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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nabu-Experte "Dieser Baum ist für Deutschland besonders wichtig"
Geeignete Hausbäume gibt es für jeden Garten. Wie wäre es mit einem Kandidaten für den Baum des Jahres 2022? Wir haben Sönke Hofmann vom Naturschutzbund gefragt, wer sein Favorit ist.
Zu jedem Haus, Garten oder Grundstück gehört ein Baum. Doch die Auswahl in den Baumschulen und Pflanzen-Centern ist riesig. Was könnte einem die Entscheidung erleichtern? Zum Beispiel die jährliche Wahl zum "Baum des Jahres". Drei Kandidaten, die für etwas Besonderes stehen, kommen dabei regelmäßig in die engere Auswahl. Für 2022 sind das der Burgenahorn, die Rotbuche und die Salweide, auch bekannt als Kätzchenweide. Am Donnerstag wird verkündet, wer es geworden ist.
Das Kuratorium Baum des Jahres (KBJ) nominiert jeweils die Kandidaten. In dem Gremium sitzt als stimmberechtigter Vertreter auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). t-online hat Sönke Hofmann vom Nabu Bremen gefragt, welcher Baum sein Favorit ist, warum die Kätzchenweide so ein schlechtes Image hat und wer nach Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Schirmherrschaft übernehmen sollte.
t-online: Herr Hofmann, der Countdown läuft. Morgen erfahren wir, wer Baum des Jahres 2022 wird. Welcher ist Ihr Favorit?
Sönke Hofmann: Für alle drei gibt es gute Gründe. Die Auswahl macht aber gleichzeitig eines ganz deutlich. Die Zahl der Baumarten ist hierzulande nun mal sehr begrenzt. Zum Beispiel im Unterschied zu den etwa 300 heimischen Vogelarten in Deutschland, aus denen wir vom Nabu seit genau 50 Jahren den Vogel des Jahres wählen.
Aber in Deutschland gibt es doch etwa 90 Baumarten. Das würde noch ein paar Jahre reichen.
Trotzdem dachte ich schon 1989 beim ersten Baum des Jahres: 'Hm, allzu weit werden sie damit aber nicht kommen. In 30 Jahren sind sie mit allen ernstzunehmenden Bäumen durch.' So erklärt sich dann auch der diesjährige Kandidat Felsenahorn oder Burgenahorn, der in Deutschland überhaupt nicht verbreitet ist. Er ist garantiert deshalb in die engere Auswahl gekommen, weil er trockenresistent ist. Ein klassischer Klimagewinner. Aber eben keine einheimische Art. Wird so einer gewählt werden, würde ich das nicht gut finden.
Sönke Hofmann ist seit 26 Jahren Chef des Bremer Naturschutzbundes (Nabu). Wenn der 51-jährige Diplom-Forstingenieur mal nicht Klartext redet (Kirschlorbeer ist "ganz großer Mist"), kocht er in seiner Freizeit und ist begeisterter Hobby-Landwirt, -Handwerker und -Fruchtwinzer.
Wie schon damals bei der Robinie, dem Baum des Jahres 2020?
Ja, hier hat man auch aus Verzweiflung auf diese nordamerikanische Art zurückgegriffen, obwohl die Robinie zu den invasiven Baumarten zählt und heimische Flora verdrängt. Oder die Esskastanie, der Baum des Jahres 2018. Das sind alles Arten, die jetzt mit dem Klimawandel gehypt werden. Diese Bäume sind ja aber auch nicht unverletzlich. Freilich sind sie an mediterranes Klima und damit an Trockenperioden angepasst. Aber wenn mal ein strenger Winter mit minus 25 Grad über drei Wochen kommt, dann werden sie großen Schaden nehmen. Die Frage ist dann immer, ist es sinnvoll einen solchen Klimagewinner zu hypen, wenn doch die Ökosysteme eigentlich etwas ganz anderes brauchen.
Was brauchen sie denn?
Zum Beispiel die heimische Rotbuche. Sie war ja 1990 schon einmal Baum des Jahres und wurde jetzt wieder nominiert. Was auch angemessen ist, denn eigentlich müsste die Rotbuche alle zehn Jahre entweder nominiert oder sogar gewählt werden.
Was ein bisschen langweilig wäre, oder?
Nein, vielmehr um zu zeigen, dass die Rotbuche die bei uns am weitesten verbreitete Baumart sein würde, wenn der Mensch nicht ständig in die Ökosysteme eingreifen würde. Wir haben eine besondere Verantwortung für diese Baumart in Mitteleuropa, weil sie nur hier bei uns vorkommt und natürlicherweise bestandsbildend ist. Sie kommt in den Wäldern relativ gut mit der Trockenheit klar und verträgt auch Zeiten mit weniger Niederschlag. Kurzum, diese Baumart ist für Deutschland besonders wichtig.
Um noch mal auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Ist die Rotbuche dann Ihr Favorit für den Baum des Jahres 2022?
Nein, es ist die dritte Kandidatin: die Salweide. Palmweide sagt man auch, weil ihre Zweige am Palmsonntag für Gesteck oder Vase verwendet werden. Sie ist mein Favorit, gebe ich ehrlich zu. Denn ich habe Gottseidank nach 30 Jahren all das, was ich einst in meinem Forststudium eingetrichtert bekommen habe, hinter mich lassen können.
Hat die Kätzchenweide, wie sie auch heißt, ein so schlechtes Image?
Sie zählt wie Birke, Erle und Co. eigentlich zu 'forstlichem Unkraut'. Klar kann man mit dem leichten, wenig dauerhaften Weidenholz herzlich wenig anfangen, vielleicht ein paar Kisten daraus bauen. Mehr nicht. Doch mit einer Weide – ob als Baum oder Strauch – kann jeder im Garten etwas Gutes tun, auch wenn man sie immer wieder be- und runterschneidet. Das schadet der Salweide herzlich wenig.
Was ist denn so besonders an der Palmweide?
Einerseits ist sie für viele Schmetterlingsraupen eine wichtige Futterpflanze, darunter der Große Schillerfalter oder der C-Falter. Andererseits ist sie zweihäusig, das heißt: Es gibt männliche und weibliche Blüten an einem Baum. Das bedeutet, dass die Insekten ganz früh im Jahr – im Februar und März – sowohl Pollen als auch Nektar reichlich daran finden. Das ist nicht nur für die Honigbiene, sondern auch für Wildbienen und andere Insektenarten ein absolut wichtiges Gehölz.
Bisher war die Schirmherrin für den Baum des Jahres Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Hätten Sie eine Wunschkandidatin oder einen Wunschkandidaten, der ihr nachfolgen sollte?
Ich würde da keinen Politiker nennen, sondern – und das wäre eine Revolution oder ein Skandal (lacht) – den Peter Wohlleben.
Ah, der Förster und Bestsellerautor, dessen Buch "Das geheime Leben der Bäume" sogar verfilmt wurde. Aber warum Skandal?
Peter Wohlleben kommt ursprünglich aus der Forstverwaltung, einem strukturkonservativen, männerdominierten Verein. Das hat er auch erkannt, deshalb 2006 seinen Beamtenjob an den Nagel gehängt und Tacheles geredet, was alles schiefläuft. Jahrzehntelang wurde und wird eine intensive Forstwirtschaft betrieben und der Ökonomie alles untergeordnet. Wälder verkommen zu minderwertigen Holzäckern. Da muss ein Umdenken her, ein radikaler Wandel. Sonst wird die Natur das selbst richten und uns gewaltige Schäden hinterlassen, und das solange, bis der Mensch die Finger von ihr lässt. Denn 300 Millionen Jahre haben die Wälder ganz fein allein und ohne unser Zutun existiert.
Wir leiten Ihren Vorschlag gern weiter. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hofmann.