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Antisemitismus an Universitäten: "Jüdische Studierende haben Notfallkontakte"


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Antisemitismus an Universitäten
"Das ist wahnsinnig alarmierend"

  • Marianne Max
InterviewVon Marianne Max

Aktualisiert am 01.12.2023Lesedauer: 7 Min.
Protest gegen Israel an der Universität der Künste in Berlin (UdK): "Israel ist für viele Linke die perfekte Projektionsfläche", sagt Hanna Veiler, JSUD-Präsidentin.Vergrößern des Bildes
Protest gegen Israel an der Universität der Künste in Berlin (UdK): "Israel ist für viele Linke die perfekte Projektionsfläche", sagt Hanna Veiler, JSUD-Präsidentin. (Quelle: student_collective_berlin/Instagram)
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Mit dem Krieg in Nahost bricht sich der Antisemitismus auch an Universitäten Bahn. Hanna Veiler von der Jüdischen Studierendenunion in Deutschland fordert Konsequenzen.

Als Hanna Veiler im Frühjahr dieses Jahres zur Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion in Deutschland (JSUD) gewählt wird, hat sie viele Pläne: Sie will einen Schwerpunkt auf jüdische Kontingentflüchtlinge legen, mehr Struktur in die Organisation bringen und mehr Mitglieder anwerben. Das aber steht jetzt hinten an. "Der Krieg gegen Israel und der Antisemitismus in Deutschland überschatten gerade alles", sagt die 25-Jährige zu t-online.

Wer sie sprechen will, muss frühzeitig einen Termin vereinbaren. Denn seit dem 7. Oktober sind in Veilers Terminkalender Gespräche mit Politikern, Bürgern, Konferenzen und Seminare eng getaktet. "Zum Studieren komme ich nicht mehr", sagt sie. Seit frühmorgens sitzt sie an diesem Dienstag im Büro. Ihr letztes freies Wochenende war Ende September, ein weiteres ist vorerst nicht absehbar.

Im Interview mit t-online spricht sie darüber, wie es Studierenden seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel geht und welche Strukturen Antisemitismus an Universitäten begünstigen.

t-online: Frau Veiler, Sie stehen seit dem 7. Oktober in der Öffentlichkeit wie noch nie, weil der Antisemitismus in Deutschland zugenommen hat. Welche Erfahrungen machen Sie seitdem?

Hanna Veiler: Ich erfahre gerade sehr, sehr viel Hass, vor allem online. Ich kann eigentlich kein Foto von mir posten, ohne zehn Hasskommentare darunter zu haben. Viel schlimmer wird es, wenn ich politische Inhalte poste und da ist es auch egal, ob ich über die Lage in Nahost spreche oder über die Situation von Jüdinnen und Juden hier in Deutschland. Meine Erfahrungen werden mir abgesprochen. Ich bekomme Morddrohungen und werde beleidigt, auf verschiedenen Ebenen.

Was meinen Sie damit?

Ich bin nicht nur Jüdin, sondern auch eine junge Frau. Neben dem Antisemitismus wird oft auf mein Alter verwiesen und gesagt, dass man nicht auf mich hören soll, weil ich jung sei. Viele schreiben außerdem sexistische Kommentare. Aber mir macht das nicht so viel aus. Denn das bin ich gewohnt, so traurig es auch ist. Ich muss viele Kommentare melden, dokumentieren und blockieren.

Dieser Hass bleibt aber nicht nur auf die digitale Welt beschränkt, oder?

Ich musste mein Privatleben oder, besser gesagt, meinen Alltag, seit dem 7. Oktober darum sehr anpassen.

Wie schützen Sie sich seitdem?

Ich überlege mehrmals wöchentlich, welche Termine ich wahrnehmen kann. Ich kann nicht auf Veranstaltungen, wo es nicht irgendeine Art von Sicherheitskonzept gibt. Und ich kann in den sozialen Medien auch nie zeigen, wo ich gerade bin. Wenn ich etwas poste, dann mache ich das erst, nachdem ich den Ort wieder verlassen habe. Außerdem gebe ich nirgends mehr meinen Namen an, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ich habe ihn auch vom Klingelschild genommen. Niemand soll sehen, wo ich wohne.

Als Präsidentin der JSUD bekommen Sie besonders mit, wie es jüdischen Studierenden gerade geht. Ergreifen diese ähnliche Maßnahmen in ihrem Alltag an den Universitäten?

Ja. Viele berichten, wie wahnsinnig viele ihrer Freundschaften zerbrochen sind. Ihre Freunde haben plötzlich Hamas-Propaganda geteilt, sie verbal angegriffen oder einfach nicht mehr gefragt, wie es ihnen geht. Das heißt, es gibt Studierende, die die Uni bis heute komplett meiden. Viele gehen nur zu Pflichtveranstaltungen oder meiden soziale Räume. Aber sie vernetzen sich auch untereinander.

Inwiefern?

Wir hören, dass jüdische Studierende Laufgruppen bilden oder Notfallkontakte haben, falls etwas am Campus passiert. Das ist wahnsinnig alarmierend: Jüdische Studierende werden gerade vom sozialen Campusleben isoliert. Sie sind unsicher, weil dort entweder kein Verständnis herrscht für die Situation, die sie durchleben, oder weil sie tatsächlich Antisemitismus ausgesetzt sind.

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In Berlin gab es ja zuletzt antisemitische Performances an der Universität der Künste (UdK). An der Technischen Universität (TU) wurde sogar zur Intifada, also zum Widerstand gegen Israel aufgerufen. Bei früheren Intifadas kam es oft zu tödlichen Angriffen auf Israelis und Juden. Ist die Situation in anderen deutschen Städten ähnlich?

Die meisten Berichte, die wir bekommen, kommen aus Berlin, aber auch aus Nordrhein-Westfalen. Viele melden uns aber auch Vorfälle in Hessen oder Baden-Württemberg. Es ist ein flächendeckendes Phänomen. Antisemitismus kommt im ganzen Land vor und die Vorfälle ähneln sich oft.

Können Sie Beispiele nennen?

Zionismus wird mit dem Nationalsozialismus verglichen, Aufrufe zum Genozid an Jüdinnen und Juden, Relativierungen der Shoah. Solche Äußerungen hören wir überall. Und man muss als jüdische Studierende ja auch gar nicht Antisemitismus im Hörsaal erfahren: Es reicht schon zu sehen, was die Kommilitonen oder Dozierende in den sozialen Medien teilen oder schreiben, oder in die Kommentare zu sehen, wenn die Uni sich in einer Stellungnahme mit Jüdinnen und Juden solidarisiert hat.

Das heißt, auch Dozierende äußern sich in den sozialen Medien teils antisemitisch?

Ja, es gab Vorfälle, in denen Professoren und Angestellte einer Universität beispielsweise auf ein solches Statement geschrieben haben, dass sie sich schämen würden, Teil dieser Uni zu sein. Und auch bei diesen Professoren sitzen jüdische Studierende im Kurs und werden von ihnen bewertet. Das trägt extrem zu dem Unsicherheitsgefühl jüdischer Studierender bei. Mir ist nicht bekannt, dass nach entsprechenden Vorfällen Mitarbeitende entlassen oder Studierende exmatrikuliert worden wären. Aber ich finde, jeder sollte wissen: Wer sich antisemitisch äußert, dem droht die Kündigung oder die Exmatrikulation.

Als Vizepräsidentin der European Union of Jewish Students (EUJS) haben Sie auch Einblick, wie es an Universitäten im europäischen Ausland zugeht. Ist Antisemitismus dort ein ähnlich großes Problem oder steht Deutschland allein da?

Ich würde sagen, dass es an vielen Universitäten im Ausland teilweise noch schlimmer ist. Aus Frankreich oder den Niederlanden berichten uns die Studierenden teilweise von wirklich schlimmen antisemitischen Vorfällen. Wir haben in Deutschland das Glück, dass wir gerade sehr viel Solidarität aus der Politik erfahren. In anderen europäischen Ländern kommt es nicht einmal mehr dazu.

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Was ist da Ihre Wahrnehmung: Kommt der Antisemitismus an Universitäten eher aus tendenziell linken Kreisen?

Wir werden auch aus rechten und bürgerlich-konservativen Kreisen mit Antisemitismus konfrontiert. Aber wir wissen: Gerade wenn etwas in Israel oder Palästina passiert, dann schwappt eine riesige Antisemitismuswelle auf die jüdische Diaspora zu – und dieser Antisemitismus kommt meistens von links.

Er kommt also nicht nur, aber auch von links.

Genau, aber es gibt durchaus auch islamistische Strukturen am Campus, von denen Antisemitismus ausgeht. Beispielsweise gibt es an der Charité einen Verein, der eine Nähe zur islamistischen Muslimbruderschaft hat und der antisemitische Inhalte am Campus verbreitet hat. Solche Organisationen sollten auf dem Campus verboten werden. Aber der Grund dafür, dass es vor allem in linken Kreisen jetzt zu Antisemitismus kommt, ist natürlich, weil wir alle antisemitisch sozialisiert sind.

Wenn wir das alle sind, warum kommt Antisemitismus dann derzeit vermehrt aus linken Kreisen?

Israel ist für viele Linke einfach die perfekte Projektionsfläche. Wenn man dann wie linke Kreise sagt, man kämpft für Menschenrechte und für Freiheit und kritisiert ja vermeintlich nur den Staat Israel, dann gibt das einem ein Ziel, um seine antisemitische Stereotype, die man sowieso in sich trägt, auszuleben. Aber ich habe auch den Eindruck, es gehört gerade offenbar einfach zum guten Ton, pro-palästinensisch zu sein. Gleichzeitig sehe ich, dass in linken Kreisen viel Unwissenheit herrscht.

Worüber?

Darüber beispielsweise, inwieweit sozialistische Regime wie die ehemalige Sowjetunion für die Verbreitung und die Entstehung von antizionistischer Propaganda verantwortlich sind. Da gibt es sehr wenig historisches Wissen. Dann werden eben auch teilweise einfach Narrative wiederholt, die aus der sowjetischen oder islamistischen Propaganda kommen.

Das heißt, eine Lösung könnte darin liegen, den Studierenden mehr Wissen zu vermitteln.

Auf jeden Fall, denn dieser Krieg ist auch ein Informationskrieg. Es gibt Menschen, die wir niemals erreichen können, die vollkommen verfahren sind. Aber viele Menschen, die wir gerade auf Kundgebungen sehen, sind Mitläufer und Personen, die es nicht besser wissen.

Was braucht es also?

Wir sollten zum Beispiel verpflichtende Kurse über Antisemitismus einführen. Da kann man bei bestimmten Fächern wie Jura und Lehramt anfangen. Außerdem brauchen wir verpflichtende Bildungsprojekte, speziell auch solche, die sich mit israelbezogenem Antisemitismus auseinandersetzen. Wir sollten aber auch nicht so naiv sein, zu glauben, dass nur Bildung weiterhilft. Es muss auch klare Konsequenzen haben für diejenigen, die Antisemitismus, Hass und Hetze verbreiten. Das Problem ist nur, dass all das eine Aufgabe der Länder ist. Das heißt, da muss die Kultusministerkonferenz handeln, genauso wie die Universitätsleitung.

Was sagen Sie denn generell zu den bisherigen Bemühungen der Politik gegen Antisemitismus? Gerade wird vonseiten der Union, aber auch einigen SPD-Politikern ja vor allem darüber diskutiert, ob man Doppelstaatlern bei antisemitischen Straftaten nicht die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkennen sollte.

Da macht es sich die Union zu einfach. Natürlich müssen wir über Antisemitismus in migrantischen Gesellschaften sprechen. Aber wir beobachten gerade, dass Antisemitismus nicht nur aus migrantisierten Kreisen kommt. Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, jeder sollte da bei sich selbst anfangen. Wir müssen uns also fragen, was wir mit dem Antisemitismus machen, den es hier in Deutschland schon immer gab und der sich eben jetzt nicht nur in seiner rechten, sondern auch seiner linken Form äußert, auf den sich beide Seiten auch einigen können.

Also darauf, dass Deutschland keine historische Verantwortung mehr für die Shoah und die Morde an Millionen von Jüdinnen und Juden übernehmen sollte?

Genau. Wenn vor dem Auswärtigen Amt "Free Palestine from German Guilt" gerufen wird ("Befreit Palästina von der deutschen Schuld", Anm. d. Red.), dann steckt da der Gedanke dahinter, in gewisser Weise einen Schlussstrich zu ziehen. Viele glauben: "Ich muss mich nicht mehr damit auseinandersetzen, was mein Nazi-Opa gemacht hat, denn schau mal, was Israel da macht."

Was möchten Sie Menschen sagen, die diese Auffassung vertreten?

Dass Antisemitismus kein Problem von Jüdinnen und Juden sein sollte. Antisemitismus ist nichts Jüdisches, er wird uns seit jeher von außen auferlegt. Wir können nicht entscheiden, dass wir uns damit nicht mehr beschäftigen wollen, wir müssen jeden Tag damit leben. Es ist die Verantwortung der gesamten Gesellschaft, das aufzuarbeiten. Man kann da nicht einfach einen Schlussstrich setzen.

Frau Veiler, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hanna Veiler, Präsidentin der JSUD und Vizepräsidentin der EUJS am 28. November 2023
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