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Energiekrise: Warum Strom und Gas immer teurer werden


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Preise explodieren
Warum die aktuelle Gaskrise auch Sie trifft


Aktualisiert am 13.10.2021Lesedauer: 6 Min.
Ein Mitarbeiter einer Gaszähler-Station bei Berehove, Ukraine (Symbolbild): Die Großhandelspreise explodieren derzeit.Vergrößern des Bildes
Ein Mitarbeiter einer Gaszähler-Station bei Berehove, Ukraine (Symbolbild): Die Großhandelspreise explodieren derzeit. (Quelle: Gleb Garanich/reuters)

Strom und Gas werden immer teurer. Doch woran liegt das genau? t-online erklärt, was Sie zur aktuellen Gaskrise wissen sollten – und was die Politik tun könnte.

Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür und die Deutschen heizen wieder mehr. Doch Gas und Strom sind in Europa so teuer wie lange nicht. Nicht wenige Menschen fürchten vor dem Winter deshalb, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können.

t-online erklärt, warum der Gaspreis steigt, was das für Sie als Verbraucher heißt – und was die Politik dagegen tun kann.

Wie stark ist der Gaspreis gestiegen?

Der Großhandelspreis von Erdgas ist zwischen Januar und Oktober um rund 440 Prozent gestiegen. Gas wird zum Heizen genutzt, aber auch zur Stromerzeugung – der fossile Brennstoff hat also ebenfalls Einfluss darauf, wie viel Strom kostet.

Gas wird wie andere Rohstoffe an der Börse gehandelt, der wichtigste Gasmarkt für Kontinentaleuropa ist die Title Transfer Facility (TTF) in den Niederlanden. Steigt der Preis hier, steigen auch die Beschaffungskosten für Gasanbieter – und letztendlich für Verbraucher.

So setzt sich der Gaspreis zusammen
Der Gaspreis hat drei Bestandteile: die Gaspreise auf den internationalen Märkten, die Netzentgelte sowie Steuern und Abgaben, darunter auch der CO2-Preis. Laut Energie-Branchenverband BDEW wurden im ersten Halbjahr 2021 für ein Einfamilienhaus durchschnittlich 6,22 Cent pro Kilowattstunde (kWh) Erdgas fällig. Der größte Teil entfiel dabei mit 2,55 Cent auf Beschaffung und Vertrieb. 1,64 Cent wurden für das Netzentgelt fällig. 0,99 Cent waren Mehrwertsteuer, 0,55 Cent entfielen auf die Erdgassteuer und weitere 0,46 Cent auf die CO2-Abgabe.

Der TTF-Gaspreis zieht seit März 2021 kontinuierlich an. Aktuell liegt er bei etwa 82 Euro pro Megawattstunde, das ist doppelt so viel wie Anfang September. Anfang Oktober erreichte der Preis kurzzeitig gar die Marke von 115 Euro.

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Zum Vergleich: Zwischen Oktober 2019 und März 2021 schwankte der Preis konstant zwischen 15 und 20 Euro pro Megawattstunde. Auch an anderen Börsen stieg der Erdgaspreis deutlich, etwa am österreichischen Handelsplatz Central European Gas Hub (CEGH).

Warum steigen die Preise?

Zum Herbst und Winter steigen die Kosten in der Regel wegen der Heizsaison und des verstärkten Stromverbrauchs für die Beleuchtung. Derzeit treiben aber weitere Faktoren die Preise an. Ein Überblick:

  • Wirtschaftsaufschwung nach Corona: Viele Volkswirtschaften erholten sich nach der Corona-Pandemie schneller als erwartet. Eine erhöhte Energienachfrage weltweit ist die Folge, auch die Gaspreise steigen an.
  • Flüssiggas in Asien: Tanker mit verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA steuern statt Europa Asien an, wo sich noch höhere Preise erzielen lassen.
  • Niedrige Lagerbestände: Europaweit sind die Lager aktuell nur zu gut 77 Prozent gefüllt, in Deutschland sind es Stand 13. Oktober 75 Prozent. Warum die Lagerbestände so niedrig sind und was das für Sie als Verbraucher bedeutet, lesen Sie hier.
  • Schlechtes Wetter: Der vergangene Winter war sehr hart, was die Gasreserven sehr unter Druck setzte. Weil dieses Jahr weniger Wind wehte, mussten viele Gaskraftwerke einspringen, um Strom zu produzieren. Das trieb ebenfalls die Gasnachfrage.
  • Russische Lieferungen: Russland, einem wichtigen Gaslieferanten für Deutschland, wird vorgeworfen, weniger des begehrten Rohstoffs geliefert zu haben. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.

Gut zu wissen: Die Energiewende und der Ausbau der erneuerbaren Energien spielt für die aktuelle Preissteigerung zwar keine direkte Rolle. Fakt ist aber auch, dass durch die schrittweise Anhebung des CO2-Preises Energie dauerhaft teurer werden könnte.

Welche Rolle spielt Russland?

Der Vorwurf steht im Raum: Russland könnte bewusst Gaslieferungen zurückgehalten haben, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben und eine Betriebsgenehmigung für die mittlerweile fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2 zu erwirken.

In Deutschland kritisiert unter anderem der Grünen-Politiker Oliver Krischer das Land scharf. "Es sieht so aus, dass Wladimir Putin Deutschland gerade vor einer Entscheidung stellt: Sofortige Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 oder hohe Energiepreise kombiniert mit möglichen Versorgungsproblemen im Winter", so der Grünen-Fraktionsvize.

Der Kreml weist diese Vorwürfe zurück. Eine vorsätzliche Verknappung ist bisher nicht nachgewiesen worden, Energieexperte Andreas Schwenzer von der Unternehmensberatung Horvath verweist auf das insgesamt "extrem hohe Preisniveau" auf den globalen Energiemärkten.

Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der für den russischen Gaskonzern Gazprom sowie Nord Stream 2 tätig ist, sieht die Hauptursache nicht in Russland, sondern in der wachsenden Nachfrage Chinas, wie er in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" schrieb. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte indes kürzlich, nach ihrer Information halte sich Russland an vereinbarte Bestellungen. Es stelle sich daher eher die Frage, ob genug Gas bestellt werde.

Steigen die Preise weiter?

Ja, womöglich schon, zumindest in den nächsten Wochen. Denn die Heizsaison hat gerade erst begonnen. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Großhandelspreise in diesem Jahr noch stark sinken werden.

Ökonomen schätzen, dass es eine Erholung geben könnte, sobald sich die Reserven wieder füllen oder Nord Stream 2 in Betrieb geht. Das könnte im nächsten Frühjahr der Fall sein. Laut der Denkfabrik Bruegel könnte sich der Gaspreis bis April halbieren.

Wieso haben Gasanbieter jetzt Probleme?

Große Energieversorger, zu denen auch die Grundversorger wie Gasag, Vattenfall oder Rheinenergie gehören, schließen langfristige Verträge über mehrere Jahre. So sichern sie ihre Beschaffungskosten gegen hohe Preissprünge ab. Kleinere Unternehmen, die sich kurzfristig eindecken, geraten unter Druck, weil für sie die Preiszusagen, die sie ihren Kunden gemacht haben, zum Minusgeschäft werden können.

In Großbritannien sind mehrere Anbieter pleitegegangen. Jüngst musste auch der erste Strom- und Gasanbieter in Deutschland Insolvenz anmelden, die mittelständische Firma Otima Energie.

Zuvor hatte bereits die im niedersächsischen Salzbergen ansässige Firma Deutsche Energiepool mitgeteilt, vielen Kunden die Gaslieferverträge gekündigt zu haben. In den vergangenen Tagen machte der Anbieter Immergrün mit der Kündigung von Stromlieferverträgen Schlagzeilen.

Wie viele Kunden aber tatsächlich betroffen sind, ist offen. Möglicherweise stellen weitere kleine Anbieter die Lieferungen ein. Was das für Sie bedeutet, lesen Sie hier.

Was heißt das für Verbraucher?

Verbraucher werden sich für einen harten Winter wappnen müssen, wie auch Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale NRW betont. "Bislang ist nicht abzusehen, dass die Preise für Strom und Gas demnächst fallen werden. Wir können daher nur auf einen milden Winter hoffen."

Vor allem Gasversorger, die sich kurzfristig mit Gas eindecken müssen, kommen in Zugzwang (siehe oben). Für September, Oktober und November haben laut dem Vergleichsportal Verivox 42 regionale Gasanbieter Preiserhöhungen von durchschnittlich 12,9 Prozent angekündigt oder die Preise bereits angepasst.

"Große Preiswelle bei Gas"

Bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden entspricht das Mehrkosten von rund 189 Euro pro Jahr. Kein regionaler Versorger plant, die Gaspreise in den kommenden Monaten zu senken.

"In den kommenden Wochen erwarten wir eine große Preiswelle bei Gas", sagt Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox. "Neben den höheren Großhandelspreisen steigt auch der CO2-Preis für fossile Brennstoffe zum Jahreswechsel von 25 auf 30 Euro pro Tonne. Diese Kosten geben viele Gasversorger direkt an ihre Kunden weiter."

Wallraf rät Verbrauchern, im Falle einer Preiserhöhung nach anderen Anbietern zu schauen. Denn Kunden stehe ein Sonderkündigungsrecht zu, wenn die Preise erhöht werden. "Das sollten Kunden nutzen. Womöglich wird es schwierig, derzeit noch günstige Anbieter zu finden. Suchen Sie sich denjenigen, der noch die besten Preise bietet."

Was kann die Politik machen?

Es gibt sowohl kurz- als auch langfristige Möglichkeiten, die Gaspreise zu deckeln. Kurzfristig können nur die Symptome des hohen Gaspreises bekämpft werden, langfristig soll eine solche Gaskrise indes verhindert werden. Ein Überblick:

Kurzfristige Schritte

Einige EU-Länder haben Maßnahmen eingeleitet, um Verbraucher zu schützen. Frankreich hat beispielsweise eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen.

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Demnach werde den Winter über bis zum April der Gaspreis nicht die nach einer Erhöhung ab Anfang Oktober geltenden Tarife übersteigen. Bis zum Jahresende werde auch der Strompreis nicht erhöht, ab Anfang 2022 dann höchstens um vier Prozent. Italien will drei Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zu erlassen, etwa durch Steuersenkungen.

Nach Ansicht der EU-Kommission sollen europäische Haushalte und Unternehmen möglichst schnell vor den rasant steigenden Energiepreisen geschützt werden. Energiekommissarin Kadri Simson stellte am Mittwoch eine sogenannte Toolbox mit Werkzeugen vor, die EU-Länder anwenden können, ohne gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen.

Unter anderem schlägt die Kommission direkte Zahlungen, Steuererleichterungen und Subventionen für kleine Unternehmen vor. Sie erwägt aber auch mittelfristige Reformen, um den europäischen Energiemarkt auf lange Sicht robuster zu machen.

Deutschland zögert mit Hilfen

In Deutschland zögert man indes mit konkreten Hilfen noch. Eine Sprecherin des Wirtschafts- und Energieministeriums sagte auf Anfrage von t-online, man beobachte "die Lage am Gasmarkt und die Preisentwicklung bei Strom und Gas kontinuierlich und sehr genau".

Die Versorgungssicherheit sei weiterhin hoch, die Nachfrage werde bedient. "Wir sehen derzeit keine Versorgungsengpässe." Die Sprecherin empfiehlt, Preise zu vergleichen. "Auf Preiserhöhungen können Kunden in der Regel durch Wechsel des Energielieferanten reagieren. Preisvergleichsportale können bei einer kostenbewussten Entscheidung unterstützen."

Verbraucherschützerin Wallraf schlägt vor, dass das Wohngeld erhöht werden könnte, sodass die Folgen für einkommensschwache Haushalte abgefedert werden. Zudem sollten alle Haushalte über den Strompreis entlastet werden, etwa durch Abschaffung von EEG-Umlage oder Stromsteuer. Das Ministerium hatte bereits durchblicken lassen, dass die EEG-Umlage ab 2022 sinken wird. Mittelfristig ist wahrscheinlich, dass sie ganz abgeschafft wird.

"Wichtig ist aber, dass Hilfen jetzt bald auf den Weg gebracht werden", sagt Wallraf. "Es wäre fatal, wenn die Verbraucher unter den Preisen für Gas und Strom leiden, nur weil sich die alte Bundesregierung nicht mehr zuständig fühlt – und die neue noch nicht arbeitsfähig ist."

Langfristige Schritte

Um eine Gaskrise künftig zu verhindern, fordern Experten, dass Deutschland und Europa unabhängiger von Gasimporten aus dem Ausland, insbesondere aus Russland, werden. Das kann laut dem Grünen-Politiker Oliver Krischer vor allem gelingen, wenn die erneuerbaren Energien deutlich stärker ausgebaut werden.

"Je mehr Ökostrom es im System gibt, desto weniger können fossile Energieträger den Preis setzen. Wenn man sich die reinen Produktionskosten und die heutigen Kosten für fossile Brennstoffe anschaut, produzieren Gas- und Kohlekraftwerke gerade Strom, der dreimal so teuer ist wie der aus PV- und Windenergieanlagen." Nach Meinung von Brancheninsidern dürfe es vor allem nicht sein, dass nur abgeschaltet werde – also etwa Kohlekraftwerke –, ohne dass es funktionsfähige Alternativen gebe.

Verwendete Quellen
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