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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA unter Trump "Deutschland befindet sich in größter Gefahr"
![Donald Trump: Der US-Präsident sieht die Europäische Union als Rivalen an, sagt Timo Lochocki. Donald Trump: Der US-Präsident sieht die Europäische Union als Rivalen an, sagt Timo Lochocki.](https://images.t-online.de/2025/02/cKJxM7QTNksB/0x126:2048x1152/fit-in/1920x0/donald-trump-der-us-praesident-sieht-die-europaeische-union-als-rivalen-an-sagt-timo-lochocki.jpg)
Deutschland streitet über Migration – und ignoriert zugleich die Gefahr, die Donald Trump darstellt, sagt Politologe Timo Lochocki. Er warnt vor einer massiven Bedrohung für die deutsche Demokratie.
Über Jahrzehnte konnte sich Deutschland auf die Vereinigten Staaten verlassen, die westliche Führungsmacht spannte ihren nuklearen Schutzschirm über die Bundesrepublik und ihre europäischen Verbündeten. Doch mit Donald Trumps Rückkehr dürfte es mit den exzellenten Beziehungen vorbei sein, warnt Timo Lochocki. Denn Trump betrachtet die Europäer mehr als Rivalen denn als Verbündete, sagt der Politologe. Nun hat der US-Präsident Verhandlungen mit Russland über das Schicksal der Ukraine angekündigt.
Was bedeutet das für Deutschland und Europa? Worin besteht die größte Gefahr? Wie weit würde Trump gehen? Und was kann Deutschland mit seinen Partnern tun, um sich zu wappnen? Diese Fragen beantwortet Timo Lochocki, Autor des Buches "Deutsche Interessen. Wie wir zur stärksten Demokratie der Welt werden" im Gespräch.
t-online: Herr Lochocki, Donald Trump und Wladimir Putin wollen nun über das Schicksal der Ukraine entscheiden, Deutschland streitet derweil vor der Bundestagswahl bevorzugt über das Thema Migration. Ist das der dramatischen geopolitischen Entwicklung angemessen?
Timo Lochocki: Nein, das ist sogar ziemlich fahrlässig. Das Thema Migration ist wichtig, aber es ist nicht das wichtigste. Tatsächlich lenkt es davon ab, dass Deutschland gerade im Begriff ist, die zwei entscheidenden Grundpfeiler seiner liberalen Demokratie zu verlieren – und zwar die äußere und innere Souveränität. Deutschland befindet sich in größter Gefahr, daran besteht kein Zweifel. Diese Gefahr geht aber – Stand jetzt – vor allem von den USA aus.
Also letztlich von Donald Trump?
So ist es. Wie wir schon an Trumps kurioser Politik gegenüber Gaza sehen, ist er ein Transaktionalist allererster Güte, er denkt und handelt in Deals, die ihm gefallen, die ihn gut dastehen lassen und mit denen er beziehungsweise die USA viel Geld verdienen. Zumindest in seiner Wahrnehmung. Jetzt werden wir erleben, wie Trump – über unsere Köpfe hinweg – einen Deal mit Putin in Sachen Ukraine anstrebt. Wird er dabei auf die Europäer und Deutschland Rücksicht nehmen? Ich fürchte nicht. Unsere äußere Souveränität ist also gefährdet, weil mit den USA unter Trump eine wesentliche Stütze wegbricht. Und das ist nicht das einzige Problem.
Zur Person
Timo Lochocki, Jahrgang 1985, ist promovierter Politologe. Lochocki forscht insbesondere zu rechtspopulistischen Parteien und zur Resilienz liberaler Demokratien in Europa. Nach einer Tätigkeit für den German Marshall Fund leitete er das Referat Strategische Planung im Bundesgesundheitsministerium während der Corona-Pandemie. Seit 2022 ist Lochocki als Berater für den Umgang mit antidemokratischen Kräften tätig. Gerade ist sein Buch "Deutsche Interessen. Wie wir zur stärksten Demokratie der Welt werden – und damit den liberalen Westen retten" erschienen.
Sie sprachen auch von einer Bedrohung der inneren Souveränität Deutschlands?
Exakt. Die amerikanischen Digitalriesen unterwerfen sich den Ideen von Trumps autoritärer und rechtspopulistischer Regierung und ändern ihre Nutzungsbedingungen entsprechend. Dadurch ist die innere Souveränität Deutschlands unmittelbar bedroht, denn spätestens ab jetzt wird ein Großteil unseres Kommunikationsraums von privatwirtschaftlichen Organisationen kontrolliert, die nicht die Interessen der liberalen Demokratie teilen. Die EU wird versuchen durch Regulierungen dagegenzuhalten; aber wir sehen an dem Auftreten des US-Vizepräsidenten J. D. Vance am KI-Gipfel in Paris diese Woche, dass die US-Regierung die Bemühungen der EU ablehnt und den offenen Konflikt sucht.
Elon Musk leistet mit seiner Plattform X der Demontage der liberalen Demokratie tatkräftig Vorschub.
Es ist absolut dramatisch, ja. Musk und Co. verbreiten die rechtspopulistischen und autoritären Ideale Trumps. Aber das Schlimmste ist, dass sie die Kommunikationsnetzwerke kontrollieren, die diese destruktiven Ideen aufhalten könnten; nun aber werden sie sie sogar verstärken. Das ist im Prinzip so, als wenn während des Kalten Kriegs rund 50 Prozent unserer westdeutschen Presse durch den sowjetischen KGB kontrolliert worden wäre. Einem Akteur, der uns keineswegs freundlich gesonnen war, ein Akteur, der auch offensichtlich nicht die Interessen der liberalen Bundesrepublik teilte.
Europa und insbesondere Deutschland ist bei Trump heute nicht wohlgelitten.
Das kann man wohl sagen. Trump entscheidet auch darüber, ob der amerikanische atomare Schutzschirm weiter über Europa gespannt bleibt. Er hat uns ziemlich in der Hand, das müssen wir uns eingestehen: Unsere Sicherheit ist für Trump nicht viel mehr als Verhandlungsmasse gegenüber einer EU, auf die er herabsieht: Er pokert damit, die EU und Deutschland sind absolut erpressbar. Denn wir brauchen den US-Schutzschirm, das weiß Trump. Und im Gegensatz zu vorherigen US-Regierungen sieht er kein direktes US-Interesse am nuklearen Schutz Europas; er sieht den nuklearen Schutzschirm also als reine Verhandlungsmasse. Die EU und vor allem Deutschland sollen dafür zahlen. Ob wir uns auf diesen "Söldner-Deal" dann verlassen können, ist aber hoch fraglich. Es ist, als wenn Deutschland im Kalten Krieg seinen atomaren Schutzschirm durch Indien hätte sicherstellen lassen. Darüber müssen wir keinen Wahlkampf führen, dafür sind die Themen viel zu ernst. Aber wenn diese beiden Entwicklungen nicht gestoppt werden, bedrohen sie Deutschland langfristig viel mehr als die AfD oder das Migrationsthema.
Sehen Sie die Lage tatsächlich so ernst?
Trump sieht Deutschland und die EU nicht als Partner, sondern als Rivalen in wirtschaftlicher und geopolitischer Hinsicht. Gerade aufgrund unserer Wirtschaftskraft sieht er Deutschland als eines der letzten potenten Hindernisse, der Welt seinen Willen aufzudrücken.
Welche Rolle spielen hierbei die US-Techriesen?
Diese unheilige Allianz aus der rechtspopulistisch und autoritär ausgerichteten US-Regierung und einer technologischen Oligarchie ist sehr, sehr gefährlich. Nehmen wir die Geschichte als Zeugen, die sich zwar nicht wiederholt, aber nach Mark Twain durchaus reimt: Die Kombination aus autoritären Bewegungen und neuen Medienformen findet sich immer wieder vor den größten politischen Umwälzungen zum Schlechten. Die Nazis hatten einst das Radio für sich entdeckt, die Neue Rechte in den Achtzigern spielte par excellence mit den privaten TV-Stationen und der Aufschwung der Rechtspopulisten in der jüngeren Vergangenheit hat viel damit zu tun, dass sie die sozialen Medien ziemlich erfolgreich nutzen.
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die USA als Mutterland der modernen Demokratie auf der Kippe zum Autoritären stehen.
Wenn es so weitergeht, könnte Trump uns mit in den Abgrund reißen. In den USA findet gerade wahrscheinlich die furchtbare Verbindung von Rechtspopulisten, Antidemokraten und Tech-Milliardären statt. Das ist noch viel bedrohlicher und gefährlicher für uns als diese autoritären Regime in China und Russland. Warum? Weil unsere Sicherheit und unsere freie Meinungsäußerung von den USA abhängen. Ich betone es noch einmal: Wenn die US-Regierung nicht den Kurs ändert, bedroht Trumps Amerika uns in unseren Grundfesten.
Haben Sie Vorschläge, wie Deutschland dieser Bedrohung begegnen kann?
Manche glauben, dass Trump pfleglicher mit Deutschland umgehen wird, wenn erst mal eine von der Union geführte Regierung an der Macht ist. Das wird sich als gewaltiger Fehler erweisen. Warum sollte Trump das tun? Trump wäre es doch am liebsten, wenn die AfD den ganzen Laden hier übernimmt. Und gerade die CDU/CSU steht dem im Wege. Wenn Trump also die AfD stärken will, muss er die CDU/CSU schwächen. Das gibt ein bitterböses Erwachen in der Realität.
Was tun?
Deutschland in seiner demokratischen Verfasstheit wird fundamental angegriffen, das betrifft alle demokratischen Parteien und die Union im Besonderen, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit den nächsten Bundeskanzler stellen wird. Mein Vorschlag ist also, zu akzeptieren, dass die USA unter Trump nicht mehr unsere Partner, sondern Rivalen sind, solange wir nicht durch eigene Stärke wieder von Trump ernst genommen werden. Bis dahin, beziehungsweise um dies zu erreichen, sollten wir unsere Resilienz im digitalen Bereich stärken. Dann sollten wir uns dringend überlegen, woher wir einen neuen atomaren Schutzschirm bekommen.
Plädieren Sie für eine deutsche Atombombe?
Nein. Wir stehen doch auch nicht allein schutzlos da. Nord- und osteuropäische Staaten sind ebenso in der Bredouille und auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Gerade nach dem Ukraine-Deal über die Köpfe der Europäer hinweg werden die Polen und Balten erkennen, dass eben auf die USA kein Verlass mehr ist. Sie werden neue Partner suchen, den müssen wir ihnen in Deutschland anbieten! Das gilt erst recht, wenn Trump uns die Rechnung für den US-Atomschirm stellt: 60, 70, 80 Milliarden Dollar pro Jahr? Alles ohne Gewähr, dass sich Trump da nicht doch noch anderes überlegt? Da sollten wir uns doch lieber mit den europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich verständigen.
Was aber, wenn diese Nationen kein Interesse daran zeigen?
Wenn sie kein Interesse daran haben, ihre Nuklearwaffen zu europäisieren – wonach es stark aussieht, dann kann Deutschland sich seine Partner dafür in Nord- und Osteuropa suchen. Die liberalen Demokratien Nord- und Osteuropas, die sich durch Putins Russland und Trumps USA gleichermaßen bedroht beziehungsweise im Stich gelassen fühlen, werden sich überlegen, eine eigene nukleare Abschreckung aufzubauen. Eventuell sogar durch das Aufkaufen von US-Know-how, da hier enorme Deals für US-Rüstungsunternehmen schlummern. So könnte man den transaktionalen Charakter von Trumps Regierung positiv wenden.
Fürchten Sie keine Spannungen innerhalb des europäischen Lagers?
Spannungen sind doch längst da. Nun ist es an der Zeit zu handeln. Wer sagt denn, dass die Franzosen oder Briten nicht doch noch mitmachen, wenn sie sehen, dass Deutsche, Skandinavier, Polen und Balten es mit einer neuen nuklearen Option zur Abschreckung ernst meinen? Frankreich macht derzeit auch vieles richtig mit seinen Investitionen in Digitales und Künstliche Intelligenz. Ja, die USA haben in diesem Bereich einen großen Vorsprung, aber das bedeutet nicht, dass wir Europäer da keinen Boden gutmachen können. Trump ist unberechenbar, aber er lässt sich beeindrucken, wenn man ihm entsprechend gegenübertritt. So viel ist klar.
Viel Arbeit für den zukünftigen Bundeskanzler.
Der kommende Bundeskanzler und die Unions-Minister sind der Kern der Sache. Wenn sie die Lage so analysieren, dass Deutschland seiner Schutzmacht USA nicht mehr vertrauen kann, dann kommt Schwung in die Sache. Deutschland muss in eine Position der Stärke kommen, idealerweise mit möglichst vielen europäischen Verbündeten. Für uns alle ist ein von der Trump-Regierung unabhängiges digitales Kommunikationsnetzwerk und eine ebenso unabhängige nukleare Abschreckung unabdingbar, um in der Welt bestehen zu können. Das sind nun "Deutsche Interessen", wie ich sie in meinem Buch beschreibe. Deutschland besitzt ein riesiges Investitions- und Innovationspotenzial, es muss nur freigesetzt werden.
Bislang beherrscht aber nach wie vor die Migration das politische und mediale Geschehen. Haben Sie Hoffnung, dass da bald eine Lösung gefunden wird?
Uns bleibt nichts gar anderes übrig, Trump sitzt uns im Nacken. Wenn der gordische Knoten Migration durchschlagen wird, dann sollte sich vieles ändern. Auch die Menschen in Deutschland haben doch ein gutes Gespür dafür, dass sich etwas verändert hat und sich Deutschland entsprechend aufstellen muss. Diesem Gefühl der Bevölkerung Ausdruck zu verleihen, macht eine gute Politik aus. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind ein so ein wirkmächtiger, potenter Akteur, wir müssen uns nur trauen, etwas zu bewegen. Gerade da das Durchsetzen "Deutscher Interessen", wie ich sie in meinem Buch nenne, heute im Interesse aller liberalen Demokraten liegt.
Herr Lochocki, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Timo Lochocki via Videokonferenz