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Energiekrise: Drohende Gasengpässe? "Dann könnte es kalte Wohnungen geben"


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Drohende Gasengpässe?
"Dann könnte es kalte Wohnungen geben"


Aktualisiert am 13.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Eine Seniorin prüft die Temperatur ihrer Heizung (Symbolbild): Die Gasreserven sind niedrig, Experten befürchten im Winter Versorgungsengpässe.Vergrößern des Bildes
Eine Seniorin prüft die Temperatur ihrer Heizung (Symbolbild): Die Gasreserven sind niedrig, Experten befürchten im Winter Versorgungsengpässe. (Quelle: Marina113/Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Deutschland startet mit deutlich weniger Gasreserven in die kalte Jahreszeit, die Speicher sind wesentlich leerer als in den vergangenen Jahren. Ab dem Jahreswechsel drohen deshalb Wohnungen kalt zu bleiben.

Vier Grad in Dresden, drei Grad in München, zwei Grad in Ulm: In vielen Regionen Deutschlands fallen die Temperaturen dieser Tage nahe in Richtung der Marke von null Grad Celsius. Millionen Deutsche schalten deshalb schon jetzt ihre Heizungen an.

Für Anfang Oktober eigentlich eine normale Entwicklung. Eigentlich. Denn in diesem Winter könnte das Heizen zum Problem werden, wie Experten nun warnen. Grund dafür: die angespannte Lage auf dem Gasmarkt.

Da die Gasproduktion nicht sonderlich flexibel ist, sorgen riesige unterirdische Gasspeicher für Abhilfe. Wenn plötzlich ein höherer Bedarf besteht, können die Gasunternehmen nur schwer darauf reagieren.

An kalten Tagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus inländischen Speichern abgedeckt. Rund 23 Milliarden Kubikmeter Gas lassen sich in den Speichern lagern, etwa ein Viertel der jährlich in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.

Weniger Gas gespeichert als in den vergangenen Jahren

Genau hier liegt das Problem. Denn die Gasspeicher sind derzeit nicht einmal annähernd ausreichend gefüllt. Am 1. Oktober waren die Speicher lediglich zu 68 Prozent voll. Klingt viel, ist aber wenig – zumindest im Vergleich zu den Vorjahren: Anfang Oktober 2020 waren die Speicher schon zu 94,4 Prozent mit Erdgas gefüllt, 2019 lag der Wert bei mehr als 98 Prozent.

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Einer, der sich mit dieser Entwicklung auskennt, ist Sebastian Bleschke, Geschäftsführer bei der INES Initiative Erdgasspeicher, dem Bundesverband der deutschen Erdgasspeicher. Die zusammengeschlossenen Firmen lagern rund 90 Prozent des Gases, das die Deutschen pro Jahr verbrauchen.

"Die Flexibilität beim Gas kommt erst durch die Speicher", erklärt er t-online. "Für die Versorgungssicherheit ist es wichtig, dass sie ausreichend gefüllt sind." Was "ausreichend" heißt, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) 2015 berechnen lassen.

Zum 1. November, also in rund drei Wochen, sollten die Gasspeicher demnach zu mehr als 90 Prozent gefüllt sein, um extreme Versorgungssituationen absichern zu können. Und zum 1. Februar, dem zweiten Stichtag, sollte der Wert immerhin bei 60 Prozent liegen.

Der Grund: Ein Gasspeicher funktioniert wie ein Luftballon, er arbeitet mit Druck. Je mehr entnommen wird, desto langsamer kommt das Gas heraus. Anders ausgedrückt: Damit das Gas auch in der zweiten Winterhälfte in den Haushalten ankommt, müssen die Speicher ausreichend gut gefüllt sein.

Ministerium sieht Versorgungssicherheit gewährleistet

Für den ersten wichtigen Stichtag gibt Bleschke Entwarnung. "Rein technisch können die Gasspeicher im Laufe des Novembers noch einen Füllstand über 90 Prozent erreichen", sagt er. "Das ist aber natürlich abhängig vom Verhalten der Speicherkunden."

Inwieweit jedoch die Speicher am zweiten Stichtag, Anfang Februar, zu 60 Prozent voll sein werden, lässt sich laut Bleschke derzeit noch nicht beurteilen. Fest steht: Es könnte problematisch werden. "Ob wir Anfang Februar noch auskömmliche Füllstände sehen werden, hängt davon ab, wie stark die Gasspeicher in der ersten Winterhälfte in Anspruch genommen werden", so der Experte. "Das bleibt nun erst einmal abzuwarten. Seriös lässt sich das derzeit noch nicht vorhersagen."

Immerhin: Die Speicher füllen sich. Seit Beginn der Heizsaison am 1. Oktober sind sie etwas voller geworden. Eine Sprecherin des Wirtschafts- und Energieministeriums erklärt daher: "Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist weiterhin hoch. Wir sehen derzeit keine Versorgungsengpässe."

Grünen-Politiker sieht Putin als Schuldigen

Doch in der Politik sind nicht alle so entspannt. Der Grünen-Energieexperte Oliver Krischer etwa warnt vor Engpässen, die bald auftreten könnten. Gebe es einen milden Winter, sei es zwar kein Problem, dass die Speicher nicht so gut gefüllt sind. "Wenn es aber im Februar noch einmal länger kalt wird, dann könnte es regional kalte Wohnungen geben und auch nicht für alle Gaskraftwerke dürfte genug Gas da sein", sagt er t-online.

Den Schuldigen hat Krischer bereits gefunden: Russlands Präsident Wladimir Putin. "Es sieht so aus, dass Wladimir Putin Deutschland gerade vor eine Entscheidung stellt: Sofortige Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 oder hohe Energiepreise kombiniert mit möglichen Versorgungsproblemen im Winter", so der Grünen-Fraktionsvize.

Gazprom betreibt über seine Tochterfirma Astora unter anderem den Speicher im niedersächsischen Rehden. Der zählt mit einem Volumen von vier Milliarden Kubikmetern zu einem der größten in Europa – zurzeit ist er aber gerade einmal zu knapp 10 Prozent gefüllt. Laut Krischer will Russland Deutschland so unter Druck setzen, damit die jüngst fertiggestellte Gaspipeline Nord Stream 2 schneller an den Betrieb geht. Derzeit steckt sie in einem komplizierten Genehmigungsverfahren.

Es sehe so aus, als ob man hier "Fakten schafft und Gazprom die Pipeline Anfang November in Betrieb nehmen will", so Krischer weiter. Um das durchzudrücken, benötige Russland Argumente: Die Energiepreise würden zwangsläufig einbrechen, weil mit einem Schlag große Mengen zurückgehaltenes Gas auf den Markt kämen, auch die Speicher könnten vernünftig für den Winter befüllt werden. "Das hört sich ziemlich wild an, ist aber eine schlüssige Erklärung, warum Russland nicht liefert."

"Wer im Moment mit dem Finger auf Russland zeigt, macht sich die Antwort zu leicht"

Gazprom Germania hält sich bei der Frage nach den Gründen für den weitgehend leeren Speicher in Rehden bedeckt. Ein- und Ausspeichermengen erfolgten durch die Kunden, teilte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa mit: "Daher können wir auch nicht prognostizieren, wie die Entwicklung in der Zukunft aussehen wird." Laut RWE ist Gazprom vertragstreu. "Alle unsere Lieferanten und Handelspartner, darunter Gazprom, erfüllen ihre Lieferverpflichtungen", betonte ein Sprecher unlängst.

Das BMWi schlägt in dieselbe Kerbe. "Nach den Informationen, die uns vorliegen, erfüllen alle Gaslieferanten, auch die russischen, derzeit ihre Verpflichtungen", erklärt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage von t-online. Und auch Bleschke sagt: "Wer im Moment mit dem Finger auf Russland zeigt, macht sich die Antwort auf die Ursachen der aktuellen Preissituation an den Energiemärkten zu leicht."

Verbraucher müssen mehr für Strom und Gas zahlen

Der Verbands-Geschäftsführer meint: Für die niedrigen Speicherstände gebe es eine Vielzahl an Gründen. "Die Gasnachfrage ist im Frühjahr dieses Jahres außerordentlich stark angestiegen, deutlich über eine Konjunkturerholung nach dem Corona-Jahr hinaus", erläutert er. "Die Gasspeicher haben diesen Mehrbedarf flexibel bedient."

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Daher habe die eigentliche Einspeichersaison nach Gas erst später als üblich begonnen. "Zum Teil entstand der Mehrbedarf auch, weil mehr Gas als sonst zur Stromerzeugung genutzt wurde." Zudem gelte: "Die Windausbeute war vergleichsweise schwach."

Hinzu komme laut der Unternehmensberatung Horvath: Viele der Gasunternehmen haben sich schlicht verschätzt. Angesichts leicht erhöhter Preise entschieden sie sich im Sommer gegen eine Aufstockung ihrer Vorräte – obwohl die Preise im Laufe des Jahres immer weiter anstiegen.

Doch was auch immer die genauen Gründe sein mögen, Fakt ist, dass die aktuelle Situation die Gaspreise weiter treibt. Für Verbraucher dürfte es diesen Winter deshalb ungemütlicher werden.

Denn klar ist schon jetzt, dass sie für das Gas, was sie erhalten, mehr zahlen müssen. Mehr dazu lesen Sie hier. Wer sich die höheren Preise nicht leisten kann, wird deshalb wohl die Heizung abdrehen. Der Winter könnte kalt werden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Sebastian Bleschke
  • Statement von Oliver Krischer
  • Datenplattform: Aggregated Gas Storage Inventory
  • Statement des Bundeswirtschaftsministeriums
  • Verivox
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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