"Beweislage schwierig" Nord-Stream-Sabotage: Zweifel an Rolle Russlands
Die Verursacher der Nord-Stream-Sabotage sind noch immer nicht gefunden. Jetzt sollen die Zweifel an einer möglichen Verantwortung Russlands größer werden.
Eine mögliche Täterschaft Russland an den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines wird zunehmend infrage gestellt. Auch nach monatelangen Untersuchungen gibt es noch keine klaren Hinweise, wer im September die Unterwasser-Gasleitungen gesprengt hat. Nach einem neuen Bericht der "Washington Post" gibt es Zweifel daran, dass Russland dafür verantwortlich gemacht werden kann. "Zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Beweise dafür, dass Russland hinter der Sabotage steckt", sagte ein europäischer Beamter der Zeitung und wiederholte die Einschätzung von 23 Diplomaten und Geheimdienstmitarbeitern in neun Ländern, die in den vergangenen Wochen befragt wurden.
Die Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 waren auf einer Länge von rund 250 Metern zerstört worden. Am Meeresboden waren mehrere Krater gefunden worden. Experten gingen davon aus, dass Sprengstoffladungen angebracht wurden. Bald rückte Russland als möglicher Täter in den Fokus.
Fingerzeig nach Moskau
Vier Tage nach dem Vorfall sagte die US-Energieministerin Jennifer Granholm, dass es aussehe, als ob man Russland dafür verantwortlich machen könne. Laut einem unbestätigten Bericht der "Bild" hatte die Bundesregierung den russischen Geheimdienst GRU in Verdacht. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte ebenfalls in Richtung Moskau gedeutet. "Wenn Russland sagt 'Wir waren es nicht', dann ist das so wie 'Ich bin nicht der Dieb", wurde er im Oktober zitiert.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Interfax am Donnerstag gesagt, dass die Angriffe auf Nord Stream von einem Staat begangen wurden, der daran interessiert sei, dass Gas nur über die Ukraine nach Europa geliefert wird. Das untersuche aber niemand, so der Kremlchef.
"Vorhersehbar dumm und absurd"
Gleichzeitig zeigte er sich überzeugt, dass es sich bei den Explosionen der Nord-Stream-Leitungen um einen Akt des Staatsterrorismus gehandelt habe. Er fügte hinzu: "Und wie sie in solchen Fällen normalerweise sagen, schauen Sie, wer daran interessiert ist, sicherzustellen, dass russisches Gas nur durch die Ukraine auf den europäischen Markt geliefert wird, wer daran interessiert ist, dass die Ukraine Geld erhält."
Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte schon im September Schuldzuweisungen zurückgewiesen. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Die Schäden seien auch für Russland ein großes Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt. "Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft."
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Schwierige Spurensuche
In den Recherchen der "Washington Post" kommt nun heraus: Mehrere Befragte sollen eine Beteiligung Russlands sogar ausgeschlossen haben. Andere ließen demnach die Möglichkeit offen, dass andere Staaten für die Anschläge verantwortlich gewesen sein könnten. Einig sind sich Experten darin, dass die Explosionen kein Unfall gewesen seien. Ein namentlich nicht genannter deutscher Regierungsbeamter bestätigte der "Washington Post", dass an den Außenseiten der Rohre Sprengstoff angebracht worden war.
Doch die Spurensuche gestaltet sich unter der Wasseroberfläche als kompliziert. "Die Forensik bei einer Untersuchung wie dieser wird äußerst schwierig sein", wird ein hochrangiger Beamter des US-Außenministeriums zitiert. Schwedische Ermittler hatten lediglich Spuren von Sprengstoff an Fremdkörpern gefunden.
Auch fehlen konkrete Indizien, die Russland mit den Explosionen verbinden. So habe es keine Hinweise auf elektronische Kommunikation gegeben, während man hingegen über die Invasion der Ukraine schon recht früh Funksprüche und andere Informationen abgefangen habe, so der Beamte. Norwegen ermittelt wegen Drohnen, die zum Zeitpunkt des Anschlags in der Nähe geflogen sein sollen – bislang aber ohne Ergebnisse.
Welches Motiv hätte Moskau gehabt?
Dass ein Staat den Auftrag gegeben hat, gilt unter Experten aber für ausgemacht. "Wir wissen, dass es bei dieser Menge an Sprengstoff ein Akteur auf staatlicher Ebene sein muss", sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto diesen Monat in einem Interview. "Es ist nicht nur ein einzelner Fischer, der beschließt, die Bombe dort zu platzieren. Es ist sehr professionell."
Schon bald nach dem Vorfall kam die Frage nach einem möglichen Motiv Moskaus auf. Denn um den Gasfluss zu stoppen, hätte Russland einfach den Hahn zudrehen können. Der Kreml nutzte diese Drohung lange gegen den Westen, denn eine zerstörte Leitung hätte keinen Nutzen mehr gehabt. Als Gegenargument wurde angeführt, dass mit dem deutschen "Nein" zu Nord Stream 2 die Leitung für Russland wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll gewesen sei. Eine Demonstration, wie anfällig wichtige Infrastruktur für Angriffe ist, hätte hingegen Eindruck auf den Westen machen können.
Den möglichen Motiven folgten bisher aber keine Beweise. Zuletzt wurden sogenannte Dark Ships auf Satellitenaufnahmen nahe dem Tatort entdeckt. Diese hatten offenbar ihre Signale abgeschaltet. Nach Recherchen von t-online hatte Deutschland sein Spezialschiff ATAIR der Bundespolizei ausgesandt, um Informationen zu sammeln. Doch die Bundesanwaltschaft schwieg, was Auftrag und Ergebnisse betraf. Weder wurde ein U-Boot gefunden, von dem aus Taucher die Sprengladungen angebracht haben könnten, noch ein Fischerboot, von dem aus die Täter Unterwasserdrohnen abgesetzt haben könnten. Ein von der "Washington Post" befragter Offizieller zeigte sich resigniert. "Es ist nicht gut. Wer immer es getan hat, könnte entkommen."
- washingtonpost.com: "No conclusive evidence Russia is behind Nord Stream attack" (englisch)
- bloomberg.com: "Germany Implies Russia to Blame for Damage to Gas Pipelines" (englisch)
- bild.de: "Die Spur führt zu einer Spezialeinheit Putins" (kostenpflichtig)