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Die Ampel und das Milliarden-Loch im Haushalt: Cem Özdemir wehrt sich


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Ampel kämpft ums Geld
Ein großer Haufen Mist


Aktualisiert am 20.12.2023Lesedauer: 6 Min.
Cem ÖzdemirVergrößern des Bildes
Cem Özdemir: Der Landwirtschaftsminister stellt sich gegen den Haushaltskompromiss. (Quelle: Christophe Gateau/dpa/Archivbild/dpa)
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Wochenlang hat die Ampel verhandelt, um das Milliardenloch zu stopfen. Doch wenige Tage nach der Einigung wackeln Teile des Kompromisses schon wieder. Auch, weil sich ein Minister wehrt.

Cem Özdemir steht am Montag auf einer Bühne am Brandenburger Tor und tut, was er eigentlich gut kann: Er redet in ein Mikrofon. Der grüne Landwirtschaftsminister will den demonstrierenden Bauern erklären, warum auch er es falsch findet, dass ihnen Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung weggenommen werden sollen. "Ich kämpfe im Kabinett dafür, dass das in der Härte nicht kommt", ruft er ihnen zu.

Doch viel von dem, was Özdemir sagt, ist gar nicht zu verstehen. Seine Rede geht in Gebrüll und Pfiffen unter. Und was zu verstehen ist, scheint nicht wirklich anzukommen bei seinem Publikum. Die Landwirte sind und bleiben wütend. Auf die Ampelregierung, aber auch auf ihren Minister.

Video | Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ausgebuht
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Quelle: reuters

Ein Cem Özdemir, der mit seinen Worten nicht durchdringt. Ein Cem Özdemir, dessen Warnungen nicht gehört werden. Ein Cem Özdemir allein auf weiter Flur. Es ist eine Szene, die offenbar auch die Haushaltsverhandlungen der Ampel bei den Agrarsubventionen ganz gut auf den Punkt bringt.

Denn ursprünglich haben den Belastungen für die Bauern alle zugestimmt in den Spitzengremien der Ampel: die Vertreter der SPD, die der FDP und sogar Özdemirs Grünen-Kollegen. Auch wenn es inzwischen kaum jemand mehr gewesen sein will. Weil der Aufschrei so groß ist und die Bauern so wütend, spricht die Ampel längst wieder darüber, ob sie die Bauern doch noch entlasten kann. Mancher fürchtet, dass damit der mühsam verhandelte Haushaltskompromiss insgesamt wieder auseinanderfliegt.

Es ist, um in einem Bild aus der Welt der Landwirtschaft zu sprechen: ein großer Haufen Mist. Wie konnte es so weit kommen?

1. Ein Brief und seine Wirkung

Die Geschichte des Agrarschlamassels beginnt nicht erst am vergangenen Mittwoch, als die Ampel ihre Haushaltseinigung präsentiert. Und sie beginnt auch nicht vor fünf Wochen, als das Bundesverfassungsgericht die Finanzpläne der Bundesregierung schreddert.

Schon im Frühjahr und Sommer gibt es in der Bundesregierung erste Überlegungen, bei den Agrardieselbeihilfen zu sparen. Die Koalition verhandelt in diesen Wochen über den Haushalt 2024, mit dem die Schuldenbremse erstmals wieder eingehalten werden soll. Schon damals gibt es immensen Spardruck.

Das Bundesfinanzministerium von FDP-Chef Christian Lindner tauscht sich in kurzen Abständen mit allen Fachministerien aus, um herauszufinden, wo noch etwas gehen könnte und wo nicht. Damals, so stellen es Grüne dar, kommt aus dem Finanzministerium der Hinweis, sich doch mal den Agrardiesel anzuschauen. Durch die Regelung können sich Landwirte pro Liter Diesel 21 Cent über die Steuer zurückerstatten lassen.

Ende Juni schreibt Özdemirs Staatssekretärin Silvia Bender einen Brief an das Finanzministerium von Lindner, das BMF. Einen Brief, der nicht zufällig in diesen Tagen wieder hervorgekramt wird. Denn Bender schreibt darin unter anderem, man werde "mit Vorschlägen zur Überarbeitung der Agrardieselbeihilfe auf das BMF zukommen".

Für die FDP ist der Brief der Beweis dafür, dass die Idee für Kürzungen aus Özdemirs Haus gekommen sei. Selbst schuld, was regt ihr euch jetzt so auf, das ist der Subtext. Das Landwirtschaftsministerium wehrt sich gegen diese Darstellung. Dort wird betont, dass der Brief eine Reaktion auf den ursprünglichen Vorschlag aus Lindners Haus gewesen sei. Und dass von einer kompletten Abschaffung ohnehin keine Rede gewesen sei, schon gar nicht zusätzlich zu einer Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung.

Für die Kfz-Steuer ist ohnehin das Finanzministerium zuständig. Auch das erwähnen Grüne nun häufig. Soll heißen: Dass landwirtschaftliche Fahrzeuge den Ampelsparplänen zufolge nicht mehr von der Steuer befreit sein sollen, dafür ist Lindner verantwortlich.

2. Das Urteil und die entscheidende Nacht

Am 15. November urteilt das Bundesverfassungsgericht, dass die Ampelregierung zu Unrecht 60 Milliarden Euro unverbrauchter Corona-Kredite in den Klima- und Transformationsfonds überführt hat. Das Geld ist damit weg, und die Bundesregierung hat erst mal keinen Plan, wo genau sie sparen oder neues Geld hernehmen soll.

Die Verhandlungen darüber werden lange dauern. Immer wieder kommen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Spitzen der Regierung höchstpersönlich zusammen. Lindner und die FPD bestehen darauf, dass massiv gekürzt wird, bevor ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse erwogen wird.

Özdemir, so wird es übereinstimmend berichtet, meldet in dieser Zeit mehrfach Bedenken gegen zu starke Belastungen für die Bauern an. Einigen gehe es an die Existenz, auch weil sie im internationalen Wettbewerb Probleme bekämen. Es drohten Preissteigerungen für Lebensmittel und Proteste.

Besonders gegen den Doppelschlag für die Bauern – aus dem Ende für die Dieselsubventionen und dem Ende der Kfz-Steuerbefreiung – soll sich Özdemir gewehrt haben. Jedenfalls intern. In der Öffentlichkeit bleibt Özdemir in dieser Zeit auffällig still. Anders als manche Kollegen.

Der Landwirtschaftsminister wusste demnach Bescheid, was ihm und den Bauern drohen könnte. Und die Ampelchefs in den Verhandlungen wussten Bescheid, welche Bedenken Özdemir dagegen hat. Aus Habecks Umfeld heißt es nun, der Vizekanzler habe diese Linie in den Verhandlungen die meiste Zeit auch genau so vertreten. Bis zum Dienstag der vergangenen Woche.

An diesem Tag kommen Scholz, Habeck und Lindner erneut zu Gesprächen zusammen. Die Zeit für eine Einigung läuft ihnen davon. Sie verhandeln die Nacht durch, es ist schon nach 5 Uhr am Mittwochmorgen, als Habeck seinen Grünen den Durchbruch meldet. Erst in dieser letzten Verhandlungsrunde, so heißt es bei den Grünen, soll Habeck den Agrarkürzungen doch noch zugestimmt haben.

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3. Ein Minister im Widerstand

Cem Özdemir erfährt am Mittwochmorgen von seinem Schicksal, immerhin vor der Öffentlichkeit. Er kündigt an, die Lösung nicht mittragen zu können, heißt es. Am Mittag treten Scholz, Habeck und Lindner vor die Presse und verkünden der Öffentlichkeit, worauf sie sich geeinigt haben.

Um 15 Uhr kommt im Kanzleramt der Koalitionsausschuss zusammen, ihm gehören neben Scholz, Habeck und Lindner die Fraktionschefs und die Parteichefs aller drei Ampelpartner an. Özdemir sitzt also nicht mit am Tisch.

Es ist der FDP-Chef Christian Lindner, der in der Runde die Bedenken des grünen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir referiert. So bestätigen es Beteiligte übereinstimmend. Von den Anwesenden widerspricht dem Sparpaket niemand. Die SPD nicht, die FDP nicht und auch die Grünen nicht.

Um 15.23 Uhr verschickt das Landwirtschaftsministerium eine Pressemitteilung. Sie trägt den zahmen Titel "Özdemir zu Haushaltsgesprächen". Und enthält die Worte eines Ministers, der sich gegen die eigene Regierung stellt.

"Mir wurden die Ergebnisse der Gespräche am Morgen mitgeteilt", lässt sich Özdemir gleich zu Beginn zitieren. Allen sei bewusst, dass in der schwierigen Haushaltslage jeder einen Beitrag leisten müsse. "Aber: Ich habe immer davor gewarnt, unsere Landwirtschaft überproportional zu belasten." Wenn Agrardieselbeihilfe und Kfz-Steuerbefreiung zugleich gestrichen würden, sei das der Fall. "Das halte ich für problematisch."

4. Der Widerstand wächst – und jetzt?

Am Wochenende stellen sich plötzlich auch der Finanzminister und seine FDP offen gegen den Kompromiss. "Um es klar zu sagen: Ich bin kein Freund der Belastung der landwirtschaftlichen Betriebe", sagt Christian Lindner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Darüber müsse gesprochen werden. "Ich bin für Alternativen offen."

Am Sonntag sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr, man halte die "starke Belastung" für "nicht zustimmungsfähig". Es werde "zu oft von angeblich klimaschädlichen Subventionen gesprochen, ohne auf die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Abschaffung zu schauen". Womit Dürr nicht nur eine Blockade im Bundestag ankündigt, sondern gleich noch eine kleine Spitze gegen die Grünen setzt, deren Herzensthema die Abschaffung solcher Subventionen tatsächlich eigentlich ist.

Die Grünen hingegen bleiben auffallend still. Von Özdemir einmal abgesehen. Doch sonst stellt sich niemand offensiv gegen die Agrarkürzungen – und damit an die Seite ihres Landwirtschaftsministers. Auch nicht, als sich selbst die FDP auf Özdemirs Seite schlägt.

Vizekanzler Habeck bescheinigt Özdemir zwar, der habe "davor gewarnt, die Agrardieselbeihilfe zu streichen" und kenne "die Lage der Bauern und die Belastung". Doch statt sich wie Lindner abzusetzen, verteidigt Habeck die Einigung. Er habe sie mit dem Kanzler und dem Finanzminister "im Sinne einer Gesamtlösung treffen müssen".

Erst am Montag, als die Bauern in Berlin demonstrieren, signalisieren auch die Grünen vorsichtig Kompromissbereitschaft beim Anliegen des eigenen Ministers – verbunden mit einer Warnung. "Wenn jetzt einzelne Streben herausgezogen werden, ohne neue einzusetzen, fällt die Gesamtlösung in sich zusammen", sagt Habeck. "Das heißt, wer an einer Stelle Änderungen wünscht, muss eine abgestimmte und für alle Seiten tragfähige Gegenfinanzierung anbieten."

Bedeutet: Wer die Kfz-Steuerbefreiung zurückwill, muss an anderer Stelle 480 Millionen Euro einsparen. Und wer den Agrardiesel zurückwill, noch mal 440 Millionen Euro. Gut möglich, dass zumindest eines von beiden noch zurückgenommen wird – oder Wege dazwischen gefunden werden. Özdemir jedenfalls will Vorschläge für Alternativen gemacht haben.

So diskutiert die Koalition derzeit über die Beschränkung der Steuernachlässe beim Agrardiesel auf eine maximale Liter-Anzahl pro Jahr und Betrieb. Das sagte der Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, am Mittwoch der "Bild". Auch Grüne und FDP sollen den Vorstoß unterstützen. Der Vorteil der Regelung: Vor allem kleinere Betriebe würden profitieren.

Nur ob damit alle zufrieden sind? Und falls ja: Warum sollten andere in der Koalition nicht auf die Idee kommen, auch noch mal nachzuverhandeln?

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen, Gespräche, Beobachtungen
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