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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Finanzbranche unter Druck Wie viele Bankfilialen werden noch schließen?
Mit dem kostenlosen Konto ist es bei immer mehr Banken vorbei. Eine Ausnahme: sogenannte Neobanken, die den klassischen Geldhäusern mit neuen Billigangeboten Konkurrenz machen.
Noch gibt es den Überweisungsschein in apricot und den Bankschalter in der Filiale – aber wann haben Sie beides zuletzt genutzt? Eine aktuelle Studie des Digitalverbandes Bitkom zeigt: Drei von vier Deutschen wickeln Finanztransaktionen mittlerweile über das Onlinebanking ab, jeder dritte davon sucht eine Bank gar nicht mehr auf.
Die Folge: Immer mehr herkömmliche Banken fahren einen harten Sparkurs. Sie schließen Dependancen, erheben Gebühren für bislang gratis angebotene Leistungen oder reichen die Strafzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) gar an ihre Kunden weiter. Zuletzt geriet vor wenigen Wochen die Commerzbank-Tochter Comdirect in die Schlagzeilen, weil sie das Gratis-Girokonto ohne Vorbedingungen abschaffte.
Zunutze machen sich diese Entwicklung Finanz-Start-ups wie N26, Vivid Money oder Revolut – sogenannte Neobanken, die Banking hauptsächlich auf dem Smartphone anbieten. Mit aggressivem Marketing und kostenlosen Services versuchen sie, den alteingesessenen Banken Kunden abzujagen. Auch Zahlungsdienstleister wie Paypal und Klarna mischen inzwischen mit im Kampf um die Konten und Daten der Deutschen: Paypal plant bis 2025 eine Super-App, die neben dem Handel mit Aktien und Kryptowährungen auch Tagesgeldkonten enthalten soll, Klarna bietet seit Kurzem ein kostenloses Girokonto an.
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Doch wohin führt das alles? Ist die klassische Hausbank mit der Filiale um die Ecke dem Tode geweiht? Gibt es meine Sparkasse in zehn Jahren noch? Und was bedeutet die Konkurrenz der Neobanken für Direktbanken wie die DKB, ING oder Consors, die einst als reine Onlinebanken die Filialbanken angriffen?
t-online ist diesen Fragen nachgegangen, hat mit Branchenexperten, Vertretern klassischer Kreditinstitute und den Chefs der Neobanken gesprochen. Ein Report.
Was bedeutet der Umbruch für Verbraucher und Banken?
Kurz gesagt: Banking, und damit Ihr Konto, könnte günstiger werden – oder zumindest nicht teurer, je nachdem, welche Bank Sie nutzen. Denn wie in jedem Wettbewerb gilt: Konkurrenz belebt das Geschäft und hat meistens positive Folgen für Verbraucher.
Die Versprechen der neuen Banken auf dem Smartphone klingen dabei vollmundig. "Unsere Kunden sollen alles an einem Ort finden", sagt etwa Thomas Vagner, Deutschlandchef des schwedischen Unternehmens Klarna, t-online. "Girokonto, Onlineshopping, Ausgabenmanagement und in Zukunft auch Sparprogramme."
Die Neobanken versuchen dabei, mit verschiedenen Angeboten zu locken: Vivid Money und Revolut bieten etwa Rabattaktionen und Cashback an, sodass Kunden beim Bezahlen einen Teil des Geldes zurückerhalten. Bei N26 sind Premiumkunden in vielen Lebensbereichen gleich mit dem Konto versichert.
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Die Neobanken haben Vor- und Nachteile
Die Vorteile der Neobanken: Sie setzen zu 100 Prozent auf Digitalisierung. Die App als "Filiale in der Hosentasche" und die vergleichsweise schlanke Firmenstruktur ermöglicht es den Anbietern, ihre Dienste sehr viel günstiger anzubieten als Banken mit Filialen, die Ladenmieten und mehr Personal finanzieren müssen.
Umgekehrt hat das Modell vieler neuer Anbieter auch einige Nachteile. So gibt es häufig keinen direkten Kontakt zu Bankberatern, teilweise findet der Kundenservice lediglich per Chat und nicht am Telefon statt. Auch geht mit dem Fehlen eigener Filialen einher, dass die Neobanken keine eigenen Geldautomaten betreiben. Das bedeutet, wer Bargeld abheben will, muss teilweise zu einem kooperierenden Geschäft, um dort Geld an der Kasse abzuheben.
N26 beispielsweise verweist auf Partnerschaften mit Rewe, Penny oder dm, bei denen sich Kunden maximal 200 Euro auszahlen lassen können. An Geldautomaten direkt können Kunden beim kostenlosen Modell aber nur dreimal, im Premium-Modell nur achtmal im Monat gratis abheben, weitere Abhebungen kosten extra.
Vivid Money und Resolut begrenzen dagegen den Geldbetrag, den Kunden pro Monat abheben können. Dafür stehen diesen weltweit Geldautomaten zur Verfügung. Gerade kostenlose Geldautomaten sind vielen Kunden laut der Bitkom-Studie besonders wichtig: 97 Prozent der Befragten gab an, dass sie bei einer Bank zuallererst auf die kostenlose Nutzung von Geldautomaten achten.
Drei Arten von Banken
Filialbanken sind der Klassiker unter den Geldhäusern. Sie bieten viele Dienstleistungen noch traditionell in einer Bank um die Ecke an. Zu ihnen zählen etwa die Deutsche Bank, die Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen oder auch die Commerzbank. Direktbanken haben schon keine Filialen mehr, sie gibt es ausschließlich im Internet. Bekannte Direktbanken sind etwa die DKB, die Commerzbank-Tochter Comdirect, ING oder Consors, eine Tochter der französischen Großbank BNP Paribas. Ganz neu, daher die Bezeichnung, sind Neobanken wie N26, Klarna oder Vivid Money, die zum Teil mit ausländischen Bankenlizenzen operieren. Sie bieten ihre Dienste primär auf dem Smartphone an und sind oft noch billiger als Direktbanken.
Dennoch findet das Konzept Abnehmer: Mit 7 Millionen Kunden in Deutschland und einer Firmenbewertung von 3,5 Milliarden US-Dollar ist die größte deutsche Neobank N26 eines der wertvollsten Start-ups in Deutschland. Und sie ist hungrig: "Das Ziel ist, die klassische Bank zu ersetzen", sagt Georg Hauer, Deutschlandchef bei N26. "Das klingt vielleicht martialisch, aber am Ende löst die neue Generation die alte ab." Der schwedische Wettbewerber Klarna bringt sogar noch deutlich mehr Gewicht auf die Waage. Der Finanzdienstleister wird mit rund 30 Milliarden Dollar bewertet.
Sparkassen und Volksbanken haben keine Angst
Die neue Konkurrenz setzt die alteingesessenen Banken gehörig unter Druck, wie Unternehmensberater und Branchenexperte René Fischer von der Strategieberatung Oliver Wyman weiß. "Den Bankmanagern ist nun auch schlagartig klar geworden: Die Zukunft ist digital", sagt er. Die Smartphonebanken seien bequemer und besser im Marketing – auch wenn die klassischen Banken anfingen, in diesem Bereich nachzuziehen.
Traditionelle Banken wie die Sparkassen und Volksbanken geben sich gegenüber den neuen Marktteilnehmern wie Klarna gelassen. "Banken und Sparkassen begrüßen den Wettbewerb im Bereich der Zahlungsdienstleistungen in Deutschland", sagt Thomas Rienecker, Pressesprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes.
Direktbanken wie die DKB, ING oder Comdirect sitzen in dieser Welt zwischen den Stühlen. Sie haben sich mit ihren Onlinekonten etabliert und setzen ebenfalls schon auf Smartphone-Apps, wie auch Ullrike Hamer, Pressesprecherin der Comdirect, erläutert: "Kunden von heute erwarten vor allem Convenience. Die Bankgeschäfte sollten mit möglichst wenigen Klicks erledigt sein."
Doch auch viele Direktbanken verlangen nun Geld für ihre Dienste. Gleichzeitig wächst auch die Bereitschaft der Deutschen, ihre Bank zu wechseln. 2016 hatten die Kunden laut einer Befragung der Bitkom im Schnitt nur 2,2 Mal in ihrem Leben ihr Bankkonto gewechselt. 2020 kamen die Befragten schon auf drei Bankenwechsel.
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Haben bald alle ihr Bankkonto bei Smartphonebanken?
Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Aktuell ist unter Finanzexperten noch umstritten, inwiefern Zahlungsdienstleister wie Paypal eine echte Konkurrenz für die etablierten Banken darstellen. "Für Klarna oder Paypal ist die Kontoeinbindung der nächste logische Schritt", sagt Bankenexperte Fischer. "Das wird in den kommenden Jahren noch mehr werden." Kommt es so, würde die Zahl der Kunden bei den Neobanken deutlich zunehmen.
Dirk Stein, Verbraucherexperte beim Bundesverband Deutscher Banken, sieht das etwas anders. Er glaubt nicht an eine baldige Übermacht der neuen Finanzdienstleister. "Dass Klarna, Paypal oder Amazon irgendwann klassische Banken mit ihren Konten ersetzen, halte ich für ausgeschlossen", sagt er. "Das ist einfach ein zusätzliches Angebot für eine bestimmte Kundengruppe."
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Entscheidend könnte sein, ob und wenn ja wie schnell sich ältere Menschen aufs Bezahlen per App und auf Überweisungen mit dem Smartphone einlassen. Zwar haben einige den Übergang zum Onlinebanking bereits geschafft – sie vertrauen ihr Geld praktisch ihrem Computer an.
Aber lässt sich das auch auf das Smartphone übertragen? Zumindest nutzt fast jeder zweite Deutsche über 65 laut Bitcom bereits das Smartphonebanking. Bei den Jüngeren vertrauen noch mehr auf eine Banking-App. Die Senioren sind also schon deutlich digitaler unterwegs, als der Stereotyp vermuten lässt.
Steht die traditionelle Bank vor dem Aus – machen bald noch mehr Filialen dicht?
Ja und nein. Als sicher gilt unter Experten: Langfristig werden zahlreiche Banken den momentanen Umbruch kaum überleben. So heißt es etwa im "Bankenreport 2030" der Strategieberatung Oliver Wyman, dass von den aktuell rund 1.600 Banken in Deutschland am Ende des Jahrzehnts nur noch 150 bis 300 Kreditinstitute existieren werden.
Wie heftig die Zäsur ausfällt, hängt dabei stark davon ab, wie plötzlich der Wandel voranschreitet. Wenn der Umbruch in der Finanzbranche langsam vorangeht, könnten viele der traditionellen Banken ihre Stärken ausspielen und Platzhirsche bleiben. Dann könnten sie die Transformation ins Digitale gut meistern und mitgehen.
Ein größeres Problem stellt dagegen ein plötzlicher und radikalerer Wandel zum digitalen Banking dar. Kreditinstitute mit einem klassischen Modell könnten dann schnell zu "Museumsbanken" werden und als Zögerer und Zauderer aus dem Markt gedrängt werden.
Jeder zweiten Filiale droht das Aus
Das bleibt nicht ohne Folgen für die Dichte des Filialnetzes in Deutschland. Einem weiteren Report der Strategieberatung Oliver Wyman zufolge könnte sich die Zahl der Filialen bis 2030 halbieren. Betroffen vom Dependancen-Sterben sind dabei eher ländliche Regionen, in denen weniger Menschen leben, die eine Aufrechterhaltung der Filiale rentabel machen. Der Prozess ist schon im Gange: Bereits zwischen 2008 und 2018 mussten 12.000 Filialen in Deutschland ihre Türen für immer schließen.
Herkömmliche Banken behelfen sich daher mit neuen Konzepten. "In einigen Regionen gibt es mobile Filialen, die zu festen Zeiten auch in strukturschwachen Gebieten verschiedene Dienstleistungen anbieten, in denen sonst keine Bank- oder Sparkassenfilialen mehr ansässig sind", erklärt Giroverband-Sprecher Thomas Rienecker.
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Die Sparkassen haben längst eigene Apps
Derweil stecken etwa die Sparkassen und Volksbanken viel Geld in die Entwicklung eigener Apps, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Und das nicht ohne Erfolg, wie Rienecker sagt: "Sowohl die S-App der Sparkassen als auch die VR-Banking-App sind unter den Top 3 bei vielen unabhängigen Markttests."
Zudem suchen klassische Geldhäuser den Kontakt zu innovativen Finanz-Start-ups. "Banken und Sparkassen setzen beim Aufbau ihrer Ökosysteme schon seit langer Zeit auch auf Kooperationen mit Drittanbietern, darunter auch jungen Unternehmen, sogenannte FinTechs", so Rienecker.
Auch Berater Fischer sieht nicht das Ende der Sparkassen oder Genossenschaftsbanken – aber auch keine rosige Zukunft. Seine Prognose: "Mehrere Banken werden sich zusammenschließen müssen."
Sollte ich nun meine Bank wechseln?
Das kommt auf Ihre Wünsche an und darauf, welche Aspekte Ihnen bei Ihrer Bank besonders wichtig sind. Wenn Sie Wert auf ein bedingungslos kostenloses Girokonto legen, werden Sie in Zukunft kaum noch an den Neobanken vorbeikommen.
Auch bei der Bequemlichkeit der App und smarten Bezahllösungen, etwa mit dem Handy, haben Neo- und Direktbanken heute die Nase vorn. Dafür fehlt Ihnen bei diesen Modellen fast immer der direkte Ansprechpartner, ein Umstand, der viele Deutsche gerade bei Fragen ums eigene Geld stört. Zwei von drei Deutschen ist die persönliche Beratung am Schalter laut Bitkom-Umfrage noch immer wichtig bei der Wahl ihrer Bank. Auch die Einschränkungen beim Abheben von Bargeld mag nicht jeder, zumal wenn Sie nicht überall mit Karte oder per App bezahlen wollen.
Was Sie vor einem Wechsel zu einer der neuen Banken ebenfalls bedenken sollten, ist der Datenschutz. Zwar darf keine Bank, die in Deutschland von der Bankenaufsicht Bafin reguliert ist, mit Ihren persönlichen Kontodaten Schindluder treiben, also sie etwa an Dritte weitergeben.
Dennoch können und dürfen Bankanbieter die Daten selbst analysieren, um etwa bessere Prämien oder Partnershops vorzuschlagen. Branchenexperte Fischer ist überzeugt, dass die Daten früher oder später genutzt werden. "Kunden werden definitiv individualisierte Werbung bekommen", sagt er.
Klarna-Chef Vagner bestätigt das auf Nachfrage: "Wir verwenden und analysieren die Daten nur, um unsere Dienste anzubieten – etwa passende Shoppingangebote." Wer das nicht möchte, sollte deshalb bei der Wahl der Bank aufpassen oder eine entsprechende Nutzung der eigenen Daten ablehnen.
- Eigene Recherche
- Forschungsarbeit: Bankenreport 2030
- Forschungspapier: Die Bankfiliale der Zukunft
- Interview mit dem Bundesverband Deutscher Banken
- Bitkom-Studie: Digital Finance 2020
- Interview mit Finanzanalyst René Fischer
- Interview mit N26
- Interview mit Vivid Money
- Interview mit Klarna
- E-Mail-Austausch mit der Comdirect
- E-Mail-Austausch mit Vertretern der Volksbanken und Sparkassen
- Internetseite der ING: Girokonto
- Handelsblatt: Ende der Kostenlos-Kultur
- Frankfurter Rundschau: Girokonten nur noch bedingt kostenlos