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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krise in China Es herrscht Alarmstimmung
Die Nachfrage ist gering, die Preise gehen zurück, Projektentwickler melden Insolvenz an: Auf dem chinesischen Immobilienmarkt herrscht Alarm. Was ist dort aktuell los?
Die Stimmung auf Chinas Immobilienmarkt ist angespannt. Sehr sogar. So könnte man die neusten Statistiken zusammenfassen, die zum Häusermarkt eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt erschienen sind.
Wie der China Real Estate Climate Index zeigt, ist die Laune im Immobiliensektor auf einem neuen Tiefpunkt: Im April lag der Wert, der auf Grundlage verschiedener Indikatoren vom Nationalen Statistikamt berechnet wird, bei 84 Punkten. Zum Vergleich: Anfang 2009, zur Weltfinanzkrise, rangierte er bei 92 Punkten. Kein Wunder: Chinas stark verschuldeter Immobiliensektor, einst ein wichtiger Motor des Wirtschaftswachstums des Landes, wird seit Mitte 2021 immer wieder von Krisen heimgesucht.
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Und es geht noch weiter bergab. Die Preise für Wohnimmobilien in China sind im Mai so stark gefallen wie seit einem knappen Jahrzehnt nicht mehr. Sie gaben um 0,7 Prozent im Vergleich zum Vormonat nach, wie Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters auf der Grundlage der am Montag veröffentlichten Angaben des nationalen Statistikamtes ergaben. Das war bereits der elfte Rückgang in Folge. Im Vergleich zum Mai 2023 fielen die Preise um 3,9 Prozent.
Doch woran liegt das? Was ist los auf dem chinesischen Immobilienmarkt? Um das zu verstehen, muss man einen Blick auf Chinas Immobilienpolitik der vergangenen Jahre werfen.
Projektentwickler gerieten wegen staatlicher Vorgaben ins Wanken
Die Bedeutung des Immobiliensektors für die chinesische Wirtschaft ist enorm. Während des Aufschwungs nach der Weltfinanzkrise trug er zu einem knappen Drittel des Bruttoinlandsprodukts bei. Der Grund für den Boom liegt auf der Hand: Die Immobilienkonzerne kamen leicht an Kredite und steckten ihre Einnahmen direkt in neue Projekte. Doch die Regierung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping wollte der Immobilienspekulation auf dem heiß gelaufenen Markt entgegenwirken. Sie sorgte daher dafür, dass die Konzerne nicht mehr so einfach an frisches Geld gelangten.
Die Nachfrage sank, die Wohnungen wurden weniger wert und die Konzerne verschuldeten sich stark. Das führte dazu, dass sie zum Frust ihrer Kunden bereits verkaufte Wohnungen teils nicht mehr fertig bauen konnten. Wegen der Sorge vor einer Immobilienblase reagierte die chinesische Regierung bereits 2017 mit Regulierungen. Im August 2020 wurden die "drei roten Linien" eingeführt, die unter anderem die Schuldenquote der Immobilienentwickler begrenzen sollten.
Viele Immobilienentwickler und ihr bis dato schuldenfinanziertes Geschäftsmodell brachten die Regulierungen jedoch ins Wanken: So rutschte der Evergrande-Konzern 2021 in die Insolvenz. Ende Januar hatte ein Gericht in Hongkong die Zerschlagung des Immobilienriesen angeordnet, der mit umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar verschuldet ist.
Auch Country Garden, einer der größten chinesischen Immobilienkonzerne, muss sich vor Gericht verantworten, weil ein Gläubiger die Auflösung des Unternehmens beantragt hatte. Laut "South China Morning Post" hatte der Konzern bis zum vergangenen Sommer Schulden in Höhe von insgesamt 1,36 Billionen Renminbi Yuan (umgerechnet 170 Milliarden US-Dollar) angehäuft.
Experte: "Die Immobiliennachfrage ist eingebrochen"
Und das Nachfrageproblem ist noch keineswegs gelöst, wie Ökonom Gero Kunath vom Institut der deutschen Wirtschaft t-online sagt. "Es gibt massive Überkapazitäten auf dem chinesischen Immobilienmarkt", erklärt er. "Sehr viele Wohnungen stehen leer, weil sich keine Käufer finden. Die Immobiliennachfrage ist eingebrochen." Auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sei gering, weil viele Chinesen nach der Corona-Krise eher sparen würden, als ihr Geld auszugeben, so Kunath weiter.
Um die Nachfrage zu beleben, hat die Regierung daher jüngst beschlossen, etwa den Eigenkapital-Anteil für Immobilienkredite von Erstkäufern zu senken. Die zentrale Maßnahme ist jedoch ein 300 Milliarden Renminbi Yuan schweres Ankaufprogramm, umgerechnet ca. 40 Milliarden US-Dollar. Das soll die dortigen Lokalregierungen zum Erwerb von fertiggestellten, aber unverkauften Immobilien ermutigen, um diese in Sozialwohnungen umzuwandeln.
"Die chinesische Regierung versucht so, der Nachfrage auf die Sprünge zu helfen", so Kunath. "Doch ob das tatsächlich hilft, ist zumindest fraglich."
Wie die "Wirtschaftswoche" mit Verweis auf Analysten der Bank UBS schreibt, würde es die Regierung bis zu 2,4 Billionen Renminbi Yuan (umgerechnet ca. 320 Milliarden US-Dollar) kosten, den Überschuss an unverkauften Wohnungen wenigstens in den Großstädten auf ein normales Maß zu senken. Die jetzigen Maßnahmen dürften also eher der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein sein.
Hohe Schulden könnten Probleme machen
Und das Paket schafft weitere Probleme, wie Kunath erklärt. Er stellt besonders darauf ab, dass die Lokalregierungen die neuen Schulden finanzieren müssen. "Sie stecken in einem Dilemma: Auf der einen Seite sind sie davon abhängig, dass die Projektentwickler finanziell gut dastehen. Denn ihnen verkaufen sie Land für neue Häuser und Wohnungen", sagt der Experte. "Auf der anderen Seite wächst ihre Schuldenlast durch das neue Maßnahmenpaket." Die Schuldenfinanzierung könnte also China noch einmal Schwierigkeiten bereiten.
Zumal Kunath Anzeichen einer Überhitzung des Immobiliensektors sieht. Daher bräuchte es eine Korrektur, einen Abbau der Überkapazitäten. Doch: "Es scheint, dass die chinesische Regierung dazu derzeit nicht bereit ist", so Kunath. Bricht der Immobilienmarkt weiter ein, könnte das die chinesische Wirtschaft deutlich bremsen. Doch die muss sich noch von den Folgen der Corona-Pandemie erholen.
Seine mittelfristige Prognose in Bezug auf den chinesischen Immobiliensektor ist derweil eher düster. Zwar schreite die Urbanisierung durchaus weiter voran, sagt er. "Auf lange Sicht wird der Immobilienmarkt jedoch nicht mehr der Motor der chinesischen Wirtschaft sein können", so Kunath weiter. "Das bedeutet: Die Dynamik des Sektors wird früher oder später abnehmen." Die positive Nachricht: Zumindest für den Immobilienmarkt hierzulande dürften die Turbulenzen in China indes gering ausfallen, schätzt der Ökonom.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Gero Kunath, IW Köln
- IW Köln: "Chinas Immobilienkrise: Regierung sieht Risse im Fundament"
- Wirtschaftswoche: "Auch diese Milliarden werden Chinas Wohnungsmarkt nicht retten"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters