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Ukraine-Krieg: Wie lange halten Putins Truppen das noch durch?


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Krieg gegen die Ukraine
Putin könnte sich verrechnet haben


Aktualisiert am 03.01.2025Lesedauer: 5 Min.
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Russische Artillerie in der Region Donezk: In ihrem bisherigen Tempo bräuchten Putins Truppen mindestens zwei Jahre, um die gesamte Oblast zu erobern. (Quelle: IMAGO/Evgeny Biyatov/imago)
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In diesem Jahr könnte sich der Krieg um die Ukraine entscheiden. Russland macht Geländegewinne und spielt auf Zeit – aber wie lange halten Putins Truppen durch?

Mehr als 4.000 Quadratkilometer ukrainisches Territorium hat Russland im vergangenen Jahr erobert, das entspricht etwa der eineinhalbfachen Größe des Saarlandes. Doch für den vermeintlichen Kriegserfolg musste der Kreml einen hohen Preis zahlen: Mehr als 420.000 russische Soldaten sind nach ukrainischen Angaben bei den Kämpfen verwundet oder getötet worden. Die große Frage lautet: Wie lange kann es sich Russland noch leisten, unter enormen Verlusten relativ geringe Fortschritte zu erzielen?

Russlands Schwerpunkt: Pokrowsk

Bislang jedenfalls konnten die ukrainischen Verteidiger den langsamen, aber stetigen Vormarsch der Russen im Osten des Landes nicht aufhalten. Das wichtigste Etappenziel der Kreml-Truppen ist nach Einschätzung des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) nach wie vor das strategisch wichtige Pokrowsk in der Region Donezk. In der Stadt mit ehemals 53.000 Einwohnern kreuzen sich wichtige Versorgungsrouten der ukrainischen Truppen. Die Eroberung von Pokrowsk dürfte Kriegsherr Putin seinem Ziel entscheidend näher bringen, die gesamte Oblast Donezk unter seine Kontrolle zu bringen.

Seit Ende 2023 hat Russland seine Offensivaktionen stark auf diesen Landesteil konzentriert. So gelang den Russen im Verlauf des Jahres 2024 die Eroberung der Kleinstädte Awdijiwka, Selydowe, Wuhledar und Kurachowe. Allein dabei sollen die Russen etwa 150.000 Soldaten verloren haben, wie der Militärexperte Christian Mölling kürzlich t-online sagte. Doch diese Geländegewinne haben es den Russen erst ermöglicht, auf Pokrowsk vorzustoßen. Derzeit versuchen sie nach Angaben des ISW, die Stadt von Süden und Nordosten her einzukesseln. Einen schnellen Durchbruch der Russen erwarten die Kriegsforscher aber nicht.

"Wenn sie mit derselben Geschwindigkeit vorrücken wie im Jahr 2024, brauchen die russischen Streitkräfte zwei Jahre, um die übrigen Gebiete der Region Donezk zu erobern", schreibt das ISW in seinem jüngsten Lagebericht. "Und das würde voraussetzen, dass die Russen städtische Gebiete ebenso leicht einnehmen können wie Felder und Dörfer und dass die Ukrainer in der Region keine nennenswerten Gegenangriffe starten." Allerdings sei es den Ukrainern bislang auch nicht gelungen, den russischen Vormarsch aufzuhalten. Westliche Militärhilfen seien daher weiter essenziell für die Ukraine.

So ergeht es den Ukrainern in Kursk

Doch die Probleme der Verteidiger scheinen zum Teil hausgemacht zu sein. So berichten ukrainische Soldaten schon seit Monaten von massiven Personalproblemen an der Front bei Pokrowsk. Auch von inkompetenten Kommandeuren und militärisch sinnlosen Befehlen war die Rede. "Der Personalmangel und seine Auswirkungen auf die Moral der Truppe schwächen die Verteidigungslinien der Ukrainer und die Verantwortlichen müssen diese Probleme angehen, um die Lage an der Front zu stabilisieren", schreibt das ISW.

Schwer unter Druck stehen wohl auch die ukrainischen Truppen in der russischen Grenzregion Kursk. Dort waren die ukrainischen Streitkräfte Anfang August etwa 35 Kilometer tief auf russisches Gebiet vorgestoßen, um nach Angaben des ukrainischen Armeechefs die Eröffnung einer weiteren Front durch die Russen in der ukrainischen Region Sumy zu verhindern. Seitdem kämpfen die Ukrainer in der Gegend mit besonders mobilen und erfahrenen Einheiten gegen die russischen Truppen, die das Gebiet auf Befehl des Kreml zurückerobern sollen.

Schwere Kämpfe um zerstörte Kleinstadt

Auf russischer Seite beteiligten sich an den Kämpfen in Kursk zuletzt auch Tausende nordkoreanische Soldaten. Bis zu 13.000 Soldaten soll Diktator Kim Jong Un nach Russland geschickt haben, doch die Verluste unter den Nordkoreanern sollen enorm sein. Auch die Lebensbedingungen der Nordkoreaner in Diensten des Kremlherrschers sollen bedrückend sein und viele in den Selbstmord treiben. Trotz gewaltiger Anstrengungen und massiver Verluste ist den Russen bislang aber nicht gelungen, die Ukrainer aus Kursk zu vertreiben, auch wenn diese inzwischen nur noch einen kleinen Teil des ursprünglich besetzten Gebietes dort kontrollieren.

Auch wenn die russischen Truppen in der Ukraine ihre Offensiven in Stoßrichtung Pokrowsk konzentrieren, Angriffe starten sie auch immer wieder in anderen Landesteilen. Ein Schauplatz ist die Kleinstadt Torezk etwa 30 Kilometer nördlich der Regionalhauptstadt Donezk. Dort greifen die Russen seit dem Frühsommer verstärkt an, ohne die Ukrainer aber vertreiben zu können. Bilder in sozialen Medien zeigen immer wieder schwere Kämpfe in der inzwischen weitgehend zerstörten Stadt mit früher 35.000 Einwohnern. Auch die Eroberung von Torezk würde Russland der Einnahme der Region Donezk ein Stück näher bringen.

Russen jagen Zivilisten in Cherson

Die Bodenoffensive, die Russland 2024 nördlich der Großstadt Charkiw begonnen hat, scheint inzwischen weitgehend zum Erliegen gekommen sein. Dort wollte Russland nach eigenen Angaben eine Pufferzone errichten, um ukrainische Artillerieangriffe auf die russische Stadt Belgorod zu verhindern. Nach Einschätzung des ISW verlief diese Offensive aber ohne nennenswerte Erfolge für die russische Armee. Gleichwohl leiden die Einwohner von Charkiw nach wie vor unter regelmäßigen russischen Terrorangriffen mit Raketen, Gleitbomben und Kamikazedrohnen.

Nicht weniger dramatisch ist die Lage der Einwohner von Cherson. Die Ukraine hatte die im Süden des Landes gelegene Großstadt im November 2022 befreit und die Russen an das andere Ufer des Dnipro vertrieben. Doch von dort aus beschießen Putins Truppen die Stadt weiter regelmäßig mit Artillerie und aus der Luft. Besonders perfide und gefürchtet sind aber Angriffe mit Drohnen auf Zivilisten. So machen russische Drohnenpiloten aus der Luft gezielt Jagd auf Unschuldige, um ihre Fähigkeiten zu trainieren. Die Russen bezeichnen diese Praxis zynischerweise als "menschliche Safari". Hunderte Zivilisten sollen so bereits getötet oder schwer verletzt worden sein.

Weniger Gleitbombenangriffe dank ATACMS

In fast allen Landesteilen leidet die ukrainische Zivilbevölkerung unter russischen Luftangriffen gegen Kraftwerke. Zwar verfügt die Ukraine über westliche Flugabwehrsysteme und eine Handvoll Kampfjets des Typs F-16; doch die Russen passen ihre Angriffstaktiken immer wieder an und versuchen, die Luftverteidigung entweder auszutricksen oder durch schiere Masse zu überwinden. So haben die Russen zuletzt immer wieder mit zahlreichen billigen Nachbauten der iranischen Shahed-Drohne angegriffen, um die ukrainische Luftverteidigung zu erschöpfen.

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Deutlich zurückgegangen sind dagegen die russischen Angriffe mit gefürchteten Gleitbomben, die zum Teil bis zu 1.500 Kilo Sprengstoff ins Ziel tragen können. Mit diesen Geschossen hatten die Russen massive Schäden in ukrainischen Städten angerichtet, aber auch in den Verteidigungslinien an der Front. Seit die Ukraine Anfang November die Erlaubnis erhielt, US-Raketen vom Typ ATACMS auch gegen Ziele in Russland einzusetzen, sind die russischen Angriffe mit Gleitbomben nach Angaben Kiews um etwa die Hälfte zurückgegangen. Russland muss seine Bomber jetzt nämlich weiter entfernt von der Grenze stationieren und kann sie nicht mehr so häufig auf Einsätze schicken.

Furcht vor Trump, Hoffnung auf Merz

Unterdessen hat die Ukraine ihre Angriffe gegen Ziele in Russland zuletzt wieder intensiviert. Allein in den vergangenen Tagen hat die Ukraine einen russischen Kommandoposten in Kursk, ein Öldepot im Westen Russlands und einen hochrangigen General mitten in Moskau angegriffen. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Igor Kirillow und sein Assistent kamen dabei ums Leben.

Auch die ukrainische Rüstungsproduktion hat in den vergangenen Monaten stark zugelegt. Inzwischen verfügt das Land über mehrere selbst entwickelte Raketen und Drohnen, die auch tief im russischen Hinterland zuschlagen können. Die Entwicklung und Produktion eigener Waffensysteme sind für Kiew essenziell, da westliche Waffensysteme wie der Marschflugkörper Storm Shadow oder ATACMS-Raketen nur in sehr überschaubarer Menge geliefert wurden und ihr Einsatz politischen Einschränkungen unterliegt. Und ob der Westen die Ukraine im Jahr 2025 stärker unterstützen wird als bislang, erscheint mehr als fraglich.

Am 20. Januar übernimmt in den USA Donald Trump die Macht. Wie Trump im Hinblick auf die Ukraine verfahren will, ist bislang unklar. Kiew und die Europäer fürchten allerdings, dass der Putin-Bewunderer Trump die US-Unterstützung für die Ukraine deutlich zurückfahren könnte. Der demokratische Amtsinhaber Joe Biden versucht derzeit, noch so viel Militär- und Finanzhilfe wie möglich auf den Weg zu bringen.

Mit Spannung dürften die Ukrainer auch auf die Bundestagswahl am 23. Februar blicken. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hatte angedeutet, Kiew auch den deutschen Marschflugkörper Taurus zu schicken. Dies hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) bislang vehement abgelehnt und damit viele Ukrainer enttäuscht.

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