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Haspa-Chef Vogelsang: "Ende der Strafzinsen ist eine Frage von wenigen Tagen"


Sparkassen-Chef
"Daraus kann echter sozialer Sprengstoff entstehen"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 08.06.2022Lesedauer: 8 Min.
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Haspa-Filiale: Sie ist nach Bilanzsumme die größte deutsche Sparkasse.Vergrößern des Bildes
Haspa-Filiale: Sie ist nach Bilanzsumme die größte deutsche Sparkasse. (Quelle: Lobeca/imago-images-bilder)

Angesichts steigender Preise muss die Europäische Zentralbank reagieren: Wahrscheinlich hebt sie im Juli die Zinsen an. Doch was heißt das für Deutschlands Sparer? Der Chef der größten deutschen Sparkasse erklärt es.

Seit 2016 gucken Sparer in die Röhre: Zinsen aufs Sparbuch gibt es kaum mehr, seitdem die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf null Prozent gesenkt hat. Zum Teil reichen die Banken sogar die Strafzinsen weiter, die sie über den Einlagezins von minus 0,5 Prozent an die EZB bezahlen müssen.

Jetzt aber ist ein Ende dieser Zeit in Sicht: Am Donnerstag dürfte die EZB zunächst das Ende der Anleihekäufe beschließen. Das wäre der notwendige Schritt für die Anhebung der Zinsen. Den Einlagesatz könnte die Zentralbank Ende Juli erhöhen, schätzen Banker und Analysten. Der Leitzins könnte kurz darauf folgen, so die Hoffnung vieler Sparer.

Einer der sie teilt, ist Harald Vogelsang. Er ist Chef der größten Sparkasse Deutschlands, der Hamburger Sparkasse. Im Interview mit t-online kündigt er an, vorangehen zu wollen und die Strafzinsen abzuschaffen – für den Fall, dass die EZB dies auch tut. Und er erklärt, warum die schwierigen Zeiten für Sparer trotz Zinswende noch nicht vorbei sind.

t-online: Herr Vogelsang, die Zinswende steht vor der Tür. Die EZB hebt im Juli aller Voraussicht nach den Einlagezins an. Verabschiedet sich die Haspa jetzt von den Strafzinsen?

Harald Vogelsang: Noch wissen wir nicht, was Frau Lagarde wirklich macht. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die EZB den Einlagesatz anhebt. Damit fielen die Strafzinsen weg.

Auch für die Kunden?

Ja. Wenn die EZB die Zinsen im Juli um 0,5 Prozent erhöht beziehungsweise den Strafzins abschafft, wird die Hamburger Sparkasse ihre Verwahrentgelte beim Girokonto abschaffen. Dieses Versprechen gilt.

Harald Vogelsang, geboren 1959, ist seit Anfang 2007 Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse (Haspa). Er kam nach einer Banklehre und einem Jurastudium im Jahr 1991 zur Haspa, zunächst als Verantwortlicher für geschäftspolitische Grundsatzthemen. 1999 übernahm Vogelsang die Leitung der Vertriebsregion Süd. Im Mai 2000 wurde Vogelsang Privatkundenvorstand der Hamburger Sparkasse, bis er zum Chef der Haspa und ihrer Eigentümerholding berufen worden ist.

Und wie schnell werden Sie es einlösen?

Das Ende der Strafzinsen ist dann nur eine Frage von wenigen Tagen. Allerdings gilt: Sollte der Einlagesatz nur ein Viertel Prozentpunkt anziehen, können wir auch nur diesen Mini-Schritt gehen. Wir warten jetzt ab, ob die EZB Wort hält. Etwas anderes gilt beim Festgeld.

Und zwar?

Bei unseren Festzinskonten haben wir die Zinsen kürzlich angehoben, ohne dass die EZB die Zinsen angepasst hat. Das liegt daran, dass die Zinsen am Markt schon jetzt steigen. Für dreijährige Anlagen gibt es jetzt etwa 0,7 Prozent Zinsen. Damit hat die größte deutsche Sparkasse den Zins für Sparer wieder eingeführt. Auf der anderen Seite steigen am Markt aber auch Zinsen für zehnjährige Baufinanzierungen. Viele Kunden sind überrascht, weil die Zinsen im Herbst vergangenen Jahres noch bei 1 Prozent lagen, und jetzt bei 3 Prozent rangieren.

Was erwarten Sie denn von Christine Lagarde?

Frau Lagarde muss einen sehr schwierigen Spagat meistern. Darum beneide ich sie wirklich nicht. Das ist eine denkbar ungünstige Situation.

Warum?

Weil sie anders als die US-Notenbank Fed kaum Spielräume für künftige Krisen hat. Die Fed hat sich diesen rechtzeitig erarbeitet, indem sie schon vor Monaten die Zinsen angehoben hat. Sollte die US-Wirtschaft anfangen, durch Kriegsfolgen lahm zu werden, kann sie die Konjunktur durch ein Absenken der Zinsen wieder stimulieren. Die EZB kann das nicht, sie muss sich erst einmal durch Zinserhöhungen diesen Freiraum verschaffen.

Das heißt, nach dem Einlagezins müsste auch der wichtige Leitzins anziehen? Seit 2016 liegt dieser bei null Prozent.

Richtig. Der Leitzins muss steigen, mindestens einen halben, eher einen ganzen Prozentpunkt. Die Diskussion ist bereits in Gang. Wichtig ist, dass die EZB jetzt handelt. Uns kostet das Geld der Kunden ohnehin nicht nur die 0,5 Prozent, die wir der EZB bezahlen müssen.

Sondern?

Noch mehr. Insgesamt 0,65 Prozent, weil wir noch die Bankenabgabe und für die Einlagensicherung zahlen müssen. Wir sind heilfroh, wenn die Zeit der Strafzinsen endet.

Wie viel kosten Sie die Negativzinsen der EZB derzeit pro Monat?

In den vergangenen Jahren hat uns die Zinspolitik der EZB ungefähr 200 Millionen Euro im Jahr gekostet. Und das sind allein die Zinserträge auf der Einlagenseite, die uns verloren gegangen sind. Die realen Kosten liegen noch darüber. Daher wird sich unser Ergebnis wieder normalisieren, wenn die Zinsen steigen.

Die EZB erwartet dieses Jahr eine Inflationsrate von 5,1 Prozent, für Deutschland könnte die Teuerungsrate sogar noch höher liegen. Womit rechnen Sie?

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Lebensmittelpreise jemals so stark die Teuerungsrate getrieben hätten. Das macht die Inflationsprognose schwierig. Aber die sieben Prozent Inflation werden wir wohl noch bis ins nächste Jahr hinein sehen. Wir stehen am Rande einer Stagflation.

Also einer Situation, in der wir ein stagnierendes Wirtschaftswachstum haben bei gleichzeitig stark steigender Inflation.

Korrekt. Allerdings bin ich optimistisch.

Erklären Sie das bitte.

Wenn sich die Effekte aus dem Ukraine-Krieg nicht weiter verschärfen, könnte ich mir vorstellen, dass unsere Wirtschaft einmal mehr widerstandsfähig ist. Sicher: Man muss der Großindustrie helfen, der Energiewirtschaft, der Stahlindustrie, den großen Lebensmittelproduzenten. Aber wir Deutschen neigen dazu, die Umstände in Grund und Boden zu reden, um dann festzustellen: Es ist nicht ganz so schlimm gekommen. Das ist ein gutes Lebensprinzip. Es darf nur nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Haben Sie auch die Lohn-Preis-Spirale im Kopf, bei der sich Preise und Löhne immer weiter hochschaukeln?

Nicht direkt, aber sie spielt sicher eine große Rolle. Ehrlicherweise müsste man aber von einer Preis-Lohn-Preis-Spirale sprechen, das würde es eher treffen. Daraus kann echter sozialer Sprengstoff entstehen. Noch sind die Lohnerhöhungen im Vergleich zu der Inflation moderat. Allerdings: Dabei wird es nicht bleiben. Die Appelle an die Tarifparteien, sich zurückzuhalten, sind aber nur die eine Seite.

Und die andere?

Den Menschen gerecht zu werden, die ihr Leben bezahlen müssen. Das wird wirklich knifflig. Jetzt kommt das auf uns zu, was Herr Habeck schon sehr früh gesagt hat: Dieser furchtbare Krieg wird uns alle viel Geld kosten, das wird an niemandem vorbeigehen. In Teilen muss man das ausgleichen. In der Kürze der Zeit braucht es daher vorübergehende Maßnahmen. Der Bund sollte ernsthaft über die Idee von Einmalzahlungen für Menschen mit geringem Einkommen nachdenken.

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Die Hamburger Sparkasse ist nach ihrer Bilanzsumme von rund 60 Milliarden Euro die größte Sparkasse in Deutschland. Sie ist eine von fünf freien Sparkassen, gehört also keiner Kommune, sondern einer Finanzholding. Ihre Gründung geht aufs Jahr 1827 zurück. Die Haspa betreibt mehr als 100 Filialen in und um Hamburg, knapp 4.500 Mitarbeiter sind bei der Sparkasse tätig.

Inflation und Zinspolitik der EZB ist sicher auch Thema in Kundengesprächen. Sie selbst führen diese ja nicht mehr ...

Einspruch! Ich lege darauf viel Wert. Für unsere größeren Immobilienkunden bin ich direkt zuständig und führe viele Gespräche, außerdem nehme ich seit vielen Jahren an unserem Programm "Management im Markt" teil und arbeite in einer Filiale mit. In der Kasse darf ich nicht sitzen, dann sind die Schlangen bis auf die Straße raus. Aber ich führe Kundengespräche mit und helfe im Service so gut es geht.

Und?

Das Verwahrentgelt ist nur bei wenigen Kunden ein Thema. Der allergrößte Teil unserer privaten Kunden ist nicht davon betroffen, weil wir eine Freigrenze auf den Girokonten von 50.000 Euro haben. Und trotzdem: Wir müssen erklären, wo die Strafzinsen herkommen und welche Anlagealternativen es für die Kunden gibt.

Wie viele Kunden sind denn durch die Verwahrentgelte abgewandert?

Abwanderung haben wir nicht gesehen. Unsere Kunden sind uns treu geblieben, wir haben zum Teil sogar noch Zulauf gehabt.

Auch beim Fondsgeschäft?

Wir konnten den Anteil an Wertpapiersparplänen im letzten Jahr um 20 Prozent erhöhen. Aber die Deutschen haben immer noch viel zu wenig Aktien. Daher sind sie von der Negativzinsphase am stärksten getroffen. Ich muss es so deutlich sagen: Im Sommer ist noch nicht alles gut, trotz Zinswende. Denn die Inflation frisst das Vermögen weiter auf. Ohne eine breit gestreute Aktienanlage geht es nicht.

Beherzigen Sie das auch selbst?

Meine Frau, meine Kinder und ich haben alle Aktien-Sparpläne und zum Glück haben wir auch eine Immobilie, die wir bewohnen.

Haben Sie noch ein Sparbuch bei der Haspa?

Ja, ich besitze noch ein Sparbuch, aber da ist nicht sonderlich viel drauf.

Hat denn das Sparbuch ausgedient?

Nein, das glaube ich nicht. Das Sparbuch hat eine Zukunft.

Sicher?

Ja. Das Sparbuch – auch als digitale Variante – dient vereinfacht gesagt dazu, Geld zu separieren, damit ich es nicht aus Versehen ausgebe. Die meisten Menschen fühlen sich wohler mit einem extra Sparbuch. Es ist für viele wie ein Vertrauensanker, eine besonders sichere Form der Anlage, die schon mehr als 200 Jahre alt ist. Aber um der Inflation entgegenzuwirken, sollte man nicht allein darauf setzen, sondern es zum Beispiel mit einem Fonds-Sparplan kombinieren. Das geht schon ab 25 Euro im Monat.

Ist es nicht zynisch, das Sparbuch angesichts der Inflation als sichere Anlage zu beschreiben?

Es ist immer noch besser, dort festverzinslich anzulegen, als wenn Sie das Geld ausgeben. Sparen ist etwas Sinnvolles. Nur dabei darf es eben nicht bleiben. Eine breit aufgestellte Wertpapieranlage wie zum Beispiel ETF-Sparpläne gehört dazu.

ETFs sind sogenannte Indexfonds, die einen ganzen Aktienindex nachbilden. Besonders Neobroker machen Ihnen hier Konkurrenz, die mit geringen Gebühren und einfachem Handling die Menschen locken. Wie begegnen Sie dem?

Wir erklären, was es bei uns alles gibt. Bei uns können Sie aus einem Angebot von über 2.700 Fonds, 900 ETFs und vielen Aktien auswählen. Die Sparkasse ist da modern aufgestellt. Das geht längst auch digital. Die Sparkassen-App ist erneut als beste Banking-App ausgezeichnet worden. Wir wollen aber nicht mit Lockangeboten kommen, wie es manch anderer tut, das heißt: Die Kundendaten in Wahrheit verkaufen oder unseren Kunden brutal kündigen, wenn es nicht mehr passt. Wir stehen für ein langjähriges Vertrauensverhältnis, das wir durch kurzfristige Versprechungen nicht zerstören wollen. Wir wollen unseren Kunden ein Leben lang in die Augen schauen können.

Klingt pathetisch.

Nun ja. Es gibt eine große Zahl von Menschen, die Beratungsbedarf haben. Nicht nur ältere, sondern auch junge Menschen. Die sind darauf angewiesen und schätzen es, dass man sie an die Hand nimmt.

Das heißt, dass der Kundenberater im Zweifelsfall auch hinterhertelefoniert und sagt: "Komm mal in die Sparkasse"?

Ja, genau. Der Berater ist ja dazu da, sich um die Kunden zu kümmern und zu sagen: "Wir müssen jetzt mal etwas besprechen." Beispielsweise wenn wir sehen, dass ein Kunde von uns deutlich über seinen Verhältnissen lebt, dass er mit seinem Azubi-Gehalt und seinen teuren Verträgen in den nächsten Monaten nicht mehr über die Runden kommt. In der Corona-Krise ist der Beratungsbedarf drastisch gestiegen. Eine Schuldnerberatung ist für viele Menschen leider die Lebenswirklichkeit.

Das Kundengespräch wird es also noch lange geben?

Davon bin ich überzeugt. Wir haben durch die Pandemie verstärkt auch andere Möglichkeiten genutzt, digitale Beratungen per Video zum Beispiel, auch außerhalb der Öffnungszeiten unserer Filialen. Der Bedarf für das klassische Kundengespräch ist wahrscheinlich so hoch wie nie zuvor in diesen unsicheren Zeiten, ob in der Filiale oder auf unseren digitalen Kanälen. Diese Kombination vom Besten aus beiden Welten macht uns aus.

Werden Sie an Ihren Filialen festhalten?

Mit Sicherheit. Schon vor Corona hatten wir beschlossen, von 109 auf 100 Filialen zu gehen. Denn diese 100 Standorte werden wir brauchen, um unser Geschäftsgebiet in und um Hamburg abzudecken. Immerhin haben wir1,5 Millionen Kunden, das sind also rund 15.000 Kunden pro Filiale. Wir begreifen Filialen aber nicht nur als reines Bankgeschäft, sondern als Begegnungsstätte im Stadtteil. Dafür setzen wir das Konzept der Nachbarschaftsfilialen um: Bei uns sollen sich die Hamburger vernetzen, zum Beispiel bei Veranstaltungen, die auch mal nichts mit Finanzen zu tun haben.

Herr Vogelsang, vielen Dank für dieses Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Haspa-Chef Harald Vogelsang
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