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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Thema muss in die Köpfe rein" Zoo-Chef will Paviane töten: So verteidigt er seine Pläne
Der Tiergarten Nürnberg denkt über die Tötung von Pavianen nach. Für Zoo-Chef Encke ist das auch ein Beitrag zum Artenschutz.
Der Nürnberger Zoo plant die Tötung von Pavianen. Seit einer Woche wird darüber in der Öffentlichkeit diskutiert. Für die einen ist das ein vernünftiger Umgang mit Zootieren. Für andere ist das einfach unvorstellbar.
Im Gespräch mit t-online sagt Zoo-Chef Dag Encke, man habe die Tiere nicht verstanden, wenn man nicht über deren Tötung nachdenken dürfe. Hier begründet er seine Pläne und verrät, wie er mit dem Gedanken an die Tötung der Paviane umgeht.
t-online: Herr Encke, der Tiergarten überlegt, einen Teil der Guinea-Paviane zu töten. Konnten Sie in den letzten Tagen gut schlafen?
Dag Encke: Ja. Es ist erstaunlich sachlich diskutiert worden. Mich hat sehr gefreut, dass der Großteil der Öffentlichkeit die Ernsthaftigkeit des Vorstoßes versteht. Es geht um ein grundsätzliches Dilemma. Wir erwägen, Tiere töten zu müssen, um eine Art beziehungsweise einen Bestand erhalten zu können.
Zur Person
Dag Encke ist quasi in einem Zoo aufgewachsen – sein Vater leitete nämlich 40 Jahre lang den Zoo in Krefeld. Encke studierte selbst Biologie und promovierte anschließend. Seit 2005 leitet er den Tiergarten in Nürnberg. 2020 geriet er schon einmal in die Schlagzeilen. Damals dachte er darüber nach, einen Löwen zu töten, weil dieser keinen Nachwuchs zeugte. Encke begründet seine Überlegungen damit, dass ein gut geführter Zoo die letzte Möglichkeit sei, aussterbende Tierarten zu retten.
Aber warum ist es nun unausweichlich, dass Paviane sterben müssen?
Die Paviangruppe im Tiergarten Nürnberg hat eine Größe erreicht, für die die im Jahr 2009 bereits erweiterte Anlage nicht ausgelegt ist. Wegen der Überpopulation kommt es zu gehäuften Konflikten zwischen den Pavianen, teils werden dabei Tiere verletzt. Seit 2011 prüft unsere fächerübergreifende Tierschutzkommission alle Möglichkeiten, um die Gruppengröße und deren Wachstum zu reduzieren. Leider ohne Erfolg. Gleichzeitig müssen und wollen wir unseren Pavianen auch künftig Fortpflanzung ermöglichen – aus sozialen und auch populationsbiologischen Gründen. Uns geht es darum, langfristig eine überlebens- und damit fortpflanzungsfähige Reservepopulation der Paviane in den Zoos zu erhalten. Aufgrund der guten Versorgung der Tiere im Zoo ist die Sterberate sehr niedrig, sodass unsere Gruppe kontinuierlich wächst.
Sie sagten mal, es wäre vernünftig, die Tiere zu töten. Warum?
Vernünftig bedeutet in dem Fall, dass wir sorgfältig abgewogen haben. Das Ziel ist eine stabile Population. Dafür brauchen wir eine breite Alterspyramide mit genügend fortpflanzungsfähigen Tieren. Wir müssen über Generationen denken und die Alterspyramide entsprechend langfristig planen. Dafür werden wir immer wieder an der Sterberate drehen müssen. Die logische Folge der Abwägung ist, dass wir dafür Tiere auch töten müssen.
Warum geben Sie nicht einfach einen Teil der Tiere an andere Zoos ab?
Wenn wir geeignete und geprüfte Haltungen für die Tiere finden, geben wir sie natürlich immer gerne ab. Aber wenn wir weiterhin keinen Platz finden können, müssen wir einzelne Tiere herausnehmen, damit es den verbleibenden Tieren dauerhaft gut gehen kann. Auch wenn wir Tiere außerhalb ihrer Lebensräume halten, ändert das nichts an den biologischen Grundregeln. Es gilt: Gesunde Populationen sind widerstandsfähig und anpassungsfähig durch flexible Sterberaten, die Geburtenrate muss allerdings immer stabil bleiben. An dieser Grundregel der Populationsdynamik können unsere Moralvorstellungen nichts ändern. Darin besteht das ethische Dilemma, in dem Zoos abwägen müssen.
Nachdem Sie ihre Pläne öffentlich gemacht haben, haben sich neue Interessenten aus Großbritannien und Indien bei Ihnen gemeldet. Beide erklären sich bereit, die Paviane aufzunehmen. Gibt es also eine Chance, dass die Tiere doch nicht getötet werden müssen?
Wir prüfen natürlich jede Anfrage, die wir bekommen. Das war schon immer so. Das ist die Aufgabe unserer Tierschutzkommission, die die Haltungsvoraussetzungen beim potenziellen Empfänger beurteilt. Wenn diese passen, werden wir die Paviane abgeben. So haben wir schon Zootiere bis nach China vermittelt. Am grundsätzlichen Problem ändert das aber gar nichts, weil wir mit den Pavianen ja weiter züchten. Wir werden immer wieder in dieselbe Situation kommen. Das heißt, wir reden über potenziell unendlich viele Tiere, die abgegeben oder die getötet werden müssten.
Wir setzen das schon seit mehr als 25 Jahren um
Dag Encke – Direktor Tiergarten Nürnberg
Sie sind als Kind quasi im Zoo aufgewachsen. Ihr Vater leitete damals den in Krefeld. Überrascht es Sie, dass Sie in Ihrem Job als Zoodirektor darüber nachdenken, Tiere zu töten?
Nein, das tun wir schon seit Jahrzehnten. Und wir setzen das auch schon seit mehr als 25 Jahren um – zumindest bei Tieren, bei denen gesellschaftliches Verständnis zu erwarten ist. Bei den Affen ist das anders. Wir haben unsere Überlegungen bewusst öffentlich gemacht, weil Affen anders eingeordnet werden als andere Tiere. Die Hintergründe unserer Entscheidung wollen wir auch dem Umweltausschuss des Stadtrats noch einmal darlegen.
Die Pavian-Problematik
Die Anlage in Nürnberg ist für den momentanen Bestand an 45 Pavianen zu klein. Deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den Tieren. Um ihnen mehr Platz zu geben, erweiterte der Zoo 2009 die Anlage. Darauf versuchten die Verantwortlichen, die hohe Geburtenrate durch Verhütung zu bremsen. Durch die Verhütung sei es aber zu Problemen in der Gruppenhierarchie gekommen, weshalb die Verhütungsversuche eingestellt wurden, so der Zoo. Auch die Abgabe einzelner Tiere sei geprüft worden, allerdings konnte der Tiergarten bislang nur 16 Guinea-Paviane an andere Einrichtungen vermitteln.
Eine Auswilderung der Paviane kommt aus Ihrer Sicht auch nicht infrage, weil das lange Vorbereitungen brauche. Dass sich die Paviane in Nürnberg zu stark vermehren, ist Ihnen offenbar schon länger bekannt. Warum haben Sie die Zeit nicht genutzt, eine Auswilderung vorzubereiten?
Romantische Vorstellungen muss man in dem Fall ablegen. Die Guinea-Paviane leben in Westafrika. Der Lebensraum der Tierart dort schrumpft im Moment eher, als dass er wächst. Selbst in den Nationalparks ist der Druck auf die Art so hoch, dass es völlig sinnfrei wäre, die Paviane dort auszuwildern. Damit das überhaupt gelingen kann, muss man auf höchster Ebene mit Regierungen verhandeln. Dafür sind wir als Einzelzoo zu klein. Dafür wären wirklich jahrzehntelange Vorbereitungen notwendig, die sehr viel Geld und Zeit kosten. Das ist für eine Einzelinstitution eine Überforderung.
Ihnen ist aber schon seit 2009 bekannt, dass es bei den Pavianen zu Problemen kommen könnte, wie sie selbst einmal sagten. Hat der Tiergarten dann nicht verpasst, darauf zu reagieren?
Wir haben darauf reagiert, 2009 haben wir die Anlage vergrößert. Ein paar Jahre später haben wir 16 Tiere abgegeben. Dazu haben wir insgesamt 24 Weibchen Verhüttungsmittel implantiert. Wir haben aber festgestellt, dass das die Gruppenstruktur zerschießt. Aus tierschutzfachlicher Sicht war das keine akzeptable Lösung.
Ein wichtiger Moment
DAG ENCKE – DIREKTOR TIERGARTEN NÜRNBERG
Wäre es dann nicht richtig, Guinea-Paviane überhaupt nicht mehr im Zoo zu halten?
Nein, das sehe ich anders. Es geht uns um den Arterhalt. Den Menschen ist nicht bewusst, dass Artenschutz nicht nur im Zoo ganz, ganz stark mit einer kontrollierten Sterberate zu tun hat. Überall, wo es begrenzte Räume gibt, werden Populationen reguliert. Das gilt für uns Zoos genauso wie für Nationalparks. Das Thema muss in die Köpfe rein. Wenn wir nicht bereit sind, Tiere zu töten, müssen wir die Verantwortung übernehmen, dass wir eine Tierart nach der anderen verlieren. Dazu stehen die Guinea-Paviane in der Natur massiv unter Druck. Es ist abzusehen, dass sie bald bedroht sein werden. In den letzten 30 Jahren ging die Population um 20 Prozent zurück, der Trend hält weiter an. Deswegen hat der europäische Zooverband entschieden, dass ihre Population in den europäischen Zoos vergrößert werden soll.
Guinea-Paviane
Die Paviane mit ihrem rötlich-braunen Fell leben in freier Wildbahn in Westafrika. Laut dem Tiergarten gibt es aktuell nur 278 Exemplare in europäischen Zoos. 45 davon leben in Nürnberg. Der Zoo hält sie seit mehr als 70 Jahren.
Das klingt aber paradox. Die Population in Europa soll erhöht werden. In Nürnberg ist sie aber so hoch, dass Tiere getötet werden sollen. Wie passt das zusammen?
Es geht darum, dass wir das Fortpflanzungspotenzial der Gruppe erhalten müssen. Dadurch, dass im Zoo die Sterberate weit unter den natürlichen Verhältnissen liegt, müssen wir an der Sterberate als Stellgröße drehen. In einem Ökosystem, das im Gleichgewicht ist, bringt jede Mutter nur zwei Kinder zur Welt, die sich dann wieder fortpflanzen. Alle anderen sterben, bevor sie sich fortpflanzen können. Das ist im Tiergarten anders. Und das ist ja die Kunst der Zoos, dass wir Tierarten vermehren können – für Auswilderung und für den Aufbau von Reservepopulationen. Und dabei spielt die Mortalität eine zentrale Rolle. Sobald in anderen Zoos Platz für diese Art entsteht, werden unsere Tiere dort neue Gruppen aufbauen, um die Gesamtpopulation zu vergrößern.
Wie lang haben Sie denn mit sich gerungen, ob es richtig ist, Paviane zu töten?
Uns ist das Problem seit 13 Jahren bewusst.
Sind solche Überlegungen die schlimmsten Momente in ihrem Job?
Nein. Der aktuelle Fall beinhaltet einen wichtigen Moment. Es geht um eine Grundsatzfrage, die wir in der Gesellschaft fällen müssen. Wir müssen Dinge tun, die uns moralisch widerstreben, um Arten zu erhalten. Bei der Entscheidungsfindung gilt es auch zu berücksichtigen, dass ein Tier keine abstrakte Vorstellung vom Sterben hat, aber ganz große und konkrete Bedürfnisse in seinem Leben. Für Affen ist das Sozialleben essenziell. Wenn man nicht darüber nachdenken darf, Tiere zu töten, und deswegen Affen über Jahrzehnte ohne soziale Struktur leben lässt, dann haben wir die Tiere meiner Meinung nach nicht verstanden.
Herr Encke, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Dag Encke