Jochen Schneider "Bei vielen Punkten nahm ich an, dass Schalke weiter ist"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der neue Macher der Königsblauen spricht über das Führungsduo des Erzrivalen, Erinnerungen an Rudi Assauer – und erklärt, was ihn in seinen ersten Wochen bei S04 überrascht hat.
Sie fallen beim Betreten des Raums sofort auf: Zwei große Bilder, die ein ansonsten nüchternes, bescheidenes Büro schmücken. Eines zeigt Schalke-Ikone Rudi Assauer, das andere den früheren Schalker Spieler und langjährigen Bundesliga-Manager Rolf Rüssmann. t-online.de ist zu Gast beim neuen Schalker Sportvorstand Jochen Schneider.
Der 48-Jährige begrüßt mit einem festen Händedruck, er spricht überlegt. Auch seine Vorgänger saßen hier in diesem Raum, Heidel oder Horst Heldt. Kein überdimensioniertes Zimmer, Schneider hat als erstes umgeräumt: "Den Schreibtisch und den Konferenztisch habe ich richtig hingestellt" sagt er mit einem Grinsen. Auch die Bilder hat er aufhängen lassen.
Am Wochenende trifft sein Klub im Revierderby auf Borussia Dortmund (Samstag ab 15.30 Uhr im Live-Ticker bei t-online.de).
Für Schneider ist es das erste Derby – der Schwabe ist seit Mitte März im Amt, hat in einer schwierigen Situation vom glücklosen Christian Heidel übernommen. Aktuell liegt S04 auf Platz 15, nur sechs Punkte vor dem VfB Stuttgart auf dem Relegationsplatz – eine undankbare Situation für Schneider.
t-online.de: Herr Schneider, das Revierderby 2019 ist ein Duell der Gegensätze: Dortmund kämpft um den Meistertitel, Ihr Klub steckt im Abstiegskampf. Was kann sich Schalke vom BVB abschauen?
Jochen Schneider (48): Beim BVB hat man in den letzten elf, zwölf Jahren viele gute Entscheidungen getroffen. Sie haben die richtigen Leute in der Geschäftsführung, in der Akademie, im Scouting, auf der Position des Cheftrainers. Der BVB steht für Kontinuität und es geht zurecht seit vielen Jahren in die richtige Richtung.
Wohingegen es für die Königsblauen eher düster aussieht. Kommt diese hochbrisante Partie für Ihren Verein nicht völlig ungelegen?
Das würde ich nicht sagen. Vielleicht ist ja sogar das Gegenteil der Fall. Ein Derby ist immer ein ganz besonderes Spiel. In einer Bundesligasaison spielt man zweimal gegen jeden anderen Verein. Der Spielplan ist vorgegeben, mal hat man etwas Glück mit der Ansetzung, manchmal etwas Pech. Die Form unseres Gegners können wir nie beeinflussen, Einfluss haben wir nur auf unsere eigene Leistung. Und die muss am Samstag sehr gut sein.
In Dortmund bestimmt das Duo Watzke/Zorc seit vielen Jahren das Geschehen. Was macht die beiden so erfolgreich?
Sie haben Kontinuität in den Verein hineingebracht und verfolgen einen klaren Plan. Die Königsentscheidung war es, 2008 Jürgen Klopp als Trainer zu holen. Er hat Dortmund mit seiner Art von Fußball und seiner unglaublich guten Art von Menschenführung und Spielerentwicklung auf ein anderes Niveau gehoben – aber eben nicht nur er selbst hat dies getan, sondern auch die Protagonisten, die ihn geholt haben.
Wie geht die Partie am Samstag aus?
Es wird ein sehr interessantes Spiel, in welches wir natürlich nicht als Favorit gehen. Ich hoffe, dass wir als Team auftreten, in dem jeder den anderen unterstützt und dass jeder Einzelne 90 Minuten lang Vollgas gibt. Denn nur dann haben wir eine Chance.
Auch für die Dortmunder geht es noch um etwas, der BVB will Meister werden…
Klar – die Dortmunder Spieler haben auch Druck. Sie müssen gewinnen, wenn sie im Rennen bleiben wollen.
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BVB-Geschäftsführer Watzke hat Schalke gerade erst den Klassenerhalt gewünscht.
Natürlich sind auch für Dortmund diese beiden Spiele etwas ganz Besonderes, Fans und Verantwortliche dort lieben diese zwei Derbys genauso, wie wir es tun. Daher kann ich gut nachvollziehen, was er gesagt hat. Auch er will das Derby künftig weiter haben. Denn dieses Spiel ist das Salz in der Suppe.
Glauben Sie daran, dass Dortmund Meister wird?
Das einzige, was mich derzeit interessiert ist ausschließlich, dass wir unsere Situation meistern.
Dann kommen wir doch zurück zu S04: Sie sind seit knapp sechs Wochen auf Schalke. Können Sie diese Zeit in einem Wort zusammenfassen?
Bekomme ich zwei Wörter?
Na klar.
Nicht einfach.
Wie meinen Sie das?
Ich schaue mir die aktuelle Situation an, höre zu, versuche zu verstehen, welche Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen wurden und analysiere, was zu der Situation führte, in der man jetzt ist. Die ersten zwei Wochen erlebte ich hier noch gemeinsam mit Domenico Tedesco, den ich seit mehr als zehn Jahren kenne.
Dann trafen Sie eine Entscheidung. Tedesco musste gehen.
Es hatte viele Gründe, die mich zu der Überzeugung brachten, dass es keine Aussicht mehr auf Erfolg hatte, in dieser Konstellation weiterzumachen.
Was hat Sie am meisten auf Schalke überrascht?
Es gibt viele Punkte, bei denen ich annahm, dass Schalke da schon ein, zwei Schritte weiter ist.
Welche Punkte meinen Sie?
Ich habe in den letzten dreieinhalb Jahren in Leipzig erlebt, was in vielen Bereichen die Benchmark ist. Ich habe erlebt, was passiert, wenn sehr viele, sehr gute Leute in den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten.
Was ist Ihnen aus dieser Zeit speziell im Gedächtnis geblieben?
Es zählt nicht nur die Spitze, es geht um Qualität in allen Bereichen. Ich habe erlebt, was passiert, wenn Menschen mit Teamplayer-Eigenschaften aufeinandertreffen – und was dann möglich ist. Wir haben in vielen Bereichen sehr viel Luft nach oben, sonst wäre unsere Tabellensituation nicht so, wie sie ist.
Auf Schalke war Rudi Assauer über Jahre der Macher. Wie allgegenwärtig ist er noch im Verein?
Natürlich wird hier auf Schalke immer noch über Rudi gesprochen, bei ihm geraten die Leute hier regelrecht ins Schwärmen. Und das finde ich sehr schön und das hat er mehr als verdient. Ich saß früher bei Managertagungen häufig neben ihm, weil es bei der Sitzungsordnung nach dem Alphabet ging: Schalke und Stuttgart beginnen ja beide mit „S“.
Das waren sicher spannende Aufeinandertreffen.
Das war oft sehr interessant und zum Teil auch amüsant. Meine Kleidung war nach diesen Tagen abends immer total verqualmt (lacht). Ich habe auch mit ihm verhandelt, als es 2004 um den Wechsel von Marcelo Bordon ging. Das waren sehr angenehme Begegnungen, er hatte ein unglaubliches Charisma. Und er war ein Mann des Worts. Man konnte sich immer auf Rudi Assauer verlassen.
An Assauer müssen sich seine Nachfolger messen lassen. Ist das zusätzlicher Druck auf Sie?
Nein, überhaupt nicht. Es geht vielmehr um unsere Situation, die nun mal so ist, wie sie ist. Wir müssen Strukturen schaffen und die richtigen Leute dafür holen. Es ist aber toll, wenn man sich seine Lebensleistung für Schalke 04 anschaut: Die Veltins-Arena, das Vereinsgelände, die Erfolge:, der Gewinn des UEFA-Pokals, die Pokalsiege, die Champions-League-Teilnahmen – das ist einfach großartig, und davon profitiert der Verein heute noch. Aber wir müssen jetzt für die Zukunft die richtigen Entscheidungen treffen.
Und es sind viele Entscheidungen zu treffen. Können Sie da aktuell überhaupt ruhig schlafen?
Abstiegskampf drückt auf den Magen. Da schlafe ich nicht gut. Doch das ist aber auch normal.
War die schwierige Situation auf Schalke auch der Reiz für Sie am Job?
Ja, das war der Reiz. Ich wollte einen emotionalen, wuchtigen Verein wie Schalke mitgestalten können und Schalke gemeinsam mit den richtigen Mitstreitern wieder in die Spur zurück bringen.
Sie kämpfen aktuell noch gegen den Abstieg, müssen gleichzeitig aber die neue Saison planen. Wie viel Prozent Ihrer aktuellen Arbeit ist Planung für die kommende Saison?
Es überlagert sich teilweise. Allerdings dominiert aktuell die Arbeit an dieser Saison. Denn daraus leitet sich ab, wie es weitergehen wird. Ich bin guter Dinge, dass wir in der Liga bleiben. Doch den Schritt zum Klassenerhalt müssen wir erst noch selbst gehen.
Die Situation vereinfacht sicher auch nicht die Trainersuche …
Das ist richtig. Und hinzukommt, dass wir nicht nur den Trainer suchen, sondern in Form eines Sportdirektors und eines technischen Direktors eine zweite und eine dritte Position. Das alles zu kombinieren und unter einen Hut zu bringen, macht die Aufgabe sehr komplex.
Haben Sie sich aufgeschrieben, wie das Profil des neuen Trainers aussehen muss?
Natürlich habe ich für jede Position ein genaues Profil.
Was muss der neue Schalke-Trainer alles können?
Unser neuer Trainer muss eine Persönlichkeit sein, ein Mensch sein, der andere begeistern kann. Der einen inneren Antrieb mitbringt, denn anschieben wollen wir ihn nicht. Er soll Dinge verändern wollen, Spieler besser machen. Er muss ein Spiel lesen und mit seinen Entscheidungen positiv beeinflussen können. Er muss ein Teamplayer sein, mit dem man gerne zusammen ist. Und er muss mutig genug sein, sich der Aufgabe zu stellen, Schalke 04 wieder nach vorne zu bringen.
Tedesco passte zu Schalke. Suchen Sie nun den nächsten Tedesco?
Domenico hat gearbeitet wie kein Zweiter, war immer authentisch, er hat sich für den Verein zerrissen. Man muss doch nur an das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf zurückdenken, als die Nordkurve nach der 0:4-Pleite ihren Unmut kundgetan hat – und in dieser Situation ging er 30 Meter vor der Mannschaft zu den Fans. Das zeigt, was Domenico für ein Typ ist. Die Leute haben ihn zurecht geschätzt und gemocht und schätzen und mögen auch heute noch sehr.
Sie schwärmen von Ihrem Ex-Trainer. Ist dies nicht Grund genug, zu überlegen, Ihn zukünftig wieder an den Verein zu binden?
Domenico will seine Profitrainerkarriere fortsetzen und wir werden unseren Weg auf Schalke gehen, aber man ist im Guten auseinander gegangen. Ob diese Wege sich dann irgendwann wieder kreuzen, muss man sehen – doch es ist nicht ausgeschlossen. Das gab es auch alles schon in der Vergangenheit. Doch Stand jetzt, macht es keinen Sinn.
Wie genau läuft bei Ihnen die Trainersuche ab?
Natürlich habe ich Trainer im Kopf. Und zudem hat man ein Netzwerk, in welchem man sich über mögliche Kandidaten austauscht. Einige Trainer werden einem auch angeboten.
Wie viele Trainer wurden Ihnen denn bisher angeboten?
Schalke ist für viele Trainer – auch im Ausland – überaus attraktiv. Fakt ist: Viele sehr gute Trainer, auch ausländische Trainer, würden gerne für Schalke 04 arbeiten.
Die Kaderplanung ist auf Schalke auch ein großes Thema. Wie schwierig ist es, Spieler vom Klub zu überzeugen, der gerade nicht viele Argumente sammelt?
Es gibt vermutlich Spieler, die früh ihre Entscheidung treffen wollen, die vielleicht sagen: „Das dauert mir zu lange, das ist mir zu ungewiss, ich entscheide mich für einen anderen Verein“, aber andererseits hat Schalke 04 nach wie vor einen großen Reiz und ist interessant für viele Spieler, die wissen, dass der Verein wieder nach oben kommen wird.