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Schlafforscher schlagen Alarm vor übermüdeter Gesellschaft


Kein Lob aufs frühe Aufstehen
Schlafforscher warnen vor übermüdeter Gesellschaft

dpa, Ulrike von Leszczynski

15.06.2018Lesedauer: 4 Min.
Eine Frau schläft im Bett, während ein Wecker neben ihr auf dem Nachttischränkchen steht.Vergrößern des Bildes
Schlafstörung: Wir schlafen zu wenig und zu schlecht. Das führt zu Übermüdung. (Symbolbild) (Quelle: Patrick Pleul/dpa)

Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Stimmt. So manche andere Weisheit finden Schlafforscher aber schlichtweg falsch – vor allem das Lob aufs frühe Aufstehen.

Der frühe Vogel fängt den Wurm und Morgenstund' hat Gold im Mund? Nicht für Schlafforscher Hans-Günter Weeß. "Wir sind eine Gesellschaft, die den Schlaf nicht schätzt", kritisiert der Psychologe, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Im Ergebnis sei Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern eine übermüdete Nation. Die Nachteile begännen schon beim frühen Schulbeginn. Eine Bilanz zum "Tag des Schlafs" am 21. Juni:

4,8 Millionen leiden an Schlafstörungen

Wenn ein Mensch in einem Monat an mindestens drei Nächten in der Woche kaum einschlafen oder durchschlafen kann, braucht er nach Ansicht von Schlafforschern Hilfe. "Entscheidend ist, ob es am nächsten Tag zu Beeinträchtigungen kommt, zum Beispiel bei Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisleistung", sagt Weeß. "Deutliche Anzeichen für Übermüdung sind auch Gereiztheit, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Probleme." Nach Studien der DGSM leiden in Deutschland sechs Prozent der Bevölkerung an chronischen Schlafstörungen – das sind rund 4,8 Millionen Menschen.

Gene bestimmen Schlafbedürfnis

Für Forscher geben bei jedem Menschen die Gene vor, wie viel Zeit er im Bett verbringt. Für die meisten Menschen liege das zwischen sechs und acht Stunden. Einige brauchen aber noch mehr, andere weniger Schlaf. Freiwillige Frühaufsteher und überzeugte Nachteulen folgen ihrer inneren Uhr. "Solche Anlagen können wir uns nicht abtrainieren", berichtet Wissenschaftler Weeß. Der individuelle Biorhythmus lasse sich nicht austricksen. Ein erzwungenes Leben gegen die innere Uhr münde meist in Erschöpfung. Und ein Mittagsschlaf helfe nur, wenn er nicht länger als 15 bis 20 Minuten dauere.

Schulbeginn verschieben

In Deutschland beginnt sie meist zwischen sieben und acht Uhr. Das ist deutlich früher als in vielen Nachbarländern, die oft erst ab 8.30 Uhr starten. "Wenn wir unser Bildungssystem reformieren wollen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, die Schule später beginnen zu lassen", sagt Weeß. Studien hätten belegt, dass vor allem Teenager Mathematikaufgaben um neun oder zehn Uhr deutlich besser lösten als um acht Uhr. Bei Grundschülern gebe es bei der Konzentrationsleistung einen belegten Zusammenhang zwischen der Entfernung der Schule zum Wohnort. Wer um sechs oder sieben Uhr früh im Schulbus sitzen muss, hat nach Studien deutlich schlechtere Karten.

200.000 Fehltage durch Schlafstörungen

In Umfragen sprechen sich zwei Drittel der Eltern gegen einen späteren Schulbeginn aus, weil sie in ihren Berufen keine flexiblen Arbeitszeiten haben. "Daran sehen wir, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist", sagt Weeß. "Dabei brauchen wir alle mehr Schlaf. Wir müssen die Arbeitswelt anpassen." Im Moment passiere aber eher das Gegenteil. Statt flexibler Acht-Stunden-Tage dehne sich die Arbeitszeit durch Internet und mobile Medien immer weiter aus. "Wir sind bald eine 24-Stunden-Non-Stop-Gesellschaft", kritisiert Weeß. "Es ist die Frage, ob Supermärkte oder Fitnessstudios rund um die Uhr offen sein müssen." Es gebe laut Studien pro Jahr rund 200.000 Fehltage auf Grund von Schlafstörungen. "Das heißt, jedes Jahr gehen der deutschen Wirtschaft 60 Milliarden Euro durch die Übermüdung ihrer Mitarbeiter verloren."

Übermüdung wirkt wie Alkohol

Zu wenig Schlaf ist Gift hinterm Steuer. Das relative Risiko, einen Unfall zu bauen, potenziere sich allein schon beim Fahren zwischen zwei und fünf Uhr nachts um das Fünffache, sagt Maritta Orth, Schlafmedizinerin und Lungenfachärztin. Denn in dieser Zeit liege das absolute Leistungstief. Weniger als fünf Stunden Schlaf in der Nacht zuvor können aber auch tagsüber zu deutlich mehr Crashs führen. Denn Übermüdung kann einen ähnlichen Effekt auf den Körper haben wie Alkohol am Steuer – Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit lassen nach. Krankheiten wie eine Schlafapnoe erhöhen das Unfallrisiko jederzeit um das Zwei- bis Dreifache.

Atemaussetzer verhindern Tiefschlaf

Sie ist die bekannteste Schlafstörung und oft mit heftigem Schnarchen verbunden. Patienten kommen durch mehr als 15 Atemaussetzer pro Stunde nachts nicht in den nötigen Tiefschlaf hinein, bei dem sich der Körper erholt. Zusätzlich fehlt ihnen der Traumschlaf für die seelische Erholung. Dieser Schlafmangel wird am Tag nachgeholt – Betroffene nicken dabei auch gegen ihren Willen ein. Goldstandard für eine Therapie ist eine Nasenmaske, die an einen Druckgenerator angeschlossen ist. Sie sorgt im Schlaf dafür, dass die Zunge an den Mundboden gedrückt wird und den Kehlkopf nicht verschließen kann. "Die Maske macht nicht schöner, aber für operative Maßnahmen wie Schrittmacher sind nicht alle Patienten geeignet", sagt Orth. Der Schrittmacher wirkt auf die Muskulatur der Zunge.

Gesundheitliche Folgen der Übermüdung

Rund 80 verschiedene Schlafstörungen sind bekannt. Ihr Zusammenhang mit anderen Krankheiten werde zu häufig noch nicht gesehen, berichtet Orth. Schlafstörungen wie Apnoe können erhöhten Blutdruck, erhöhte Neigung zum Schlaganfall, Herzrhythmusstörungen und den plötzlichen Herztod begünstigen, weil sie Schäden an Gefäßen verursachen.

Schlaftabletten lieber vermeiden

Bis zu 1,9 Millionen Menschen in Deutschland nehmen nach Angaben der Fachgesellschaft regelmäßig Schlafmittel ein. Die Tabletten haben aber keine heilende Wirkung. Werden sie abgesetzt, ist die Störung sofort wieder da. "Wir müssen Menschen beibringen, ihre eigene Schlaftablette zu sein – also das erholsame Schlafen zu lernen", rät Weeß.

Frauen sind anfälliger für Schlafstörungen

Frauen schlafen länger als Männer. Allerdings gelten sie durch hormonelle Schwankungen, Schwangerschaften und Menopause im Lauf ihres Lebens als anfälliger für Schlafstörungen. Eine große Rolle spielt die Psyche. "Frauen haben dünnere Grenzen", sagt Weeß. "Sie lassen Probleme dichter an sich heran und nehmen sie leichter mit ins Bett." Anspannung aber gilt als Hauptfeind des Schlafs.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • dpa
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