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Nord-Stream-Sabotage: Das Rätsel der Dark Ships


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Nord-Stream-Sabotage
Das Rätsel der Dark Ships

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 30.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Wolken werfen ihren Schatten auf ein Schiff im Mittelmeer (Symbolbild): Stehen sogenannte "Dark Ships" in Verbindung mit den Pipeline-Anschlägen? (Quelle: imago images/CSP_JanMika)
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Zwei Schiffe passierten wenige Tage vor den Explosionen die Gaspipelines in der Ostsee. Ohne Signal. Das könnte Ermittler nun auf ihre Spur führen.

Kapitän Ulrich Klüber hat in seinen Jahren auf See schon nach vielen Dingen unter den Wellen Ausschau gehalten. Er hat Wracks am Meeresboden gesucht und Radioaktivität nachgespürt, er hat die Meerestiefen der Nordsee vermessen. Wenn er und seine Crew an Bord der "ATAIR" gerufen werden, sind Spezialisten gefragt. Normalerweise sind die Fahrten des modernsten deutschen Forschungsschiffs nicht eben geheim.

Anders verhält es sich mit ihrem aktuellen Auftrag in der Ostsee. Der erfordert höchste Diskretion. Ein Schiff der Bundespolizei überwacht ihn aus einiger Entfernung. Was die "ATAIR" dort genau tut, darüber könne nur der Generalbundesanwalt Auskunft geben, sagt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH), zu dessen Flotte das Spezialschiff zählt. Doch in der Karlsruher Behörde gibt man sich verschwiegen. Laufende Ermittlungen werden nicht kommentiert.

Heikle Mission in der Ostsee

Tatsächlich ist die Mission der "ATAIR" politisch heikel: Sie hilft nach Informationen von t-online bei der Untersuchung der sabotierten Nord-Stream-Pipelines. Am 26. September rissen Detonationen die deutsch-russischen Gasröhren in dänischen und schwedischen Gewässern auseinander. Enorme Mengen Erdgas drangen daraufhin an die Wasseroberfläche, die meilenweit zur Gefahrenzone erklärt wurde.

Dänemark, Schweden und Deutschland starteten daraufhin eigene Untersuchungen. Sie gingen schnell von einem Anschlag aus. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm fand Reste von Sprengstoff an den Trümmern, die das bestätigten. Unter Einsatz modernster Technologie wird seitdem ermittelt. Das Spezialschiff ATAIR konzentriert sich dabei auf den Meeresgrund. Mittlerweile gibt es aber auch erste vielversprechende Hinweise durch Luft- und Satellitenaufnahmen – einen konkreten Täter gibt es allerdings noch nicht.

Der hybride Krieg

Einer der Hauptverdächtigen war von Anfang an der russische Geheimdienst. Zu gut passt die Vorgehensweise zur hybriden Kriegsführung gegen den Westen. Seit Jahrzehnten nutzt der Kreml unter Machthaber Wladimir Putin seine Gasexporte zu politischer Erpressung. Auch vor dem Angriff auf Georgien explodierten zunächst Pipelines und Stromleitungen. Ein Anschlag auf Nord Stream, so wird vermutet, könnte eine Warnung sein, dass auch die enorm wichtigen Kommunikationskabel am Meeresboden verletzlich sind. In letzter Zeit häuften sich auch dort verdächtige Vorfälle.

Unstrittig ist, dass die russische Marine für verdeckte Operationen am Meeresgrund besser ausgestattet ist als die meisten anderen Armeen. Sprich: Der Kreml hätte ein Motiv, die technischen Möglichkeiten und über seine Häfen in der Ostsee einen schnellen Zugang zu den Tatorten. Eine Indizienkette ist aber kein Beweis. Findet ihn die "ATAIR"? Für die Ermittler, die den Tatort in 80 Metern Tiefe nicht selbst begehen können, scheint es naheliegend, auf Klüber und seine Crew zu setzen.

Der Blick in die Tiefe

Das fast 115 Millionen Euro teure Schiff zählt zu den modernsten seines Typs: An Bord sind Laboratorien, eine Dekompressionskammer und umfangreiche Tauchausrüstung, mehrere Sonargeräte und ein Fächerecholot zur Vermessung des Meeresbodens. Den Analysten wird sich auf dem Grund der Ostsee ein Bild der Zerstörung bieten: Röhren von Dutzenden Metern Länge, fast 100 Tonnen schwer, liegen Hunderte Meter entfernt vom ursprünglichen Pipeline-Verlauf.

Das norwegische Tech-Unternehmen "Blueye Robotics" hat mit Tauchdrohnen und Sonar für die schwedische Zeitung "Espressen" und die britische "BBC" die Schäden dokumentiert. Die Täter müssen Bomben mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff eingesetzt haben. Wie aber kamen sie an Ort und Stelle? Wer brachte sie an?

Verbrecherjagd per Satellit

Mittlerweile könnten Ermittler nicht mehr ausschließlich unter der Meeresoberfläche nach Hinweisen suchen, sondern auch den Blick von weit oben auf die Gefahrenzonen in der Ostsee richten. Beteiligte Behörden haben zuletzt aufmerksam Berichte über eine Satelliten-Analyse des US-Unternehmens SpaceKnow verfolgt, wie t-online erfuhr.

Das Magazin "Wired" machte vor einigen Tagen weltweit Schlagzeilen, weil es bislang nicht identifizierte Schiffe in Zusammenhang mit den Anschlägen brachte. Diese Schiffe fuhren ein paar Tage vor dem Anschlag in der Nähe des Tatortes. Doch sie hatten ihre Signale ausgeschaltet, die sonst zusätzlich zu ihrem Standort auch Namen, Schiffstyp und Abmessungen, Kurs, Geschwindigkeit und Reisedaten übermittelt hätten. Darum waren sie bislang unbemerkt geblieben.

Dem Unternehmen SpaceKnow gelang es, die Schiffe nun zu entdecken, weil es eine spezielle Analysesoftware auf die Satellitenaufnahmen anwendete. Es handelt sich um ein Programm, das SpaceKnow seit einiger Zeit mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) betreibt, und dafür modernste Technologie nutzt, die völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Im sogenannten SAR-Verfahren können Satelliten Gelände mit elektromagnetischen Wellen abtasten.

Die dunklen Schiffe am Tatort

Die so entstandenen Darstellungen sind Fotografien ähnlich. Unternehmen wie das finnische Iceye erstellen und vertreiben sie täglich. SpaceKnow wiederum hat sich unter anderem darauf spezialisiert, per Software sogenannte "Dark Ships" auf den Aufnahmen erkennbar zu machen. Eigentlich soll das dabei helfen, beispielsweise illegale Fischerei zu bekämpfen. Nun könnte es auf die Spur der Pipeline-Terroristen führen.

Dafür können sich Ermittler ein bekanntes System zunutze machen: Um Kollisionen auf hoher See zu verhindern, ist für Schiffe ab einer bestimmten Größe weltweit das sogenannte "Automatic Identification System" (AIS) vorgeschrieben. Es sendet ein Signal, das nicht nur von anderen Schiffen und Behörden, sondern auch von Interessierten online verfolgt werden kann. Auf diese Weise ist der Aufenthalt der meisten Schiffe in Echtzeit nachzuverfolgen. Wenn ein Signal ausgeschaltet wird, spricht man von "Dark Ships".

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Eine Seltenheit in der Ostsee

Meist handelt es sich dabei um Schiffe, die illegal fischen, Waren schmuggeln, zu Spionagezwecken oder für Menschenhandel eingesetzt werden. Manch ein Kapitän will in gefährlichen Regionen auch schlicht verhindern, von Piraten angegriffen zu werden. Deswegen sind die meisten Verstöße im Pazifik dokumentiert oder am Horn von Afrika, wie eine US-Studie kürzlich feststellte. In der Ostsee kommen möglicherweise Verstöße vor, aber längst nicht so häufig wie anderswo. Das macht die Schiffe, die SpaceKnow am Tatort ausgemacht hat, enorm verdächtig.

Kein einziger solcher Fall sei beispielsweise in deutschen Ostsee-Gewässern in den vergangenen Jahren bekannt geworden, erfuhr t-online von der Berufsgenossenschaft Verkehr und der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Dass es relativ selten zu AIS-Verstößen in der Region kommt, könnte aber theoretisch wiederum dazu führen, dass die bislang nicht identifizierten "Dark Ships" möglicherweise doch noch identifiziert werden.

Wurden die Schiffe kontrolliert?

Denn sollten im fraglichen Zeitraum andere Anrainerstaaten wie Dänemark oder Schweden in ihren Gewässern ausgeschaltete Signale festgestellt haben, wäre eine Sanktionskette in Gang gesetzt worden, der sich ein Schiff auch im Nachhinein nur schwer entziehen kann. Europa- und weltweit würde in einem der nächsten anzulaufenden Häfen eine sogenannte Hafenstaatkontrolle durchgeführt. Inspekteure gingen an Bord. Bei Mängeln beispielsweise könnten sie das Schiff festsetzen.

Seit Mitte September wurden allein in Europa über 3.000 solcher Kontrollen durchgeführt, die allerdings auch durch andere Verstöße als gegen die AIS-Pflicht ausgelöst werden können. Alle Kontrollen sind in einer zentralen Schiffsdatenbank dokumentiert. Findet sich hier ein Hinweis auf die mysteriösen Schiffe, die am Tatort der Pipeline-Sabotage kreuzten?

Der Generalbundesanwalt bestätigt nicht, dass ihm die Analyse der Satellitenbilder vorliegt oder dass er durch AIS-Verstöße ausgelösten Hafenstaatkontrollen nachgeht. Dänische und schwedische Behörden antworteten auf entsprechende Anfragen bislang nicht.

Und auch was genau Kapitän Klüber mit der "ATAIR" gefunden hat, ist noch geheim. Mittlerweile liegt das Spezialschiff wieder in Bremerhaven vor Anker.

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