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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Barbie-Hersteller "Das hat uns einen Shitstorm eingebracht"
Das Kinderzimmer wird politisch: Im t-online-Interview erklärt Mattel-Deutschlandchef Sebastian Trischler, was das für Barbie, Hot Wheels und sogar Scrabble bedeutet.
Puppen im Rollstuhl, genderneutrale Figuren, Spielzeug aus recyceltem Plastik: In Nürnberg stellt die Spielzeugbranche in dieser Woche ihre Neuheiten vor. Dabei fällt auf, dass die großen politischen Debatten längst auf dem Teppichboden der deutschen Kinderzimmer angekommen sind.
Einer der größten Stände auf der Messe gehört dem Spielzeugriesen Mattel; unter dem amerikanischen Dachkonzern verbergen sich beliebte Spielzeugmarken wie Barbie und Hot Wheels, aber auch Gesellschaftsspielklassiker wie Scrabble und Uno. Manager Sebastian Trischler ist für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständig und hat eine klare Mission: Spielen soll inklusiver werden.
Im Interview mit t-online erklärt er, wie diversere Puppen im Spielzeugladen ankommen und warum Mattel trotz Shitstorm in seinen Spielen weiter gendert.
t-online: Herr Trischler, die Kinder in Ihrem Umfeld finden Ihren Job sicherlich großartig, oder?
Sebastian Trischler: Ja, meine beiden Söhne und auch meine Nichte sind sehr glücklich über meinen Job, denn sie lieben Hot Wheels, Barbie und PollyPocket.
Dann kommen die Barbie-Fans unter ihnen 2023 ja auf ihre Kosten: Im Sommer startet der Barbie-Film mit Topbesetzung in den Kinos. Greta Gerwig führt Regie, Margot Robbie und Ryan Gosling spielen die Hauptrollen. Wie stark ist der Einfluss, den Mattel auf den Film genommen hat?
Natürlich sind wir da involviert. Wir haben eine eigene Filmabteilung, die mit unserem Partner Warner Bros. an dem Film arbeitet. Es ist schließlich wichtig, dass wir uns als Marke in dem Film wiederfinden.
Für das Marketing ist so ein Film ein Geschenk, oder?
Der Hype ist jetzt schon riesig. Nicht vielen Spielzeugen würde ein solcher Hollywoodfilm mit Staraufgebot gewidmet. Das zeigt, wie relevant Barbie als Marke ist, auch über das Kinderzimmer hinaus. Im Modebereich gab es beispielsweise einen Trend namens "Barbiecore" und man sieht, dass Pink zurück ist – für viele die Barbiefarbe schlechthin.
Für viele ist es aber auch eine stereotype Mädchenfarbe. Dabei versucht Barbie doch schon seit Jahren vom Vorwurf wegzukommen, das sexistische Bild einer dünnen, hellhäutigen Blondine zu transportieren. Barbie gibt es heute in allen Haut- und Augenfarben, mit Rundungen, groß und klein. Alles nur ein Tribut an den Zeitgeist?
Das wird der Entstehungsgeschichte nicht gerecht. Ruth Handler, die Erfinderin der Barbie, wollte, dass Mädchen ebenso schönes Spielzeug haben wie Jungen. Barbie, übrigens benannt nach Handlers Tochter Barbara, sollte zeigen, dass Mädchen alles sein können. Insgesamt mehr als 200 Berufe hatte Barbie bis heute. Das erste Traumhaus hat sie zu einem Zeitpunkt gekauft, als Frauen in den USA nicht einmal ein eigenes Bankkonto haben durften. Was mich persönlich besonders begeistert: Barbie war als Astronautin schon 1965 auf dem Mond und damit noch vor jedem menschlichen Mann!
Dennoch wurde Mattel immer wieder vorgeworfen, unrealistische Körperbilder schon ganz jungen Mädchen nahezubringen.
Barbie ist mittlerweile 64 Jahre alt und war immer am Puls der Zeit. Sie setzt Trends, und nicht jeder davon war gut. Doch gerade was das Körperbild betrifft, hat sich in den vergangenen Jahren einiges geändert. Mittlerweile sind wir die vielfältigste Puppenmarke der Welt und kommen auf mehr als 175 Varianten.
Seit Kurzem bieten Sie auch Puppen mit Hörgeräten, Hautkrankheiten und im Rollstuhl an. Dient das nur der Imagepflege oder verkaufen sich die diversen Barbies auch?
Unsere diversen Barbies sind ein großer kommerzieller Erfolg. Es macht uns froh, dass unser Ziel, mehr Vielfalt in die Kinderzimmer zu bringen, so gut ankommt.
Sebastian Trischler
Nach seinem BWL-Studium hatte Trischler von 2006 bis 2014 verschiedene Positionen beim Kosmetikkonzern L'Oréal inne. Seit 2014 bewegt er sich im Mattel-Kosmos, zunächst als Account Manager und im Sales Bereich. 2019 stieg Trischler zum Manager für die DACH-Region auf.
Welchen Anteil haben diese neuen Puppen an den 76 Millionen verkauften Barbies des vergangenen Jahres?
Auf die Gesamtzahl der Puppen heruntergebrochen, kann ich das nicht sagen. Aber bei den Fashionista-Barbies, der Reihe, bei der es die größte Auswahl an Körperformen und Hautfarben gibt, sind acht von zehn verkauften Puppen mittlerweile divers.
Aktuell haben wir zwei parallel laufende Entwicklungen: Einerseits Eltern, die ihre Kinder möglichst geschlechtsneutral erziehen wollen. Andererseits zunehmend Produkte für Kinder, die auf Stereotype in Pink und Blau setzen. Wie reagiert Mattel auf diese Entwicklungen?
Wir wollen Kindern bei der Entwicklung helfen und wir wissen, dass Diskriminierung schon in jungem Alter anfängt. Daher wollen wir für verschiedene Lebensrealitäten sensibilisieren. Letztlich können wir aber auch nur ein Angebot machen, und es hängt an den Eltern, welche Spielzeuge sie ihren Kindern geben. Wir sagen dabei ganz deutlich: Spielzeug kennt kein Geschlecht und ist für alle Kinder gleichermaßen da. Deshalb haben wir auch als erster Spielzeughersteller eine genderneutrale Puppe auf den Markt gebracht.
Wie wurde die aufgenommen?
Eine genderneutrale Puppe war eine logische Entwicklung und ist ein guter Gradmesser, wie weit eine Gesellschaft ist. Und da mussten wir in diesem Fall feststellen, dass die deutsche Gesellschaft noch nicht bereit war. Die Puppe wurde nicht gut verkauft und wird im Handel auch nicht mehr angeboten.
Im vergangenen Jahr haben Sie dennoch als Teil der Tribute-Collection eine Barbie herausgebracht, die der trans Schauspielerin Laverne Cox nachempfunden ist. Wie waren die Reaktionen darauf?
Wir sind stolz auf unsere Vorreiterrolle. Diese Barbie stellt eine Würdigung für eine berühmte Frau dar, die offen zu ihrer Transsexualität steht. Das abzubilden ist nur folgerichtig, wenn wir Diversität ernst nehmen. Die Reaktionen darauf waren komplett positiv. Das war im vergangenen Jahr bei Scrabble ganz anders …
Was ist da passiert?
Wir haben den Genderstein in das Spiel eingeführt, also einen Stein mit einem Gendersternchen darauf, und das hat uns einen ordentlichen Shitstorm in Deutschland eingebracht. Uns ist bewusst, dass viele Menschen das Gendern weiterhin ablehnen. Aber unsere Spielsachen beeinflussen die junge Generation, und da sehen wir uns in einer Vorbildfunktion. Unser Ziel ist es, dass alle Spaß haben. Und das geht nur dann, wenn sich auch alle dazu eingeladen fühlen, mitzuspielen.
Sie sagen, eine trans Barbie ist folgerichtig. Gleichzeitig ist Mattel auch Lizenzpartner von Harry-Potter-Produkten, Autorin J.K. Rowling hat mit verschiedenen Äußerungen auf Twitter den Hass von Trans-Aktivisten auf sich gezogen. Wie geht das zusammen?
Ich denke, man muss die Dinge differenzieren. Unsere Harry-Potter-Puppen und -Verpackungen sind an die Filme von Warner Bros. angelehnt. Wir verwenden Szenen aus den Filmen, und unsere Puppen sind die realistischsten, filmähnlichen Puppen auf dem Markt.
Mattel will bis 2030 zu 100 Prozent nur noch recycelte, recycelbare oder biobasierte Kunststoffe in seinen Produkten und Verpackungen verwenden. Werden Sie Ihr selbst gestecktes Ziel erreichen?
Es ist ambitioniert, aber wenn wir so etwas veröffentlichen, sind wir auch überzeugt, es zu schaffen.
Im vergangenen Jahr haben Sie die ersten Puppen vorgestellt, die aus Plastik hergestellt wurden, welches sonst in den Ozeanen gelandet wäre, sogenanntes Ocean Bound Plastic. Wie gut verkaufen sich diese?
Gut. Und was für uns natürlich wichtig ist: Sie kam bei Eltern und Kindern gleichermaßen gut an.
Warum stellen Sie dann nicht schon jetzt größere Teile der Produktion auf Ocean Bound Plastic um?
Wir suchen noch nach der richtigen Formel, wie wir es schaffen, große Mengen nachhaltig und sicher herstellen zu können und gleichzeitig unser Preisniveau zu halten. Das beschäftigt aktuell die gesamte Branche. In der Zwischenzeit setzen wir auf lokale Initiativen wie "Play Back": Kaputtes Spielzeug kann an uns zurückgegeben werden, und wir bauen daraus Spielplätze.
Nun sind für bewusste Verbraucher aber nicht nur Diversität und Ökologie wichtige Themen, sondern auch Menschenrechte. Mattel produziert auch in China, hat dort sogar eigene Fabriken. In den letzten Jahren gab es Berichte über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Spielzeugfabriken, in denen auch Mattel produzieren lässt. Wieso halten Sie weiter an diesem Standort fest?
Mattel ist in 150 Ländern vertreten, daher ist es für uns klar, dass wir auch weltweit produzieren wollen und müssen. Dabei ist ethisches Produzieren ein klares Ziel, den Vorwürfen der vergangenen Jahre sind wir nachgegangen und konnten sie für uns widerlegen.
Einer der Vorwürfe war, dass Sie sich dem Zertifizierungssystem des Spielzeugwarenverbands (ICTI) angeschlossen haben, das zum Beispiel höhere Überstunden durchwinkt, als in den jeweiligen Ländern erlaubt ist. Nutzen Sie das weiterhin?
Teilweise. Die gesamte Spielzeugbranche richtet sich nach diesen Zertifizierern. Für unsere eigenen Fabriken haben wir ein eigenes Team eingesetzt, das die Arbeitsstandards überprüft.
In der Corona-Pandemie waren die Lieferketten von und nach China unterbrochen. Welche Lehren hat Mattel daraus gezogen?
Wir schauen uns dies natürlich immer an, aber es gibt keine Pläne, sich aus China zurückzuziehen.
Corona hat sich nicht nur auf die Lieferketten ausgewirkt, sondern auch auf den Alltag vieler Kinder, die viel zu Hause mit wenig Kontakt zu anderen Kindern waren. Hat sich das auch auf das Spielverhalten ausgewirkt?
Zum einen ist der Medienkonsum in Zeiten von Homeschooling deutlich angestiegen. Zum anderen haben wir eine Renaissance der Brettspiele erlebt, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass kaum etwas anderes in dieser Zeit möglich war.
Digitales Spielzeug scheint analoges immer mehr zu verdrängen. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Überhaupt nicht, denn wir bieten selbst digitale Produkte an, von digitalen Spielen und Apps bis hin zu Non Fungible Tokens (NFT) für Erwachsene, also digitale Sammlerstücke. Wirtschaftlich sind wir also gut aufgestellt, auch wenn derzeit physisches Spielzeug noch den Großteil unseres Umsatzes ausmacht. Und ich möchte auch betonen, wie wichtig es für die frühkindliche Entwicklung ist, zu fühlen und zu greifen – dafür braucht es gegenständliches Spielzeug.
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Sehen Sie Unterschiede darin, welche Spiele in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders beliebt sind?
Uno ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Insgesamt sind Brettspiele und edukative Spiele in Deutschland aber deutlich beliebter als anderswo.
Woran liegt das?
In Deutschland sind die Eltern sehr an edukativem Spielzeug interessiert und nehmen sich viel Zeit für die richtige Erziehung Ihrer Kinder.
Noch eine Frage aus persönlichem Interesse. Wie wird bei Ihnen zu Hause Uno gespielt: Dürfen +4- und +2-Karten gestapelt werden?
Bei uns auf jeden Fall! Wir spielen sogar mit einer Blanko-Karte und erfinden neue Regeln.
Herr Trischler, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Sebastian Trischler