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Wird die Menschheit immer unfruchtbarer, Frau Swan?


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Reproduktionsepidemiologin
"Männer sollten regelmäßig ihre Spermienzahl prüfen lassen"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewVon Claudia Zehrfeld

Aktualisiert am 14.09.2021Lesedauer: 8 Min.
Eizelle und Spermien: Immer mehr Paare sind auf künstliche Befruchtung angewiesen.Vergrößern des Bildes
Eizelle und Spermien: Immer mehr Paare sind auf künstliche Befruchtung angewiesen. (Quelle: koya79/getty-images-bilder)

Männer produzieren immer weniger Spermien, warnt Medizinerin Shanna Swan. Das kann nicht nur die Fruchtbarkeit bedrohen, sondern ist oft auch mit anderen Krankheiten verknüpft.

Bei Männern ist die Spermienzahl seit den 1970er-Jahren stark gesunken, Frauen erleiden immer häufiger Fehlgeburten – Fruchtbarkeitsstörungen haben weltweit zugenommen. Mit deren Erforschung befasst sich auch die Amerikanerin Shanna Swan, Reproduktions- und Umweltepidemiologin. Im Interview mit t-online spricht sie über die Faktoren, die unsere Fruchtbarkeit bedrohen, sagt, was sich ändern muss und hat einen Ratschlag für alle Männer – egal, ob sie noch Kinder bekommen wollen oder nicht.

t-online: Ihr neues Buch heißt "Count down – Was uns immer unfruchtbarer macht" – das klingt ganz schön bedrohlich. Wie schlimm steht es um die Reproduktionsfähigkeit der Menschen?

Shanna Swan: Bei unserer Forschung haben wir uns vor allem mit der Reproduktionsfähigkeit von Männern beschäftigt. Und da hat sich gezeigt: Die Qualität der Spermien hat sich stark verschlechtert. Wir haben uns konkret die Anzahl und Konzentration der Spermien angesehen, andere Qualitätskriterien hängen damit zusammen. Als wir unsere Forschung 1973 begonnen haben, fanden wir durchschnittlich 99 Millionen Spermien pro Milliliter, das ist ein guter Wert. 2011 waren es nur noch 47 Millionen. Es gab also einen Einbruch von 52 Prozent innerhalb von 40 Jahren, das ist mehr als ein Prozent pro Jahr. Das ist sehr beunruhigend.

Warum?

Man könnte meinen, dass es kein Problem sei, mit 47 Millionen Spermien eine Frau zu schwängern. Das sind immer noch viele, das stimmt. Allerdings gilt: Umso niedriger die Spermienrate ist, desto länger wird es bis zur Empfängnis dauern.

Gibt es einen Wert, ab dem es besonders kritisch wird?

Sobald die Spermienanzahl unter 40 Millionen pro Milliliter absackt. Dann fällt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau in einem Zyklus schwanger wird, besonders stark ab. In solchen Fällen wir oft auf eine künstliche Befruchtung zurückgegriffen. Und durchschnittlich 47 Millionen ist schon sehr nah an 40 Millionen dran. Es bedeutet, dass ungefähr die Hälfte aller Männer bereits bei diesen 40 oder noch tiefer angelangt ist. Wir sind also schon jetzt in einer schwierigen Situation. Zudem sind diese Daten nun zehn Jahre alt. Sollte sich die Verschlechterung in der gleichen Weise fortgesetzt haben, so liegen wir mittlerweile schon bei 37 Millionen im Schnitt.

(Quelle: Axel Dupeux)


Shanna H. Swan gehört zu den weltweit führenden Umwelt- und Reproduktionsexperten. Die Amerikanerin ist Professorin für Umweltmedizin an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York.

Die Welt ist bereits überbevölkert. Wäre es also so schlimm, wenn weniger Babys geboren werden?

Ja, denn für die Gesellschaft kann das einige negative Folgen haben. Denkt man allein an die Bevölkerungspyramide, die sich umdreht: Es gibt wenig Nachwuchs und viele alte Menschen. Für die Wirtschaft eines Landes ist das verheerend. Denn auf der einen Seite gibt es weniger Arbeitskräfte, auf der anderen Seite werden die Menschen immer älter und haben einen höheren sozialen und medizinischen Bedarf. Die schmale Basis wird nicht in der Lage sein, das für die älteren Menschen zu stemmen. So bedroht eine verringerte Fruchtbarkeit nicht nur das Recht, Kinder zu bekommen, wenn man das möchte. Sondern auch das Recht, dass sich ausreichend um einen gekümmert wird, wenn man älter ist.

Welche Aspekte unseres Lebensstils bedrohen die Fruchtbarkeit?

Ich unterteile in zwei Arten von Faktoren: die, die man beeinflussen kann und die, die man nicht beeinflussen kann. Zu ersteren gehört wie viel wir rauchen, wie viel wir trinken, unser Gewicht, wie viel wir uns bewegen, wie viel Stress wir haben. Interessant ist übrigens, dass all diese Faktoren, die die Fruchtbarkeit beeinflussen, bei Frauen und Männern die gleichen sind, die auch die Gesamtgesundheit beeinflussen.

Welche Faktoren können wir nicht beeinflussen?

Wir können nichts daran ändern, was passiert ist, als wir noch im Bauch unserer Mutter waren. Wenn ein Mann raucht, verringert sich seine Spermienqualität durchschnittlich um 20 Prozent. Wenn er aufhört mit dem Rauchen, geht sie wieder hoch. Er kann die Auswirkungen also zu einem gewissen Teil rückgängig machen. Wenn aber die Mutter während der Schwangerschaft raucht, verringert das die spätere Spermienqualität ihres Sohnes um 40 Prozent. Der Effekt ist aber nicht nur viel stärker – er ist auch permanent.

Es gibt aber noch versteckte Faktoren.

Genau, dazu zähle ich die ganzen Chemikalien, die unsere Alltagsprodukte freisetzen. Ich nenne sie Hormon-Piraten, denn die schlimmsten von ihnen sind jene, die unser hormonelles System angreifen und durcheinanderbringen.

Welche sind denn besonders gefährlich?

In unseren Studien waren bei der chemischen Gruppe der Phthalate die Nachweise besonders deutlich, dass sie sich negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken. Diese Weichmacher können zum Beispiel Testosteron verringern und in der Folge zu einer niedrigeren Zahl an Spermien führen. Forschungen an Tieren haben sogar ein Phthalate-Syndrom definiert, das sich durch eine Veränderung der männlichen Genitalien äußert, die später zu weniger Spermien führt.

Gibt es das auch beim Menschen?

Wir wissen bisher: Wenn die Mutter im ersten Trimester der Schwangerschaft mit bestimmten Phthalaten in Kontakt kommt, verringert das künftig die Spermienanzahl ihres Sohnes. In einer Studie konnten wir zeigen, dass bei diesen Neugeborenen der sogenannte anogenitale Abstand kürzer und der Penis kleiner war, als es bei Jungen der gleichen Größe normalerweise zu erwarten gewesen wäre. Was im Mutterleib passiert, hat also eine Auswirkung auf das Kind.

Anogenitaler Abstand: Der Abstand zwischen After und Peniswurzel. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein kürzerer AGD mit einer geringeren Spermienzahl und einem kleineren Penis korreliert.

Passiert das nur, wenn die Mutter über einen langen Zeitraum den Stoffen ausgesetzt ist?

Das Problem ist: Im Grunde ist die Mutter fast immer diesen Stoffen ausgesetzt. Sie trägt sie in ihrem Körper, dorthin gelangen sie aus dem Essen oder aus einem Pflegeprodukt oder einfach aus der Luft. Jeder Mensch ist ihnen eigentlich ständig ausgesetzt, aber man kann es durch sein Verhalten ein wenig verringern. Eine Hauptquelle sind zum Beispiel Nahrungsmittel.

Welche Art von Nahrungsmitteln?

Phthalate stecken in verarbeitetem Essen. Sie stammen aus den Plastikschläuchen, die bei der Fabrikherstellung von Essen verwendet werden. Eine Kollegin von mir hat eine Studie auf einer Frühchenstation gemacht, auf der Babys durch verschiedene Schläuche mit Nährstoffen versorgt werden. Sie konnte zeigen, dass die Anzahl der Schläuche mit der Menge an Phthalaten im Urin der Babys in Zusammenhang stand. Was durch solche Schläuche gepresst wird, nimmt die Phthalate also auf.

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Worin stecken darüber hinaus Phthalate?

Düfte sind ein weiteres großes Problem. Auch in ihnen sind sie vorhanden, denn sie helfen, dass ein Produkt seinen Geruch bewahrt. Ebenso stecken sie in Make-up, damit dieses seine Farbe behält. Außerdem sorgen sie in Cremes dafür, dass sie schneller in die Haut einziehen. Phthalate stecken also in fast allen unseren Pflegeprodukten.

Also können wir Phthalaten gar nicht aus dem Weg gehen?

Doch, das können und sollten wir. Aber man wird es nicht komplett schaffen. Ich habe etwa alles aus Plastik aus meiner Küche entfernt, kaufe Pflegeprodukte ohne Duftstoffe. Außerdem kann man darauf achten, wo und was man isst. Wer organisches unverarbeitetes Essen zu sich nimmt, hat schon einiges geschafft. Aber eine größere Rolle spielt die Immission, der man pränatal ausgesetzt ist. Die Spermien, die das Baby zeugen, waren 70 Tage lang in Produktion. In dieser Zeit sind sie sehr sensitiv für Einflüsse von außen. Mein Rat an Paare, die schwanger werden wollen ist, dass sie versuchen sollten, den Kontakt mit solchen Stoffen zu reduzieren.

Welche Stoffe sehen Sie noch als kritisch für die Fruchtbarkeit an?

Auch Bisphenole, allen voran Bisphenol A, stören die Reproduktionsfähigkeit, wenn auch nicht in einer so offensichtlichen Weise wie die Phthalate. Ebenso können Pestizide eine hormonelle Wirkung haben. So stehen ebenso hohe Gehalte bestimmter Pestizide mit einer geringeren Anzahl an Spermien in Verbindung. Weitere sind per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), die zum Beispiel für wasserabweisende Oberflächen verwendet werden oder für Teflon-Beschichtungen. Und Flammschutzmittel.

Sie zeichnen in Ihrem Buch ein düsteres Szenario. Wird es in ein paar Jahrhunderten keine Menschen mehr geben? Oder werden sie dann nur noch per künstlicher Befruchtung gezeugt?

Ich weiß es nicht. Der Spermienrückgang bis heute hat sich linear vollzogen. Wenn man das auf die Zukunft projiziert, würde diese Linie theoretisch im Jahr 2045 null erreichen. Allerdings wird die Spermienzahl nie auf null heruntergehen. Es gibt ein Limit, wie niedrig die Zahl fallen kann, auch wenn wir dieses noch nicht kennen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass bereits jetzt immer mehr Paare assistierte Reproduktionstechniken benötigen. Und wir können diese Entwicklung stoppen.

Was muss dafür getan werden?

Die Wirtschaft muss nachhaltige Regeln einführen. In den USA gibt es bisher zum Beispiel noch keine Verordnung, nach der die Hersteller zeigen müssen, dass die Chemikalien in ihren Produkten sicher sind. Das heißt, sie bringen Produkte auf den Markt – und erst wenn diese die Gesundheit von jemandem schaden, werden sie wieder zurückgezogen. Phthalate werden schon seit den 1950ern genutzt, aber erst rund 70 Jahre später wurde gezeigt, welche Auswirkungen sie haben können. Wir können so lange nicht warten! Sie müssen geprüft werden, bevor sie auf den Markt gebracht werden. Zudem müssen Unternehmen bei der Herstellung Chemikalien verwenden, die sicher sind. Alternativen müssen gefunden werden.

Die Gesellschaft tendiert dazu, Frauen die Schuld zuzuweisen, wenn ein Paar keinen Nachwuchs bekommen kann. An wem liegt es denn häufiger – an dem Mann oder der Frau?

Bei einem Drittel der Fälle liegt es an den Frauen, bei einem Drittel an den Männern. Bei dem letzten Drittel ist unklar, was dahintersteckt oder die Probleme betreffen beide Partner. Man kann also sagen: Männer und Frauen tragen die gleiche Verantwortung bei dem Thema. Aber Frauen wurde und wird aufgrund der Machtunterschiede öfter die Schuld dafür gegeben – Heinrich VIII. tötete seine Frau, als sie ihm keinen männlichen Thronfolger schenkte, in manchen Ländern lassen sich Männer deshalb scheiden.

Gehen Frauen und Männer auf die gleiche Weise mit Unfruchtbarkeit um?

Frauen fühlen sich nach vielen Fehlgeburten oft schuldig und fragen sich, was mit ihnen nicht stimmt. Auch Männer fragen sich, was nicht mit ihnen stimmt, aber eher in Richtung "Ich bin nicht so mächtig", "Ich bin nicht so maskulin".

Zudem sprechen Männer nicht über ihre Reproduktionsgesundheit.

Ja, sie kennen sie nicht einmal. Sie gehen davon aus, alles ist gut. Ich empfehle, dass Männer ihre Spermienzahl regelmäßig überprüfen lassen. Nicht nur, weil sie vielleicht ein Kind haben möchten. Sondern auch, weil Männer mit einer niedrigen Anzahl an Spermien eine geringere Lebenserwartung haben. Das ist ein recht neues Studienergebnis. Ich finde es schockierend. Sie haben auch öfter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Genauso hängt bei Frauen die Eizellenqualität damit zusammen, aber wir können sie nicht überprüfen lassen.

Manche Kritiker Ihrer Arbeit meinen, dass es sich eher um ein soziales als ein biologisches Problem handelt, dass die Menschen weniger Kinder bekommen. Wie sehen Sie das?

Der Rückgang der Geburten weltweit setzt sich zusammen aus sozialen Faktoren und Umweltfaktoren. Die sozialen Faktoren, also die Veränderungen in der Gesellschaft sind positiv: Verfügbarkeit von Verhütung, Bildung von Frauen. Natürlich führen auch sie zu einer niedrigeren durchschnittlichen Anzahl an Kindern pro Frau. Aber das sind persönliche Entscheidungen. Unsere Studien haben gezeigt, dass sich die biologische Fertilität der Menschen durch Umwelteinflüsse verringert – und das ist schlecht. Es sollte uns alarmieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Swan.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Shanna H. Swan
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