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Kinderlähmung: Poliovirus im Abwasser deutscher Städten entdeckt


Vier Städte betroffen
Poliovirus im Abwasser deutscher Städte entdeckt

Von dpa, aj

Aktualisiert am 29.11.2024 - 00:05 UhrLesedauer: 3 Min.
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Polioviren in Deutschland nachgewiesen: Das Ministerium rät, den eigenen Impfschutz und den von Kindern zu checken (Symbolbild). (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa/dpa-bilder)

Polio gilt als nahezu ausgerottet. Zuletzt kam es vermehrt zu Nachweisen auch in Ländern mit hoher Impfquote. Nun wurde das Virus auch in vier deutschen Städten gefunden.

In Proben aus dem Abwasser vier deutscher Städte sind Polioviren nachgewiesen worden. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind vier Städte betroffen: München, Bonn, Köln und Hamburg. Bisher wurden keine Polioverdachtsfälle oder -erkrankungen an das Bundesinstitut übermittelt.

Bei den gefundenen Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polioerregern zurückgehen.

Erreger im Abwasser – Ministerium erinnert an Polio-Impfung

Die kursierenden Erreger stammen wahrscheinlich von Menschen, die in ihrem Land die noch weitverbreitete Schluckimpfung erhalten haben. Die Viren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden werden.

Das RKI weist darauf hin, dass hierzulande bei anhaltender Zirkulation des Erregers einzelne Erkrankungen unter nicht ausreichend geschützten Menschen möglich sind. Die Wahrscheinlichkeit sei aber aufgrund der allgemein hohen Impfquoten von bundesweit 90 Prozent und guten Hygienebedingungen in Deutschland gering.

Zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen

Poliomyelitis ist eine hochansteckende Krankheit, die bei nicht ausreichend immunisierten Menschen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Bestehende Impflücken sollten geschlossen werden, rät das RKI. Medizinisches Personal und Mitarbeitende im öffentlichen Gesundheitsdienst sollten jetzt eine erhöhte Wachsamkeit bei Poliomyelitis-typischen Symptomen haben.

"Der Nachweis an verschiedenen Orten weist auf eine Zirkulation dieser Viren hin", hieß es vom RKI. Die Landesbehörden aller Bundesländer und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien über die Nachweise informiert worden. Weitere Proben würden derzeit noch untersucht. Auch in Spanien (Barcelona) und Polen (Warschau) sei das Virus kürzlich in Abwasserproben nachgewiesen worden.

Auch Vermehrung der Impfviren birgt Risiko

Erhält jemand die Schluckimpfung, können sowohl der Impfling selbst als auch Kontaktpersonen – in außergewöhnlichen Fällen – an sogenannter Impf-Polio erkranken. Die Symptome sind von Polio durch Wildviren nicht zu unterscheiden. Eine fortlaufende Vermehrung der Impfviren birgt das Risiko, dass der abgeschwächte Erreger sich verändert und das Nervensystem zu infizieren, vermag – mit den poliotypischen Lähmungen als mögliche Folge.

Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Vor allem Kleinkinder waren von den poliotypischen Lähmungen betroffen – überwiegend mit bleibenden Schäden fürs ganze Leben. Eine Therapie gibt es bisher nicht.

Verbreitet wird das hochansteckende Virus meist über kontaminierte Hände als sogenannte Schmierinfektion, in Ländern mit unzureichendem Hygienestandard auch über verunreinigtes Wasser. Polio gilt aufgrund engagierter Impfkampagnen seit Jahren als weltweit nahezu ausgerottet. Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, sind vor der Erkrankung geschützt. In Deutschland werden Babys ab zwei Monaten geimpft.

Polio-Erkrankungen in anderen Ländern

Schluckimpfstoff-abgeleitete Polioviren waren in den vergangenen Jahren auch in anderen hoch entwickelten Regionen wie dem US-Bundesstaat New York, London und Jerusalem nachgewiesen worden. Auch Erkrankungen wurden gemeldet. Da eine Infektion nach RKI-Angaben nur in etwa einem von 200 Fällen zu den für Polio typischen irreversiblen Lähmungen führt, und das zudem nur bei Ungeimpften, kann ein solcher Fall hunderte Infizierte ohne Symptome in der Region bedeuten.

Das Poliovirus ist ein sogenanntes Enterovirus, das in erster Linie den Verdauungstrakt infiziert. Vor Einführung von Schutzimpfungen gab es allein in Deutschland Tausende Erkrankte und Hunderte Todesfälle jährlich. Inzwischen existieren weltweit zwei Arten von schützenden Impfstoffen: eine Schluckimpfung, die abgeschwächte vermehrungsfähige Impfviren enthält (OPV), und ein inaktivierter Polioimpfstoff (IPV), der in den Muskel gespritzt wird. In Deutschland wird seit 1998 ausschließlich IPV-Impfstoff verimpft.

Schluckimpfung vs. Spritze

Doch wenn es eine ungefährliche Alternative gibt, warum ist die Schluckimpfung dann überhaupt noch im Einsatz? Ursache ist vorwiegend eine Eigenheit der inaktivierten Polio-Impfstoffe: Sie verhindern zwar Erkrankungen sehr gut, nicht aber eine Infektion und die Weitergabe des Erregers. In der Folge kann das Virus unbemerkt weite Kreise ziehen. Gerade in Ländern mit niedriger Impfquote kann das gefährlich werden.

Vor allem in Afrika und Asien wird darum noch verbreitet auf die Schluckimpfung gesetzt, die auch vor Ansteckung und damit vor einer großflächigen Weitergabe schützt. Das sehr geringe Risiko eines Impfpolio-Falls wird in Kauf genommen, zugunsten einer großflächigen Immunisierung der Bevölkerung.

Das Ziel, nach der Ausrottung der Pocken 1980 auch Polio Geschichte werden zu lassen, wurde bislang verfehlt, auch wenn Polio-Wildviren fast nur noch in Pakistan und Afghanistan zirkulieren. Ein Problem ist, dass Routine-Impfungen wie die gegen Polio in den Pandemie-Jahren in vielen Ländern unterbrochen wurden. Dadurch stieg auch das Risiko, dass Polio sich international wieder ausbreitet.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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