Beratungen der G7-Agrarminister Ukraine fordert internationales Engagement gegen Getreidekrise
Die G7 haben über Maßnahmen gegen die durch den russischen Angriffskrieg gefährdeten Getreidelieferungen beraten. Agrarminister Özdemir will sich offenbar persönlich ein Bild von der Lage in der Ukraine machen.
Die kriegserschütterte Ukraine nimmt Deutschland, die USA und die übrigen führenden Industrienationen der G7 bei der strategisch wichtigen Getreideausfuhr dauerhaft in die Pflicht. "Viele Länder müssen sich engagieren", forderte der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyj am Freitag in Stuttgart beim Treffen mit seinen Amtskollegen der G7-Runde. Im Alleingang sei diese Aufgabe unlösbar. Die Lage ist heikel, denn die meisten Seehäfen des Krisenlandes sind blockiert.
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Deutschland hat in der Runde der G7 zurzeit den Vorsitz. Der Gruppe gehören neben der Bundesrepublik die USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan an.
Özdemir: "Hafen von Odessa muss gesichert werden"
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sicherte als Gastgeber des zweitägigen Treffens Unterstützung der G7-Gruppe zu. Es gehe vor allem darum, alternative Transportwege für ukrainisches Getreide auszuloten. Er nannte den Landweg, die Schiene oder die Donau. "Der Hafen von Odessa muss gesichert werden, er darf nicht fallen." Es sei gut, wenn die Ukraine militärisch erfolgreich sei. Er habe von Solskyj eine Einladung in die Ukraine angenommen. Einzelheiten dazu blieben zunächst offen.
Solskyj befürchtet wegen des russischen Angriffskriegs in seinem Land "große Verluste" bei der diesjährigen Weizenernte. "Die Situation bei Mais ist ein bisschen besser", sagte er. Es gebe noch etwa 20 Millionen Tonnen Getreide aus der früheren Ernte. "Ich gehe davon aus, dass wir zusätzlich 30 bis 40 Millionen Tonnen Getreide haben werden", sagte er mit Blick auf die neue Ernte. Er brachte einen Export über das Baltikum ins Gespräch. Es gebe dort nicht ausgelastete Häfen.
Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit
Der ukrainische Ressortchef Solskyj machte deutlich, dass die Frage von Getreideausfuhren seines Landes eine große Bedeutung hat. "Davon hängen auch die Preise ab, die Verbraucher weltweit zahlen müssen in den nächsten Monaten." Özdemir betonte an der Seite von Solskyj, die Ernährungssicherheit in Deutschland sei zwar gesichert. Das Land müsse aber Verantwortung übernehmen, auch international.
Die Ukraine ist traditionell ein bedeutender Weizenexporteur. Die Getreidemärkte sind wegen des Kriegs weltweit angespannt, die Preise gehen nach oben. Auch die von Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne) geführte G7-Außenministerrunde beriet in Weißenhäuser Strand an der Ostsee darüber, wie ukrainisches Getreide in die Welt gebracht werden kann. Zudem sprachen Bundeskanzler Olaf Scholz und der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag am Telefon unter anderem über die globale Lebensmittelversorgung, wie ein deutscher Regierungssprecher berichtete.
Özdemir: Putin setzt Hunger als Waffe ein
Özdemir warf auf dem Stuttgarter Schloss Hohenheim dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, gegen die Ukraine auch einen "Wirtschaftskrieg" anzuzetteln. Der Kremlchef bediene sich einfach an den Weizenreserven der Ukraine, die als eine der Kornkammern der Welt gilt, lautet ein schon länger geäußerter Vorwurf Özdemirs.
Putin setze Hunger gezielt als Waffe ein, indem der Export von Weizen aus der Ukraine mit Hafenblockaden verhindert werde. "Das ist ein zynisches Spiel." Allein die Hälfte des Weizens für das World Food Programme komme aus dem Land. Die Verknappung und die Erhöhung der Preise seien eine bewusste Kriegsstrategie.
Der Grünen-Politiker schlug einen ungewöhnlich kämpferischen Ton an. "Ich freue mich, dass die Ukraine es geschafft hat, die "Moskwa" zu versenken", sagte er mit Blick auf den russischen Raketenkreuzer, das bisherige Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte. "Das ist eine gute Nachricht für die freie Welt." Je nach Entwicklung behalte man sich weitere Sanktionsschritte vor.
Sorge vor neuem Hunger
Die Welthungerhilfe warnte anlässlich des Toptreffens vor einem "noch drastischeren Anstieg" der Zahl der Hungernden. Um das zu verhindern, müssten die Agrarminister schnellstmöglich angemessene Akuthilfen auf den Weg bringen, sagte Welthungerhilfe-Vizepolitikchef Rafael Schneider der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Der Preisanstieg für Lebensmittel durch den Ukraine-Krieg treibe ansonsten die Zahl der Hungernden weiter in die Höhe. Derzeit litten weltweit 800 Millionen Menschen unter Hunger. Außenministerin Baerbock warnte beim Treffen an der Ostsee davor, dass sich am Himmel eine Ernährungskrise zusammenbraue.
Umweltorganisationen riefen die G7-Runde dazu auf, das Welternährungsprogramm finanziell deutlich zu stärken, um die Versorgung in den besonders betroffenen Regionen sicherzustellen. Ernährungssicherung sei auch Friedenssicherung, teilten die Organisationen mit.
430 Millionen gegen die Ernährungskrise?
Die Bundesregierung plant laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" bereits, den Kampf gegen die sich verschärfende Ernährungskrise im Globalen Süden mit einem Budget von 430 Millionen Euro zu unterstützen. Davon seien 238 Millionen Euro für Hilfen zum Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft oder Bildungsinvestitionen bestimmt. Das Magazin beruft sich auf ein Papier des Bundesentwicklungsministeriums.
Weitere 150 Millionen Euro sind demnach für die Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" vorgesehen und mindestens 42 Millionen als zusätzlicher deutscher Beitrag zum Welternährungsprogramm. Nötig sei "mehr Geld für die Hilfe, aber vor allem auch bessere Koordinierung zwischen Gebern und Empfängern, damit kein Land vergessen wird", sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) dem "Spiegel". Sie werde sich deshalb im "Trio mit Außenministerin Baerbock und Landwirtschaftsminister Özdemir" darum kümmern.
Experte warnt vor Hamsterkäufen
Angesichts der Ernährungssicherheit in Deutschland geben Experten Entwarnung – es könnte aber zu einem Preisanstieg kommen (mehr dazu lesen sie hier). Der Agrarwissenschaftler Sebastian Hess von der Universität Stuttgart-Hohenheim warnte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor dem Anlegen unnötiger Vorräte – auch Staaten könnten versuchen, eine Hamsterstrategie zu betreiben.
"Jeder Einzelne sollte vermeiden, Vorräte mit Mehl anzulegen, die man realistischerweise nie braucht", riet Hess. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom Freitag ist der Einfuhrpreis für Getreide nach Deutschland infolge des Kriegs im März gegenüber dem Vorjahresmonat um 53,6 Prozent gestiegen. Einen stärken Zuwachs habe es zuletzt im Mai 2011 mit damals 74,0 Prozent gegeben.
Vor dem Treffen demonstrierten einige Landwirte vor dem Schloss Hohenheim mit Traktoren und einem Schriftzug "Redet mit uns, nicht über uns". Die Konferenz wird am Samstag mit einer Abschlusserklärung und einer Pressekonferenz zu Ende gehen.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP