer soll Ihnen den Hintern abwischen?

Die Kirchen in Deutschland haben davor gewarnt, die AfD zu wählen. Finden Sie das richtig?

Das ist schon ein Zeichen! Denn selbst wenn die AfD sagt: Wir verteidigen das christliche Abendland, an deren Plänen, an deren Politik ist nichts christlich. Wer "Ausländer raus" sagt, hat das Christentum nicht verstanden.

Vor der Landtagswahl kommen die Kommunalwahlen. Die AfD setzt massiv auf sie, um sich in Deutschland an der Basis weiter zu verwurzeln. Was ist Ihr Rezept dagegen?

Ich setze darauf, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger aufmachen, sich einmischen, für unsere Demokratie und gegen die Verharmlosung des Faschismus kämpfen. Aber, ja, wir haben auch ein großes Problem.

Und zwar?

Es fehlen in einigen Orten einfach Kandidaten. Menschen, die sich trauen, in die Kommunalpolitik zu gehen.

Woran liegt das?

Die Gewalt und Enthemmtheit, die Politikern entgegenschlägt, wächst. Vor allem dort, wo die AfD stark ist. In Waltershausen wurde erst einem SPD-Mann das Haus angezündet, dann einem Linken-Politiker die Scheibe eingeworfen. Vor die neue Moschee in meiner Nachbarschaft werden Schweineköpfe geschmissen, das Wohnquartier wird mit Nazi-Flyern übersät. Die Stimmung ist mancherorts so aggressiv geworden, dass sie von der Familie oder Freunden gesagt bekommen: Bitte kandidiere nicht als Landrat, Bürgermeister, was auch immer.

Auch Sie sind eine Reizfigur. Was haben Sie erlebt?

Über vieles rede ich nicht, weil sich sonst Nachahmer finden. In der Corona-Zeit wurde ein Fahrrad vor meine Haustür gestellt mit der Aufschrift "Massenmörder". Ein anderes Mal wurde mein Privathaus abfotografiert und ein AfD-Abgeordneter stellte die Fotos online – mit Infos zu meinem Sicherheitskonzept, zu meinem Tagesablauf, zu den für mich zuständigen Beamten.

Also im Grunde mit allen Infos, die ein Attentäter bräuchte?

Korrekt. Die AfD hatte mein gesamtes Schutzkonzept durchbrochen.

Was haben Sie getan?

Ich habe Herrn Höcke im Landtag ausgedruckte Screenshots auf den Tisch gelegt. Und gefragt: Was halten Sie davon? Wo er doch auch Schutzperson sei. Und ich habe mich immer gegen jede Form von Aktionen vor Privathäusern ausgesprochen – auch vor seinem Haus.

Was hat Höcke gesagt?

Gar nichts. Herr Höcke ist auf seine Art feige. Aber eine Stunde später waren die Bilder aus dem Netz gelöscht.

Woran liegt es, dass sich so viele von dieser Hasswelle mitreißen lassen?

Die digitale Welt spielt eine große Rolle. Wir hatten früher in jedem Dorf einen Haudrauf. Das hat ein Dorf ausgehalten. Wenn sich aber alle Haudraufs zusammenschließen und denken, sie sind das Dorf – dann haben wir ein Problem. Menschen wie Elon Musk befeuern in den sozialen Medien diese Entwicklung auf internationalem Level, da greifen viele Akteure und Zahnräder ineinander.

Braucht es neue Gesetze? Oder eine konsequentere Strafverfolgung dagegen?

Auf X selbst ist es schwerer geworden, Verstöße zur Anzeige zu bringen. In Thüringen kann man über eine Onlinewache der Polizei von zu Hause aus am Rechner zu Hass-Postings Anzeige erstatten. Aber mehr Regulierung gegen Fake News, unechte Bilder oder den Diebstahl des eigenen Namens wären schon hilfreich.

Was machen diese Angriffe mit Ihnen persönlich?

Ich denke mehr als früher darüber nach: Wie nah lasse ich Menschen an mich ran? Wann bin ich in Sicherheit, wann brauche ich zusätzlichen Schutz? Das ist sehr anstrengend und gegen meine Natur. Aber mit manchen Menschen schweißt es einen auch zusammen.

Wie das?

Katja Wolf zum Beispiel, über die wir zu Anfang sprachen. Sie hat erlebt, wie auf ihre Wohnung geschossen wurde. In ihr Wohnzimmer hinein. Der Schuss ist dokumentiert von der Polizei. Und alle Schrauben an den Reifen ihres Autos wurden gelöst. Ihr Kind wäre mit dem Wagen beinahe auf die Autobahn gefahren.

Was hat Ihnen geholfen?

In solchen Fällen ist es nicht nur mit einer SMS oder einem kleinen Brief getan. Da geht man hin, um zu reden, die Betroffenen in den Arm zu nehmen. Auch Politikerinnen und Politiker müssen zueinanderhalten. Und eine gute Gesellschaft darf diese Grenzüberschreitungen niemals hinnehmen. In den letzten Monaten haben viele wieder Mut gezeigt, das nicht hinzunehmen. Hass und Hetze werden nicht regieren, wenn wir aufstehen, laut werden, protestieren, uns einmischen.

Ihre Osterbotschaft?

Ja, warum nicht?

Herr Ramelow, vielen Dank für das Gespräch.

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