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"Das geheime Leben der Bäume": Wie die Deutschen den Wald neu lieben lernten


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Literaturverfilmung: "Das geheime Leben der Bäume"
Der Wald hat nichts mehr mit Blut und Boden zu tun

Von Arno Raffeiner

25.01.2020Lesedauer: 4 Min.
Herbstwald im Nebel: Das Buch "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben diente als Vorlage der gleichnamigen Kinodokumentation.Vergrößern des Bildes
Herbstwald im Nebel: Das Buch "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben diente als Vorlage der gleichnamigen Kinodokumentation. (Quelle: Constantin Film Verleih GmbH)
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Kuscheln mit Kiefern ist wieder erlaubt. Der Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" hat das Verhältnis vieler Deutscher zum Wald verändert. Mit dem Kinofilm beginnt eine neue Zeitrechnung.

Vor 30 Jahren gab es Waldsterben. Jetzt gibt es Australien. 1820 hatten wir Joseph von Eichendorff. "Schaurig rühren sich die Bäume." Heute haben wir Peter Wohlleben. "Ich versuche, zum Baum zu werden."

Wald geht in Deutschland immer. Und er kommt gerade so richtig wieder, und zwar weltweit. Auf Klimagipfeln und in Katastrophenszenarien, in Talkshows, Lokalmeldungen und Lebensratgebern. So viel Buschdrama und Baumeuphorie war lange nicht. Hambi bleibt – und auf den Vorher-Nachher-Bildern aus New South Wales ist alles weg, wo eben noch Urwald war. Während Jair Bolsonaro in Brasilien wieder verstärkt die Brandrodung propagiert, forscht man an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zur therapeutischen Wirkung des Waldbadens.

Selbst die Regierung hat einen Waldbeauftragten

Dass die Bundesregierung seit 2018 ihren ersten Waldbeauftragten hat, einen CDU-Abgeordneten mit dem imperialen Namen Cajus Caesar, dürfte kaum jemand mitbekommen haben. Sehr wohl aber, dass auch hierzulande quadratkilometerweise Truppenübungsplätze niederbrennen oder Fichtenplantagen vom Sturm hingestreckt werden wie eine Armada defekter E-Roller auf den Bürgersteigen der Großstädte.

Wie ein paar dieser Dinge zusammenhängen und von wie vielen anderen wir keine Ahnung haben, erklärt seit einigen Jahren der berühmteste Förster der Welt, Peter Wohlleben aus Hümmel in Rheinland-Pfalz. Unermüdlich in Sachen Wald unterwegs, weiß über alles Bescheid, ist nie um eine Antwort verlegen. Energisch, beruhigend, witzig, auf den Punkt – ein geborener Charismatiker. Außerdem Waldflüsterer und Baumversteher.

Eine Buche möcht ich sein

Wer Wohlleben nicht kennt, lebt wirklich hinterm letzten Busch. Nach einer ganzen Reihe von Bestsellern samt Hörbuch- und Kinderbuch-Ablegern kann man das Wohlleben-Programm inzwischen als Magazin abonnieren oder für Führungen buchen. Und jetzt auch im Kino erleben. Eine Dokumentation gibt Einblicke in "Das geheime Leben der Bäume". (Den Trailer sehen Sie oben im Video.) Es ist der Film zu Wohllebens erstem Sachbuch-Hit von 2015. Monatelang dominierte er die Bestsellerlisten in Deutschland, war zweimal das meist verkaufte Buch des Jahres, wurde bisher in über 40 Sprachen übersetzt.

Der Film ist vor allem ein Einblick in das nicht ganz so geheime Leben des Autors und Försters, angereichert mit Naturaufnahmen in Zeitraffer. Einmal sieht man Wohlleben beim Entspannen in der Badewanne. Ein anderes Mal erwähnt er eine persönliche Krise vor über zehn Jahren, Burn-out. Abgesehen davon zeigt ihn die Doku vor allem als die öffentliche Person, die er seit dem Riesenerfolg seiner Bücher ist.

Er wäre gern eine Buche, sagt Wohlleben am Anfang. Das sei die heimische Baumart schlechthin, außerdem "ein bisschen unter die Räder gekommen". Die der tonnenschweren Forstmaschinen zum Beispiel, die beim Abholzen nicht nur die Bäume, sondern vor allem den lebendigen Waldboden unter sich platt machen. Der Buchenurwald ist Wohllebens Idealvorstellung der deutschen Landschaft. Aber es klingt nicht nach Eichendorff und Göttersagen, wenn er davon spricht. Vom ewigen Geraune über die Deutschen und den Wald ist bei ihm kaum etwas zu hören.

Blut, Boden, Tannenzapfen

Kulturhistorisch gesehen begeht Wohlleben damit ein Sakrileg. Das Geheimnisvolle, das gleich mehrere seiner Bücher im Titel führen, will er dem Wald ja gerade austreiben. Geht’s noch? Das bedrohlich dräuend Neblige, auf das all die Rübezahlpoeten und Stammbaumleser seit Jahrhunderten so stolz sind – durch die Försterbrille sieht es plötzlich ganz klar und luftig aus. Es werde Licht im Dickicht! Der Forst wird zum Kumpel, mit dem wir auf du und du sein können. Im Wald sind gar keine Räuber. Da ist jetzt Ökosystem.

Damit ist eine neue Zeitrechnung angebrochen. Deutsche Kulturgeschichte muss ab sofort in v. W. und n. W. eingeteilt werden. Was "vor Wohlleben" anrüchig war – die Romantiker mit ihrer antimodernen Deutschtümelei, die Nazis mit der Rede vom germanischen Waldvolk und den militarisierten Naturbildern aus Blut, Boden und Tannenzapfen, die Arroganz des Bio-Bürgertums von "Landlust" bis Manufactum –, das ist "nach Wohlleben" von neuen Idealen überschrieben. Schonender Umgang mit Ressourcen zum Beispiel, organischer Wuchs statt Nutzholzwüste, CO2-Speicher, Nachhaltigkeit und viel Gelassenheit. Der Wald wird’s schon richten. Schließlich passen dort alle aufeinander auf.

Total baumverrückt

Auch n. W. gilt: Wald ist mehr als die Summe der einzelnen Stämme. Nämlich das, was vor allem in den neuen Bundesländern lange diskreditiert war, oder, nach dramatischen Brüchen in den Biografien, jetzt wieder umso attraktiver erscheint. Wald ist Kollektiv. Ein Superorganismus. "Nachbarschaftshilfe" ist wohl die bessere Metapher, schließlich übersetzt Wohlleben die botanischen Zusammenhänge konsequent in Kindergartensprache. Er erklärt im Film auch den letzten Waldbanausen, die seine Bücher noch nicht kennen, wie Mamabaum den Babybaum füttert, wie die neue Generation die gebrechlichen Senioren aufpäppelt und dass die armen Plantagenbäume ganz ohne Eltern aufwachsen müssen.

So ist Wohllebens faktisch-pragmatischer Blick gar kein Gegensatz zu Verklärung und Romantisierung. Er steht vor allem für deren Anpassung an den Zeitgeist und aktuelle Diskurse. Der Effekt ist derselbe: Waldsehnsucht modern. So baumverrückt war das Land lange nicht.

Nun ist es alles andere als eine Überraschung, dass ein hunderttausendfach verkauftes Buch irgendwann im Kino landet. Aber lustig ist es schon, wenn man abends nach dem Digitalalltag in den lokalen Multiplex fährt, um seine unbändige Natursehnsucht bei Popcorn und Cola Zero mit einem Baumfilm zu befriedigen. Das tut bestimmt so gut, wie der Lieferando-Salat schmeckt, während man sich auf der Couch einmal durch alle Kochshows zappt.

Wie man in den Wald hineinschaut, so schaut er zurück, hat ein schlauer Kopf mal gesagt. Die längste Zeit war der Blick der Deutschen finster, ängstlich, ungeheuer. Im Jahr 5 n. W. aber, seit Wohlleben ein paar Geheimnisse gelüftet hat: fasziniert, cool, alles easy. Das verkrampfte Verhältnis zum Nationalsymbol Wald hat er damit gelockert wie ein Entspannungsbad, welches er vor dem nächsten Talkshow-Auftritt bei Markus Lanz so gerne nimmt.

Arno Raffeiner ist Kulturjournalist und lebt in Berlin. Er war bis 2018 Chefredakteur von "Spex – Magazin für Popkultur". Zuvor arbeitete für diverse Medien als Autor und Redakteur für Musik, Kino und Literatur. Er beschäftigt sich mit allen relevanten Themen quer durch den Kulturbereich und mit dem digitalen Alltag.

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